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[63] Eines Tages sagte Herr Wewerka bei Tisch: »Fräulein Johanne, Ende dieser Woche werden wir einige Gäste bei uns sehen. Auch Ihre Freundin Alice mit ihrem Mann. Es ist Ihnen doch nicht unangenehm«.

»O ich freu mich darauf« sagte Johanne überrascht; dann grübelte sie, ob die kleine Frau das so eingefädelt hatte, und warum sie nicht bei sich, wo es doch viel hübscher war, die Gäste empfinge. Sollte etwa Mathildens Gegenwart daran schuld sein? Schämte Alice sich, die Gäste von ihr bedienen zu lassen?

Der Sonnabend kam heran. Johanne hatte sich auf Frau Wewerkas Rat ein einfaches Kleidchen machen lassen, das ihre schöne, schlanke Gestalt vorteilhafter hervorhob, als die plumpen Nähkünste von Sienenthal es thaten. Frau Wewerka lieh sich aus einer Anstalt das nötige Service aus und bestellte die bekannte Kochfrau. Das unfreundliche Dienstmädchen machte zum erstenmal ein etwas heiteres Gesicht. Sie hoffte auf Trinkgelder.[63]

Die ersten Gäste, die eintrafen, waren Schülers.

»Frau Borstig hat abgesagt, aber ihr Mann kommt« sagte die Hausfrau.

»Sie hat wohl ihr gutes Kleid versetzt« meinte Schüler boshaft. Dann machte er Johanne den Hof. Alice sah reizend aus in ihrem dekolletierten blauen Kleidchen und dem hochfrisierten Haar. Es war nicht zu leugnen, ein wenig kokottenhaft sah sie aus; aber jede Französin, wenn sie nicht alt und häßlich ist, sieht geputzt so aus. Man saß einige Zeit im Wohnzimmer, wo Frau Wewerka zum erstenmal Johanne empfangen hatte. In der Abendbeleuchtung machte es sich ganz elegant. Die Nippessachen aus dem Fünfzig-Pfennigbazar, die auf Konsolen und Schränken umherstanden, verloren an Wertlosigkeit unter dem verklärenden Licht der rotbeschirmten Lampen. Man erwartete zehn Gäste. Frau Borstig hatte abgesagt, also kamen nur Herren. Kurz nach der anberaumten Stunde stellten sich die Geladenen ein. Herr Borstig und Herr Berner, Herr Doctor Lang und noch andere Namen klangen an Johannes Ohren.

Sie war verlegen und hielt sich beharrlich an Alices Seite. Man redete zu ihr, sie antwortete zerstreut; endlich trat ein Herr zu ihr und bat um die Ehre, sie zu Tisch führen zu dürfen. Johanne sah ihn ratlos an. Ob er sich ihrer Verlegenheit erbarmen würde? Er that es.[64]

»Gnädiges Fräulein sind wohl erst kurze Zeit hier, ich hatte noch nirgends das Vergnügen, Ihnen zu begegnen«. Er war ein hochaufgeschossener junger Mensch mit einem Durchschnittsgesicht und einem faden Lächeln um den süßlichen Frauenmund. Johanne sah ihn heimlich an und bemühte sich, aus seinem Aeußern zu erkennen, welchen Standes oder wes Geistes Kind er sei.

»Ja, ich bin noch nicht lange hier« sagte sie unbeholfen.

»Und gefällt es Ihnen bei uns?«

»Mit jedem Tage weniger« gestand sie.

»Warum?« fragte er ein wenig interessiert.

»Es ist sehr öde in dieser Stadt«.

»Oede« lachte er, »eher alles, als das. Vielleicht leben Sie nicht, wie man in einer solchen Stadt leben muß, um sie kennen und lieben zu lernen«.

»Ich wüßte nicht, wie ich anders leben sollte. Ich studiere hier«.

»Ah! Gehen Sie auch in Gesellschaften, Theater?«

Sie schüttelte den Kopf. »Dieses ist die erste Gesellschaft, die ich mitmache«.

Ein geringschätziges Lächeln zuckte um seinen Mund. »Wewerkas führen ein sehr zurückgezogenes Leben. Früher traf man öfters mit ihnen zusammen«.

