Wegen Milon

[287] Beim Geräusch des Schauspieltanzes

Wurden neulich durch die Hand

Unsres Tänzebilders Lanzes

Hundert Kerzen angebrannt.

Alle Götter blickten nieder;

Denn es war olympisch Licht,

Morgen (sagt ich) seh ichs wieder;

Aber Milon, der so lieblich spricht,

Milon sprach: »Verbrenne du nur nicht

Wenn die Flamme jener Kerzen

Diesen Vorhang hier ergreift,

Und urplötzlich weiter läuft.«[287]

Würd es wohl dem Manne schmerzen,

Der noch nie daran gedacht,

Daß die Glut in meinem Herzen,

Die sein Lächeln angefacht,

Die er ungekühlt läßt brennen,

Mich zum Aschenhäufchen macht?


Quelle:
Anna Louisa Karsch: Gedichte von Anna Louisa Karschin, geb. Dürbach. Berlin 1792, S. 287-288.
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