Elftes Kapitel

[339] Leibgebers Schreiben über den Ruhm – Firmians Abendblatt


Ich habe den Leser im vorigen Kapitel aus wahrer Liebe betrogen: gleichwohl muß man ihn noch so lange im Betruge sitzen lassen, bis er folgendes Briefchen von Leibgeber durchgelesen:


Vaduz, d. 2. Febr. 1786


Mein Firmian Stanislaus!


Im Mai bin ich in Baireuth; und Du mußt auch dahin. Weiter hab' ich Dir jetzo nichts Wichtiges zu schreiben; aber das ist ja wichtig genug, daß ich Dir am 1ten Tag des Wonnemonats in Baireuth anzulangen anbefehle, weil ich etwas ungemein Tolles und Erhebliches und Unerhörtes mit dir vorhabe, so wahr Gott lebt. Meine Freude und Dein Glück hängt an Deiner Reise; ich würde Dir das Geheimnis schon in diesem Briefe offenbaren, wenn er aus meiner Hand in keine ginge als sogleich in Deine. Komm! – Du könntest ja mit einem gewissen Kuhschnappler Rosa reisen, der aus Baireuth seine Braut holen will. Sollte aber der Kuhschnappler, was Gott verhüte, jener Meyern sein, wovon Du mir geschrieben, und käme dieser Goldfisch angeschwommen, um seiner schönen Braut mit seinen dürren, dünnen Armen mehr Kälte zu geben als Wärme, wie man in Spanien ähnliche ordentliche Schlangen um die Bouteillen zum Kühlen legt, so will ich ihr, wenn ich nach Baireuth komme, die besten Begriffe von ihm beibringen und darauf beharren, daß er zehntausendmal besser sei als der Häresiarch Bellarmin, der in seinem Leben viel öfter, nämlich 2236mal die Ehe gebrochen. Du weißt, daß dieser Vorfechter der Katholiken mit 1624 Weibern einen verbotnen Umgang gepflogen; er wollte als Kardinal zugleich die Möglichkeit des katholischen Zölibats und die Möglichkeit der päpstlichen Beschreibung einer Hure zeigen, welche die Glossa zu einer Regimentinhaberin[339] von 23000 Mann erhebt. – Ich wünsche herzlich, den Heimlicher von Blaise zu sehen; ich würde ihm, wenn er mir näher stände, von Zeit zu Zeit, weil ihm immer etwas im Schlunde steckt, das er schwer hinunterbringen kann – und wär's eine Erbschaft oder fremdes Haus und Hof-, ich würd' ihm, wie man zur Heilung pflegt, starke Schläge in den hohlen Rücken geben und den Ausgang erwarten, den des Bissens nämlich. – Ich bin seither überall herumgehinkt mit meiner Silhouettenschere und ruhe nun in Vaduz bei einem studierenden bibliothekarischen Grafen aus, der wirklich verdiente, daß ich ihn zehn mal mehr lieb hätte; ich habe aber an Dir schon mehr als zuviel fürs Herz, und ich finde überhaupt die Menschen und den Kräuterkäs der Erde, in den sie sich einbeißen, täglich mürber und fauler. Ich muß Dir sagen: hole der Teufel den Ruhm; ich werde nächstens verschwinden und unter die Menge rennen und jede Woche mit einem neuen Namen aufsteigen, damit mich nur die Narren nicht kennen. – – Oh! Es waren einmal einige Jahre, wo ich wünschte etwas zu werden, wenn nicht ein großer Autor, doch wenigstens ein neunter Kurfürst, und wenn nicht belorbeert, doch infuliert, wenn nicht zuweilen Prorektor, doch häufig Dekan. Damals würd' es mich geletzet haben, wenn ich die größten Steinschmerzen und also verhältnismäßige Blasensteine hätte überkommen können, damit ich aus der Blase Steine zu einem Altar oder Tempel meines Ruhms hätte edieren mögen, der noch höher als die Pyramide gewesen wäre, die Ruysch in den Naturalienkabinettern aus den 42 Blasensteinen einer ehrlichen Frau zusammenbrachte105. Siebenkäs, ich hätte mir aus Wespen, wie Wildau aus Bienen, einen stachlichten Philosophenbart geknüpft, um nur dadurch bekannt zu werden. »Ich lasse zu (sagt' ich damals), es ist nicht jedem Erdensohn beschert, und er soll es nicht fodern, daß ihn eine Stadt tot schlagen will, wie den hl. Romuald (wie Bembo in dessen Leben berichtet), um nur seinen hl. Leib als Reliquie wegzuschnappen; aber er kann doch, dünkt[340] mich, ohne Unbescheidenheit sich wünschen, daß, wenn nicht seinem Pelzrocke, wie Voltairens seinem in Paris geschah, doch seinem Scheitel einige Haare zum Andenken von Leuten ausgezogen werden, die ihn zu schätzen wissen, ich meine vorzüglich die Rezensenten.«

