Das dreyzehende Buch.

[359] Der Graf von Rivera sandt den andern Morgen, mit anbrechendem Tag, einen Botten nach Argilia, und ließ seinen Leuten befehlen, sich sogleich von dannen aufzumachen, und nach Christianopolis zu kommen. Es war eine Stunde nach Mittag als sie da anlangten; Der Graf ließ sich darauf, als ob er mit ihnen gekommen war, bey Hofe melden; Der Fürst sandt sogleich einen Cavalier zu ihm, denselben in seinem Namen zu bewillkommen, und ihm das Quartier bey Hofe anzubieten. Der Graf, der solches vorher vermuthet hatte, war deswegen mit seinem Cheruscischen Edelmann ausgegangen: Sein Secretarius aber empfieng die Bottschaft des Fürstens, und hinterbrachte ihm solche.

Der Fürst schickte darauf gegen Abend seinen mit sechs Pferden bespannten Staats-Wagen, nebst noch zwey einspännigen Gutschen mit einigen Cavalieren vor den Gast-Hof, um den Grafen abzuholen. Dieser kleidete sich aufs beste: seine Leute giengen in kostbarer Liberey vorher, und er fuhr auf diese Art in einem ansehnlichen Gepränge nach der Burg. Der junge Prinz empfieng ihn unten im Hof an der Treppe; und oben erwartete ihn der[360] Fürst. Der Graf wolte ihm den Rock und darauf die Hand küssen; der Fürst aber ließ beydes nicht zu, sondern schloß ihn in seine Arme.

Die Bestürzung des Fürstens war ungemein, als er in der Person des Grafens den vermeynten Halycidonischen Arzt erblickte. Er gab ihm solche zu erkennen: Ew. Durchleucht, entschuldigte sich der Graf, werden mir meine gestrige Verstellung zur Gnade halten; weil mich ein Zufall so unvermuthet zu einem Doctor gemacht hatte; und ich nicht glaubte die Gnade zu haben, in diesem Caracter vor Ew. Durchleucht zu erscheinen.

Der Fürst brachte darauf den Grafen zu seiner Gemahlin und den Prinzeßinnen: diese waren nicht weniger, als der Fürst, verwundert, den gestrigen Doctor so hurtig in den Grafen von Rivera verwandelt zu sehen. Die Damen sassen in einem grosen mit Lichtern erhellten Zimmer. Die Cavaliers aber fanden sich meistens bey dem Fürsten und dem jungen Prinzen im Vorsaal, wo eine schöne Music sich hören ließ. Die älteste Prinzeßin erröthete, als ihr der Graf seine Ehrerbietung bezeigte: Sie konte einem gewissen Eindruck, welchen ihr derselbe bey dem ersten Anblick gegeben hatte, nicht widerstehen; sie glaubte, daß er nicht ohne besondere Absichten an ihres Herrn Vaters Hofe gkommen sey: ihr Herz sagte ihr heimlich, daß sie daran einigen[361] Antheil hatte; doch konte sie diese Regungen bey sich selbst nicht entwickeln, noch sich eigentlich vorstellen, was sie muthmassen solte. Sie fragte den Grafen, nachdem sie ihn als einen Königlichen Abgesandten bewillkommet, wer sich nun ihrer armen Marianen annehmen würde, weil er derselben schwerlich mehr Recepten verschreiben dürfte? Der Doctor, ohne den Grafen von Rivera, war dessen Antwort, hätte dieser liebenswürdigen Fräulein wenig zu ihrer Genesung behülflich seyn können.

Der Fürst hatte dem Grafen zu verstehen gegeben, daß er sich an seinem Hof einer völligen Freyheit bedienen könte. Ich habe jederzeit, sprach er zu demselben, den Zwang und ein nichts bedeutendes Ceremoniel gehaßt; weil ich gefunden, daß dabey die Aufrichtigkeit leidet, und die gröste Anmuth in der menschlichen Gesellschaft gehindert wird. Dieses waren auch die Meynungen des Grafens: Er hatte an dem Licatischen Hof darüber lang genug leiden müssen, um sich nach dem daselbst eingeführten steifen Gepränge zu richten: Dieser Zwang war seinem natürlichen Wesen sehr zuwider: Er nahm deswegen die Freyheit, welche ihm der leutselige Fürst anbot, mit aller Bescheidenheit an; doch hielt er sich meistentheils aus Wohlstand um dessen Person.

