Sechster Zettelkasten

[117] Ämter-Impost – eine der wichtigsten Suppliken


Das Herrlichste war sein Erwachen in seiner europäischen Niederlassung im Ritterbette! – Mit dem inflammatorischen kitzelndnagenden Fieber der Liebe in der Brust, mit dem Frohlocken, so daß er nun das Antrittsprogramm der Liebeserklärung glücklich hinter sich hatte, und mit der süßen Auferstehung aus der lebendigen prophetischen Begrabung und mit der Freude, daß er nun[117] in seinen Dreißigern zum ersten Male die Hoffnung zu einem längern Leben – und ist das nicht wenigstens zu einem siebzigjährigen? – hatte als vor zehn Jahren, mit allem diesen gärenden Lebensbalsam, in dem das lebendige Feuerrad seines Herzens sprühend umlief, lag er da und lachte zu seinem blitzenden Porträt im gespiegelten Betthimmel hinauf; aber er vermocht' es nicht lange, er mußte sich bewegen. Einem minder Glücklichen wär' es hinreichend gewesen, den Flächeninhalt des Bettes – wie es manche Pilger mit der Länge ihrer Wallfahrt taten – nicht sowohl durch Schritte als durch Körperlängen wie durch Erddiameter herauszumessen. Aber Fixlein mußte mir nichts, dir nichts aus dem Bette setzen gleichsam mitten ins warme flutende Leben hinein – er hatte nun seine liebe gute Erde wieder beim Flügel und das Konrektorat darauf und obendrein eine Braut. Noch dazu bekannte ihm unten die Mutter, daß er heute nacht wirklich dem Freund Hein unter der Sichel durchgeschlüpfet sei wie biegsames Gras, und daß sie es ihm nur gestern aus Furcht vor seiner Furcht nicht habe sagen wollen. Noch jetzt überliefs ihn kalt – zumal da er heute nüchtern war –, wenn er zu dem nun vier Stunden abgelegenen hohen tarpejischen Felsen hinaufsah, auf dessen Zinne er gestern mit dem Tode beisammen gestanden war.

Das einzige, was ihn ärgerte, war, daß es Montag war und er zurück ins Gymnasium mußte. Eine solche Überfracht von Freuden hatt' er nie auf seiner Straße zur Stadt. Jetzt nach vier Uhr tritt er aus dem Hause voll Kaffee (den er in Hukelum nur der Mutter wegen trank, die diesen weiblichen Wein noch zwei Tage darauf über die Hefen des Bodensatzes abzog) in den kühlenden dämmernden Maimorgen hinein (denn die Freude braucht Kühle, der Kummer Sonne) – seine Verlobte kömmt ihm (zwar nicht entgegen, aber doch) zu Ohren durch ihr fernes Morgenlied – er macht nur einen augenblicklichen Abstecher in den Glückshafen der blütetrunknen Akazienlaube, die noch wie der Bund, der darin geschlossen wurde, keine Stacheln hat – er taucht seine heiße Hand in das Kühlbad des betaueten Laubes – er watet mit Lust durch das über die Fluren gesprengte Schönheitswasser des[118] Taues, das den Stiefeln die Farbe wegfrisset, die es den Gesichtern erteilt (»denn nun mit 30 Dukaten kann sich ein Konrektor schon zwei Paar Stiefel auf der Streu halten«) – Jetzt taucht sich der Mond (gleichsam das hängende Siegel an seiner gestrigen Wonne) in Abend ein als ein ausgeleerter Eimer des Lichts, und in Morgen ging der zweite übervollgeschöpfte Eimer, die Sonne, in die Höhe, und die Güsse des Lichtes flatterten immer breiter.

Die Stadt stand in himmlischen Morgenflammen: hier fing seine Wünschelrute (die Goldstange, die er bis auf den abgebrochenen 1/16 Zoll bei sich trug) über allen Stellen zu schlagen an, wo sich Ausbeuten und Silberadern der Lust versteckten, und unser Rutengänger entdeckte leicht, daß die Stadt und die Zukunft ein wahres ganzes Freuden-Potosi waren.

