Das neue glückhafte Schiff

[186] Erinnerung an die Lustfahrt, welche am Schlusse des eidgenössischen Gesangfestes 1858 zu Ehren der elsässischen Sänger auf dem Zürichsee stattfand. Auf dem Schiffe glänzte vor allem das von Straßburg den Zürchern gebrachte Geschenk eines schönen Trinkhornes, das jetzt die Stadtbibliothek bewahrt.


Die Freundschaft fuhr auf klaren Wogen,

Das Schiff war wahrlich gut bemannt!

In heitrer Luft vereinigt flogen

Die alten Banner wohlbekannt;

Und aus der Tiefe rauscht' die Sage

Verwundrungsvoll ans Licht empor,

Sie, die im Glanz verschwundner Tage

Einst auf dem Rhein zum Festgelage

Sah fahren schneller Männer Chor.


Wir hoben singend aus den Wellen

Die viermal hundertjähr'ge Fee;

Sie schaute lachend uns Gesellen,

Das Glanzgestad, den blauen See;

Sie sah ein Kleinod leuchtend schwenken,

Das Horn in Gold und Elfenbein,

Wie's reiche Treu nur kann erdenken,

Als gält es, Helden draus zu tränken –

Das blitzt' im Julisonnenschein.


Sie neigte trinkend sich zum Horne

Und wurde jung vom goldnen Schaum;

Begeistert rief die schöne Norne:

»Es ist ein Traum und doch kein Traum!

So seid ihr Männer von den gleichen,

Die ich zusammen einst geführt,

Von jenen mut- und freudereichen,[187]

Die da nicht wanken und nicht weichen,

Wo keck zu leben sich's gebührt?«


Wohl sind wir andre, doch wir wohnen

Im Haus, das jene aufgebaut;

Noch hüten wir die Mauerkronen,

Von denen jene ausgeschaut.

Wir hoffen, da noch Trauben reifen,

Es jenen Alten nachzutun,

Ein gutes Ziel nicht bloß zu streifen,

Das Steuer recht und fest zu greifen

Und niemals vor der Tat zu ruhn!


Nun stieg ein Eiland aus den Fluten,

Da sprang die Freundschaft an den Strand;

Wir knüpften neu der Wohlgemuten

Im Grünen jedes schmucke Band.

Manch schönes Aug war zu gewahren

Im holden Hin- und Widergehn;

So mögen noch der Enkel Scharen

Die Flut des Lebens froh befahren

Und unsre Städte fortbestehn!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 186-188.
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