An die Hirten

[40] Ihr Schäfer! wenn die Freude

Vom Hügel niederschwebt,

Und sich das Grün der Weide

Mit Veilchen unterwebt;


Und ihr, in bunten Reihen,

Euch um die Blumen setzt,

Mit Flöten und Schallmeyen

Den nahen Wald ergötzt;


Und eure Mädchen liegen

Auf zarten Rasen, weich,

Am Blüthenbaum, und schmiegen

Vertrauter sich an euch;


Und fern von euren Chören

Erschallt der Flöte Klang;

Und Chloe kommt, zu hören

Den lockenden Gesang;
[41]

O dann – die Götter geben

Euch süßen Lohn dafür! –

Dann singt vom reinen Leben

Der schönen Unschuld ihr.


Dann singt ihr von der Weiße

Der Lilien im Thal;

Von kleiner Bienen Fleiße,

Bey frühem Sonnenstrahl;


Von Küssen ohne Reue,

Die man dem Schäfer gab;

Vom Glauben an die Treue

Bis in das finstre Grab.


Gelobt's, ihr jungen Hirten,

Dem Frühling! – Ach, kein Lied,

Vor dem in ihre Mirthen

Die keusche Liebe flieht!


Denn ohne Falsch geblieben

Ist noch das Mädchen. Ach!

Wollt ihr die Quelle trüben

Dem lautern Silber-Bach?
[42]

Denn Chloens innre Güte

Bestrahlt ihr Angesicht:

O, tilgt die erste Blüthe

Von Mädchen-Tugend nicht!

Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 3, Zürich 1819, S. 40-43.
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