Sechstes Kapitel
Der bekannte Schriftsteller Immermann führt eine sehr ernste Unterredung mit dem Freiherrn von Münchhausen. Karlos der Schmetterling entschließt sich, bewogen durch den Anblick eines Sauerbratens und die Zuredungen seiner Geliebten, endlich die Maske abzuwerfen

[564] Der Schriftsteller lief, als er den Schloßhof erreicht hatte, gerade auf das Haus zu, indem er fortwährend für sich murmelte: »Hätte ich ihn nur erst aus dieser Klemme! Sich so zu verfahren und zu versteigen, gerade in dem Augenblicke, wo ich ihm ein anständiges und sicheres Brot verschaffen kann! Wenn sie mein Wort nur gelten lassen!« – Er drückte an der Klinke der Türe. Da sie sich aber so nicht öffnen lassen wollte, so stemmte er sich mit der ganzen Gewalt seiner Schultern gegen sie, und da ihn die Natur mit einer ziemlichen Leibeskraft ausgestattet hatte, gelang ihm, was Semilasson und den drei Unbefriedigten so wenig, als dem Jäger möglich gewesen war. Die morsche Türe wich nämlich aus den Angeln, einige innen vorgesetzte Tonnen und Kisten fielen um, die Türe fiel auf sie und in das Innere des Flurs, der Schriftsteller fiel auf die Türe, wenigstens halb, und solchergestalt, fast mit der Türe[564] in das Haus fallend, eröffnete er gewaltsam den Zugang zu dem Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr, dessen Inneres ohne seine Dazwischenkunft vielleicht lange unzugänglich geblieben wäre. Einen Augenblick sich erholend und im Flure stehenbleibend hörte er oben das heftige Schnarchen. – »Der Schäker! Was hat er nun da vor!« rief der Schriftsteller lachend und eilte die Treppe hinauf. In Münchhausens Zimmer standen mehrere Fläschchen und Gläserchen mit den seltsamschillernden Feuchtigkeiten, deren schon einmal Erwähnung geschehen ist, gefüllt, auf dem Tische. Der Inhalt war hin und wieder verschüttet und ein scharfer mineralischer Dunst würzte die Luft. Nahe bei dem Tische schlief aber der Freiherr auf einem Stuhle, das Haupt zur Seite hängend, den festesten und gesundesten Schlaf, obgleich der Apparat auf dem Tische anzudeuten schien, daß er noch wenige Minuten zuvor gewacht haben müsse. Ganz überaus schnarchte er und lächelte wirklich, wie Karl Buttervogel gesagt hatte, gleich einem Engel in seinem Schlummer. Der Schriftsteller überblickte einige Augenblicke schweigend und ironisch schmunzelnd den Schläfer und die chemischen Zurüstungen, dann setzte er seine Brille auf, wie er immer vor wichtigen Momenten zu tun pflegt, schlich sich auf den Zehen zu dem Freiherrn, schlug ihm auf die Schulter und flüsterte ihm in das Ohr: »Keine Verstellung gegen mich, alter Freund!«

Das hangende Haupt des Freiherrn fuhr rasch empor, so daß er gegen die Nase des Schriftstellers anstieß und die Brille aus ihrer richtigen Stellung brachte, die Augen Münchhausens öffneten sich weit, starrten mit dem Ausdrucke eines unglaublich freudigen Erstaunens den Besuch an und schienen zu sagen: Nun, das muß wahr sein, wenn die Not am höchsten, ist die Hülfe am nächsten. Er blieb aber sprachlos.

Der Schriftsteller nahm die Brille ab, wischte die Gläser mit seinem Taschentuche rein und rief dann mit der Brille in der Hand lebhaft gestikulierend, dem Freiherrn zu: »Nun sagt mir, Erzkauz und Herzog der Phantasterei, Marquis von Traumland und König aller modernen Zigeuner und Bettelstudenten –« » ... gefürsteter Abt in qualitate qua, Herr zu Irrlicht, Nebeltau und Wildfeuer, Baron des unheiligen Reichs der[565] Motten, Ziegenmelker und Karpfenschwänze8, Grand aller böhmischen Dörfer, Erbbelehnter in sämtlichen künftigen neuen Entdeckungen, Großpensionär von Lirum Larum etc. etc. etc.« fiel der Freiherr seinem Kurator in die Rede. »Ihr seid im Zuge mit Euren gewöhnlichen unaufhaltsamen Bezeichnungen, und ich will Euch darin helfen«, setzte er hinzu.