Nach geendigtem Concert führte der Graf die Fürstin zur Tafel. Sie bestund aus den[362] Fürstlichen Personen, wobey nur des Prinzen Hofmeister, und die Fräulein von Thurris sich befanden.

Nach ein und andern Gesprächen bey der Tafel sagte die Fürstin, daß sie nicht begreiffen könte, wie der Graf, durch seine verborgene Wissenschaften, die Begebenheiten der Fräulein von Thurris hätte entdecken können. Es ist solches ganz natürlich zugegangen, erklärte sich dieser hierauf. Ihr Durchleucht, die Prinzeßin, tranken gestern Abend über Tafel, der Fräulein von Thurris, mit einem heimlichen Winken, die Gesundheit zu: Es lebe Riesenburg: Ich wurde solches gewahr. Der Name Riesenburg machte mich aufmerksam: Wie, dachte ich bey mir selbst, solte dieses wohl die Fräulein von Thurris seyn? Ich betrachtete sie darauf genauer: ich erkante an ihr diejenige Züge, wie mir der Freyherr von Riesenburg solche beschrieben hatte. Dieser Cavalier ist mein bester Freund in der Welt: Er hat mir mein Leben in der Schlacht bey Philippol gerettet: Ich weiß um alle seine Geheimnüsse: und wie er aus Noth wär gezwungen, ihren wilden Bruder im Zweykampf erschossen hat.

Nun ist sein gröstes Anliegen, sie in der Welt auszuforschen: Ich selbst habe mir bisher deswegen alle ersinnliche Müh gegeben: Ich erfuhr in Mönnisburg von einem Cavalier, der die Ehre hat, ihr verwandt zu seyn,[363] daß sie sich hier aufhalten solte. Ew. Durchl. urtheilen demnach von meinem Vergnügen, da ich allhier dieselbe so glücklich entdecket habe.

Die Fräulein von Thurris war durch diese Erzehlung auf das heftigste gerühret: ihr Gesicht umzog auf einmahl eine starke Röthe, die Thränen rollten von ihren Wangen; sie getrauete sich ihre Augen kaum empor zu heben.

Die älteste Prinzessin war über diese angenehme Begebenheit schier so sehr, als die Fräulein selbst bewegt. Die ganze Gesellschafft wünschte dieser schönen Fräulein zu einer so frohen Nachricht Glück. Sie warf endlich selbst einen holden Blick auf den Grafen, der ihm so viel sagen wolte, daß sie, was sie empfände, nicht auszusprechen wüste. Man redete von nichts, als von der Geschicht des Freyherrn von Riesenburg und der Fräulein von Thurris: Der Graf und die Fräulein konten über alles, was man sie darüber fragte, nicht gnug Antwort geben.

Man stund endlich von der Tafel auf: die Prinzessin und die Fräulein hätten gern mit dem Grafen wieder allein gesprochen: der Fürst aber verließ ihn nicht, als bis es Zeit war schlafen zu gehen; ihr Gespräch war von der Beschaffenheit der vornehmsten Europäischen Höfen: der Graf bewunderte hier die hohe Staats-Einsichten des Fürstens. Der Hof-Marschall nebst einem Cammer-Juncker und dem Haus-Hofmeister,[364] begleiteten darauf den Grafen nach den vor ihn zubereiteten Zimmern, welche sehr prächtig ausgezieret waren.

Die angenehme Frühlings-Zeit eröfnete sich damals mit sehr lieblichen Tagen. Des Grafens Zimmer stiessen auf ein kleines Lust-Gehölze, worinnen die Nachtigallen und andere Vögel sich auf die anmuthigste Weise hören liessen. Er war kaum erwacht, so lockte ihn dieses liebliche Spiel der Natur an das Fenster. Er begleitete solches mit seinen Gedanken, und gieng endlich selbst hinunter in den Garten.

Er kam, als er eine Weile darin fortgegangen war, in einen mit jungen Buchen dicht bewachsenen Hayn; er fand hier verschiedene Gras-Bänke, die einen runden Behälter umzogen, aus dessen Mitte das Wasser sich beständig in die Höhe trieb: nechst dabey stund ein erhabenes mit Moos und Gras bedecktes Gemäuer, über welches ein kleiner Bach mit einem sanften Rauschen, durch verschiedene Abfälle sich in den Behälter ausstürzte. Man sah darin als in einem klaren Spiegel, die daherum stehende Gebüsch und Bäume, nach dem Leben abgeschildert. Die Kunst hatte hier mit Hand angeleget; nicht zwar, wie sie sonsten pfleget, die Natur zu zwingen, sondern nur ihre Annehmlichkeiten desto mehr ins Auge zu setzen.[365]

Der Graf betrachtete diese holdselige Einöde mit Entzücken: der Geist der Dicht-Kunst, welcher in diesen Haynen wohnet, überfiel ihn: alle seine Gedanken flossen von sich selbst in leichte Reimen: er nahm seine Schreibtafel, und hatte kaum einige Worte nieder geschrieben, so zeigte sich die Prinzeßin vor ihm: sie war von der Fräulein von Thurris begleitet. Der Graf, als er ihrer gewahr wurde, sprang hurtig von seiner Stelle auf, und bezeigte der Prinzeßin seine Ehrerbietung, indem er aber seine Schreibtafel einstecken wolte, lies er solche ins Gras fallen. Mariane hub solche auf: Der Graf bot unterdessen der Prinzeßin die Hand. Die Neugierigkeiten ist dem weiblichen Geschlecht natürlich. Mariane blätterte in der Schreibtafel hin und wieder: sie bedeckte solche vor den Augen des Grafens mit ihrem Fächer, indem sie hinter ihm her gieng, sie ärgerte sich gewaltig, daß sie darinn eine Schreib-Art fand, die sie nicht verstund; es waren meist Ziefer und fremde Buchstaben: nebst einigen Sinn- und Aufschriften in Lateinischer und Ligurischer Sprach. Endlich kam sie auf folgende Reimen:


Ich liebe / was mich selbst der Himmel lieben macht /

Wo Geist und Tugend herrscht / wo holde Schönheit lacht;

Doch / ein zu groses Glück muß hier mein Unglück seyn /

Was Iris macht zu gros / das macht mich allzuklein.
[366]

Diese Reimen waren anfangs der Marianen ein Räthsel; sie legte solches dahin aus, daß der Graf eine hohe Person lieben müste, welche er zu erlangen keine Hofnung hatte: sie gerieth darüber auf die Ge danken, daß solche die Prinzeßin wäre; dann sie hatte so wohl an ihr, als an dem Grafen, eine sonderbare Bewegung beobachtet, als sie einander zum erstenmahl waren ansichtig worden. Die Menschen urtheilen ins gemein andere nach sich selbst, und wer etwas empfindet, der bildet sich solches leicht auch von andern ein.

Die Printzeßin war sonst von einem hohen und ernsthaften Wesen: sie wuste nichts von den Schwachheiten der Liebe; sie hatte zwar ein zärtliches Herze, aber auch eine gleiche Stärke des Geistes, die allen Anfällen der Liebe gewachsen war, und wo sie nicht das Mitleiden für andere, und die grosmüthige Neigung sie glücklich zu machen, bewegte, so würde sie von keiner leidenden Gemüths-Beschaffenheit bisher etwas gewust haben. So sahe die Prinzeßin aus, wie der Graf nach Hofe kam: sie empfand etwas für ihn, welches sie nicht zu nennen wuste, Liebe konte es nicht seyn, denn er erschien als ein Arzt, sie war eine Prinzeßin, sie wuste es: sie empfand noch mehr, da er als ein Graf und als ein Abgesandter eines grosen Königs sich ihr vor Augen stellte; doch war diese Empfindung mehr eine Hochachtung, als eine Leidenschaft, sie dachte nicht daran, daß sie Gefahr[367] hätte, von den Reitzungen der Liebe sich einnehmen zu lassen.

