An den regierenden Reichsgrafen von Stollberg-Wernigerode über die Freude, Seinen einzigen Enkel glücklich vermählt zu sehen

[110] Im November 1768.


Du, den ich lange schon verehrte

Im Sohne, der Dir ähnlich sieht,

Und hundertmal mein Lied mit Wohlgefallen hörte,

Vernimm jezt auch mein Lied.


Graf, der in aufgeklärten Mienen

Dem Patriarchen gleichend ist,

Vor dessen Angesicht der Herr Dein Gott erschienen,

Dem Du gewidmet bist.
[110]

Du liebenswürdiger Gebieter

Des Volkes, das Dich »Vater« grüßt,

O Du beglückter Greis, der dieses Lebens Güter

Im hohen Grad genießt.


Was muß Dein Herz für Freude schmecken!

So froh war vormals Abraham,

Als seiner Sarah Sohn vertraulich mit Rebeccen

In ihre Hütte kam.


So froh war Jacob einst in Gosert,

Wenn Joseph kam, und neben ihn,

Die Asnath sein Gemahl, den Alten liebzukosen,

Der ganz entzücket schien.


Dein jüngster lieber Stammerhalter,

Dein Enkel Christian, der Graf,

Der tausend Jünglinge von einem gleichen Alter,

An Weisheit übertraf;


Bringt seine schöne Neuvermählte,

Mit allen Reizungen geziert,

Und mit mehr Tugenden, als sie schon Jahre zählte,

An Seinen Arm geführt.
[111]

Jezt schlägt Dein Herzenspuls geschwinder,

Jezt lächelst Du Sie liebreich an,

Und sprichst: »komm näher, kommt in meinen Arm, Ihr Kinder,

Daß ich Euch seegnen kann.


Komm her, Du Dritte meiner Töchter,

Du, wie des Frühlingsblume, schön,

Wachs in viel Tausende, bis Thronen und Geschlechter

Auf Erden untergehn.


Und Du, mein Sohn, der Du den Namen

Des Gottes Deiner Väter ehrst:

Der Herr behüte Dich, damit Du Deinem Saamen

Einst seine Wege lehrst.«
[112]

Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 110-113.
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