Sechzehntes Kapitel
Warum der Freiherr von Münchhausen grün anlief, wenn er sich schämte oder in Zorn geriet

[114] Nach so manchen interessanten Abenden fiel dem alten Baron wieder seine Frage ein, welche er vorlängst hatte tun wollen. Es war eine schöne Stunde des Vertrauens; Münchhausen hatte seit mehreren Tagen nur Dinge vorgetragen, die den Schloßherrn und seine Tochter auf das angenehmste berühren mußten; selbst der Schulmeister schien von seiner Verstimmung wieder etwas zurückgekommen zu sein.

Der Wirt rückte daher dem Gaste, nachdem das spärliche Abendessen, bestehend aus Salat und Eiern, verzehrt worden war, freundlich näher, und sagte: »Ihr wärt recht gefällig, lieber Münchhausen, wenn Ihr uns heute eine stichhaltende Hypothese über Eure zweifarbigen Augen und Euer Ergrünen zum besten gäbet. Unmöglich können Euch diese Naturwunder entgangen sein; nun seid Ihr aber ein Mann, der über alles nachdenkt, also habt Ihr gewiß auch darüber eine Hypothese fertig.«

»Keine Hypothese habe ich darüber fertig, sondern ich weiß, wie es damit sicherlich zusammenhängt«, versetzte Münchhausen und zog die Augenbraunen in die Höhe, daß das blaue und das braune Auge noch gewaltiger hervortrat, als gewöhnlich. – »Was die Zwiefarbigkeit meiner Sehorgane betrifft, so leiten sich diese aus Geheimnissen meiner Erzeugung ab – werden Sie nicht rot, meine Gnädige, ich berühre diesen Punkt nicht[114] weiter – die leider über ganze Regionen meines Daseins einen schwarzen Schatten werfen. Wie oft habe ich den Tagelöhner beneidet, der im sauren Schweiße seines Antlitzes, bei dem harten Stücke Schwarzbrot, welches seine Kinnladen zermalmen, doch den süßen Trost nimmer entbehrt: Du bist, wie jeder andre Mensch entstanden, und fährest dahin, wo deine Väter ruhn. Aber ich ... oh! – – Doch den Schleier über diese Abgründe! Sie sind tief und schrecklich, armer Münchhausen!

Meine Freunde, ich kann Ihnen über mein blaues und braunes Auge nur folgendes sagen: Die Säfte, oder Substanzen, oder Materien, oder Spezies – – Himmel, wie soll ich es anfangen, Ihnen die Sache deutlich zu machen, ohne meinen sogenannten Vater bloßzustellen? – –

Oder die Ingredienzien, oder die Simpla – –

Meine Teuren, kennen Sie Mischungen?«

»Lieber Meister, mühen Sie sich nicht ferner ab«, sagte das Fräulein weich und herzlich; »ich verstehe Sie ganz.«

»O Gott, welches Glück, einander immer ohne Wort zu verstehen!« rief Münchhausen und küßte dem Fräulein, wie gewöhnlich, die Hand. »Ich brauche also von diesem Gegenstande nicht weiter zu reden, und wende mich gleich zu der Erklärung des Grünwerdens, um –«

»Ja, dabei verlieren wir aber!« riefen der alte Baron und der Schulmeister wie aus einem Munde; »denn wir haben Sie durchaus nicht verstanden.«

Münchhausen räusperte sich, antwortete und sprach:


»Römische I. 0,208 Glyzerin + 0,558 Wasser + 1,010 Kohlensäure bei 110° getrocknet = Blau.


Römische II. 0,035 kohlensaures Natron + 0,312 Chlorwasserstoffsäure + 0,695 Glyzerin bei 108° getrocknet = Blau, zum Nachdunkeln geneigt.


Verstanden?«

»Ja, das läßt sich eher hören!« riefen der Baron und der Schulmeister. »Dabei kann man doch etwas denken.«

»Nun also genug von dem blauen und braunen Auge«, sagte Münchhausen. »Was mein Grünwerden betrifft, wenn andere Leute erröten, so habe ich das von einem furchtbar-tragischen[115] Schicksale in der Liebe wegbekommen. Wenn es Sie nicht ermüdet, so will ich Ihnen einen kurzen Abriß meiner Liebesschicksale liefern.«

»Münchhausen, Sie in der Liebe, es muß etwas Großes gewesen sein!« rief das Fräulein mit leuchtenden Augen.