»Nein, Herr von Münchhausen«, erwiderte der Schriftsteller, der plötzlich ernst geworden war, kalt. »Vergeuden wir die edle Zeit nicht mit müßigen Spielen des Witzes! Ich bin mit Ihnen sehr unzufrieden. Immer noch sah ich Sie auf der Höhe der Wogen, jetzt aber scheinen Sie gänzlich unter der Flut zu sein. Was soll dieses Schlafen? Was soll das Verrammeln in einem Hause, welches nicht Ihnen gehört? Fühlen Sie denn nicht, daß Sie durch solche Eulenspiegeleien sich fallenlassen?«

»Herr Immermann, Sie irren«, versetzte Münchhausen. »Ich schlief ein, als ich mir gegen den alten Narren, meinen Wirt, durchaus nicht anders mehr zu helfen wußte. Darin ahmte ich nur das Stratagem erfinderischer Köpfe nach. Ich versichere Sie, man wird vielleicht bald von dem chronischen Schlummer mehrerer Projektenmacher hören, wenn ihr Latein erschöpft ist.«

»Und das Türverrammeln?«

»Konnte ich denn wissen, daß Ihre gewichtige Kraft mir so nahe sei? Ich wollte Zeit gewinnen, eine halbe Stunde entscheidet oft alles, in einer halben Stunde kann der Himmel einfallen und dann sind wir durch jegliche Erdennot hindurch. Und wirklich habe ich recht gehabt. Sie sind da, der alte Baron nicht, der sonst vielleicht schon hier wäre und alle ruhige Besprechung unmöglich machte.«

»Mein Herr, lassen Sie diese possenhafte Betrachtung einer intrikaten Lage!« fuhr der Schriftsteller seinen Klienten barsch an. »Der alte Baron läuft nach dem Bürgermeister, um Polizeihülfe herbeizuschaffen! Begreifen Sie nun Ihre Position? Sorge ich darum väterlich für Sie, schicke ich deshalb gewissenhaft die Fläschchen der von Ihnen bereiteten Tinktur an den Oberkammerherrn,[566] schreibe ich mir, um Ihnen endlich ein sicheres Brot bei dem geistreichen Erbprinzen von Dünkelblasenheim zu verschaffen, beinahe die Finger lahm, damit Sie nun schmachvoll in dem Protokolle irgendeines obskuren Polizeibeamten endigen? Nein, Münchhausen, ich kann Sie fast nicht mehr achten, Sie sind doch ein gar zu verlogener Schelm.«

Der Freiherr hatte während dieser harten Anrede sacht unter seinen Kleidungsstücken gewühlt. Jetzt zog er daraus einen schwarzen Frack hervor und einen kleinen zusammengelegten Klapphut. »Was sehen Sie?« fragte er seinen rauhen Beschützer in einem ruhigen, man möchte sagen, überlegenen Tone.

»Einen Frack und einen Klack!« rief der Schriftsteller noch immer zornig, obgleich diese harmlosen Gegenstände keine Entrüstung verdienten.

Münchhausen zog an dem kleinen Klapphute, da wurde er größer, er griff dehnend in die Öffnung, da wurde er dreieckicht, er nahm aus den Seitenwänden einen weißen Federbusch und steckte ihn auf, da war es ein Offizierhut, wie er nur sein mußte. Dann krämpelte er den Frack um, häkelte das seidene Unterfutter los, da kam überall rotes Tuch zum Vorschein und am Kragen und an den Aufschlägen weißes mit Goldstickerei. Er warf seinen Rock ab, zog diese phantasievolle Uniform an, setzte den Hut auf und ein Offizier in fremden Diensten stand vor dem Schriftsteller.