Anders dacht' ich damals nicht; aber jetzo denk' ich gescheuter. Der Ruhm verdient keinen Ruhm. Ich saß einmal in einem naßkalten Abend draußen auf einem Grenzstein und sah mich an und sagte: was kann denn im Grunde aus dir werden? – Stehen dir Wege offen, gleich dem sel. Cornelius Agrippa106, Kriegsekretär des Kaisers Maximilian und Historiograph des Kaiser Karls V. zu werden? Kannst du dich zu einem Syndikus und Advokaten der Stadt Metz, zu einem Leibmedikus der Herzogin von Anjou und zu einem theologischen Professor zu Pavia aufschwingen? Bemerkst du, daß der Kardinal von Lothringen so gern bei deinem Sohne Gevatter stehen will, als ers beim Sohne des Agrippa wollte? – Und wär' es nicht lächerlich, wenn du aussprengtest und prahltest, daß ein Markgraf in Italien, der König von England, der Kanzler Merkurius Gatinaria und Margarita (eine Prinzessin aus Oesterreich) dich sämtlich in dem nämlichen Jahre haben in ihre Dienste ziehen wollen? wär's nicht lächerlich und erlogen, nicht einmal der Schwierigkeit der ganzen Sache zu gedenken, da diese Leute alle schon viele Jahre vorher zu Niklasruh und Schlafpulver des Todes zersprangen, ehe du als Zünd- und Knallpulver des Lebens auffuhrst? – In welchem bekannten Werke, ich bitte dich, nennt Paul Jovius dich ein portentosum ingenium, oder welcher andere Autor zählt dich unter clarissima sui seculi lumina? – Würden es nicht Schröckh und Schmidt in ihren Reformationgeschichten im Vorbeigehen angezeigt haben, wenns wahr wäre, daß du bei vier Kardinälen und fünf Bischöfen und beim Erasmus, Melanchthon und Capellanus in außerordentlichem Kredit ständest? – – Gesetzt aber auch, ich läge wirklich mit dem Cornelius Agrippa unter derselben großen[341] Laube und Staude von Lorbeerkränzen: so ging' es bloß einem wie dem andern, wir faulten dunkel unter dem Buschwerke fort, ohne daß in Jahrhunderten einer käme und das Gestrippe aufzöge und nach uns beiden sähe.

Es hülfe mir noch weniger, wenn ichs gescheuter machen und mich in einem Anhange der Allgem. deutschen Bibliothek wollte preisen lassen; denn ich stände jahrelang mit meinem Lorbeerreis auf dem Hut drinnen, in diesem kühlen Taschen-Pantheon, in meiner Nische, mitten unter den größten Gelehrten, die um mich auf ihren Paradebetten herumlägen oder – säßen, jahrelang, sag' ich, ständen wir Bekränzte allein in unserem Tempel des Ruhms beisammen, eh' ein Mensch die Kirchtüre aufmachte und nach uns sähe oder hineinginge und vor mir kniete – und unser Triumphwagen wäre bloß von Zeit zu Zeit ein Karren, worauf der besetzte Tempel mit seiner Fülle in eine Versteigerung geschoben wird.

Dennoch würd' ich mich vielleicht darüber wegsetzen und mich unsterblich machen, könnt' ich nur halb und halb hoffen, daß meine Unsterblichkeit andern Leuten zu Ohren käme als solchen, die noch in der Sterblichkeit halten. Aber kann das aufmuntern, wenn ich sehen muß, daß ich gerade den berühmtesten Leuten, denen jährlich der Lorbeerkranz, wie andern Toten der Rosmarin, im Sarge weiter über das Gesicht hereinwächst, ein inneres unbekanntes Afrika bleibe; vorzüglich einem Ham, Sem, Japhet – dem Absalon und seinem Vater – den beiden Katonen den beiden Antoninen – dem Nebukadnezar – den 70 Dolmetschern und ihren Weibern – den sieben griechischen Weisen sogar bloßen Narren wie Taubmann und Eulenspiegel? – Wenn ein Heinrich IV. und die vier Evangelisten und Bayle, der doch sonst alle Gelehrte kennt, und die hübsche Ninon, die sie noch näher kennt, und der Lastträger Hiob oder doch der Verfasser des Hiobs nicht wissen' daß nur ein Leibgeber je auf der Welt gewesen; wenn ich einer ganzen Vorwelt, d.h. sechs Jahrtausenden voll großer Völker, ein mathematischer Punkt, eine unsichtbare Finsternis, ein miserables Je ne sais quoi bin und bleibe: so seh' ich nicht, wie mir dies die Nachwelt, an der vielleicht nicht viel[342] ist, oder die nächsten sechs Jahrtausende erstatten wollen und können.

Noch dazu kann ich nicht wissen, was es für herrliche himmlische Heerscharen und Erzengel auf andern Weltkugeln und Kügelchen der Milchstraße, dieser Paternosterschnur voll Weltkugeln gibt; Seraphe, gegen die ich in keine Betrachtung komme, ausgenommen als ein Schaf. Wir Seelen schreiten freilich ansehnlich auf der Erde fort und empor – die Austerseele erhebt sich schon zu einer Froschseele – diese steigt in einen Stockfisch – der Stockfischgeist schwingt sich in eine Gans – dann in ein Schaf – dann in einen Esel – ja in einen Affen – endlich (etwas Höhers lässet sich nicht mehr gedenken) in einen Buschhottentotten. Aber ein solcher langer peripatetischer Klimax blähet den Menschen nur so lange auf, als er nicht die folgende Betrachtung macht: wir kundschaften unter den Tieren einer Klasse, worunter es so gut als unter uns Genies, gute offne Köpfe und wahre Einfaltpinsel geben muß, nichts aus als letzte, höchstens Extreme. Keine Tierklasse liegt nahe genug an unserer Sehhaut, daß nicht die feinen Mitteltinten und Abstufungen ihres Werts zusammenfließen müßten. – Und so wird es uns ergehen, wenn ein Geist im Himmel sitzt und uns alle ansieht: wegen seines Abstandes wird er Mühe haben (vergebliche), einen wahren Unterschied zwischen Kant und seinen Rasierspiegeln der Kantianer, zwischen Goethe und seinen Nachahmern zu erkennen, und besagter Geist wird Fakultisten von Dunsen, Profeßhäuser von Irrenhäusern wenig oder gar nicht zu unterscheiden wissen. – Denn kleine Stufen laufen vor einem, der auf den höhern steht, völlig ein.

Das benimmt aber einem Denker Lust und Mut; und ich will verdammt sein, Siebenkäs, wenn ich bei solcher Lage der Sachen mich jemals hinsetze und außerordentlich berühmt werde, oder mir die Mühe gebe und das scharfsinnigste Lehrgebäude aufmauere oder einreiße, oder etwas Längers schreibe als einen Brief.

Dein, nicht mein

Ich L.


