An den jüngstgebornen Prinz Friedrich Carl Ludwig von Preussen in Seiner Wiege

[55] Den 19ten November 1773.


Zweyter Sohn der kinderreichen

Friederika, sey gegrüßt!

Welchem Helden soll ich dich vergleichen,

Welchen jungen Gott umschließt

Dieser Adern zart Gewebe,

Diese sammetweiche Haut?

Bist du nicht der milden Phöbe

Schönem Bruder gleich gebaut?[55]

Ha! Du blickest wie der weise

Große Vater Friederich. –

Bey der Tafel liegst du einst dem Greise

An der Brust, und jüngerlich

Hängst Du an Ihn mit den Augen,

Lässest Deinen Nektar stehn,

Um die Reden einzusaugen

Die aus Seinem Munde gehn.

Lächle Ihm und beyden Müttern

Deiner frohen Aeltern zu:

Laß uns nicht für Deine Tage zittern.

Denn Geliebter, ehe Du

Diesen Gliederbau bezogen,

Ist schon mancher junge Fürst

Von dem Throne fortgeflogen,

Den Du mitbeschützen wirst. –

Theurer Prinz bleib auf der Erde,

Wo Du sehr willkommen bist;

Bleib bey Deinem Bruder hier, und werde

Ihm dereinst, was Heinrich ist

Seinem Bruder unserm König

Unserm väterlichen Freund,

Dem ein Seculum zu wenig

Zeit zum Thatenraume scheint.[56]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 55-57.
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