Dieser betrachtete die neue Gestalt, welche sich wie durch Zauberei vor ihm gebildet hatte, mit Erstaunen. »So sind Sie denn also wirklich – was ich noch immer nicht glauben wollte – Sie sind ...« »St! mein Lieber –«, rief der Freiherr plötzlich ängstlich werdend. »Sprechen Sie ein gewisses Wort nicht aus; es ist das einzige, was mir Schrecken erregt! Ich wollte Ihnen nur zeigen, daß meine Mittel nicht erschöpft sind. Aus jenen Westen, Jacken und Tüchern, die Sie da liegen sehen, kann ich auf Verlangen Neugriechen, Matrosen, Jockeis herstellen mittels Knöpfens, Wendens, Steckens – ein ziemlich gewandter Proteus. Und so möge der alte Baron und ein Bürgermeister, der Teufel und seine Großmutter gegen dieses Schloß heranrücken, mir soll das Herz nicht abwärts sinken. – Sie haben mich in Ihrer[567] rauhen Manier angefahren, Sie haben einen hohen Ton gegen mich angestimmt, als seien Sie wunder wie weit über mir und ich nur eine mediokre Figur. Ich bin gegen solche Beleidigungen empfindlich. Deshalb frage ich Sie jetzt, womit habe ich sie verdient? Wissen Sie einen einzigen schlechten Streich von mir, mein Herr?«

Der Schriftsteller versetzte nach einigem Besinnen: »Nein. Wahrheit muß Wahrheit bleiben. Einen eigentlich schlechten Streich weiß ich allerdings nicht von Ihnen. Wie hätte ich mich auch mit einem Escroc so weit einlassen mögen?«

»Nun denn!« rief Münchhausen, und seine Gestalt, von der roten Uniform gehoben, nahm eine Art komischer Erhabenheit an. »Ich habe phantasiert, ja! Ich habe tolle Streiche ausgehen lassen, ja! Ich habe es mit der Wahrheit ziemlich oder vielmehr unziemlich leicht genommen, ja! Ich war überall und nirgends, mein Name war mir stets so gleichgültig wie der Rock, den ich gerade zufällig trug – aber mein Ehrenwort hatte ich mir darauf gegeben, alles dieses Schwärmen, Phantasieren, Fabulieren, Vagabondieren uneigennützig zu treiben, und obgleich ich der Freiherr von Münchhausen heiße, dieses Ehrenwort habe ich gehalten. Die Kasse manches Narren stand mir zu Gebote und blieb unberührt von mir; höchstens erlog ich mir hin und wieder Obdach und freie Beköstigung, wenn ich sonst nicht wußte, wohin mein Haupt legen und was beißen oder brechen?«

»Waren Sie stets so uneigennützig?« fragte der Schriftsteller mit scharfem Akzent.

»Nein«, rief Münchhausen plötzlich wieder kleinlaut, »ich will mich gegen Sie nicht besser machen, als ich bin. Einmal habe ich einer einfältigen Gans Liebe vorgelogen, um zu ihres Vaters Geld und Gut zu gelangen und da mußte ich zuletzt erfahren, daß kein Geld und Gut vorhanden sei. Diese eigennützige Lüge ohne Erfolg brachte nun eine ganz greuliche und ekelhafte Nachwirkung in mir hervor. Denn es gibt kein abscheulicheres Gefühl für einen Charakter, wie ich bin, als Witz und Phantasie umsonst ausgespendet zu haben. Und da gab ich mir eben das Ehrenwort, fortan in der reinen unselbstischen Erfindung zu schwelgen.«[568]

»Doch im Grunde eine traurige Schwelgerei!« sagte der Schriftsteller.

»Die lieblichste und üppigste!« rief der Freiherr begeistert. Seine Züge nahmen ein Gepräge an, wie es noch niemals in ihnen gesehen worden war. Seine Augen leuchteten wunderlich und schrecklich, durch die Irrgänge seiner Lineamente schlichen Schelmerei, Spott, trunkenes Behagen, wie schöne Mädchen, die in einem vernachlässigten Park spazierengehen. Mit den Fingern griff er in die Lüfte, als wollte er da tausend lustige Erinnerungen sich greifen, er sah wie der Geist Capriccio aus. – »Was ist das süße Feuer, welches die Traube in unsere Adern gießt, was sind die veratmenden Ohnmachten des höchsten Liebesrausches gegen das selige Behagen, mit allen stolzen Torheiten der Zeit zu tändeln, zu scherzen, zu spielen und des Witzes urkräftige Blitze in alle Spelunken hinableuchten zu lassen! Man fühlt sich wahrhaft als Schöpfer;

eine neue Welt ersteht, durch welche man als König und Wohltäter hinzieht, denn hinter den Rädern des Siegeswagens blühen in den Geleisen phantastische Blumen auf, welche dem Gefolge lieblicher duften als Rosen und Jasminen. Ich habe viele Narren glücklich gemacht und da die Welt aus Narren besteht, so habe ich die Welt beglückt, so weit mein streifender Fuß sie betrat.

Was soll ein gescheiter Kerl jetzt anders tun als lügen, die Prahlhänse zum besten haben, umherlaufen, sich wandeln und verwandeln? In Kriegsdienste gehen? – Napoleon hat das Heldentum ausgebeutet, wie er selbst ungefähr mit den nämlichen Worten auf Sankt Helena sagte, für fünfzig und mehrere Jahre, es ist heutzutage als sähe man bleierne Soldaten aufgestellt, darunter ist auch immer noch einer als General und mehrere sind als Hauptleute lackiert, aber bleierne Soldaten sind sie alle. In der Staatskunst sich versuchen? Auch da verlangt man nach einem Chef, der's ist, der nicht bloß so heißt. Zeigt mir einen Richelieu, oder nur einen schlauen, geschminkten Mazarin und ich werde Legationsrat. In Papier spekulieren? Pfui! Ich bin ja kein Jude. Den Tiefdenker machen, das Original, den Sonderling, den Unglücklichen? Abgebraucht. Was bleibt übrig? Lügen, Flirren, Flausen produzieren. Ein[569] Lügner war ich, ein Lügner bin ich, ein Lügner will ich sein! Ich habe auf Tollheiten spekuliert, das ist das höchste und nobelste Hasardspiel, was es gibt. Lucian ist mein Evangelium und Ebu Seid von Serug mein Herr und Meister!

Und da ich ein solcher bin, wie können Sie, mein Herr, sich herausnehmen, mir so unhöflich zu begegnen?«

»Was!« rief der Schriftsteller Immermann, »du empörst dich, Geschöpf, wider deinen Schöpfer?«

»Alter Freund«, versetzte der Freiherr mit ruhiger Hoheit, »Ihr seid nicht der Mann, einen Mann wie mich zu schaffen. Ihr habt einige meiner Abenteuer aufgeschrieben und demnach ein Stück meiner Biographie geliefert, das ist das Ganze, und wer weiß noch, ob mir und meinem Rufe damit sehr gedient gewesen ist, denn Ihr habt wenig Kredit in der Literatur. Ihr besorgt mir die Flaschen mit der Hühneraugenessenz an den Oberkammerherrn, und wollt mir durch dieses und andere Mittel mein sicheres Brot bei dem Erbprinzen von Dünkelblasenheim verschaffen. Ob ich Euch dafür zu danken habe, weiß ich erstlich noch gar nicht, denn vielleicht sagt mir die gebundene Lage nicht zu. Wäre das aber auch, so sind jene Dienste kleine Gefälligkeiten, die ich Euch dadurch reichlich vergütet habe, daß ich Euch erlaubte, aus mir ein Buch zu machen.«

»Sie behaupten also im vollen Ernste, ein selbständiger Charakter zu sein?« fragte der Schriftsteller befremdet.

»Freilich. Ich weiß gar nicht, wie Sie mir vorkommen. Nehmen Sie sich nur in acht, daß Sie nicht ganz gegen mich verschwinden, daß Sie nicht für eine Erfindung von mir gelten. Was hätten Sie mir geben oder leihen können? – Sie sind kein Genie –«

»Nein«, versetzte der andere ohne alle Ironie oder Empfindlichkeit.

