[360] Menzikof. Die Vorigen.
PETER zu Menzikof.
Wo sind die Flücht'gen?
MENZIKOF.
Im Sarg. Der Priester rief ein Anathem;
Der andre faselte.
GLEBOF.
Ha, wackrer Renner
Mit Stundenglas und Hipp'! Du überholst
Schnellfüß'ge Furcht zuerst!
DIE BOJAREN.
Weh' und Verderben!
PETER.
Hast Du besorgt? ...
MENZIKOF.
Sandberg und Fackelschein,
Den finstern Mann, und sein geschliffnes Beil;
Bereit und fertig ist's im Hof des Kreml.
PETER.
Verfahr nach deiner Liste.
DIE BOJAREN in wilder Bewegung.
Das ist gräßlich!
PETER.
Ihr ließt mich schaun die Zeit nach meinem Tod;
Ich hab' gelebt und lebe, sie zu wenden.
Meint ihr, dies sei mir eine Freudennacht?[361]
Verfahr nach deiner Liste, Menzikof.
Er tritt links in den Vordergrund und liest Briefe.
GORDON.
Ergebt euch, Herrn. Die Erde geht nicht unter
Um eines Menschen Fall.
Er tritt zum Zar. Glebof, Dolgoruki, Lapuchin, stehn dem Zar rechts gegenüber. Menzikof etwas zurück nach der Mitte. Schepelew macht mit den Soldaten eine Bewegung nach vorn, so daß nur jene Personen sichtbar bleiben, und die übrigen Bojaren nicht mehr gesehen werden.
MENZIKOF.
Abraham Lapuchin.
LAPUCHIN.
Ich sterbe schuldlos, so beglückter drum.
Zu meinen Vätern geh' ich unbefleckt,
Und sag': »Hier ist eu'r Sohn.« –
Gegen Peter gewendet.
Fluch über dich!
Du tilgst die Edlen weg von Rußlands Boden,
Drum sollen Knechte deiner spotten, Knechte
Soll'n dich verraten, und dein Weib verführe
Der Knecht, dem du vertraut! –
Gegen Glebof.
Fluch über dich!
Sieh jenseits reine Tugend.
Er wird abgeführt.
GLEBOF.
Das ist sinnreich.
MENZIKOF.
Basilius Dolgoruki.
DOLGORUKI gegen Peter gewendet.
Fluch dem Zar!
Vergiftet Lächeln, honigsüßer Trug[362]
Sei deiner Tage Speis'! Der Dinge Form
Verwandle sich in deiner Hand! Das Feste
Zerfließe unter dir!
Gegen Glebof.
Fluch, Glebof, dir,
Der mich verleitet hat ...
GLEBOF.
Die Garnison
Von Twer herbeizurufen? – Sieh, Basil,
Zum letzten Male deine Truppen an!
Du nahmst das Maß der Grube allzu weit,
Wir haben beide Platz darin. Schlaf wohl!
Dolgoruki wird abgeführt.
MENZIKOF.
Stephan Iwanowitsch Glebof.
GLEBOF.
Herr, da bin ich.
Er blickt zum Himmel.
Wär' überm Klumpen: Welt, ein Fünkchen Sinn,
Und ein verständ'ges Etwas, betet' ich:
»Gib, daß ein unschuldvolles Herz vergesse,
Daß einst ein Mensch gelebt, der Glebof hieß!«
Wer aber mag ins Leere sprechen? –
Er nähert sich dem Zar.
Zar!
Du blühst in Mark und Füll, und ich bin hin.
Doch nur die Stunde früher oder später,
Ist unser Unterschied. – Bau' dir den Thron
Von Millionen Schädeln, web dein Kleid
Aus Alexanders Macht und Cäsars Glorie,
Du wirst vergessen um 'nen Wicht. –
Zu Menzikof.
Zum Schluß!
Er geht. Menzikof, Schepelew und die Truppen folgen. Der Zar und Gordon bleiben allein zurück.
[363]
GESANG von außen, dumpf, monoton.
Leg in den Sarg mir mein grünes Gewand,
Trubor, Trubor!
Sporen zu Füßen, den Jagdspieß zur Hand,
Trubor, Trubor!
Füttre die Rüden, ich hab' sie geliebt,
Streichle mein Rößlein, es steht so betrübt.
GORDON ist an das Fenster getreten.
Ihr Todesgesang! Sie stehn im Kreis, und halten
Einander bei den Händen, sehen starr
Auf ihre letzte Stätte, und die Bärte
Wehn schauerlich im Nachtwind. – Glebof nur
Steht stumm beiseit, schürzt höhnisch auf die Lippe.
Die Wachen aber singen's mit; es ist
Ein uralt Lied; ich hört' es oft im Lager.
GESANG.
Mach mir die Grube acht Fuß in dem Grund,
Trubor, Trubor!
Streich auseinander das Erdreich rund,
Trubor, Trubor!
Primeln entblühen dem Rasen im Mai,
Achtlos jaget der Tartar vorbei. –
GORDON.
So sangen Douglas' sieben Söhne einst
Im Turm zu Teviotdale.
Peter hat einen Brief eröffnet, erschrickt und läßt den Brief fallen.
Ein Unglück, Herr?
Er hebt den Brief auf.
PETER.
Ein groß Ereignis meldet Münnich mir:
Der König Schwedens fiel vor Friedrichshall.[364]
GORDON.
So bist du Jupiter, und dieser Tag
Stürzt die Titanen all', die sich gebäumt,
Dein lichtes Reich zu finstern, in den Abgrund!
Herr, gib mir die Entlassung. Patrik Gordon
Will nicht dein Schmeichler werden.
PETER.
Welch Geschick!
Ach Karl, mein Bruder, wie ich dich beweine!
Kein Mensch auf Erden hätte dich geliebt,
Gleich Petern! O mein großer, lieber Feind!
Beglückter Fürst! Du führtest freie Männer
Im Rat, zur Tat, und ich – durchwate Blut.
Er geht. Gordon folgt.
Ausgewählte Ausgaben von
Alexis
|
Buchempfehlung
Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.
68 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro