Liebslied an die Weinflasche

[97] – – – – jocos

Quid vetat innocuos? – –

Vanierius.


O Flasche, voll vom Saft der rheinschen Traube,

Du Schmuck der Welt!

Beglückt ist der, der in der Rosenlaube

Im Arm dich hält!


Nun du mich liebst, ist gut und schlimm Geschicke

Mir gänzlich gleich;

Du bist mein Trost, mein Leben, Ruh und Glücke,

Und Himmelreich.


Wenn andre sich in Grausame vergaffen,

O wie lach ich

Der Thoren! Du bist für mein Herz erschaffen,

Und ich für dich.
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Du stärkst den Muth und führest Himmels-Freuden

In meine Brust.

Des Waßers Freund muß Pein und Schwermuth leiden,

Und mißen Lust.


Fiel Adam wohl, der Trauben gnug verschlucket,

Dadurch in Noth?

Der Biß in Frucht, aus der man Cider1 drucket,

Verdiente Tod.


Bleib mir forthin, was du mir stets gewesen,

Mein Ruhm und Heil!

Dich hab ich mir aus einer Welt erlesen,

Zum besten Theil.


Und sterb ich einst, so wein auf meine Asche,

Und schluchz betrübt:

Hier ruhet der, der mich gekränkte Flasche

Getreu geliebt.

Fußnoten

1 Ein altes deutsches Wort, das Äpfelmost bedeutet.


Quelle:
Ewald Christian von Kleist: Sämtliche Werke. Stuttgart 1971, S. 97-98.
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