I.

[238] Die Kunst, einzuschlafen


(Aus der Zeitung für die elegante Welt)


Für die jetzigen langen Nächte und für die elegante Welt zugleich, die sie noch länger macht, ist eine Kunst, einzuschlafen, vielleicht erwünscht, ja für jeden, der nur einigermaßen ausgebildet ist. Es gibt jetzo wenige Personen von Stand und Jahren, die, das Glück ihrer höhern Feinde ausgenommen, irgendein anderes so sehr beneideten als das einer Haselmaus oder auch eines nordischen Bären, dessen Nachtschlummer bekanntlich gerade so lange als seine Nordnacht währt, nämlich fünf Monate. Unsere Zeit bildet uns in Kleidern und Sitten immer mehr den wärmern Zonen an und zu, und folglich auch darin, daß man wenig und nur in Morgen- und Mittagstunden schläft; so daß wir uns von den Negern, welche die Nacht kurzweilig vertanzen, in nichts unterscheiden als in der Länge unserer Weile und unserer Nacht. Hoch oben wird immer mehr die eigne Menschheit – nicht wie von Alexander aus dem Schlafe – umgekehrt aus dem Mangel desselben erraten. Gibt es nicht in allen Residenzen Jünglinge von Welt und Geburt, welche (besonders wenn die Gläubiger erwachen) gern so lange schliefen, bis sie stürben, oder doch bis ihre Väter? Und was hilfts manchem jungen Menschen, daß er Franklins Wink, nachts zum bessern Schlafe die Betten zu wechseln, so gut er weiß, befolgt? Aus dem Gegengift wird in die Länge ein Gift.

Kurz, wer jetzo noch am festesten schläft – die Glücklichen in den Wachstuben auf der Pritsche ausgenommen –, ist einer oder der andere Homer und die sogenannten zehn törichten Jungfrauen, welche in der Bibel den Bräutigam verschlafen.

Wenn ich gleichwohl mehre geistige Mittel, einzuschlafen, freigebig anbiete, noch dazu in einem kurzen Aufsatze – nicht[238] in langen dicken Bänden – : so sind sie in der Tat nicht jenen Wüstlingen gegönnt und geschrieben, welche – durch lauter maîtres de plaisirs zu esclaves de plaisirs gemacht – in der Nachtzeit, in welche sonst die alte Jurisprudenz die Folter verlegte, bloß darum die ihrige ausstehen, weil sie sonst ihre Freuden und Nachtviolen darin pflückten. Sie mögen wachen und leiden, diese Sabbatschänder des täglichen Sabbats der Natur.

Gibt es hingegen einen Minister, der an einem Volke – oder einen Autor, der an einem Werke arbeitet, und beide so feurig, daß sie ebensoviel Schlaf verlieren als versüßen – oder irgendeinen weiblichen Kopf, der das Näh- und Fang-Gewebe seiner oder fremder Zukunft – so wie die Spinnen die ihrigen gern um Betten und immer in der Nacht abweben – ebenso im Finstern ausspinnt, und der folglich kein Auge zutut – oder gibt es irgendeinen andern von Idee zu Idee fortgetriebenen Kopf- z.B. meinen eignen, den bisher der Gedanke, die Kunst, einzuschlafen, für die Zeitung für die elegante Welt zu bearbeiten, an der Kunst selber hinderte – : so sei allen diesen so geplagten und geschätzten Köpfen mit Vergnügen der Schatz von Mitteln, einzuschlafen, mitgeteilt, worunter so manche oft nichts helfen dem einen, doch aber dem andern und den übrigen.

Nicht Einschlafen, sondern Wiedereinschlafen ist schwer. Nach dem ersten schlummernden Ermatten fährt der obige Staatmann wieder auf, und irgendeine Finanz-Idee, die ihm zufliegt, hält er, sich abarbeitend, fest, wie der Habicht eine in der Nacht erpackte Taube bis an den Morgen in den Fängen aufbewahrt; dasselbe gilt ganz vom Bücherschreiber, dessen Innres im Bette, wie nachts ein Fischmarkt in Seestädten, von Schuppen phosphoresziert und nachglänzt, bis es so licht in ihm wird, daß er alle Gegenstände in seinen Gehirnkammern unterscheiden kann und an seinem Tagwerke wieder zu schreiben anfängt unter der Bettdecke. Dies ist ungemein verdrießlich, besonders wenn man keine Mittel dagegen weiß.