»Sind Sie befreundet mit ihnen?«

»Gewiß«. Er sah sie ironisch an. »Wir sind alle befreundet hier«.[65]

In diesem Augenblick gab die Hausfrau ein Zeichen. Es entstand ein fröhlicher Tumult. Da die Damen in der Minderheit vorhanden waren, faßten sich etliche der Herren scherzend unter den Arm und führten einander zu Tische. Plötzlich hörte sie hinter sich flüstern: »Machen Sie mir das Kind nicht verrückt«. Sie sah sich um und blickte in Schülers lächelndes Gesicht.

Bei Tisch saß ihr gegenüber Alice, deren Nachbar Johannes Begleiter verständnisvolle Blicke zuwarf. Während die Andern durcheinander schwatzten und schrieen, sagte Johanne leise: »Ich habe Ihren Namen vergessen, entschuldigen Sie«.

Ihr Nebenmann lachte.

»Das zeigt mir, wie wenig berühmt ich noch bin, sonst hätten Sie ihn im Gedächtnis gehabt, noch bevor Sie mich persönlich kannten. Ich heiße Babinsky«.

Sie sah ihn fragend an. »Sind Sie Künstler, weil Sie vom Berühmtsein sprechen?«

»Ach, gnädiges Fräulein« –

»O bitte, lassen Sie das: gnädig, ich bin ein einfaches Mädchen«.

»Ich bin Schriftsteller; ob ichs schon zum Künstler gebracht habe, weiß ich nicht. Die Welt behauptet es«. Er schluckte ein großes Stück Fleisch hinab. »Aber ich – ich bin natürlich unzufrieden mit mir, wie es alle bedeutenden Geister mit sich sind. Haben Sie auch von meinem[66] Freund Mink noch nichts gehört?« Er deutete auf Alicens Tischnachbar hinüber.

»Was ist er?« Sie schämte sich innerlich über ihre Unwissenheit.

»Der größte Lyriker der Gegenwart« sagte Babinsky nachlässig. »Ich habe es mindestens neulich in meinem Essay ausdrücklich betont«.

»Ah, Sie sind auch Redakteur?«

»O nein« sagte er, sich in die Brust werfend, »ich bin dramatischer Dichter, aber nebenbei schreibe ich auch Kritiken. Ich wohne mit Mink zusammen. Wir ergänzen uns trefflich. Braucht er praktische Winke, irgend eine Handlung, eine besonders drastische Szene, so wendet er sich einfach an mich; bedarf ich einer weichen, lyrischen Stimmung, eines besonders zarten Bildes, ist er mir behülflich«.

»Das ist rührend« sagte Johanne. »Und in welchem Theater, hier giebts ja so viele, werden Ihre Stücke aufgeführt?«

Der große Dichter leerte sein Glas in einem Zuge und lehnte sich behaglich zurück.

»Bis jetzt habe ich nur eins aufführen lassen, das närrischste. Die Zeit ist noch nicht reif für meine Ideen. Uebrigens behauptete mein Freund neulich in seiner Abhandlung über mich als Dramendichter, daß die Aufführung meiner Stücke eine andere Szene als die auf unsern Theatern übliche erheischt«.[67]

»Herr Mink schreibt über Sie und Sie über Herrn Mink, wie komisch!« Das junge Mädchen lachte.

»Was ist da Komisches dabei?« meinte Babinsky achselzuckend. »Sehen Sie den Herrn dort unten am Ende des Tisches, der eben mit Wewerka spricht?«

Johanne beugte sich vor.

»Der mit der großen Nase und dem langen Haar?«

»Ja, ja, der! Nun sehen Sie, der schreibt, er ist Romandichter, beständig über sich selbst Kritiken, weil kein Kritiker es thut«.

»Aber nein« rief Johanne, »lachen denn die Leute nicht darüber?«

»Die wissen ja nicht, daß die großen Lobeserhebungen, die er sich zollt, von ihm selbst geschrieben sind«.

»Prosit Babinsky!« riefs von gegenüber. »Prosit Mink!« Die Freunde tranken einander zu. Alice nickte freundlich zu Johanne hinüber.

