An den Apoll,

daß er die Leyer zurücknehmen möchte

[28] (Als sie zu Berlin wegen Mangel an Quartieren einige Zeitlang in einer Dachstube wohnen mußte.)


1763.


Apoll! nimm deine Leyer wieder

Des Flakkus Töne fehlen ihr,

Er sang im dunklen Walde Lieder

Und vor ihm staunete das Thier.


Die Wölfinn ging für ihre Jungen

Nach Nahrung, und vergaß den Raub,

Und horchte was Horaz gesungen,

Und nagte, gleich der Ziege, Laub.


Der Tiger und der Löwe ließen

Ein lange Zeit verfolgtes Reh,

Und hörten den gesungnen, süßen,

Reizvollen Namen: Lalage.
[28]

Ich aber kann durch diese Leyer

Nicht öffnen deines Friedrichs Ohr;

Mir stellt der Traum oft Ungeheuer

In meiner dunklen Kammer vor.


In ihr seufz' ich oft mitternächtlich

Herauf zum nachbarlichen Mond,

Daß ich dem Pöbel bin verächtlich,

Der Gold besitzt und besser wohnt.


Mich in dem Winkel unterm Dache

Nennt er ein schlechtgebornes Weib;

Und fordert, daß er vornehm lache,

Von mir ein Lied zum Zeitvertreib.


O helfender Apoll! geschändet

Wirst du, wenn deine Vaterhand

Mir nicht die goldnen Saiten sendet,

Die der Sabiner aufgespannt,


Wenn mich des dritten Cäsars Rechte

Nicht über Glück und Pöbel hebt,

Weit unter dem Bezirk der Nächte

Hoch, wie der Tiberschwan geschwebt.
[29]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 28-30.
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