N. S. Ich wollte, Gott fristete mir nach diesem Leben das zweite,[343] und ich könnte in der andern Welt mich an Realien machen; denn diese ist wahrlich zu hohl und zu matt, ein miserabler Nürnberger Tand – nur der fallende Schaum eines Lebens – ein Sprung durch den Reif der Ewigkeit – ein mürber stäubender Sodomsapfel, den ich gar nicht aus dem Maule bringen kann, ich mag sprudeln, wie ich will. O! –


*


Solchen Lesern, denen dieser Scherz nicht ernsthaft genug ist, will ich irgendwo dartun, daß er es zu sehr ist, und daß nur eine beklommene Brust so lachen, daß nur ein zu fieberhaftes Auge, um welches die Feuerwerke des Lebens wie fliegende Spiel-Funken schweifen, die dem schwarzen Star vorflattern, solche Fieberbilder sehen und zeichnen könne. –

Firmian verstand alles, zumal jetzt... Ich muß aber zum elften Hornung zurück, um dem Leser die sympathetische Freude, die er über des vereinten Kleeblatts seine verspürte, halb zu – nehmen. Lenettens erschütternde Bitte, daß der Gatte ihr vergeben möge, war die Lohbeet-Frucht der Ziehenschen erderschütternden Weissagung; sie glaubte, der Boden und sie gingen unter, und vor dem nahen Tode, der schon mit dem Tigerschweife wedelte, bot sie ihrem Mann die Friedenhand einer Christin. Vor seiner entkörperten schönen Seele vergoß freilich die ihrige Tränen der Liebe und des – Entzückens. Aber sie vermengte vielleicht selber ihre frohen Bewegungen mit ihren liebenden, die Lust mit der Treue, und die Hoffnung, den Schulrat abends wieder in die warmen – Augen zu fassen, drückte sich ohne ihr Wissen durch eine wärmere Liebe zum Manne aus. Es ist sehr notwendig, daß ich hier einen meiner besten Ratschläge keinem Menschen vorenthalte: nämlich den, bei der besten Frau in der Welt immer wohl zu unterscheiden, was sie in der jetzigen Minute haben wolle oder gar wen, worunter nicht immer der gehört, der wohl unterscheidet. Es ist im weiblichen Herzen eine solche Flucht aller Gefühle, ein solches Werfen von farbigen Blasen, die alles, zumal das Nächste, abmalen, daß eine gerührte Frau, indes sie für dich eine Träne aus dem linken Auge vergießet, weiter nachdenken[344] und mit dem rechten eine über deinen Vor- oder Nachfahrer verspritzen kann – oder daß eine Zärtlichkeit, die ein Nebenbuhler erregt, über die Hälfte dem Ehevogt zustirbt, und daß eine Frau überhaupt bei der aufrichtigsten Treue mehr über das weinet, was sie überdenket, als was sie vernimmt. –

Nur dumm ists, daß so viele Mannspersonen unter uns es gerade darin sind; denn eine Frau ist, da sie mehr fremde Gefühle beobachtet als eigne, dabei weder die Betrügerin noch die Betrogene, sondern nur der Betrug, der optische und akustische.

Solche durchdachte Betrachtungen machen Firmiane über den elften Hornung – welcher tolle Name nach einigen von den Trink-Hörnern der Alten abstammt, aber nach mehren von Hor oder Kot – nicht eher als am zwölften. Wendeline liebte den Rat: das wars. Sie hatte mit allen verständigen Kuhschnapplerinnen an den Generalsuperintendenten und seinen Erd-Fußstoß geglaubt, bis abends der Pelzstiefel sich frei erklärte, die Meinung sei gottlos; dann fiel sie vom prophetischen Superintendenten ab und dem ungläubigen Weltkind Firmian bei. Wir wissen alle, er hatte so gut männliche Launen, die immer die Konsequenz übertreiben, wie sie weibliche, die in der Inkonsequenz zuviel tun. Es war also töricht, daß er eine durch so viele kleine Gall-Ergießungen erbitterte Freundin durch eine große Herz-Ergießung wiederzugewinnen hoffte. Die größte Wohltat, die höchste männliche Begeisterung reißen keinen mit tausend kleinen Wurzelfasern im Herzen herumkriechenden Groll auf einmal heraus. Die Liebe, um die wir uns durch ein anhaltendes Erkälten brachten, können wir nur durch ein so anhaltendes Erwärmen wieder sammeln.