Sie kam nach einem kleinen Spatziergang mit dem Grafen in die Einöde zurück; Mariane hatte hier des Grafens Schreibtafel wieder unvermerkt ins Gras geworfen; die Prinzessin erblickte solche, was seh ich hier, sprach sie, indem sie darnach sich bücken und solche aufheben wolte. Der Graf aber kam ihr hurtig darin zuwor, und war nicht wenig bestürzt, an einem solchen Ort seine Schreibtafel zu finden.

Der Graf bat darauf die Fräulein, ihm von ihren bisherigen Begebenheiten Nachricht zu ertheilen: in Hofnung, die Prinzeßin würde noch so lange mit ihr im Garten verweilen. Die Prinzessin ließ sich solches gefallen, sie setzten sich zusammen auf eine Gras-Bank, welche von hohen Linden-Bäumen überschattet wurde, und Mariane begunte ihre Erzehlung folgender Gestallt:


* * *


So bald hatte nicht der Freyherr von Riesenburg in Monaco von mir Abschied genommen, so fand ich mich in einem Zustand, der durchaus betrübt war. Ich wuste nichts von mir: man hatte mich zu Bette gebracht, und mir eine Ader geöfnet; worauf ich wieder zu mir selbst kam. Meine Mutter hatte Mitleiden mit mir; doch wie sie von einem standhaften[368] Wesen war, so redete sie mir auch ernstlich ein, daß ich mich nicht also von der Liebe müste verzärtlen lassen. Man hat in dieser Welt, sprach sie, gar mancherley Zufälle und Wiederwärtigkeiten auszustehen: ich müste mich so nicht stellen, dieses wär ein schlechter Anfang vor eine Person, welche die Welt dem Closter vorziehen wolte, und sich folglich noch gar vieler Gefahr aussetzen würde. Sie tadelte zwar nicht, daß ich den Herrn von Riesenburg liebte, sie sagte, er wäre solches werth, sie selbst wäre ihm von Herzen gewogen; allein, es wäre eine Schwachheit, in dieser Neigung so weit zu gehen, daß darunter so wohl der Leib, als das Gemüth in Gefahr gesetzet würde; alle gar zu heftige Leidenschaften taugten nicht, wenn auch ihr Ursprung gleich noch so rein und unschuldig wär. Kurz, meine Mutter, die mir in einem Augenblick eine ganze Sitten-Lehre hersagte, überzeugte mich wohl meiner Schwachheit; allein sie befreyete mich dadurch nicht von meinen Empfindungen.

Meine aufgebrachte Sinnen wurden endlich nach und nach durch die süse Vorstellung besänftiget, daß Riesenburg mich liebte, und daß ich mir mit seiner Beständigkeit schmeichlen konte. Meine Mutter reichte mir darauf sein Bildnüs, welches er ihr bey seiner Abreis eingehändiget hatte: dieses gab mir mehr Trost, als alle Sitten-Lehren. Ich schrieb an ihn, was ich nur zärtliches wuste; und wartete mit Verlangen auf seine Briefe, allein solche kamen[369] nicht. Es waren schon drey Wochen verflossen, und ich hatte von Riesenburg noch keine Nachricht. O wenn sie je geliebet hätten, so wüsten sie: wie einem bey solchen Umständen zu Muthe wär!

