[259] (Im August 1762.)
Held! der in tapfrer Hand verdeckte Keile trägt,
Biß schlangenförmig hin und wieder
Sein Blitz die Luft durchfährt, und schnell zur Erde nieder
Des stolzen Frankreichs Fahnen schlägt.
O Sieger! heiß Dein Heer, heiß Deinen Donner schweigen,
Nur einen Augenblick verweil und merk auf mich;
Und, unter frischen Lorbeerzweigen
Zu mir herunter neige sich[260]
Dein offnes Ohr, und höre Klagen!
Auf einem Schutte sing ich Dir,
Unaufgeräumt, unabgetragen;
Ein Tempel Gottes war er einst.
O Du, der Du nach jedem Siege
Die Thräne der Erbarmung weinst,
Und menschlich fühlst im wilden Kriege;
Empfinde dieser kleinen Stadt
Zu schwer gewordnen Gram, und höre
Mich, wegen unsers Gottes Ehre,
Der prächtig hier gewohnet hat,
Als von den Umfang hoher Bühnen
Sein Lobgesang erscholl, und festlich am Altar
Der ganz mit Gold bezogen war,
Die Priester standen, dem zu dienen
Der Deine grosse Seele liebt,
Und in die Flucht vor Dir, des Feindes Haufen giebt!
In seinem Namen darf ich kühn Dein Herz beschwören
Bis es auf diesen Aschenhügel blickt,[261]
Der übrig blieb, als Glut das Heiligthum verzehren
In einer Stunde kam1 und bey dem Schutt gebückt
Der arme Bürgerstand, den itzt der Krieg erdrückt;
Nichts blieb ihm übrig, als nur schlecht bedecktes Leben,
Nicht möglich ist ihm aus dem Staub
Das Gotteshaus empor zu heben;
Sein Brod, von schwerem Fleiß ihm vor den Mund gegeben,
Ward oft des schnell zurück gekommnen Feindes Raub,
Der auch den allerletzten Bissen
Mit Drohung, und mit Fluch ihm aus der Hand gerissen,
Und taub bey seinen Klagen blieb,
Ganz ohne menschliches Gefühle,
Nur Spott mit seinen Thränen trieb,
Und drohend nannte den Bellisle,
Den vormals mit getreuer Hand
Die Stadt gefangen nahm, und zu Georgens Füssen[262]
Als Krieges-Opfer ihn gesandt:2
Dis wollt er nun zu rächen wissen,
Drum hat er seinen Blick in jene Zeit gewandt,
Und grimmiger gehäuft der armen Bürger Plagen,
Die, ganz betäubt von Gram, des Feindes Trotz und Spott,
Dem höchsten Richter, ihrem Gott,
In einem Bretterhause klagen.
O Held, o Menschenfreund! wenn in des Winters Tagen
Vom Harzgebürg die rauhe Luft
Herabstürmt an die dünnen Wände,
Dann zittern dieses Volkes Hände,
Das hier versammlet ist, und laut zum Himmel ruft:
Laß Dich bewegen seine Zähre,
Und gieb nur einen Wink, so wird bey Deinem Heere[263]
Gesammlet zu dem Bau, daß er von statten geh.
Der edelmüthige und gut geherzte Britte
Giebt reichlich, wird belohnt von Gott, der auf der See
Die Flotten Albions heißt unumschränkt regieren,
Und ihre Feinde schreckt, daß sie den Muth verlieren,
Und Insuln giebt in ihre Hand.
Herr! durch das Lächeln Deiner Blicke,
Wird jedes Herz mir zugewandt.
Mein ist die Wohlthat, mein das Glücke,
Das den Bedrängten wiederfährt,
Und meine Seele weinet Freuden,
Wenn Deine Fürstenhuld der armen Stadt gewährt
Ihr Bethhaus besser einzukleiden,
Und Glocken auf den Thurn zu ziehn.
O tausend Herzen werden glühn,
Für Dich Gelübde thun, sich über Dich ergötzen;[264]
Und tief in ertzne Tafeln ätzen
Wird ihre Pflicht mit Künstler Hand:
»Der Feldherr Friederichs, der grosse Ferdinand
Ließ diesen Altar baun, und diese Pfeiler setzen.«
1 Die Hannöversche Stadt Elbingerode wurde im Jahr 1759 fast gänzlich in die Asche gelegt.
2 Es ist bekannt, daß im Jahr 1744 der französische Minister Herzog von Bellisle an diesem Orte gefangen genommen wurde.
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Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.
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