Kurz nach einigen Tagen zeigt' es sich, daß alles blieb, wie es vor drei Wochen war. Die Liebe Lenettens hatte durch Stiefels Entfernung so zugenommen, daß sie nicht mehr mit ihren Blättern unter der Glasglocke Platz hatte, sondern schon ins Freie wuchs. Die Aqua toffana der Eifersucht lief endlich in alle Adern Firmians herum und quoll ins Herz und fraß es langsam auseinander. Er war nur der Baum, in den Lenette ihren Namen und ihre Liebe gegen einen andern eingezeichnet hatte, und der an den Schnitten verwelkt. Er hatte an Lenettens Wiegenfeste so schön[345] gehofft, der zurückgerufne Schulrat werde die größte Wunde schließen oder bedecken: und gerade er zog sie wider Wissen immer weiter auseinander; aber wie wehe tat dies dem armen Gatten! So wurd' er nun innen und außen ärmer und kränker zugleich und gab die Hoffnung verloren, den 1ten Mai und Baireuth zu sehen. Der Februar, der März und der April zogen mit einem großen tropfenden Gewölke, an dem keine lichte oder blaue Fuge und kein Abendrot war, über sein Haupt.

Am 12ten April verlor er seinen Prozeß zum zweitenmal; und am 13ten, am Grünen Donnerstag, schloß er auf immer sein Abendblatt (wie er sein Tagebuch nannte, weil er abends daran schrieb), um dasselbe und seine Teufels-Papiere – soweit sie fertig waren – statt seines bald verfliegenden Körpers nach Baireuth in Leibgebers treueste Hände zu bringen, welche ja doch lieber, dacht' er, nach seiner Seele – die eben in den Papieren wohnte – greifen würden als nach seinem dürren Leibe, den ja Leibgeber selber in zweiter unabänderlicher Auflage, gleichsam Männchen auf Männchen, an sich trug und mithin jede Minute haben könnte. Die ganze Stelle des Abendblattes, diesen nachher auf die Post geschickten Schwanengesang, nehm' ich ohne Bedenken unverändert hier herein.


»Gestern scheiterte mein Prozeß an der zweiten Instanz oder Untiefe. Der gegnerische Sachwalter und die erste Appellationkammer haben gegen mich ein altes Gesetz, das nicht nur im Baireuthischen, sondern auch in Kuhschnappel gültig ist, vorgekehrt: daß mit einem Notariatzeugenrotul nicht das geringste zu erhärten ist; es muß ein Rotul von Gerichten sein. Die zwei Instanzen machen mir den bergaufgehenden Weg zur dritten leichter: meiner armen Lenette wegen appellier' ich an den Kleinen Rat, und mein guter Stiefel tut die Vorschüsse. Freilich muß man bei den Fragen, die man an die juristischen Orakel tut, die Zeremonie beobachten, womit man sonst andere den heidnischen vorlegte: man muß fasten und sich kasteien. Ich hoffe den Staat-Schalken107 oder vielmehr den Pürschmeistern mit dem Weidmesser[346] oder Knebelspieß des Themisschwertes schon durch das Jagdzeug der Prozeßordnung und durch die Jagdtücher und Prell- und Spiegelgarne der Akten durchzuwischen, nicht sowohl durch meinen wie ein Fühlfaden dünngezogenen Geldbeutel, den ich etwan wie einen ledernen Zopf durch alle enge Maschen der Justiz-Garnwand zöge; nicht damit sowohl, hoff' ich, als mit meinem Leibe, der sich nahe an den hohen Netzen in Totenstaub verwandeln und dann frei durch und über alle Maschen fliegen wird.