Ich weiß und gebe sie aber; sämtlich laufen sie in der Kunst zusammen, sich selber Langweile zu machen, eine Kunst, die bei gedachten logischen Köpfen auf die unlogische Kunst, nicht zu denken, hinauskommt.[239]

Wir wollen indes einen weitern Anlauf zur Sache nehmen. Es wird allgemein von Philosophen und Festungkommandanten angenommen, daß ein Mensch, z.B. eine Schildwache, imstande sei, schläfrig und wach zu bleiben. Ja ein Philosoph kann sich zu Bette legen, Augen und Ohren verschließen und doch die Wette ausbieten und gewinnen, die ganze Nacht zu verwachen bloß durch ein geistiges Mittel, durch Denken; – folglich setzt diese Willkür die andere voraus, einzuschlafen, sobald man das Mittel der Wette nicht anwendet, wie wir abends ja an ganzen Völkern sehen, wenn sie zu Bette gehn.

Der Schlaf ist, wie ich im Hesperus bewiesen, das stärkende Ausruhen nicht sowohl des ganzen Körpers oder der Muskeln u.s.w. als des Denkorgans, des Gehirns, daher durch lange Entziehung desselben nichts am Körper erkrankt als das Gehirn, nämlich zum Wahnwitz. Wird es bei dem Tiere durch kein Empfinden, beim Menschen durch kein Denken mehr gereizt, so zittert dieses willkürliche Bewegorgan endlich aus. Sobald der Mensch sagt: ich will keine einzige Vorstellung, die mir aufstößt, mehr verfolgen, sondern kommen und laufen lassen, was will: so fällt er in Schlaf; nachdem vorher noch einzelne Bilder ohne Band und Reihe, wie aus einer Bilderuhr, vor ihm aufgesprungen waren, bloße Nachzuckungen des gereizten Denkorgans, denen der Muskelfasern eines getöteten Tieres ähnlich. Das Erwachen dagegen beginnt das gestärkte und nun reizende Organ, wie das Einschlafen der nachlassende Geist.

Die göttliche Herrschaft des Menschen über sein inneres Tier- und Pflanzenreich wird zu wenig anerkannt und eingeübt, zumal von Frauen; ohne jene schleppt uns die Kette des ersten besten Einfalls fort. »Tritt aber nicht«, kann eine Frau sagen, »das Leichenbild meines Schmerzes überall ungerufen mitten im Frühling und im Garten desselben wie ein Geist aus der Luft, bald hier, bald da, und kann ich der Geistererscheinung wehren?«

Wende das Auge von ihr, sag' ich, so verschwindet sie und kommt zwar wieder, aber immer kleiner; siehst du sie hingegen lange an, so vergrößert sie sich und überdeckt dir Himmel und Erde. – Nicht die Entstehung, sondern die Fortsetzung unserer[240] Ideen unterscheidet das Wachen vom Traume; im Wachen erziehen wir den Fündling eines ersten Gedankens oder lassen ihn liegen; im Traume erzieht der Fündling die Mutter und zügelt sie an seinem Laufzaume.

Um zum nahen Einschlafen wieder zu kommen, so bekenn' ich indes, daß jenes gewaltsame Abbestellen und Einstellen alles Denkens ohne philosophische Übung wohl wenigen gelingen wird; nur der Philosoph kann sagen: ich will jetzt bloß mein Gehirn walten lassen ohne Ich. Dieses Vermögen, nicht zu denken, kann also nicht überall bei der eleganten und denkenden Welt vorausgesetzt werden. Die Juden haben unter ihren hundert Danksagungen an jedem Tage auch eine bei dem Krähen des Hahns, worin sie Gott preisen, daß er den Menschen hohl erschaffen, desgleichen löcherig. Jeder elegante Welt-Mensch wird bis zu einem gewissen Grade – bis zum Kopfe – in das Dankgebet einfallen, weil er in der Tat keine Lücken in der Welt lieber auszufüllen sucht als seine eignen.

Allein nicht jeder hat abends das Glück, hohl zu sein und also, da die Leerheit des Magens nicht halb so sehr als die des Kopfes das Einschlafen begünstigt, letztes zu erringen. Es müssen folglich brauchbarere Anleitungen, den Kopf wie einen Barometer luftleer zu machen, damit darin das zarte elektrische Licht der Träume in seinem Äther schimmere, von mir angegeben werden.

Wenn alle Einschlafmittel, nach den vorigen Absätzen, d.h. Grundsätzen, in solchen bestehen müssen, die den Geist vom Gehirne scheiden und dieses seiner eignen Schwere überlassen: so muß man, da doch die wenigsten Menschen verstehen, nicht zu denken, solche Mittel wählen, die zwar etwas, aber immer dasselbe Etwas zu denken zwingen.

Da ich wohl ein guter Einschläfer und Schläfer, aber einer der mittelmäßigsten Wiedereinschläfer bin: so geben mir meine Nacht- und Bett-Lukubrationen vielleicht ein Recht, über die Selbeinschläferkunst hier der Welt nach eignen Diktaten zu lesen.

Ich müßte von mir selber sprechen und mich über mich ausbreiten, wenn ich die Leser an mein Bette führen wollte, um sie von diesem Heidenvorhof aus weiter zu geleiten zum Katheder.[241]

Nur dies kann ich vielleicht sagen, daß ich ganz andere Anstalten als die meisten Leser treffe, um nicht aufzuwachen. Wenn z.B. so mancher Leser bei dem Einschlafen eine Hand aus Unvorsicht auf die Stirn oder an den Leib oder nur ein Bein aufs andere legt: so kann das geringste, dem Schlafe gewöhnliche Zucken der vier Glieder sämtlichen Rumpf aufwecken und aufkratzen; – und dann ist die Nacht ruiniert, und er mag zusehen. Dagegen man sehe mich im Bett! – Nie berühre doch jemand im Schlaf ein lebendiges Wesen, welches ja er selber ist. Der kleinlichern Vorsichtregeln gedenk' ich gar nicht, z.B. gegen den Hund, der auf der Stubendiele mit dem Ellenbogen hämmert oder auf einem wankenden Stuhl mit zwei Stuhlbeinen auf- und abklappert, wenn er sich kratzt. Und doch leidet der unvorsichtige Leser so viel im Bette als ich, weil wir beide nie schärfer denken und reicher empfinden als in der Nacht, diese Mutter der Götter und mithin Großmutter der Musen; und ginge am Morgen nicht der Körper mit Nachwehen herum, es gäbe kein besseres Braut- und Kindbett geistiger Sonntaggeburten als das Bette, ordentlich als wenn die Schlaffedern zu Schreibfedern auswüchsen.

Eh' ich endlich meine elf Mittel, einzuschlafen, folgen lasse, merk' ich ganz kurz an, daß sie sämtlich nichts helfen; – denn man strengt sich sehr dabei an, und mich hat jedes Schlaf genug gekostet; – aber dies gilt nur für das erstemal. – Eben hat mir mein scharfsinniger Freund E. noch ein zwölftes entdeckt, nämlich gar nicht einschlafen zu wollen.

Aber seitdem, d.h. seit anderthalb Jahrzehenden, hab' ich noch drei neue Selberwiegen im Bette zur Welt gebracht, so daß es künftig eines jeden eigne Schuld bleibt, wenn er, mit meinen vierzehn Handgriffen zum Einwiegen seines Kopfs in Händen, gleichwohl seine Augen noch so offen behält wie ein Hase, der indessen darüber gar nicht zu tadeln ist, da ers eben im Schlafe tut.

Nach langem Überlegen, wie ich meine drei neuen Schlafmittel in dieser dritten Auflage unter die elf alten einschalten könnte mit Beibehaltung alles Spaßes der frühern Rangordnung, fand ichs endlich als zweckdienlichst, sofort nach dem neunten Einschlafmittel die drei neuen einzuschieben und darauf mit den alten bis[242] zum vierzehnten ordentlich fortzufahren; anders wüßt' ich nicht einzuflechten ohne namhaften Verlust meiner und der Leser.

1) Das erste Mittel, das schon Leibniz als ein gutes vorschlug, ist Zählen. Denn die ganze Philosophie, ja die Mathematik hat keine abstrakte Größe, die uns so wenig interessiert als die Zahl; wer nichts zählt als Zahlen, hat nichts Neues und nichts Altes, indessen doch eine geistige Tätigkeit, obwohl die leichte der Gewohnheit, so wie ein Virtuose ohne große geistige Anstrengung nach dem Generalbasse phantasiert, den er doch mit großer erlernte. Buxton, der eine Zahl von 39 Ziffern im Kopfe mit ihr selber multiplizierte, sank nach tiefen Rechnungen in tiefen Schlaf. Die Alten hatten an den Bettstellen das Bildnis Merkurs, dieses Rechners und Kaufmanus, und taten an ihn das letzte Gebet. Es läßt sich wetten, daß niemand leichter einschläft als ein Mathematiker, so wie niemand schlechter als ein Verse- und Staatmann.

Allein dieses Leibnizische Zählen wird an schwachen Schläfern unsers Jahrhunderts nur mittelmäßige Wunder tun, wenn man entweder schnell oder über hundert (wodurch es schwerer wird) oder mit einiger Aufmerksamkeit zählt. Ebenso muß man, wie höhere Rechenkammern, nichts darnach fragen, daß man sich verzählt. Unglaublichen Vorschub tut aber dem Schlafe ein kleiner, meines Wissens noch unbekannter Handgriff, nämlich der, daß man im Kopfe die Zahlen, welche andere Schläfer schon fertig ausgeschrieben anschauen, selber erst groß und langsam hinschreibt, auf was man will. Verfasser dieses nahm dazu häufig eine lange Wetter- oder auch Stöhrstange und zeichnete, indem er sie am kurzen Hebelarme hielt, mit dem langen oben an das Zifferblatt einer Turmuhr (indes ist Schnee ebensogut) die gedachten Zahlen an, so lang und so dick, daß er sie unten lesen konnte. Diese so unendlich einförmige Langsamkeit der Operation ist eben ihr punctum saliens oder Hüpfpunkt und schläfert so sehr ein; und was das Lächerliche dabei anlangt, so geht wohl jeder im Bette darüber hinweg. Einem solchen Langsam- und Stangenschreiber rate man aber unsere arabischen Ziffern ab, deren jede einen neuen Zickzack fodert, sondern er schreibe römische[243] an seinen Turm (wie alle Turmuhrblätter haben), welche bis 99 nichts machen als lauter herrliche, recht herpassende Linien, nämlich gerade. – Will ein Einschläfer Turm und Stange nicht: so kann man ihm raten, recht lange Zahlen, und zwar wie Trochäen auszusprechende, sich vorzuzählen, z.B. einundzwanzig Billionen Seelen Zahl, zweiundzwanzig Billionen Seelen Zahl u.s.w.; nur aber kann man einem Einschläfer nicht genug einschärfen, das Zählen äußerst langsam und schläfrig zu verrichten. Indes diese Beobachtung höchstmöglicher Faultierlangsamkeit ist wohl Kardinalregel aller Einschläfermittel überhaupt.

2) Töne, sagt Bako, schläfern mehr ein als ungegliederte Schälle. Auch Töne zählen und werden gezählt. Da aber hier nicht von fremden, sondern von Selbentladungen – das Einschläfern ist der einzige schöne Selbermord – die Rede ist: so gehören nur Töne her, die man in sich selber hört und macht. Es gibt kein süßres Wiegenlied als dieses innere Hören des Hörens. Wer nicht musikalisch phantasieren kann, der höre sich wenigstens irgendein Lieblinglied oder eine Trauermusik in seinem Kopfe ab; der Schlaf wird kommen und vielleicht den Traum mitbringen, dessen Saiten in keiner Luft mehr zittern, sondern im Äther.

3) Vom zweiten Mittel ist das dritte nicht sehr verschieden, sich nämlich in gleichem Silben-Dreschen leere Schilderungen langsam innen vorzusagen, wie ich z.B. mir: wenn die Wolken fliegen, wenn die Nebel fliehen, wenn die Bäume blühen etc. Darauf lass' ich aufs Wenn kein So folgen, sondern nichts, nämlich Entschlafen; denn die kleinste Rücksicht auf Sinn oder Zusammenhang oder Silbenzahl würde, wie ein Nachtwächter-Gesang, alles wieder einreißen, was das poetische Selberwiegenlied aufgebaut.36 Da aber nicht jeder Talent zum Dichten hat – zumal so spät im Bette – : so kommen ja dem Nicht-Dichter zu Tausenden Bett-Lieder mit diesem poetischen faulen Trommelbaß entgegen, wovon er nur eines auswendig zu lernen braucht, um für alle Nächte damit sein Glück zu machen. Unschätzbar ist[244] hier unser Schatz von Sonetten, an denen wie an Raupen-Puppen nichts sich lebendig regt als das Hinterteil, der Reim; man schätzet es nur noch nicht genug, wie sicher das Reim-Glockenspiel uns in einen kürzern Schlaf einläute, als der längste ist. – Ich würde hiezu auch auswendig gelernte Abendsegen vorschlagen, da sich durch sie wahrscheinlich sonst Tausende eingewiegt, wenn ich nicht besorgte, daß sie ungewohnten Betern, z.B. Hofleuten, durch den Reiz der Neuheit mehr Schaden und Wachen brächten als Nutzen.

4) Ein gutes Mittel, einzuschlafen nicht sowohl als wieder einzuschlafen, ist, falls man aus einem Traum erwacht, sich in diesen mit den schläfrigen Augen, indem man ihm unaufhörlich nachschaut, wieder einzusenken; bald wird die Welle eines neuen Traumes wieder anfallen und dich in ihr Meer fortspülen und eintauchen. Der Traum sucht den Traum. Im großen Schatten der Nacht spielt jeder Schatten mit uns Sterblichen und hält uns für seinesgleichen.

5) Hefte dein inneres Nachtauge lange auf einen optischen Gegenstand, z.B. auf eine Morgenaue, auf einen Berggipfel, es wird sich schließen. Überhaupt sind Landschaften – weil sie unserm innern Menschen, der mehr Augen hat als Ohren, leicht zu erschaffen werden, und weil sie uns in keine mit Menschen bevölkerte und erweckende Zukunft ziehen – die beste Schaukel und Wiege des unruhigen Geistes.

6) Das sechste Mittel half mir mehre Nachmitternächte durch, aber es fodert Übung; man schaut nämlich bloß unverrückt in den leeren schwarzen Raum hinein, der sich vor den zugeschloßnen Augen ausstreckt. Nach einigen Minuten, wenn nicht Sekunden, wird sich das Schwarze färben und erleuchten und so den Chaos-Stoff zu den bunten Traum- oder Empfindbildern liefern, welche in den Schlaf hinüberführen.

7) Wer seine Augen schließen will, mache an seinem innern Januskopfe zuerst das Paar, das nach der Zukunft blicket, zu; das zweite, nach der Vorzeit gerichtet, lasse er immer offen. Am Tage vor einer Reise oder Haupttat schläft man so schwer als am Tage nachher so leicht; die Zukunft ergreift uns (so wie den[245] Traum) mehr als die Gegenwart und Vergangenheit. Im Hause eines Toten, aber nicht eines Sterbenden kann man schlafen. Daß Kato in der Nacht vor seinem Entleiben schlief – wie die Seidenraupe vor der Einpuppung –, ja sogar schnarchte, ist schwerer, als was er nachher tat. Daß Papst Klemens XIIII.37 am Morgen vor seiner Krönung geschlafen, merkt die Weltgeschichte mit Recht an; denn am Abende darauf, da er auf dem Stuhle saß, war es ganz leicht; auf dem Wege zum Throne und auf dessen Stufen wird überall weniger geschlafen und das Auge zugemacht als oben in den weichsten Betten der Ehren und lits de justice. Euere Vergangenheit könnt ihr daher – zu große Tiefen und Höhen darin ausgenommen – mit Vorteil vor dem Einschlafen durchlaufen; aber nicht an den kleinsten Plan und Brief und Aufsatz des nächsten Morgens denken.

8) Für manche geübte gewandte Geister im Kopfe mag das wildeste Springen von Gegen- zu Gegenstand – aber ohne Vergleichungzweck –, mit welchem der Verfasser sich sonst einschläferte, von einiger Brauchbarkeit sein. Eigentlich ist dieses Springenlassen nichts anders, wenn es gut sein will, als das obige Gehenlassen des Gehirns; der Geist läßt das Organ auszucken in Bildern.

9) Seelenlehrer und deren Seelenschüler schläfern sich ein – falls sie wollen –, wenn sie geradezu jede Gedankenreihe ganz vorn abbrechen, die neue wieder und so fort, indem sie sich fragen bei jedem Mächtigen, was sie ausdenken und vollenden möchten »Kann ich denn nicht morgen eine Stunde länger wach liegen und meine Kopfarbeit auf dem Kopfkissen verrichten? Und warum denn nicht?« – Wer aber so wenig Denkkraft hat, daß er sie damit nicht einmal hemmen kann, wo er will, der höre hier wieder ein Ausmittel; nämlich er horche sich innen zu, wie ihm ohne sein Schaffen ein Substantivum nach dem andern zutönt und zufliegt, z.B. mir gestern: »Kaiser – Rotmantel – Purpurschnecke – Stadtrecht – Donnersteine – Hunde – Blutscheu – atque[246] panis – piscis – crinis – Karol magnus – Partebona – et so weiter.«

10) Niemand merkte noch scharf genug darauf, daß er zwei der besten Säemaschinen der Schlummerkörner an seinem eignen Kopfe herumtrage, nämlich seine beiden Gehörgänge, nach außenhin Ohren genannt. Höchstens nahm vielleicht einer und der andere wahr, daß ihm Einschläferndes zufließe durch die Gehörgänge in Hofkirchen, in Redesälen akademischer Mitglieder, in Freimäurerlogen und in Theaterlogen, wiewohl er am hellen Tage wenig Gebrauch davon zu machen wußte; aber ich darf wohl mich als den Erfinder ansehen, welcher die eignen Gehörwerkzeuge, auch ohne alle Unterstützung fremder Sprachwerkzeuge und folglich in der Einsamkeit der Nacht und der Bettstelle, als die besten Schlaftrunkzubringer zuerst beobachtet hat. Wie nämlich Mäzen sich durch Wasserfälle einschläferte, oder wie in den achtziger Jahren der Wunderdoktor Schlippach in der Schweiz ein besonderes Schlafzimmer hatte, worin alle Kranke entschliefen an den um dasselbe niederrauschenden Strömen: so tragen wir alle ja ähnliche Wasserfälle in uns, ich meine die Pulsadern Springbrunnen und Blutadern-Wasserfälle, welche unaufhörlich dicht neben unsern Ohrnerven rauschen, und die jeder – sogar am Tage mit einiger Aufmerksamkeit nach Innen, aber noch lauter in der Nacht auf dem Kopfkissen – vernehmen kann. Nun auf dieses innere Rauschen richte ein Beflißner des Wiedereinschlafens recht bestimmt sein Seelenohr; – und er wird mir danken, wenn er erwacht, und es rühmen, daß er durch mich früher eingeschlafen. Noch trefflicher wirkt dieses zehnte Mittel ein, wenn man ihm noch das sechste als ein adjuvans beimischt, was ich in meiner nächtlichen Praxis selten vergesse.

11) Das eilfte Einschlafmittel ist irgendeine Historie, die man sich metrisch in den freiesten Silbenmaßen vorerzählt. Gewöhnlich nehm' ich des biblischen Josephs Geschichte dazu und halte damit gut sieben, ja bis zwölf Nächte Haus; ich weiß jedoch jedesmal – was mich wundert, ich mir aber nächstens völlig erklären werde –, wo ich im Erzählen stehen geblieben. Dabei hat der Schlaflustige nun zum Glück auf Numerus – der ohnehin[247] schon als Zahl im ersten Schlafmittel – oder auf Wohlklang der im zweiten unter den Tönen vorkommt – nicht die geringste Rücksicht zu nehmen nötig, ebensowenig als auf falsches Verkürzen oder Verlängern der Füße – da nur das Aufziehen und Ausstrecken der leiblichen von Wichtigkeit ist –; kurz der Schlaflustige pfeife auf dem Haberstroh sein Haberrohr, wie er nur mag, und zwar je falscher, je besser; ja wenn er sogar mit allen möglichen unpoetischen Freiheiten jetziger Versübersetzer und Vers- und Sonettenschmiede sich handhabt: so wird er immer noch finden, daß man dichtend leichter hundert Menschen einschläfert als einen einzigen, nämlich sich. Um desto mehr ahme er die gedachten Dichter nach, damit er Schönheiten, die im Bett nur Anstöße wären, möglichst vermeide. So sing' ich wenigstens meine epische Josephiade ab und fange sie jambisch an »Der träum'r'sche Joseph kame einst zu seinen Brüdern, erzählte voller Stolze ihnen seine folg'nden Träume« etc. – so daß ich mich um kein Rezensieren kümmere, sondern mich frage »Stecken denn der Doktor Merkel aus Riga und der Hofrat Müllner aus Weißenfels mit dir unter einer Decke und liegen mit ihren Schlafmützen neben deinem Kopfe rechts und links auf einem Kopfkissen? – Mithin, so dichte nur zu!«

12) Kein gemeines Einschlafmittel – sondern vielmehr ein neues und das zwölfte – ist Buchstabieren unendlich langgestreckter Wörter, wie sie die Kanzleien des Reichstags, des Bundtags, die wienerischen sämtlich, ja die meisten deutschen als höhere bureaux des longitudes uns hinlänglich zulangen und schenken. Einen solchen Kanzlei-Molossus-Koloß nun erstlich sich langsam vorzubuchstabieren – ja zweitens vorher sich ihn gliederweise hinzuschreiben, wäre wohl das Höchste, was ein Schlaflustiger von sich fodern könnte zum Denkpausieren, wenn ich es nicht drittens darüber hinaus zu treiben wüßte durch meinen neuern Kunstgriff, daß ich, ob ich gleich das innere Aussprechen des unabsehlichen Lang-Wortes durch Zerstücken in Silben noch mehr verlängere und diese Silben wieder durch Hinschreiben von neuem auseinanderziehe, mich doch nicht damit begnüge, sondern, wie gesagt, drittens gleich anfangs jeden Buchstaben[248] einer Buchstabiersilbe selber vornehme und ihn geduldig fertig mache und deswegen, anstatt wie ein Schriftgießer zu eilen, der einen schon in die Patrize oder Schriftbunze eingeschnittenen Buchstaben in der kupfernen Matrize einschlagend ausprägt, vielmehr meinen Buchstaben, es sei Spaßes halber z.B. das O im Worte Österreichisches, Punkt nach Punkt oder punktatim durch gelbe Messingnägelköpfe ausfertige, die ich, wie man sonst gepflegt, so lange hintereinander auf einen Kutschenschlag einschlage, bis das O als Zirkel dasteht und ich zum E übergehen müßte – wohin es aber eben nie kommt, weil ich über dem O als Zyklus und Zirkel, den ich mit meinen Nägelköpfen, wie ich will, erweitere, längst in Schlaf gefallen bin, – von welchem schon jetzo ich und wohl die Leser selber durch das bloße langweilige Darstellen auf dem Papier angefallen werden. Nein, kein Argus behielt von allen seinen Augen nicht zwei im Bette offen, zumal da er die Flöte zum Einschläfern selber bläst.

13) Das dreizehnte Seelen- und Bett-Laudanum kann jeder gebrauchen, er habe so viele Ideen, als er will, oder so wenige oder gar keine. Ich schäme mich, es aber anzugeben, da es in nichts Geistigerem besteht als darin, daß man die fünf Finger, einen nach dem andern, langsam auf oder unter dem Deckbette auf- und niederbewegt und fortfährt und daran so lange denkt, bis man, ohne daran zu denken, an kein Aufheben oder Achtgeben mehr denkt, sondern schnarcht. Es ist erbärmlich, daß unser Geist so oft der Mitbelehnte des Leibes ist und besonders hier das Faustrecht der toten Hand und deren Fingersetzung hat, und daß sein geistiger oder geistlicher Arm in der Armröhre des weltlichen steckt. Schlafdurstige, also Schlaftrunkene, z.B. Soldaten, Postillione, schlummern im Reiten und Marschieren halb ein, bloß weil gleiche Bewegungen des Körpers dieselben langweilig-geistigen, die das Gehirn wenig mehr reizen, in sich schließen. Läßt man aber den schlafenden Postillion die Pferde abspannen, einziehen, abschirren und füttern: so wird und bleibt der Mann ganz wach; bloß weil seine (körperlichen und geistigen) Bewegungen jetzt immer etwas anderes anzufangen und abzusetzen haben. Der Grund ist: die Einförmigkeit fehlt. Wenn man[249] in Tangotaboo (nach Forster) die Großen dadurch einschläfert, daß man lange und linde auf ihrem Leibe trommelt: so ist der Grund gar nicht von diesem vorletzten Mittel verschieden. Denn das

14) ist das letzte. Da die Kunst, einzuschlafen, nichts ist als die Kunst, sich selber auf die angenehmste Weise Langweile zu machen – denn im Bette oder Leibe findet man doch keinen andern Gesellschafter als sich –, so taugt alles dazu, was nicht aufhört und ohne Absätze wiederkehrt. Der eine stellt sich auf einen Stern und wirft aus einem Korbe voll Blumen eine nach der andern in den Weltabgrund, um ihn (hofft er) zu füllen; er entschläft aber vorher. Ein anderer stellt sich an eine Kirchentüre und zählt und sieht die Menge ohne Ende, die herauszieht. Ein dritter, z.B. ich selber, reitet um die Erde, eigentlich auf der Wolkenbergstraße des Dunstkreises, auf der wahren, um uns hängenden Bergkette von Riesengebirgen, und reitet (indem er unaufhörlich selber das Roß bewegt) von Wolke zu Wolke und zu Pol-Scheinen und Nebelfeldern, und dann schwimmt er durch langes Blau und durch Äquator-Güsse, und endlich sprengt er zum andern Pole wieder zu uns herauf. – Ein vierter Schlaflustiger setzt irgendeinen Genius bis an den halben Leib in eine lichte Wolke und will ihn mit Rosen rund umlegen und überdecken, die aber alle in die weiche Wolke untersinken; der Mann läßt indes nicht ab und umblümet weiter – in die Runde – und immer fort – und die Blumen weichen – und der Genius ragt – wahrhaftig ich schliefe hier, hielte mich nicht das Schreiben munter, unter demselben selber ein. So wird uns nun der Schlaf- dieses schöne Stilleben des Lebens- von allem zugeführt, was einförmig so fortgeht. So schlafen Menschen über dem Leben selber ein, wenn es kaum acht oder neun Jahrzehende gedauert hat. So könnte sogar dieser muntere Aufsatz den Lesern die Kunst, einzuschlafen, mitteilen, wenn er ganz und gar nicht aufhörte.[250]

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 6, München 1959–1963, S. 238-251.
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