In seinem Konrektorats-Stübchen fiel er auf die Knie und dankte Gott – nicht sowohl für Erbschaft und Braut als – für sein Leben: denn er war mit Zweifeln Sonntags früh fortgegangen, ob er wiederkommen werde, und ich habe nur aus Liebe zum Leser, weil ich dachte, er ängstige sich, Fixleins Reise mehr seiner Begierde, das Testament zu wissen, als dem Wunsche, sein eignes bloß bei seiner Mutter zu machen, oben listig zugeschrieben. Jede Genesung ist eine Wiederbringung und Palingenesie unserer Jugend: man liebt die Erde und die, die darauf sind, mit einem neuen Herzen. – Der Konrektor hätte die ganze Sekunda beim Kopfe nehmen und abherzen mögen; aber er tats nur seinem Adjutanten, dem Quartaner, der im ersten Zettelkasten noch als Quintaner saß...

Sein erster Gang aus der Nachmittagsschule war ins Haus des Meister Steinbergers, worin er, ohne ein Wort zu sagen, 50 fl. in Dukaten bar auf den Tisch zählte: »Endlich stoß' ich«, sagte Fixlein, »doch die Halbscheid meiner Schuld ab mit vielem Danke.« – »Ei, Herr Konrektor,« (sagte der Regimentsquartiermeister und wurstete ungestört fort) »in meiner Obligation steht: ›heimzuzahlen nach vierteljähriger beiderseitiger Aufkündigung.‹ – Wie wollte unsereiner sonst bestehen? – Aber auswechseln will ich Ihm die Goldstücke.« – Darauf riet er ihm, es wäre gescheuter, wenn er ein paar Gulden davon nähme und sich einen bessern[119] Hut und ganze Schuhe bestellte: »Wenn Er sich«, setzte er hinzu, »die Kalbshaut und sechs Hasenfelle zurichten lassen will: droben liegen sie.« – Ich sollte doch denken, meinen Lesern sei es ebensowenig gleichgültig als dem Metzger, ob der Held einer solchen Geschichte ihm mit einem abgegriffenen Pfanndeckel von Hut und mit einem Pumpenstiefel und Beinharnisch von Stiefel entgegenkomme oder nicht. – Kurz der Mann trug sich noch vor Johannistag mit Geschmack und Pracht.

Jetzt aber waren zwei äußerst wichtige Aufsätze – im Grunde nur einer, die Supplik um die Hukelumer Pfarrei – auszuarbeiten, wobei mir ist, als müßt' ich selber mithelfen ... Es wäre einfältig, wenn gerade jetzt das gesamte Publikum nicht achtgäbe.

Zuvörderst suchte und schlichtete der Konrektor alle Konsistorial- und Ratsquittungen oder vielmehr die Zollscheine des Weggeldes zusammen, das er geben müssen, eh' ihm die Schlagbäume am Quintat und Konrektorat aufgezogen wurden: denn der Exekutor des rittmeisterlichen Testamentes mußte ihm alles, wie Quittung besagen würde, bei Heller und Pfennig gut tun. Ein anderer hätte diese ganze Amts-Akzise leichter zusammensummiert, indem er bloß nachgesehen hätte, was er – schuldig wäre, weil diese Schuld und jene Zollscheine wie Parallelstellen einander gegenseitig erklären und vidimieren. Aber bei Fixlein waltete ein Nebenumstand vor, den ich nicht eher referieren kann als nach dem folgenden.