Ich will heute die letzte Hand von diesem Abendblatte, eh' es ein vollständiges Martyrologium wird, abziehen. Ich würde, wenn man das Leben wegschenken könnte, meines jedem Sterbenden geben, der es wollte. Indessen denke man nicht, daß ich darum, weil über mir eine totale Sonnenfinsternis ist, etwan sage, in Amerika ist auch eine – oder daß ich, weil gerade neben meiner Nase Schneeflocken fallen, schon glaube, auf der Goldküste hab' es zugewintert. – Das Leben ist schön und warm; sogar meines wars einmal. Sollt' ich noch eher als die Schneeflocken eintrocknen: so ersuch' ich meine Erbnehmer und jeden Christen, von meiner Auswahl aus des Teufels Papieren nichts drucken zu lassen, als was ich ins reine geschrieben, welches (inclus.) bis zur Satire über die Weiber geht. Auch darf er aus diesem Tagebuche, in dem zuweilen ein satirischer Einfall auffliegen mag, keinen einzigen zum Druck befördern; das verbiet' ich ernstlich.

Will ein Geschichtforscher dieses Tag- oder Nachtbuchs gern wissen, was für schwere Lasten und Nester und Wäsche denn an meine Äste und an meinen Gipfel gehangen worden, daß sie ihn so niederziehen konnten – und ist er noch darum desto neugieriger, weil ich lustige Satiren schrieb – wiewohl ich mit den satirischen Stacheln, wie die Fackeldistel mit ihren, mich nur wie mit einsaugenden Gefäßen nähren wollte –: so sag' ich diesem Geschichtforscher, daß seine Neugierde mehr sucht, als ich weiß, und mehr, als ich sage. Denn der Mensch und der Meerrettig sind zerrieben am beißendsten, und der Satiriker ist aus demselben Grunde trauriger als der Spaßmacher, weswegen der Urang-Utang schwermütiger ist als der Affe, weil er nämlich edler ist. –[347] Gelangt freilich dieses Blatt in deine Hand, mein Heinrich, mein Geliebter, und du willst vom Hagel, der immer höher und größer auf meine Aussaat fiel, etwas hören: so zähle nicht die zerflossenen Hagelkörner, sondern die zerschlagnen Halmen. Ich habe nichts mehr, was mich freuet – als deine Liebe, – und nichts mehr, was aufrecht steht, als eben diese. Da ich dich aus mehr als einer Ursache108 schwerlich in Baireuth besuchen werde: so wollen wir auf diesem Blatte scheiden wie Geister und uns die Hände aus Luft geben. Ich hasse die Empfindelei, aber das Schicksal hat sie mir fast endlich eingepfropft, und das satirische Glaubersalz, das man sonst mit Nutzen dagegen nimmt – wie Schafe, die von nassen Wiesen Lungenfäule haben, durch Salzlecken aufleben –, nehm' ich aus Vorleglöffeln, so groß wie meiner aus dem Vogelschießen, aber ohne merklichen Vorteil ein. Im ganzen tuts auch wenig; das Schicksal wartet nicht, wie die peinlichen Schöppenstühle, mit der Hinrichtung von uns Inkulpaten auf unsere Genesung. Mein Schwindel und andere Schlagfluß-Vorboten sagen mir zu, daß man mir gegen das Nasenbluten dieses Lebens bald die gute galenische Aderlaß109 verordnen werde. Ich will es deswegen nicht gerade haben; mich kann im Gegenteil einer ärgern, der verlangt, das Schicksal soll ihn, wie eine Mutter das Kind da wir in Leiber eingewindelt und die Nerven und Adern die Wickelbänder sind – sofort aufbinden, weil es schreiet und einiges Leibreißen hat. Ich würde noch gern einige Zeit ein Wickelkind unter Strickkindern110 bleiben, zumal da ich besorgen muß, daß ich in der zweiten Welt von meinem satirischen Humor geringen oder keinen Gebrauch werde machen können; aber ich werde fort müssen. Wenn aber dies geschehen ist: so möcht' ich dich wohl bitten, Heinrich, daß du einmal hieher in den Reichsflecken reisetest und dir das stille Gesicht deines Freundes, der kaum das hippokratische111 mehr wird machen können, aufdecken ließest. Dann, mein Heinrich, wenn du das fleckige graue Neumondgesicht lange ansiehst und dabei erwägst, daß nicht viel Sonnenschein[348] darauf fiel, nicht der Sonnenschein der Liebe, nicht des Glücks, nicht des Ruhms: so wirst du nicht gen Himmel blicken und zu Gott sagen können: 'und ganz zuletzt, nach allen seinen Bekümmernissen hast du ihn, lieber Gott, gar vernichtet – und hast ihn, als er im Tode die Arme nach dir und deiner Welt ausstreckte, so breit entzwei gedrückt, als er noch hier liegt; der Arme.' Nein, Heinrich, wenn ich sterbe, so mußt du eine Unsterblichkeit glauben.