»Wenn das doch mir gälte« scherzte Babinsky.

»Kennen Sie sie? Sie ist noch nicht lange hier«.

»Ich hörte viel von ihr, gesehen hatte ich sie bis heute noch nicht. Sie ist ein reizendes Weib«.

»Sie ist meine Freundin« sagte Johanne ernsthaft, ohne zu wissen warum.

»Gratuliere!« Babinsky verneigte sich vor Johanne. »Ist er auch Ihr Freund?«[68]

»Kennen Sie ihn?« fragte das junge Mädchen, ohne vom Teller aufzusehen.

»Wie meine Westentasche. Sehen Sie, er verdreht sich eben den Hals nach Ihnen; ich glaube, er ist verliebt in Sie«.

»Wer ist der Herr, der neben ihm sitzt?« fragte Johanne kühl.

»Das ist der bekannte Marschner, ein Verleger«.

»Weshalb ist er bekannt?«

Das junge Mädchen sah auf den ältlichen Mann mit der emporstrebenden Nase und den herabhängenden Mundwinkeln, der immerfort Frau Wewerka anstierte.

»Erstens weil er die Kunst versteht, von den Schriftstellern das höchste Honorar herauszuschlagen –«.

»Sie von ihm, meinen Sie«.

»Nein, Fräulein, er von ihnen. Es giebt Dichter, ich natürlich gehöre nicht zu diesen – die den Verleger gut bezahlen, wenn er sie druckt. Sodann ist er der Mann der größten Auflagen. Er beginnt nämlich gleich mit der zwölften Auflage eines Dichtwerkes in seinem Verlage; auch versteht er es gut, Titelauflagen unters Publikum zu schmuggeln; aber pardon, das werden Sie kaum verstehen; endlich – Danke, gnädige Frau, ich komme gleich nach«. Er verneigte sich gegen die Hausfrau, die ihm zutrank. »Von wem sprach ich doch? Ja richtig: endlich hat er neulich eine Erbschaft gemacht und ist augenblicklich im beneidenswerten Besitze eines hübschen Mammons.«[69]

Johannes Brauen runzelten sich leicht, und sie preßte die Zähne auf die Lippen.

»Was ist Ihnen?« Babinsky sah sie verblüfft an.

»O nichts« sagte sie und suchte den feuchten Glanz ihrer Augen zu verbergen. Dann blickte sie auf Frau Wewerka und den Alten. »Wissen Sie, ich würde wahnsinnig werden, wenn ich ewig hier bleiben müßte«.

»O« rief Babinsky, »wahrhaftig? warum? Und wohin wollen Sie denn?«

»Mein Jahr hier studieren, ein Examen machen und dann in eine Provinzstadt in Stellung gehen. Das ist ja schrecklich in diesem Ninive«. Sie bemühte sich, ihre Erregung zu verbergen und zu scherzen.

»Ninive?« fragte er.

Da erzählte sie ihm von ihrer früheren Schwärmerei für die Stadt, deren Boden ihr jetzt unter den Füßen brannte. Er belustigte sich höchlich über den Namen.

»Ich werde in Zukunft auch so sagen, wenn Sie mich nicht auf Diebstahl verklagen« scherzte er.

Die Hausfrau erhob sich, die andern folgten ihr. Jetzt erst bemerkte Johanne, daß ein Stuhl am Tische leer geblieben war.

»Darf ich Ihnen meinen Freund vorstellen?« sagte Babinsky und stellte Mink, der von Alice verlassen wurde, Johanne vor. »Das Fräulein ist eine große Pessimistin. Bemühe Dich, sie heiter zu machen; sie will Ninive verlassen«.[70] Er erklärte Mink heiter die Bedeutung des Namens.

»Es wäre schade«.

Der kleine blonde Mann mit der Kartoffelnase, der kaum zwanzig Jahr alt schien, aber in Wirklichkeit älter war, blickte neugierig in Johannes Gesicht. Er hatte schon die ganze Zeit her bei Tische ihre reinen, schönen Züge bewundert. Er nahm den Kneifer ab, wie befriedigt über das, was seine scharfen Gläser entdeckt hatten.