Es verdroß ihn ein wenig, daß er für seine zwei Ämter nicht mehr als 135 fl. 41 kr. 1/2 Pf. hatte zahlen und borgen müssen. Die Erbschaft ging zwar sogleich aus des testamentlichen Vollstreckers Händen in des Regimentsquartiermeisters seine; er hätt' es aber doch gern gesehen, er hätte – denn ein Mensch ist ein Narr von Haus aus – mehr zu zahlen und also zu erben gehabt. Das ganze Konrektorat hatte er durch einen Einsatz von wenigen 90 fl. gleichsam aus dem Glücksrade gezogen; und eine so kleine Debetsumme wird den Leser wunder nehmen; was wird er aber erst denken, wenn ich ihm sage, daß es Länder gibt, wo die Entreegelder in Schulstuben noch mäßiger sind? Im Scheerauischen kostet ein Konrektor nur 88 fl., und er hat vielleicht noch[120] das Triplum dieser Summe einzunehmen. Ohne an Sachsen zu denken – was freilich von der Wiege der Reformation in der Religion und in der schönen Literatur nicht anders zu erwarten ist –, wo ein Schul- und Pfarrherr nämlich gar nichts zahlt: so ist es schon im Baireuthischen, z.B. in Hof; mit der Aufklärung so weit, daß ein Quartus – was sag' ich ein Quartus – ein Tertius! – was sag' ich ein Tertius – ein Konrektor vor Antritt seines Postens nicht mehr zu erlegen braucht als:


fl. rhein.

kr. rhein.

30

49

für Verpflichtung bei dem Konsistorio.

04

dem Stadtsyndikus für die Vokation.

02

dem regierenden Burgermeister.

45

7 1/2

für das Regierungsdekret.

Summa 81

56 1/2

kr

Laufen auch die Druckkosten eines Rektors in einigen Artikeln höher auf: so kommt hingegen ein Tertius, Quartus etc. noch wohlfeiler aus der Presse als selber ein Konrektor. Ich gesteh' es, dabei kann ein Schulmann auskommen, da er schon im ersten Jahr einen Überschuß über dieses Schwanzgeld seines Amtes ein nimmt. Es muß ein Schullehrer schon wie seine Schüler von einer Klasse zur andern avancieret sein, ehe seine Staatsanleihen samt den Verzögerungszinsen so viel betragen, als er in der höchsten einnimmt. Noch dazu sind unsere Einrichtungen nicht dagegen – welches doch die athenischen taten –, daß man die Ämter verschuldet antritt, sondern jeder ersteigt mit dem Ranzen seiner Schuldenlast unangefochten eine Stufe nach der andern. Der Papst erhebt bei großen Pfründen die Einkünfte des ersten Jahres unter dem Titel Annaten, und er schenkt daher eine große allzeit dem Inhaber einer kleinern, um fremde und eigne Intraden zu gleich zu mehren; – es zeigt aber, dünkt mich, einen schönen Unterschied zwischen Papst- und Luthertum, daß die Konsistorien des letztern den Schul- und Kirchendienern vielleicht kaum zwei Drittel der ersten jährlichen Amtes-Einkünfte abnehmen, ob sie gleich sonst wie der Papst auf die Erledigungen der Stellen aus sind.[121]

Es kann sein, daß ich hier mit Kur-Mainz zerfalle, wenn ich gestehe, daß ich in Schmaußens Corp. jur. pupl. germ. die Kur-Mainzische-Reichs-Hof-Kanzlei-Taxordnung von 1659 den 6. Jan. nachgeschlagen und daraus ersehen habe, wie viel die Reichs-Hof-Kanzlei haben will, mit einem Konsistorium kollationieret. Z.B. wer zu einem gekrönten Poeten (poeta laureatus) ausgesotten oder ausgebrannt sein will, hat 50 fl. Tax und 20 fl. Kanzlei Jura zu erlegen, da er doch mit 20 fl. mehr ein Konrektor hätte werden können, der ein dergleichen Poet nebenbei und ex officio ist. – Die Errichtung eines Gymnasiums wird für 1000 fl. verstattet; eine ungemeine Summe, mit der sämtliche Lehrer des errichteten Gymnasiums die Einlaßgelder ihrer Schulstuben zu bestreiten vermögen. – Ein Freiherr, der ohnehin oft alt wird, ohne zu wissen wie, muß die venia aetatis mit 200 baren Gulden kaufen, indes er mit der Hälfte davon ein Schulmann hätte werden können, worauf ihm das Alter von selber zugefallen wäre. Und tausend solche Dinge! – Sie beweisen aber, daß es nicht übel um Staaten und Reichskreise stehen müsse, wo der Torheit Standeserhöhungen teurer gegeben werden als dem Fleiße, und wo es mehr kostet, eine Schule zu errichten als zu bedienen.

Was ich hierüber zu einem Fürsten gesagt habe, ist, so wie das, was mir hierüber ein Stadtsyndikus gesagt, zu merkwürdig, um aus bloßer Furcht vor Ausschweifungen hier übergangen zu werden.

Der Stadtsyndikus – ein Mann von Einsichten und von feurigem Patriotismus, der desto wohltätiger wärmte, da er dessen Strahlen in einem Fokus sammelte und auf sich und seine Familie richtete – gab mir (ich mochte damals vielleicht jede Schulbank und jede Schultreppe für eine Bank und Leiter halten, auf die man Leute zum Torquieren legt) die beste Antwort auf vieles: »Wenn ein Schulmann nichts vertut als 30 rtl.31; wenn er nicht mehr Fabrikwaren jährlich kauft, als die Politiker für jedes Individuum berechnet haben, nämlich für 5 rtl., und nicht mehr Zentner Nahrung, als diese annehmen, nämlich 10; kurz, wenn er wie ein wohlhabender Holzhacker lebt: so müßte der Teufel[122] sein Spiel haben, wenn er nicht jährlich soviel reinen Profit zurücklegen wollte, als die Zinsen seiner Amtsschulden am Ende betragen.« –

Der Syndikus muß mich doch damals nicht überredet haben, weil ich nachher zum flachsenfingischen Fürsten 32sagte: »Gnädigster Herr, Sie wissen es nicht, aber ich – kein Akteur unter Ihrer Truppe würde den Schulmeister in Engels verlornen Sohn um das Geld drei Abende lang machen, um das ihn jeder wirkliche Schulmeister alle ganze Tage des Jahres hindurch machen muß. Im Brandenburgischen werden die Invaliden Schullehrer; bei uns werden die Schullehrer Invaliden.« ...

Aber zur Geschichte! Fixlein setzte das Register seiner Kronschulden auf, aber aus einer ganz andern Absicht, als der Leser denken wird, dem immer das Testament im Kopfe steckt. Kurz, er wollte Pfarrer in Hukelum werden. Ach an dem Orte es zu werden, wo seine Wiege stand und alle Gärtchen seiner Kindheit – ferner seine Mutter – und die Verlobungslaube: das war ein offnes Tor in ein neues Jerusalem, gesetzt auch die Stelle wäre eine hagere Pönitenzpfarre gewesen. Die Hauptsache war, er konnte heiraten, wenn er voziert wurde. Denn als dünner Konrektor im Schmachtriemen seiner Weste, mit Intraden, womit kaum der Kaufschilling des – Geldbeutels zu bestreiten ist, da konnt' er eher den Docht und Talg zur Leichen- als zur Brautfackel zusammenbringen.