Ich will jetzo, wenn ich dieses Abendblatt ausgeschrieben, das Licht auslöschen, weil der Vollmond breite, weiße Imperialbogen voll Licht in der Stube aufbreitet. Ich will alsdann – weil kein Mensch mehr im Hause auf ist – mich in der dämmernden Stille hersetzen, und indes ich die weiße Magie des Mondes in der schwarzen der Nacht anschaue, und während ich draußen ganze Flüge von Zugvögeln in der hellen blauen Mondnacht aus wärmern Ländern kommen höre, in deren verwandtes Land ich abreise, da will ich ungestört gleichsam meine Fühlhörner aus dem Schneckengehäuse, eh' es der letzte Frost zuspündet, noch einmal hervorstrecken – Heinrich, ich will mir heute alles deutlich malen, was vergangen ist – den Mai unserer Freundschaft – jeden Abend, wo wir zu sehr gerührt wurden und uns umarmen mußten – meine grauen alten Hoffnungen, die ich kaum mehr weiß fünf alte, aber helle, warme Frühlinge, die mir noch im Kopfe sind – meine verstorbene Mutter, die mir eine Zitrone, von der sie im Sterben dachte, sie werde sie in den Sarg bekommen, in die Hände legte und sagte: ich sollte die Zitrone lieber in meinen Blumenstrauß stecken – und jene künftige Minute meines Sterbens will ich mir denken, in welcher mir dein Bild zum letztenmal auf der Erde vor die gebrochnen Seelen-Augen tritt, und worin ich von dir scheide und mit einem dunkeln innern Schmerz, der keine Tränen mehr in die erkalteten, zerstörten Augen treiben kann, vor deiner beschatteten Gestalt schwindend und verfinstert niederfalle und aus dem dicken Nebel des Todes nur noch dumpf zu dir aufrufe: 'Heinrich, gute Nacht! gute Nacht.' –

Ach, lebe wohl. Ich kann nichts mehr sagen.«


Ende des Abendblattes[349]

105

Dictionnaire des Merveilles de la nature par Sigaud de la Fond. T. II. – Die Art, wie eine ägyptische Königin eine Pyramide aus losen Steinen aufschichtete, und zwar höher, aber mit geringern Schmerzen als die obige Frau, ist bekannt und gehört nicht unter Sigauds Merveilles de la nature.

106

Dieses und alles folgende, was Agrippa ward und hatte, steht in Naudé (Naudäi) Abhandlung von den Gelehrten, die man für Zauberer gehalten, unter dem Namen Agrippa.

107

Schalk hieß sonst Diener, jetzo nicht selten umgekehrt.

108

Aus Mangel an Geld, an Gesundheit.

109

So heißet eine bis zur Ohnmacht getriebene.

110

So heißen die vom heimlichen Gericht Verurteilten.

111

Das hippokratische nennt man das verzogene in der Sterbstunde.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 2, München 1959–1963, S. 339-350.
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