»Ja, mein Fräulein, es war ein außerordentliches Schauspiel«, erwiderte Münchhausen. »Und besonders deshalb war es außerordentlich, weil ich die Liebe nicht so auf das Geratewohl, wie andere junge Leute, sondern nach einem gewissen Plane trieb. Ich bin, solange ich denken kann, immer klares Bewußtsein gewesen; alle Seelenkräfte lagen gesondert in mir, wie die Spezies in den Büchsen einer Apotheke, ich habe Tage erlebt, an welchen ich zugleich mit dem Verstande Schlußfolgerungen machte, mir von der Phantasie goldene Luftschlösser vormalen ließ, und in unbestimmten Gefühlen schwelgte. So gelang es mir denn auch, den mächtigsten Affekt, der den Menschen sonst überfällt, wie ein Feuer bei Nacht, aus seinen Bestandteilen in mir aufzuerbauen, und mich auf die eigentliche Hauptleidenschaft meines Lebens förmlich vorzubereiten. Ich war in die Entwickelungsjahre getreten, und hatte mir klar gemacht, daß die Liebe aus Sinnlichkeit, Geist, Empfindung und Phantasie, Selbstsucht und Hingebung bestehe. Also sechs Elemente, die ich nach und nach in mir durchzuarbeiten versuchen mußte.

Ich hielt mich damals, in diesem Teile meiner wunderlich umhergeworfenen Jugend im Palaste eines fränkischen Prälaten auf, der bei der gewaltsamen Umkehrung der dortigen Verhältnisse die Prälatur verloren, die Einkünfte derselben jedoch zum größeren Teile behalten hatte, und daher noch immer seine Tage in Wohlleben hinbringen konnte. Hauptsächlich hielt der alte Herr auf eine leckere Tafel, und diesen Genuß ihm vorbereiten zu helfen war auch ich bestimmt. Ich entzündete das Feuer des Herdes, ich nahm die herkömmlichen Abwaschungen der dem Dienste geweihten Gefäße vor, ich setzte die Maschine in Gang, mit welcher der Spieß zusammenhing, des Bratens Halter; kurz, denn wozu Umschreibungen? ich war Küchenjunge bei dem Prälaten, aber ich war ein denkender Küchenjunge.[116]

Der Prälat ging von dem Grundsatze aus, daß eine jede Köchin nur die sechs ersten Monate ihres Dienstes hindurch gut koche, nachher aber sich zu vernachlässigen pflege. Er schaffte daher auch alle Semester eine neue Kochmagd an, und ich erkannte bald, daß, wenn ich bei ihm nur drei Jahre lang aushielte, ich alle sechs Elementarstudien der Liebe mit den Köchinnen der sechs Semester werde durchmachen können. Denn es war in dieser Küche hergebracht, daß die Köchin den Küchenjungen lieben mußte. Die Sache hatte also keine Schwierigkeit.

Das erste Vorstudium mußte, wie sich von selbst versteht, die Sinnlichkeit sein.«

Das Fräulein wollte sich erheben. Münchhausen hielt sie zurück und sagte: »Fürchten Sie auch jetzt nichts, meine Verehrte, von der Sinnlichkeit, ich habe von diesem Zeitabschnitte nur zu berichten, was selbst in einer Mädchenpension mit angehört werden könnte. Es diente damals in der Küche die alte Wally; wie man sagte, eine natürliche Tochter von Lucinde Schlegel. Sie hieß bei dem Gesinde die Zweiflerin, weil sie in ihrer Häßlichkeit und Welkheit daran verzweifelte, noch einen Mann zu bekommen.

Wenn man sie reden hörte, so hätte man freilich glauben sollen, daß sie ein ziemlich freies Leben geführt habe, denn ihre Äußerungen klangen frech und unanständig genug. Aber der Kutscher, der auf seine Weise ein Spötter war, behauptete, er habe sie von jeher gekannt; sie sei alle ihre Lebtage über eine garstige Person gewesen und schon deshalb von Sünde frei geblieben. Ihre Zoten seien nur wie die Krankheit der Hühner, wenn sie anfangen, zu krähen, ohne gleichwohl durch solche Stimmübungen jemals die rechte Hahnenhaftigkeit zu erringen.

Wir hatten bloß ein Titularverhältnis der Küchenordnung gemäß zusammen; ich glaube, daß wir uns kaum einmal die Hand gegeben haben. Dennoch lernte ich von ihr, was Sinnlichkeit sei, nämlich der gerade Gegensatz von allem, was die alte Zweiflerin von sich sehen und hören ließ. Nachher hat sie freilich in der Welt ausgebreitet, wir wären sehr zärtlich gewesen; ich hätte, da mein Taufname zu prosaisch geklungen, ihr[117] Cäsar geheißen, und was dergleichen Schnurren noch mehr sind, woran kein wahres Wort ist.

Die Sinnlichkeit hatte ich also nun theoretisch kennengelernt, die Wally kam fort, und Seraphine wurde Köchin. Sie schimpfte gewaltig auf ihre Vorgängerin und sagte, in ihr erscheine das wahre echte weibliche Wesen, wovon Wally nur ein Zerrbild gewesen sei. Sie trug einen graugelben Umschlagetuch und befand sich leider auch im ehernen Zeitalter, obgleich sie aus Jung-Deutschland stammte. Es war ein sonderbares echt weibliches Wesen, dieser Seraph Seraphine! Ich schlug aber mit ihr, oder mit einer Klappe zwei Fliegen, kriegte nämlich bei ihr zugleich den Geist und die Empfindung in der Liebe weg, hatte sonach großen Profit von ihr, denn ich sparte durch sie ein Semester. Unser Bündnis kam folgendermaßen zustande. Ich spickte just einen Hasen auf der einen Seite, und sie tat es auf der andern Seite. Da sah sie verschämt auf, warf mir einen seelenvollen Blick zu, daß sich mir das Herz im Leibe umdrehte, und fragte: ›Will Er mich, mit Erlaubnis zu sagen, lieben, Musje?‹ Ich versetzte: ›Ja, wenn Sie so befehlen, Jungfer Seraphine.‹ Darauf gaben wir uns über dem Hasen einen Schmatz und spickten den Hasen, trunken von Entzücken, fertig. Wie ich sie beschrieben, so war die Form der Bundschließung in der Prälatenküche. Die Köchin mußte observanzmäßig anfangen, der Küchenjunge durfte es beileibe nicht, er hätte, wenn er sich unterstanden, zuerst den Liebesantrag zu machen, von der Geliebten die schönsten Ohrfeigen gekriegt.

Die Seraphine war auf zwei Tage mit ihren Gaben eingerichtet. Den einen Tag war sie nämlich voll Geist, und den andern voll Empfindung und so immer regelmäßig einen um den andern Tag abwechselnd. Ich bekam also von ihr den Geist und die Empfindung in der Liebe. Damit war es aber folgendermaßen bestellt. Sie liebte eine Herzstärkung in der Stille zu nehmen, konnte jedoch nicht viel vertragen und wurde leicht duselig. In diesem Zustande hatte sie Geist, das heißt, sie sprach Zeug, was kein Mensch verstand. Den andern Tag hatte sie den Katzenjammer, da war sie voll Empfindung. Ich machte ihr nun alles dieses nach, um das Verhältnis im Schwunge zu[118] erhalten. Aber unglücklicherweise war es gleich in der Anlage versehen worden. Ich hatte nämlich an dem Tage, wo sie den Katzenjammer ausstand, der Flasche zugesprochen, und war geistvoll geworden. Den folgenden Tag, wo sie wieder Geist bekam, befand ich mich im Katzenjammer und in der Empfindung, und so ging nun das Verfehlen immer fort, wir paßten nie aufeinander, mein Katzenjammer traf auf ihren Geist, und mein Geist auf ihre Empfindung. Daraus entstanden natürlich heftige Zänkereien, unter denen die Küchenangelegenheiten litten, so daß auch der Prälat sich genötigt sah, sie noch vor Ablauf ihres Semesters fortzuschicken. Es war ein Glück. Ich bin nie der stärkste gewesen, und kann wohl sagen, daß ich auf dieser Liebesstation jämmerlich heruntergekommen war.

Die folgende Köchin hieß ›das Kind‹, weil sie sich selbst so nannte. Warum? weiß ich nicht, denn ich glaube schwerlich, daß sie zu denen gehörte, von denen gesagt worden ist: So ihr nicht werdet, wie diese usw. Die konnte einem was zu raten aufgeben. Zuweilen war sie stundenlang verschwunden, und wenn wir sie suchen gingen, fanden wir sie auf dem Dache sitzen, oder sie kam auch wohl schäkernd auf einem Besen den Rauchfang herabgefahren. Es kann kein Menschenwitz erfinden, was für Zeug das Kind zusammenzuflunkern verstand. Ihr Hauptkunststück aber war – Ach, gnädiges Fräulein, wenn ich nicht irre, wurden Sie draußen gerufen.«

Das Fräulein verstand diesen zarten Wink und ging hinaus, mit dem dankbarsten Blicke auf Münchhausen. Er fuhr fort: »Das Kind konnte nämlich radschlagen, oder Purzelbäume schießen, ohne die Schamhaftigkeit zu verletzen. Wie sie es möglich gemacht, weiß ich nicht, aber die Sache ist richtig; sie kehrte ihr Unterstes zuoberst, und alle Kenner und Stimmführer, die zusahen, versicherten einstimmig, sie habe die weibliche Schamhaftigkeit dadurch nicht verletzt, vielmehr seien ihre Purzelbäume eine wahre Bereicherung der höheren Gemütswelt.

Bei ihr studierte ich die Phantasie der Liebe. Unsre Liebe war nämlich pure, klare Phantasie, wir konnten einander leiden wie Hund und Katze; aber die hochtrabendsten Sachen schrieb sie[119] darüber, wahre Hymnen; und hinterher wußte sie mir doch immer so einen recht tüchtigen Kniff abzugeben, daß ich hätte aufschreien mögen. Die gemeine Sage bleibt wahr, die von den *s, wozu sie gehörte, behauptet, diese fingen in der Schalkheit da an, wo andere Schälke aufhörten. Es ist ein Buch über das Kind verfaßt worden, worin es das personifizierte Mittelalter genannt wird. Nun, es hatte denn freilich auch schon ein mittleres Alter erreicht, und die Schönheit drückte es ebenfalls nicht sonderlich mehr, als es sich auf kindische Weise der Phantasie in der Liebe ergab. Ich war recht vergnügt, als ich des Kindes quitt war, denn Sie glauben nicht, wie sehr solche Einzelstudien der Liebe angreifen.

Die folgenden beiden Köchinnen, Jule und Jette, waren die besten von allen, sie waren reine Köchinnen, ohne Geist, Empfindung, Phantasie. Bei diesen lernte ich die Selbstsucht und die Hingebung der Liebe. Nämlich Julen, die den Herrn betrog, wo sie konnte, übrigens aber das rechtschaffenste, gutherzigste Ding von der Welt war, nahm ich alle ihre Schwänzelpfennige, die sie sich bei den Markteinkäufen machte, ab. Sie schnellte bloß für mich; wahrhaftig, so tat sie. Ich aber brauchte Geld, ich wollte mir gern einen neuen Rock kaufen und Rumohrs ›Geist der Kochkunst‹, um mich in meinem Fache auszubilden. Ich sagte immer zu ihr: ›Gebe Sie nur her, Geliebte; Geben ist seliger als Nehmen; ich gönne Ihr die Seligkeit, und bin mit dem Geringeren, mit dem Gelde zufrieden.‹ Was hatte ich davon? Meine fünfte Probegeliebte, die Jette, ein durchtriebener Vogel, hat mir die ganze Summe wieder gemaust, als wir unter Schwüren der Zärtlichkeit schieden. Nun, Hingebung muß auch sein; ich habe es ihr nicht nachgetragen.«

Münchhausen machte eine Pause, um sich zu erholen. Das Fräulein war wieder eingetreten. Nach einigem Schweigen, währenddessen er einen Blick, in dem die ganze Schwärmerei der Jugend leuchtete, zum Himmel emporgeschickt hatte, fuhr er also fort:

»O, was ist die gewöhnliche, unbewußte, roh-zutäppische Liebe gegen die bewußte Liebe, gegen die Liebe, die nach Prinzipien liebt? Jahre waren verflossen, die Küche lag weit hinter mir. Das Spiel des Lebens sah mich heiter an vom grünen[120] Tisch, wenn stark pointiert wurde, und die Kugel für die Bank sprang. Münchhausen war ein Mann geworden, ein Mann im vollen Sinne des Worts. Dennoch trafen auch ihn die Zweideutigkeiten des Glücks. Ich hatte eine kleine Verdrießlichkeit gehabt, die mich zwang, inkognito zu leben, weit, weit von hier.

