Lied zweyer Schwestern an ihr Gärtchen[95] 1

Grüner Platz, von unsern Händen

Angebaut für Spiel und Ruh,

Leicht umzäunt mit Rosen-Wänden,

Liebes, trautes Gärtchen du!

Jedes unsrer Jugend-Feste,

Die kein Neid verderben kann,

Lachen durch die Blüthen-Aeste

Mond und Sonne freundlich an.
[96]

Grüner Platz! vor wenig Lenzen

Lagst du noch als Wüsteney;

Nur mit Dorn- und Distel-Kränzen

Schmückte dich der junge May;

Wo für Blumen Nesseln sprossen,

Wallte keines Mädchens Fuß;

Deines Bachs Gewässer flossen

Ohne Lied und ohne Gruß.


Ach! vielleicht in fernen Jahren

Hat ein Fremder dich zerstört;

Wo die Reihentänze waren,

Wird die Grille nur gehört;

Am verlaßnen Ufer stehen

Diese Bäum' entblättert da,

Und Wachholderbüsche wehen,

Wo man unsre Lauben sah.


Banger, schauernder Gedanke!

Was so treulich wir gepflegt,

Hütten-Dach, und Epheu-Ranke,

So gewünscht, und so gehegt;[97]

Alles einst in leere Lüfte!

Weggesunken jede Spur!

Mit hinüber durch die Grüfte

Geht das Herz voll Liebe nur!

Fußnoten

1 Die von dem Verfasser dieses Liedes geäußerte Besorgniß konnte man später als eine Weißagung ansehen. Nach wenigen Jahren kam das Gärtchen an einen andern Besitzer, und wurde völlig zerstört.


Quelle:
Johann Georg Jacobi: Sämmtliche Werke. Band 3, Zürich 1819, S. 95-98.
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