»Ich bin ein schlechter Ueberzeuger, ich selbst möchte zuweilen aus Ihrem Ninive durchbrennen. Da müßte man den Hans Tage hier haben, der –«

»Wie?« rief Johanne, dunkel errötend, »Hans Tage kennen Sie? Ach Sie Glücklicher, nein, den

Die beiden Freunde warfen sich einen lächelnden Blick zu. »Kennen Sie ihn?« fragte Mink, der bei der backfischhaften Aeußerung etwas Bewunderung für Johanne verlor.

»Er ist ein Genie« sagte sie freigebig. »Ich war wie im Himmel, als ich Einiges von ihm las. Seit einem Jahr wünschte ich nichts sehnlicher, als ihm zu begegnen. Es muß ein herrlicher Mensch sein«.

»Ein herrlicher Mensch« nickte Babinsky und sah zu Mink hinüber, »wo steckt er denn augenblicklich? Wir wollen ihn gefesselt vor die Füße seiner Bewunderin legen«.

»O wenn – nein!« ...[71]

Sie ist doch riesig albern, dachte Wewerka, der leise zu den Dreien getreten war, und küßte Johanne die Hand.

»Mahlzeit! Wie haben sich eure Herrlichkeit amüsiert?«

Mink legte seine Hand leicht auf Babinskys Arm und schlenderte nach dem Sopha, wo Frau Wewerka Cercle hielt.

»Gefallen Ihnen die beiden jungen Leute?« flüsterte Wewerka. »Es sind zwei unserer bekanntesten Dichter«.

»Sie scheinen überhaupt nur Berühmtheiten hier zu haben«. Ihre Blicke glitten über die Gäste hin.

»Ironisch, Johanne?« Der Hausherr sah ihr in die Augen. »Ich habe in der That nur bekannte Namen hier«.

»Einige Herren, zum Beispiel den dort mit den aufgekrempelten Hosen – es ist doch nicht naß hier – kenne ich noch nicht; auch den dort mit dem schwarzen Backenbart nicht«.

»Der erstere ist – nicht ernst zu nehmen. Er lebt augenblicklich sehr, wie soll ich sagen, primitiv. Uebernachtet meist in Kaffeehäusern und so. Gegenwärtig ohne Stellung und Arbeit. Er ist Journalist und zwar ein sehr gewandter. Früher war er Priester; dann trat er aus dem Orden aus und ging zur Feder über. Sein Chefredakteur kündigte ihm, weil er zu sehr über die Katholiken loszog. Man sagt, er gehe wieder ins Kloster zurück. Wahrscheinlich nicht in dasselbe, aus dem er kam. Der Herr mit dem Backenbart – saß er nicht rechts von[72] Ihnen? – ist Maler, hat eben eine eklige Geschichte hinter sich, wegen eines Modells. Na, das paßt nicht für Ihre Ohren. Uebrigens, der Eine, auf den ich noch rechnete, ist nicht gekommen«.

In diesem Augenblick hörte man von draußen heftig die Klingel ziehen, und nach ein paar Augenblicken trat ein Mann herein, auf den Herr und Frau Wewerka mit Vorwürfen, daß er so spät komme, losstürzten. Der Angekommene mochte Ende der Dreißig oder Anfangs der Vierzig sein. Er hatte scharfgeschnittene Züge, einen dunklen Teint, sehr wenig Haare auf seinem prächtig gewölbten Schädel und diese wenigen so glatt gestrichen, als machte es ihm Freude, die elfenbeinerne Platte noch bedeutender erscheinen zu lassen. Mit kühlen Blicken musterte er die Anwesenden und beruhigte die stürmische Liebenswürdigkeit der Hausherren.

»Ihr habt doch genug jeunesse dorée hier; was braucht ihr mein ehrwürdiges Greisenhaupt in Euerer Mitte?«

»Herr Max Lohringer, Fräulein Johanne Grün« stellte die Hausfrau die beiden einander vor; dann führte sie ihn zu Alice. Johanne sagte zu Mink, der wieder zu ihr getreten war: »Wer ist doch dieser Herr? Ich habe schon irgendwo seinen Namen gehört«.