Nun muß ich Sie, meine Freunde, mit einer Eigenschaft bekanntmachen, die mit den Geheimnissen meiner Erzeugung zusammenhängt. Je reifer ich wurde, desto mehr entwickelten sich in mir gewisse mineralische, oder genauer zu reden, metallische Bezüge, so daß ich von Geld nicht reden hören konnte, ohne in ein Zittern der Ekstase zu geraten. Da sah ich in meinem Inkognito, welches so streng war, daß ich nur verstohlen ausgehen durfte, die, welche alle sechs Bestandteile der Liebe zu einem großen Ganzen in mir kombinierte. Sie war nicht schön, sie hatte wenig Verstand und keine Eigenschaften, dennoch – – aber mein gnädiges Fräulein, mich dünkt, Sie werden schon wieder draußen gerufen.«

Emerentia stand abermals auf, warf von neuem einen dankenden Blick auf den Erzähler, und sagte: »Münchhausen, ich habe Sie immer verehrt, aber von heute bete ich Sie an.« Darauf ging sie wieder hinaus.

»Zum Geier!« rief der alte Baron, »warum schickt Ihr denn heute meine Tochter immer fort?«

»Ihr Zartgefühl zu schonen«, versetzte der Freiherr. »O könnten wir so alle Frauen zur Literatur hinausschicken, die getauften und die ägyptischen Marquisen, dann sollten Sie einmal sehen, wie bald alles kräftig wieder in Witz, Laune und Ironie aufblühen würde!

Meine Geliebte war also nicht schön, nicht klug, nicht angenehm, aber sie sagte mir, daß sie eine außerordentlich reiche Erbin sei. Und sowie dieses Wort erklungen war, regten sich in mir die metallischen Bezüge, und, Sie mögen es glauben oder nicht, es liegt mir nichts daran, aber es ist wahr; es tat in mir einen Ruck, daß mir die Rippen krachten, wie dem Filippo Neri, als ihm das Herz schwoll, und auf einen Schuß, wie sechs Rosen von Damaskus an einem Stengel, brachen in mir auf[121]

1. die Sinnlichkeit |

2. der Geist |

3. die Empfindung |

4. die Phantasie › in der Liebe.

5. die Selbstsucht |

6. die Hingebung |

Mich soll der Teufel holen – denn ich werde allemal lyrisch, wenn die selige Rückerinnerung an diese Tage über mich kommt – habe ich meine angebliche reiche Erbin nicht geliebt, wie noch nie eine Frauensperson geliebt worden ist! Ich war sinnlich, aber nie ohne Empfindung, denn ich weinte immerfort, so daß ich mir eine Tränenfistel zuzog. Geist spendierte ich, daß es nur so eine Art hatte; wie oft rief ich: ›Arm in Arm mit dir fühle ich eine Armee in meiner Faust! Ich habe Heroenmut, den alten Sauerteig des Jahrhunderts wegzufegen, und die Käuzlein aus den Höhlen zu treiben, worin sie noch immer blinzelnd über ihren verlegnen faulen Eiern brüten, denen nie eine lebendige Wirklichkeit entkriechen wird!‹«

»Münchhausen!« fuhr der Schloßherr auf; »die Geschichte nimmt eine unangenehme Wendung. Das Alte ist gut, und man muß wohlerworbene Rechte achten.« Auch er ging hinaus.

»Meine Geschichte muß zu Ende, und da niemand sonst mehr hier ist, so will ich sie Ihnen auserzählen, Herr Schulmeister«, sagte der Gast des Schlosses Schnick-Schnack-Schnurr. »Hingebung und Selbstsucht fluteten wie zwei Ströme durch unser Verhältnis. Ich gab ihr mein Herz, mehr wert, als eine Million, und bekam von ihr manchen Louisdor. Schöne, freundliche Taille des Lebens, in welcher beide einsetzten, gewinnend zu verlieren! Daß die Phantasie nicht leer ausginge, ersann ich ein freundlich Märchen, ich stamme von Fürstenblut ab, sagte ich ihr, sagte es ihr so oft, daß ich es endlich selbst glaubte.«

Der Schulmeister warf das Haupt in den Nacken, als habe er einen Schlag vor die Stirne bekommen. Seine Lippen krempelten sich zu einer Art von Wulst zusammen; er sah sehr verdrießlich aus.