»Sie sind höchstens ein Talent, doch sind Sie auch das nicht, sondern nur ein Nachahmer. Sie ahmten immer nach, erst Shakespeare, dann Schiller, zuletzt Goethe. In Ihren Arbeiten ist mehr Witz, Phantasie, Reichtum als in denen der andern, die Ideen strömen Ihnen aus ergiebigeren Quellen zu als den andern, aber Sie sind ein mittelmäßiger Kopf und ein seichter Geist. Adel und Hoheit der Weltanschauung kann man Ihnen[570] nicht absprechen, wenn Sie nur nicht so trivial wären. Sie haben einige Figuren in vollendeter Wahrheit geschaffen, könnten Sie sich an eine Erscheinung hingeben, so wäre Ihnen vielleicht geholfen. Sie waren stets ein Dichter von Gesinnung, leider aber ohne alles Gefühl und ohne Liebe.«

Der Schriftsteller schüttelte dem Freiherrn die Hand, lachte und sagte: »Ich hatte schon gemeint, daß Ihr ernsthaft mit mir anbinden wolltet, nun sehe ich aber, daß Ihr Spaß macht, alter Spötter. Ihr habt den Ton meiner öffentlichen Beurteiler ziemlich lustig kopiert. Jetzt bestehen allerhand Leute hauptsächlich darauf, daß ich mehr Liebe haben solle. Sie fordern es aber so entsetzlich grob, daß die Liebe, welche ein scheues, feines Kind ist, sich weinend versteckt, oder schleicht, sie ahnen nicht, wohin?«

In diesem Augenblicke sah er durch das Fenster und erschrak. Denn er erblickte den alten Baron in der Ferne, der mit dem Bürgermeister herbeikam. »Wir schwatzen hier Allotria!« rief er hastig, »und da naht schon das Corps Ihrer Angreifer! Rasch einen Plan der Verteidigung und des Ruckzuges aus diesem Kastelle ersonnen. Wie wäre es –«

»Wenn wir improvisierten!« fiel Münchhausen ein und warf die rote Uniform ab benebst dem Hute. – »So gelingt alles am besten. Das ganze Leben ist ein Impromptu.« Er verwandelte das militärische Kleid in den Frack und den dreieckichten Hut in den Klack zurück, forderte auch, daß sein Biograph sich entferne, denn er wolle, sagte er, allein seinen Mann stehen. Dieser aber schwor, daß er seinen Helden nicht verlassen werde und so mußte er sich die Waffenbrüderschaft gefallen lassen, wohl die ungewöhnlichste, die seit langer Zeit vorgekommen ist. Freilich aber hatte der Schriftsteller noch außer seinem zärtlichen auch ein großes egoistisches Interesse dabei, daß der Freiherr von Münchhausen in diesem Kampfe nicht umkam. Denn um von tausend Gründen nur einen anzuführen: Er hatte Herrn Schaub in Düsseldorf die Fortsetzung der Münchhausenschen Abenteuer versprochen, und wo blieben die Abenteuer, wenn Münchhausen unterging?

Schriftsteller und Held verabredeten in der Eile doch einige allgemeine Maßregeln. Wir aber überlassen vorderhand die[571] Ereignisse im Schlosse ihrer Entwickelung und verfügen uns nach dem Schneckenberge. Auf diesem Gebirge Taygetus saß das Fräulein mit feierlicher Miene und im ungewöhnlichsten Putze, der aus einem ehemals rosenfarbenen Seidenkleide, einem weißen Flortuche, einer Schärpe, worauf der Tempel der Liebe gestickt war, und grünen Atlasschuhen bestand. In der Hand hielt sie einen elfenbeinernen Fächer mit der Geschichte Amors und Psychens, und ihr Haar zierte ein Paradiesvogel, dem nur vor Alter die Schwungfedern ausgefallen waren. Einen Ridicule von sogenannten Freundschaftsläppchen zusammengefügt, trug sie an einem Arme und eine Tändelschürze von schwarzem Taffent mit Phantasieblumen eingefaßt, hatte sie vorgebunden.