Denn die Schuldienerschaft darf überhaupt in guten Staaten so wenig heiraten wie die Soldateska. Im Conringio de antiquitatibus academicis, wo auf allen Blättern bewiesen wird, daß die Klöster ursprünglich Schulen waren, kam ich darhinter, warum. Jetzt sind die Schulen Klöster, und folglich sucht man die Lehrer wenigstens zu einigen Nachahmungen der drei Klostergelübde anzuhalten. Das Gelübde des Gehorsams ist vielleicht am ersten[123] durch Scholarchen zu erzwingen; aber das zweite Gelübde der Ehelosigkeit würde schwerer erfüllet werden, wenn nicht durch eine der besten Staats-Verfügungen für das dritte, ich meine für eine schöne Gleichheit der Armut, so gesorget wäre, daß kein Mann mehrere testimonia paupertatis braucht als einer, der sie macht – dann greife dieser Mann nur zu einer ehelichen Hälfte, wenn von den zwei Hälften jede einen ganzen Magen hat, und nichts dazu als Halbmetalle und Halbbier ...

Ich weiß, Millionen meiner Leser setzten dem Konrektor selber das Bittschreiben auf und ritten damit nach Schadeck zum Herrn, damit nur der arme Schelm den Schafstall bekäme, samt dem angebaueten Hochzeithaus, weil ihnen wohl einleuchtet, daß nachher einer der besten Zettelkästen würde geschrieben werden, der je aus einem Letternkasten ausgehoben würde.

Fixleins Bittschrift war außerordentlich gut und auffallend: sie stellte dem Rittmeister vier Gründe vor: 1) »Er wäre ein Dorfkind, seine Eltern und Voreltern hätten sich schon um Hukelum verdient gemacht, also bät' er etc.«

2) »Er könne leicht die hier dokumentierten Passivschulden von 15 fl. fr. 41 kr. und 1/2 Pf., deren Tilgungsfond ihm ein unvergeßliches Testament anbiete, selber abführen, falls er die Pfarrei bekäme, und entsage hiemit dem Legat etc.«

Freie Note von mir. Man sieht, er will seinen Herrn Paten bestechen, den das Testament der Frau in Harnisch gebracht. Aber halte, lieber Leser, einem armen, bedrängten, schwertragenden Schulmann und Schulpferd eine undelikate Wendung, die freilich niemals die unsere wäre, zugute. Bedenke: Fixlein wußte, daß der Rittmeister ein Filz war gegen Bürgerliche, so wie ein wegschenkender Rupfhase für Adelige. Auch kann der Konrektor ein oder ein paarmal von Patronatsherren auf der Ritterbank gehöret haben, die wirklich nicht sowohl Kirchen und Gottesäcker – womit man doch in England Handel treibt – als deren treue Bestellung verkaufet oder vielmehr verpachtet haben an die Pachtkandidaten. Ich weiß aus Lange33, daß die Kirche ihren Patron beköstigen muß, wenn er gar nichts mehr zu leben hat: könnte[124] nun nicht ein Edelmann, noch eh' er bettelte, etwas auf Abschlag, eine Vorausbezahlung von seinen Alimentengeldern annehmen aus den Händen des Kanzel-Pachters?

3) »Er habe sich seit kurzem mit dem gnädigen Fräulein von Thiennette verlobt und ihr ein Goldstück auf die Ehe gegeben und könnte also solche heiraten, wenn er versorgt würde etc.«

Freie Note von mir. Ich halte diesen Grund für den stärksten in der ganzen Supplik. In Herrn von Aufhammers Augen war Thiennettens Stammbaum längst gestutzt, entblättert, wurmstichig und voll Bohrkäfer; sie war ja seine Ökonoma, Schloßintendantin und a latere-Legatin für das Schloßgesinde, die ihm mit ihren Ansprüchen auf seine Almosenkasse in die Länge eine Bürde wurde. Sein erzürnter Wunsch, daß sie mit Fixleins Erbschaft hätte abgefunden werden mögen, wurde jetzt durch diesen erfüllt. Kurz, wenn Fixlein Pfarrer wird, so hat ers dem dritten Grunde zu danken, weit weniger dem tollen vierten ...