Münchhausen aber achtete in seinem Feuer dieses Umstandes nicht. »Herrlicher Traum! warum mußte ich aus dir erwachen?«[122] rief er. »Ich hätte ja alles gern dulden wollen, das Erkalten der Geliebten, die Entdeckung, daß sie schon andre vor mir geliebt, und was sonst noch Widerwärtiges an und von ihr? Warum aber mußtest du mich so hart prüfen, Schicksal? Warum berührtest du die Stelle, wo ich sterblich war, da du doch meine inneren metallischen Bezüge kanntest?

Es kam der Tag –


o laßt von ihm

Sich Höllengeister nächtlich unterreden!


– es kam der Tag, an welchem unheimliche Gestalten in mein Leben traten, bedrohliche Gewalten mich umspannen mit geisterhaftem Netz und die grause Trennung befahlen. In den Schaudern jenes Augenblicks sagte sie mir unter andern Kleinigkeiten, zu denen unser Verhältnis geführt hatte, das entsetzliche Wort: mit der reichen Erbschaft werde es kläglich genug ausfallen, denn sie habe erfahren, daß ihr Vater arm, wie eine Kirchenmaus sei. – Das traf! Ich fühlte meine Säfte gerinnen, ich fühlte, daß sie sich nach neuen chemischen Gesetzen mischten und entmischten. Meine Gebeine schlotterten, und obschon ich bald meine äußere Fassung wiedergewann, so merkte ich doch, daß über meine Wangen ein fremdes Etwas lief, als ich erröten wollte. Die Elemente in mir waren in Aufruhr, und aus diesem Chaos haben sich denn ganz neue Humoralgruppen in mir gestaltet.

Seit jenem Tage sah ich immer bleich aus, und wenn mir nachmals Zorn, Schreck, Freude, Scham das Blut in das Gesicht trieb, so lief ich grün an. Dieses Ergrünen kam daher, daß ich durch die furchtbare Entdeckung meiner sechsten oder Hauptgeliebten alle Verwandtschaft mit edlen Metallen einbüßte, und daß daher eines der unedlen, nämlich cuprum oder Kupfer, mir in das Blut trat. Kupfer steckt in jedem menschlichen Körper nach den neuesten Untersuchungen; bei meiner Entstehung aber war etwas zuviel davon verwendet worden, und der Überschuß ging mir ins Blut. Wenn ich mir zur Ader lasse, kriegt der Cruor eine ganz grüne Haut. Alle mögliche Mittel habe ich gebraucht, um die Sache wieder in das Geschick zu bringen, jedoch vergebens. Es ist immer angenehmer, rot zu werden, als grün. Ich bin durch die Kuprosität[123] meines Blutes in so manchen unschuldigen Freuden gehemmt. So darf ich nichts Saures genießen, keine Gabelspitze Salat, denn, habe ich mich einmal in dieser Beziehung vergessen, gleich schlägt der Grünspan mir an allen Gliedern aus, wie das Manna an der Äbtissin Agnes von Monte Pulciano. Es ist sehr lästig. Berzelius in Stockholm, der mich vielfach analysiert hat, warnte mich vor Zinn- und Zinkgruben, weil Zinn und Kupfer Glockenspeise, Zink aber damit vermischt, Tombach gibt, und die Ausdünstungen in jenen Gruben mir leicht eine abermalige metallische Komposition zuziehen könnten. Sie ermessen, wie unangenehm mir bei meiner Wißbegierde und Reiselust solche Beschränkungen vorkommen mußten, und noch dazu, da ich gerade den Rammelsberg bei Goslar, wo sie auf Zink bauen, besuchen, und von da nach den Zinnbergwerken von Cornwall reisen wollte. Ich schlug nachher die Warnung in den Wind und befuhr dennoch die Zinkgrube am Rammelsberge bei Goslar. Es waren böse Wetter darin, mir wurde heiß und schwül. Als ich mit meinem Steiger wieder an das Tageslicht gekommen war, sah er mich verwundert an, und sagte; ›Mein Herr, Sie müssen an Mennige gekommen sein, denn Sie sind orangegelb im Gesicht geworden.‹ Er wollte mich abwischen; mir aber fiel die Warnung ein, ich ließ mir einen kleinen Handspiegel reichen, und siehe da! ich war wirklich im Antlitz hochgelb, wie eine reife Pomeranze. Mein Blut war in der Zinkgrube tombachen geworden. Ich schämte mich vor dem Steiger, sagte ihm, ich wisse nicht, was es sei, aber abwischen helfe nichts. Recht beschämt ging ich von dem Grubenhäuschen fort, aus dem mir der Steiger mit allen alten und jungen Burschen, Zimmerhäuern und Pochjungen, die gerade zu Tage waren, verwundert und lächelnd nachsah.