Mink ließ durch eine Grimasse den Zwicker von der Nase fallen. »Max Lohringer? Hm. Das ist schwer[73] zu beantworten. Er ist nämlich – gar nichts. Das wurmt ihn, deshalb schimpft er über alles und alle. Besonders über die Kunst und was mit ihr zusammenhängt: die Künstler. Er möchte für sein Leben gern auch einer sein, besitzt aber auf keinem Gebiet das mindeste Talent«.

»Wirklich, wie schade« sagte Johanne. Dann näherte sie sich Alice, die eben vorbei kam.

»Du, denk Dir, Mink und Babinsky kennen Tage«.

Die junge Frau sah die Freundin fragend an. »Tage? Wer ist das?«

»Wie, den kennst Du nicht? Nun ja, Du bist erst so kurz hier. Dein Mann kennt ihn sicher. Er ist einer der berühmtesten Dichter von allen. Du könntest mir einen riesigen Gefallen thun. Lade die beiden Freunde zu Euch ein und sage ihnen, sie sollen Tage mitbringen. Ja, magst Du? Ich möchte ihn für mein Leben gerne kennen lernen. Er erscheint mir als der einzige bedeutende Mensch in diesen trostlosen ...«

»Na, na, Du hast Dich heute doch ganz gut unterhalten. Aber wies mit dem Einladen wird? Ernst hat auf meine Bitte, uns Gäste zuzuführen, Frau Wewerka bestimmt, diese Gesellschaft zu geben. Sie deutete es mir an. Ich glaube, er will bei uns niemand empfangen. Du weißt ja weshalb«.

»Ich dachte es mir« sagte Johanne.[74]

»Aber versuchen, ihn zu bitten, kann ich ja. Schließlich für einen Abend wird wohl andere Bedienung zu haben sein«.

»Was für Weltgeschicke werden hier gebraut?«

Max Lohringer stand neben den beiden Damen. Johanne fühlte ein Paar weicher, dunkler Augen auf sich gerichtet.

Alice lachte. »Meinen Sie, das sagen wir Ihnen?«

Er sah von der einen zur andern. Sie schienen ihm beide zu gefallen. Dann wandte er sich an die junge Frau.

»Mir braucht man nichts zu sagen; lassen Sie mich nur ihre Hand fühlen; ich bin Gedankenleser«.

»Ei!« rief Frau Schüler, während es Johanne heiß durch die Wangen strömte. Sie hatte in eben demselben Augenblick gedacht: wie kommt der eigentlich hierher; er sieht ganz anders aus als die Uebrigen.

»Wissen Sie, was meine Freundin eben innerlich beschäftigt?« Alice blickte übermütig auf Johanne.

Er sah mit einem langen Blick in das schöne Gesicht des jungen Mädchens.

»Sie suchen«.

»Gefehlt« sagte sie, ihre Bestürzung tapfer verbergend. »Das hätte ich garnicht nötig!«

Er verbeugte sich. »Das war königlich gesprochen. Sind Sie angehende Schauspielerin?« Nun lachten beide.[75]

»Die?« sagte Alice, »sie ist erst ein halb Jahr unter kultivierten Menschen«.

Johanne blickte zu Lohringer auf.

»Aber es waren brave Leute, von denen ich kam, wenn sie auch mit dem Messer statt mit der Gabel aßen«.

»Sie schwärmen für Naturzustände. Sind wohl auch Vegetarierin in Wolle«.

»Was ist das?«

Er sah sie mit ironischem Lächeln an. Man reichte Bier herum. Er dankte.

»Aber vielleicht ein Glas Wein oder Thee« sagte Frau Wewerka herantretend.

»Danke« rief er entschiedener als nötig war und ging auf die beiden Dichterfreunde zu, mit denen er sich in ein Gespräch einließ.

Später trat Schüler zu Johanne und wich für den Rest des Abends nicht mehr von ihrer Seite. Lohringer ging gelangweilt bald zu diesem, bald zu jenem. Er war der erste, der aufbrach.

Spät nach Mitternacht entfernten sich auch die Uebrigen. Johanne fühlte sich müde und abgespannt, als sie ihr Lager aufsuchte.[76]

Quelle:
Maria Janitschek: Ninive. Leipzig 1896, S. 63-77.
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