In diesem Aufzuge stellte sie die verschollene Freiin von Schnurrenburg-Mixpickel aus den Bädern zu Nizza dar. So kostümiert war sie dort mit Rucciopuccio gelustwandelt und den Juden in die Arme gefallen, als die verhängnisvolle Stunde der Trennung schlug. In frommer Erinnerung an die süßeste und schwerste Zeit ihres Lebens hatte sie den ganzen Staat aufbewahrt und er war durch alle Stürme der Zeiten, durch das ganze Elend der Verarmung hindurch gerettet worden. Heute hatte sie ihn mit erhabenem Lächeln aus dem Koffer hervorgeholt, und ihn, nachdem sie ihr Werk in der Küche besorgt, angelegt, denn ihre Seele brütete einen großen Entschluß und sie wollte mit starken Mitteln auf den maskierten Fürsten wirken. Sie saß vor einem kleinen Tischchen, welches der Schulmeister aus einem alten Brette und mehreren abgestumpften Zaunstacken da droben zusammengefügt hatte, um, wenn das Wetter schön war, seine schwarze Suppe im Freien genießen zu können. Auf dieses Tischchen hatte sie einen Korb gestellt, der mit einer weißen Serviette zugedeckt war. Gänzlich in die Welt ihrer Träume verloren, achtete sie der drei unbefriedigten Jünglinge nicht, welche nach ihr in den Garten gekommen waren. Diese achteten ihrerseits wieder nicht auf Emerentien, und so nahm keiner von dem anderen Notiz, was bei idealistischen Naturen öfter vorzukommen pflegt, auch wenn sie im engsten Raume zusammen sind. Die Unbefriedigten saßen alle drei um das trockene Wasserbecken und sahen den kupfernen[572] Delphin ohne Strahl tiefsinnig an. Emerentia dagegen wiegte sinnend ihr Haupt, daß der nicht recht fest eingesteckte Paradiesvogel zuweilen nach der Wange zu eine trunkene Bewegung machte, und faltete spielend den elfenbeinernen Fächer auf und zu.

In diesem Sinnen, Wiegen und Spielen hatte ihre Seele die reizendsten und glänzendsten Bilder der Vergangenheit hervorgezaubert, als sie plötzlich durch den Ruf: »Alle Donnerwetter!« aus ihren Phantasien erweckt wurde. Karl Buttervogel stand vor ihr. Er war auf seinem Rückwege vom Vogelherde durch ein Loch in der Hecke unter dem Schneckenberge gekrochen, denn er ging, wie alle Bedienten nicht gern auf dem geraden Wege nach Hause, sondern pflegte sich, wo es nur möglich war, einen heimlichen Katzensteig zu bahnen.

Nichts in der Welt hätte ihn mehr überraschen können, als was er jetzt vor seiner Wohnung zu sehen bekam. Er stand, eine starre Bildsäule vor Emerentien, musterte mit rollenden Augen ihre Gestalt und ihren bunten Putz, der Mund lief ihm voll Wasser und: »Alle Donnerwetter!« waren die einzigen Worte, die er von Zeit zu Zeit hervorbringen konnte.

Emerentia sah, wie sie auf den Prätendenten von Hechelkram wirkte. Ihre Brust schwoll von dem süßen Triumphe, den sie erlebte. Nach einer Pause, während welcher sie sich an seinem Entzücken geweidet hatte, lispelte sie, ihr Antlitz hinter dem Fächer verbergend: »Nun? O Nizza!«

»Nitze! Nitze!« schrie Karl Buttervogel berauscht. »O meine vierzehn Berliner Herrn! Was würden meine vierzehn Berliner Herrn sagen, wenn sie mich jetzt sähen, mich glückseligen Esel und Kerl.«

Karl Buttervogel war nicht gefühllos. Rieke in Stuttgart hatte wirklich sein ganzes Herz besessen, und wenn er ihr auch um die bessere Verköstigung im Schlosse untreu geworden war, so wissen wir aus seinem Tagebuche, welche Kämpfe ihn dieser Wandel gekostet hatte. Emerentiens Neigung war nun, die Wahrheit zu sagen, bisher mehr seiner Eitelkeit und seines Appetites Schmeichlerin gewesen, erwidert hatte er sie bis heute nicht. Aber als er das Fräulein so wunderbar geschmückt sah, ging in seinem Busen eine Umwälzung vor.[573] Ganz richtig hatte sie ihn geschätzt; es bedurfte starker Reize, um diesen Schmetterling zu vermögen, seine Flügel zum Fluge der Liebe zu entfalten. Das rote Kleid, die grünen Schuhe, die gelbe Schärpe, der Paradiesvogel, der ganze bunte Putz – – alles das machte ihn wirblicht und er schwor bei der Asche seiner Väter, daß er noch nie eine so prachtvolle Person, wie sein stummes Wort über sie lautete, gesehen habe. Nach langem Staunen, Mustern und Seufzen schleuderte er seinen lackierten Hut weit hinter sich, wischte sich das Maul und tat einen Schritt gegen Emerentien, unfehlbar in der Absicht, ihr den Handschuh zu küssen, denn bis zu ihren Lippen verstiegen sich seine kühnsten Gedanken nicht.