Das bißchen Zink wurde ich zwar glücklicherweise wieder los durch eine Schmelzkur, aber die Reise nach Cornwall mußte ich zu meinem größten Leidwesen aufgeben. Was wäre daraus geworden, wenn mich die Zinndämpfe noch gar in Glockenspeise umgesetzt, und wenn ich angefangen hätte, ohne Privilegium zu läuten?

Solche metallische Naturspiele im Menschen bleiben also immer höchst verdrießlich. Kupfer im Blute ist so schlimm, als[124] Kupfergeld in der Tasche. Nicht leicht ward ein Sterblicher gleich mir in der Liebe gezüchtigt. Ich habe aber auch durch dieses Schicksal einen solchen Widerwillen gegen die Leidenschaft bekommen, daß ich mich nachher nie wieder dazu verstehen wollte, obgleich ich Gräfinnen, Fürstinnen und Prinzessinnen die Hülle und die Fülle haben konnte. Vornehme Damen haben häufig den seltsamsten Geschmack in der Liebe. Daher mochte es rühren, daß die ganze vornehme weibliche Welt hinter mir her war, wo ich erschien. Sie wandten den schönsten Adonissen in Dolman, Ulanencollet und Legationsfrack den Rücken, wenn ich, der schlichte Partikulier, der unscheinbare Privatgelehrte, dahertrat mit dem pentelischen Marmorkolorit und grün anlief. Was für Erklärungen habe ich anhören, was für Winke überhören müssen, welches Unheil habe ich gestiftet! In Dünkelblasenheim machte ich grüne Schminke Mode, weil die regierende Herzogin gesagt hatte, in mir sei der ewiggrüne Gott der Jugend erschienen, und die ganze höhere Welt die Andeutung verstand. Sie waren eben einmal wieder ganz aschgrau geworden in Dünkelblasenheim; nun strichen sie sich grün an und meinten, sie hätten die Jugend damit. – An einem andern Orte fiel mir die Prinzessin von Mezzo Cammino da Napoli di Romania zu Füßen und bat mich um Gottes willen, ihr nur wenigstens eine Exspektanz auf mein Herz zu geben. Sie tat mir in der Seele weh – sie war eine schöne Person – aber gebrannte Kinder scheuen das Feuer! Ich hob sie höflich auf, führte sie zum Sofa und sagte: ›Durchlaucht, es geht nicht. Ich habe einmal Unglück in der Liebe und wer weiß, was durch Sie bei mir in Konfusion gebracht würde. Sie dauern mich, liebe Durchlaucht, aber jeder Mensch ist sich selbst der Nächste.‹

Den höchsten Abscheu empfinde ich vor meiner ehemaligen sechsten oder Hauptgeliebten. Ich habe mir tausendmal gesagt: Sie konnte ja nichts dafür, daß sie keine reiche Erbin war, aber – die Natur läßt sich nicht zwingen. Immer und immer durch Grünspan an die Enttäuschung über seine schönsten Hoffnungen erinnert zu werden, ist am Ende auch keine Kleinigkeit! Der Mensch bleibt Mensch. Ich glaube, daß, wenn ich die Hauptgeliebte wiedersähe, ich mich nicht würde fassen können,[125] ich, der ich doch sonst so ziemlich mich zu beherrschen weiß.«

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 3, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 114-126.
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