§ 26
Definitionen des Lächerlichen

[102] Das Lächerliche wollte von jeher nicht in die Definitionen der Philosophen gehen – ausgenommen unwillkürlich –, bloß weil die Empfindung desselben so viele Gestalten annimmt, als es Ungestalten gibt; unter allen Empfindungen hat sie allein einen unerschöpflichen Stoff, die Anzahl der krummen Linien. Schon Cicero und Quinctilian finden das Lächerliche widerspenstig gegen jede Beschreibung desselben und diesen Proteus sogar in seinen Verwandlungen gefährlich für einen, der ihn in einer fesseln wollte. Auch die neue kantische, daß das Lächerliche von einer plötzlichen Auflösung einer Erwartung in ein Nichts entstehe, hat vieles wider sich. Erstlich nicht jedes Nichts tut es, nicht das unmoralische, nicht das vernünftige oder unsinnliche, nicht das pathetische des Schmerzes, des Genusses. Zweitens lacht man oft, wenn die Erwartung des Nichts sich in ein Etwas auflöset. Drittens wird ja jede Erwartung in ganzen humoristischen Stimmungen und Darstellungen sogleich auf der Schwelle zurückgelassen Ferner wird dadurch mehr das Epigramm und eine gewisse Art Witz beschrieben, welche Großes mit Kleinem paart. Aber an und für sich wird damit kein Lachen erweckt, so wenig als durch die Nebeneinanderstellung des Seraphs und des Wurms; und es brächte auch der Definition mehr Schaden als Vorteil, da die Wirkung dieselbe bleibt, wenn der Wurm zuerst kommt und dann der Seraph.

Endlich ist die Erklärung so unbestimmt und dadurch so wahr, als wenn ich sagte: das Lächerliche besteht in der plötzlichen Auflösung der Erwartung von etwas Ernsten in ein lächerliches Nichts. Die alte Definition von Aristoteles – welcher Argus von Blick und Geryon von Gelehrsamkeit überhaupt nie vorbeizugehen ist steht wenigstens auf der Bahn des Ziels, wiewohl nicht am Ziele, nämlich diese, daß das Lächerliche aus einer unschädlichen Ungereimtheit[102] entstehe. Aber weder die unschädliche der Tiere, noch die der Wahnsinnigen ist komisch; noch die größten ganzer Völker sinds, z.B. die der Kamtschadalen, welche ihren Gott Kulka seinen eigenen gefrornen Unrat für eine Schönheitgöttin der Liebe vor dessen Auftauen halten lassen. Flögel58 will Linguets Meinung über die Giftigkeit des Brots, Rousseaus seine über die Vorzüglichkeit des Wilden-Lebens, oder die des dumpfen verächtlichen Schwärmers Postels, daß seine venezianische Hure Johanna die Welterlöserin der Weiber sei, von komischer Wirkung finden; aber wie sollen bloße Irrtümer, von welchen jeder Büchersaal wimmelt, ohne darum ein théatre aux Italiens oder des varietés amusantes zu sein, sich zu komischen Reizen ohne die Aussteuer der Kunst verschönern? – So irrig nun Flögel die bloße geistige Ungereimtheit ohne Verkörperung komisch findet: ebenso irrig nimmt er wieder körperliche Ungereimtheit ohne Vergeistigung für komisch, wenn er bei dem plastischen Höllen-Breughel, dem Prinzen von Pallagonia in Palermo, z.B. das Relief von Christi Leiden neben einem Gauklertanz oder den Neger zu Pferde gegenüber einem römischen Kaiser mit doppelter Nase lächerlich findet; denn diesen Verschiebungen der plastischen Wirklichkeit mangelt, wie dem Menschenzerrbilde, dem Tiere, die geistige Bedeutung.

Der scharfsinnige Rezensent der Vorschule in der Jenaer Literaturzeitung setzt das Komische in Unterbrechung der Totalität des Verstandes. Da es aber mehre solcher Unterbrechungen gibt – vom ernsten Irrtum bis zum Wahnsinn –, so muß die komische eben erst von jeder andern abgeschieden werden durch eine Definition des Komischen selber (später mehr über die geistreichen Einwürfe dieses Rezensenten). – Schiller erklärt die komische Poesie für ein Herunterziehen des Gegenstandes noch unter die Wirklichkeit selber. Aber der Unterschied, der das ernste Ideal so unerreichbar weit über die Wirklichkeit hinaushebt, läßt sich bei dem Komischen nicht durch Umkehrung anwenden, da die Wirklichkeit selber das Komische beherbergt und der Narr der Bühne zuweilen unverstümmelt auch im Leben erscheint, obwohl[103] nie der tragische Held. Und wie sollte uns eine verrenkte vertiefte Wirklichkeit erfreuen, da uns schon die natürliche prosaische betrübt? In jedem Falle geht dem Herabziehen unter die Wirklichkeit, welches ja der ernste Dichter auch am Sünder ausübt, die absondernde Entscheidung des Komischen ab.

Die neuere Schlegel-Schelling-Astische Definition des Komischen, daß dasselbe, z.B. die Komödie, »die Darstellung der idealen unendlichen Freiheit, also des negativen unendlichen Lebens oder der unendlichen Bestimmbarkeit und Willkür sei«, lass' ich hier sich mit der allerneuesten, aber für den Künstler mehr brauchbaren von St. Schütz59 herumschlagen, welche das Komische für die Anschauung des Zwiespalts und des Siegs zwischen Notwendigkeit und Freiheit erklärt. Auch diesem Siege, welcher oft in Krankheit, Ohnmacht, unverschuldeter Armut, ehrenvollem Erliegen unter Überzahl ohne die Wirkung des Komischen erscheint, muß erst seine komische Kraft durch ausschließende Merkmale zugesichert werden.

Doch wozu langes Ankämpfen gegen fremde Definitionen? Man stelle die eigne hin, und jene sterben an ihr von selber, falls sie taugt, wie Adlerfedern andere Federn in der Nähe zerstören Es kann ohnehin ein Autor, wenn er auch sonst wünschte und vermöchte, nicht allen feindlichen Definitionen begegnen, da deren so viele und vielleicht die meisten erst nach seinem Tode gegen ihn auftreten und ausrücken, so daß er nach seinem Begräbnis zuletzt doch seiner eigenen immer den ganzen Sieg anheimstellen muß.

Übrigens haben wir später außer unserer Definition des Lächerlichen noch etwas zu suchen, das noch schwerer gefunden wird, nämlich die Ursache, warum uns dasselbe, obgleich als die Empfindung einer Unvollkommenheit, doch Vergnügen gewährt und zwar nicht nur in der Dichtkunst – welche auch auf den Schimmel Blüten und an dem Sarge Blumenstücke gibt –, sondern im trockenen Leben selber.

Man holet eine Empfindung am besten aus, wenn man sie um ihre entgegengesetzte befragt. Welche ist nun der Gegenschein[104] des Lächerlichen? Weder das Tragische, noch das Sentimentale ist es, wie schon die Wörter tragi-komisch und weinerliche Komödie beweisen. Shakespeare treibt mitten im Feuer des Pathos seine humoristischen nordischen Gewächse so unverletzt als in der Kälte des Lustspiels in die Höhe. Ja seine bloße Sukzession des Pathetischen und Komischen verwandelt ein Sterne gar in ein Simultaneum beider.

Man stelle aber einmal eine einzige lustige Zeile von beiden in ein heroisches Epos – und sie löset es auf. Verlachen, d.h. moralischer Unwille, verträgt sich in Homer, Milton, Klopstock mit der Dauer der erhabenen Empfindung; aber nie das Lachen. Kurz der Erbfeind des Erhabenen ist das Lächerliche60; und komisches Heldengedicht ist ein Widerspruch und sollte heißen das komische Epos. Folglich ist das Lächerliche das unendliche Kleine; und worin besteht diese ideale Kleinheit?

58

Dessen Geschichte der komischen Literatur I. B.

59

In der Zeitung für die elegante Welt. Febr. 1812.

60

Im 3ten Band des neu aufgelegten Hesperus S. 3 sagt' ich es unentwickelt. Ich merk' es an, damit man nicht glaube, daß ich meine eignen Diebe bestehle, wie es zuweilen scheinen kann. Der sonst treffliche Ästhetiker Platner setzt »die Schönheit in eine gemäßigte Mischung des Erhabnen und des Lustigen«. Durch die Addition einer positiven und einer negativen Größe bekommt ein definierender Philosoph allerdings den leeren Raum, in welchen die Anschauung des Lesers recht gut den verlangten Gegenstand unbefleckt hineinsetzen kann.

Quelle:
Jean Paul: Werke. Band 5, München 1959–1963, S. 102-105.
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