4) »Er habe betrübt vernommen, daß der Name seines Pudels, den er in Leipzig einem Emigranten abgekauft, auf deutsch Egidius bedeute, und daß der Hund ihm die Ungnade seines gnädigen Herrn zugezogen. Es sei ferne von ihm, den Pudel künftighin also zu benamsen; er werd' es aber für eine große Gnade erkennen, wenn sein gnädiger Herr Pat' für den Hund, den er jetzt ohne Namen riefe, selber einen resolvierten.«

Meine freie Note. Der Hund, bei dem bisher der Edelmann zu Gevatter gestanden war, soll also seinen Namen zum zweitenmal von ihm empfangen ... Wie soll aber der darbende Gärtners Sohn, dessen Laufbahn nie höher stieg als von der Schulbank zur Schulkanzel, und der mit den Frauenzimmern nie gesprochen hatte als singend, nämlich in der Kirche, wie soll der bei einem solchen Saitenbezuge einen feinern als den pedantischen Ton anschlagen? – Und doch liegt der Grund tiefer: nicht die eingeschränkte Lage, sondern der eingeschränkte Blick, nicht eine Lieblingswissenschaft, sondern eine enge bürgerliche Seele macht pedantisch, die die konzentrischen Zirkel des menschlichen Wissens und Tuns nicht messen und trennen kann, die den Fokus des ganzen Menschenlebens wegen des Fokalabstandes mit jedem[125] Paar konvergierender Strahlen vermengt, und die nicht alles sieht und alles duldet ... Kurz, der wahre Pedant ist der Intolerante.

Der Konrektor schrieb die Supplik prächtig ab in fünf glücklichen Abenden – setzte eine besondere Dinte dazu an – arbeitete zwar nicht so lange an ihr wie der dumme Manutius an einem lateinischen Briefe, nämlich etliche Monate – wenn dem Scioppius zu glauben ist –, noch weniger so lange wie ein anderer Gelehrter an einer lateinischen Epistel, der – freilich müssen wirs bloß dem Morhof glauben – vier volle Monate daran heckte, Variationen, Adjektiven, Pedes samt den Autoritäten seiner Phrases genau zwischen den Zeilen anmerkte. Er hatte ein flinkeres Genie und war mit dem ganzen Gesuch in sechzehn Tagen ins reine. Als ers petschierte, dacht' er daran, gleich uns allen: wie dieses Couvert das Samengehäuse einer ganzen großen Zukunft, die Hülse vieler süßen oder herben Früchte, die Windel seines restierenden Lebens sei.

Der Himmel segne sein Couvert; aber ich lasse mich vom babylonischen Turm hinunterwerfen, wenn er die Pfarre kriegt: will denn niemand einsehen, daß Aufhammer nicht kann? – Trotz seiner andern Fehler oder eben darum hält er eisenfest sein Wort, das er so lange dem Subrektor gegeben. Ein anderes wär' es, wär' er am Hofe seßhaft: denn da, wo noch alte deutsche Sitten sind, wird kein Versprechen gehalten; denn weil nach Möser die alten Deutschen nur Versprechungen hielten, die sie Vormittags gegeben – nachmittags waren sie schon besoffen –: so halten Hof-Deutsche auch keine nachmittägigen; – vormittägige würden sie halten, wenn sie sie gaben, welches aber der Fall nie sein kann, weil sie da noch – schlafen.

31

So viel braucht man nach den Politikern jährlich in Deutschland.

32

Dieser sonderbare Ton, aus dem ich mit einem Fürsten spreche, wird nur durch ein ebenso sonderbares Verhältnis entschuldigt, in dem der Biograph mit dem Flachsenfinger Fürsten steht, und das er hier gern entdecken würde, wenn ich der Welt nicht alles schon in meinem Buche, das ich ihr unter dem Titel Hundsposttage 1795 zu Ostern schenken werde, deutlich genug zu enthüllen hoffte.

33

dessen geistliches Recht p. 551.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 4, München 1959–1963, S. 117-126.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Leben des Quintus Fixlein
Leben des Quintus Fixlein

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon