Die Fahrt der Königlichen Braut nach Engelland

[84] (Im August 1761.)


Die Sonn' am blauen himmlischen Gewölbe

Stand majestätisch, sah herab

Als Englands Königin auf der beschiften Elbe

Aus sanftem Auge Grüsse gab.


Mit ihres Fahrzeugs Purpurdecke spielten

Die Lüfte; ihrer freuten sich

Durchdrungne Seelen, die den Reiz des Blikkes fühlten,

Der einer Göttin Blikke glich.


Cleopatra, die auf dem Schiff von Golde

Den Marc-Anton erobern fuhr,

Saß nicht so prächtig als die jugendliche holde,

Ganz Menschenliebe, ganz Natur!
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Das Meer empfing sie, Ehrfurcht in den Blikken

Wieß rund um sie ein Nimphen Heer!

Agänors Tochter fuhr auf Jovis Rinder Rücken

Nicht so bewundert durch das Meer.


Vor ihrer Flotte scherzten die Delphine,

Und voll Erstaunen rief Neptun:

Sie hat der Juno Aug' und der Minerva Miene

Bey welchem Gotte wird sie ruhn?


Auf Muscheln bliesen festlich die Tritonen,

Die Wellen wurden selbst ein Lied;

Glückwünschend an das Volk, bey welchem sie zu wohnen

Kühn über wilde Wellen zieht!


Und Zeus verschloß den Sturmwind und den Regen;

Still, wie ihr Herz, war Luft und See.

Nur Wünsche flatterten von London ihr entgegen,

Daß ihre Fahrt mit Flügeln geh.

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 84-86.
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