Emerentia streckte den Fächer streng und zurückweisend ihm entgegen. Er blieb bestürzt stehen, sah sie verlegen an und wußte nicht, was diese Sprödigkeit bedeuten sollte. Auch sie schwieg, denn sie hatte beschlossen, die Größe dieses Momentes nicht durch rohe Worte herabzuziehen, sie wollte nur durch Zeichen mit ihrem Verehrer reden. – »Gnädiges Fräulein«, rief Karl Buttervogel endlich mit klagender Stimme, »dieses ist sehr unrecht, und heißt einen armen Schuft auf den Geruch von einem Braten einladen. – Doch wie ist mir denn? Alle Donnerwetter! Wenn man den Teufel an die Wand malt, so kommt der Kujon! Auch ein Braten muß hier in der Nähe sein, denn meine Nase trügt mich nicht und es steigt ein Düftlein auf und in dem Korbe – hol' mich dieser und jener –«

Emerentia gab mit dem Fächer ein Zeichen, welches Karln berechtigte, die Serviette von dem Korbe zu erheben. Er tat es und nun ereignete sich etwas, was erfunden in einem Gedichte zu den größten Fehlern gezählt werden würde; zwei Motive wurden nämlich für die Handlung gleichzeitig in Bewegung gesetzt. – »Sauerbraten!« rief Karl Buttervogel und ließ die Serviette fallen. – »Sauerbraten!« wiederholte er jubelnd. In der Tat lag ein lecker zubereiteter Sauerbraten, Karls Lieblingsessen, auf der Schüssel in dem Korbe. Seine Augen gingen wie trunkene Wanderer zwischen dem Fräulein und dem Sauerbraten hin und her, seine Seele spaltete sich in zwei Hälften und in jeder schlug sein Herz, endlich überwog die eine Hälfte, er riß ein Messer aus der Tasche und wollte damit dem Sauerbraten[574] eins versetzen. Da schlug ihm aber Emerentia mit dem Fächer auf die Hand und zwar nicht sanft, sondern empfindlich, ihm zugleich mit dem Zeigefinger der andern Hand drohend.

Der zurückgeschreckte Prätendent geriet in eine Art von Wut. »Alle Hagel!« schrie er, erbost mit dem Messer nach dem Braten stechend, »was soll das bedeuten? Denn sich so aufzudonnern, daß es einem rot und grün und gelb vor den Augen wird, und man gar nicht weiß, wo man vor Angst und Herzeleid bleiben soll, und einem Sauerbraten dazu aufzusetzen und noch dazu mit Zwiebeln, und dann das Zurückweisen und Fächergeschlage ist nicht auszuhalten. Denn entweder, oder. Alle Geschichten und Siebensachen in der Welt haben ihren Grund, oder sie haben ihren Grund nicht. Und also entweder soll ich den Sauerbraten fressen oder ich soll ihn nicht fressen. Und entweder wollen das gnädige Fräulein nunmehr recht liebreich gegen mich sein, oder Sie wollen es bleiben lassen. Und für die Langeweile stehe ich hier nicht mit meinem Herzeleid und mit dem erbärmlichen Hunger im Leibe, sondern wissen muß der Mensch, woran er ist, und was er tun soll, und das will ich auch tun, wie ein rechtschaffener Kerl, wenn ich nur erst weiß, was.«

Emerentia warf auf die Maske dieser Gemeinheit einen ihrer leidendsten und zugleich verächtlichsten Blicke. Dann beschrieb sie mit dem Fächer eine stolze schwungvolle Linie in der Luft, hierauf deutete sie mit demselben nach dem Schlosse und endlich gab sie das Zeichen, womit eine Dame andeutet, daß jemand sich entfernen könne.

Karl Buttervogel folgte mit gespannter Aufmerksamkeit allen diesen Zeichen. Seine Seelenkräfte waren durch die Ekstase des Augenblicks geschärft; er verstand den Sinn seiner Herrin. – »Ich hab's! Ich hab's!« rief er und drehte sich auf den Absätzen um. »Denn daß ich mich immer so gemein gemacht habe und so niederträchtig, das gefällt gnädigem Fräulein nicht, und ich soll's jetzo sein, Fürst und Hechelkram und so weiter, wofern fernerweite gute Verköstigung ausgemacht wird, und nach dem Schlosse soll ich gehen und es dem gnädigen Herrn Baron ansagen, denn der muß es doch vor[575] allen Dingen wissen und die Heimlichkeit und das Gepuschele unter der Hand gefällt gnädigem Fräulein nicht mehr, und wenn ich das getan habe, dann machen wir uns frei öffentlich über den Sauerbraten her, und gnädiges Fräulein läßt mich die Hand küssen und die ganze Sache wird, wie gnädiges Fräulein wollen und befehlen, mit mir nichtsnutzigem Tausend-sappermenter in Ordnung gebracht.«

»Karlos!« rief Emerentia, vor Freuden, sich so ohne Worte verstanden zu sehen, ihr Gelübde brechend, »endlich lassen Sie also die Maske fallen! Also fühlen Sie doch nun selbst, daß dieses geheime Verhältnis, welches zwischen uns bestand, für ein zartes Mädchen länger nicht tragbar war, daß wenigstens der Vater Sie kennen und in der Sache klar sehen muß! Ja, Sie haben begriffen, was ich meinte. Gehen Sie, Fürst, zu meinem Vater, entdecken Sie sich ihm; ich will Ihrer hier mit der Speise warten, welche Sie so lieben und die ich Ihnen lieber als uns gönnen mochte.«

»Den Augenblick gehe ich zu ihm, und wenn er mit Güte nicht will, so werde ich sackgrob sein, denn ich bin in einer ausnehmenden Rage, denn wenn man sich so rausstaffiert, wie gnädiges Fräulein, und den fremden Kuckuck da ins Haar steckt, so muß das einen Menschen ganz toll machen und die Natur in Unordnung bringen und der Braten tut freilich auch das Seinige dazu!« rief Karl Buttervogel. – »Bleiben gnädiges Fräulein nur hier oben bei dem Braten, damit ihn die Katze nicht holt und ich will mich unten am Schmerlenbach ein wenig renovieren, damit alles mit der Sauberkeit geschieht, und der gnädige Herr Baron gleich sehen, wenn ich auftrete, daß mit mir nicht zu spaßen ist. Das Gesicht wasch' ich mir unten am Schmerlenbach, und mit meinem Kamm, den ich bei mir hab', kämm' ich mir das Haar glatt, und den Rock stäub' ich aus, und – –«

»Genug, Fürst!« rief Emerentia. »Ich brauche Ihre Toilette nicht näher kennenzulernen. Gehen Sie, Ruhe meinen Tagen und Schlummer meinen Nächten zurückzubringen!«

Der Prätendent und Schmetterling raffte seinen lackierten Hut auf, sprang den Schneckenberg hinunter und kroch wieder unten durch die Hecke in das Freie. Emerentia lächelte wohlgefällig[576] und flüsterte: »Erste Liebe, einzige Liebe!« Dann deckte sie den Korb mit der Serviette zu, denn die Fliegen waren, weil man August schrieb, etwas zahlreich und zudringlich. Hierauf wiegte sie wieder sinnend das Haupt und spielte abermals mit dem Fächer, ihn auf und zu faltend. Sie begleitete diese Gebärden mit der Abschiedsode von Nizza, nämlich mit den ersten beiden Zeilen derselben, denn die folgenden hatte sie vergessen. Anfangs summte sie dieselben leise, nach und nach fing sie an, lauter zu singen.

8

Vermutlich sind hier die rastlos schwirrenden grauen Nachtfalter mit dem fischschweifartigen Hinterleibe genannt.

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 3, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 564-577.
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