Ich hatte unterdessen unserer Abrede gemäs mich in das Adeliche Jungfrauen-Stift begeben. Ich fand darinn unter den jungen geistlichen Schwestern ein sehr freyes und ungebundenes Leben. Es waren wenige, die nicht ihre Liebhaber hatten. Eine von den lebhaftesten und schönsten Kindern schenkte mir gleich, bey dem ersten Eintritt ins Closter, ihre Freundschaft, und entdeckte mir, daß sie einen gewissen jungen Edelmann liebte; sie bat mich daß ich ihm erlauben mögte, zuweilen bey mir einzusprechen, und sie auf meinem Zimmer zu besuchen; weil es mit mir, da ich noch nicht eingekleidet wär, so viel nicht, als bey ihr, zu sagen hätte. Ich hatte mit allen Verliebten ein natürliches Mitleiden; und weil mich meine Freundin glauben machte, ihr Umgang mit besagtem Edelmann sey ganz ehrbar und unschuldig; so verstattete ich ihnen, ohne groses Bedenken, bey mir die verlangte Zusammenkunft; ich hatte aber bald Ursach, diese Gefälligkeit zu bereuen.

Der Liebhaber erschien: er machte meiner Gespielin ein Compliment, das nicht in den Regeln ihres Ordens war. Er fiel ihr um den Hals und küste sie, ohne daß sie sich im[370] geringsten dargegen setzte. Diese Freyheit mißfiel mir; noch mehr aber, da der junge Ritter auch an mich kam, und mir gleiche Höflichkeiten erweisen wolte: was ist dann das für ein Engel? sagte er, indem er mit ausgespannten Armen auf mich zueilte, und seine Bekanntschaft mit mir auf eine so vertrauliche Art anfangen wolte. Ich zitterte darüber von Schaam und Zorn, und stieß ihn verächtlich zurück. Ha, ha, fieng er darüber lachend an, sie ist noch in ihrem Novitiat, sie wird schon zahmer werden. Hiermit gieng er wieder auf meine Gespielin los, und suchte sich meiner Verachtung halber an ihr zu rächen; sie machten sich einander die unverschämteste Liebkosungen: weder ihre Reden, noch ihre Gebehrden schienen mir erträglich zu seyn: ich ermahnte sie deshalben, diejenige Zucht und Ehrerbietung, die sie mir schuldig wären, nicht aus den Augen zu setzen; oder ich würde mich darüber bey der Priorin beschweren.

Meine geistliche Schwester fiel mir darauf mit vielen Schmeicheleyen um den Hals, sie bat mich, es nicht übel zu nehmen, noch vielweniger sie zu verrathen; sie wäre, sagte sie, bereits, ehe sie ins Closter gekommen wär, mit diesem Edelmann versprochen gewesen: man hätte sie gezwungen, geistlich zu werden: sie könte aber deswegen ihr Herz so leicht nicht wieder zurück nehmen; nachdem sie solches einmahl diesem Edelmann geschenket hätte: sie wär es nicht allein, setzte sie hinzu, die in diesem Closter dergleichen[371] Liebes-Verständnüsse noch unterhielt; und ich würde mir die meiste Schwestern zu Feindinnen machen, wenn ich davon eine Verrätherin abgeben wolte.

Dieses machte mir einen völligen Abscheu vor dem Closter-Leben; dann ich muß ihnen mit eben der Sffenherzigkeit, damit ich ihnen meine Schwachheit entdeckte, auch zugleich bekennen, daß ich von Herzen alles dasjenige hasse, und verabscheue, was die Ehre und ein gutes Gewissen verletzet.

Ich erzehlte diese Begebenheit den andern Tag meiner Mutter: ich sagte ihr, daß der Herr von Riesenburg auf unserer Reise hieher, wohl Recht gehabt hätte, die Sitten der Ordens-Geistlichen in den Clöstern uns verdächtig vorzumahlen, und mich deswegen von einem solchen Leben abzuhalten; ich bat sie darum mit Thränen, mich nicht wieder ins Closter zu schicken; sondern mich so lang wieder zu sich zu nehmen, bis wir von dem Herrn von Riesenburg würden Nachricht erhalten haben; da ich hernach zu ihrer Schwester der Gräfin von Iserlo mich begeben wolte. Meine Mutter bewilligte solches.

Wir sandten einen Boten nach Austrasien: dieser war kaum abgefertiget, so kam mein Bruder nach Monaco; er bezeigte sich dismahl, wider seine Gewohnheit, sowohl gegen mich, als meine Mutter sehr freundlich. Wir sagten ihm[372] dem ungeachtet nichts von unserm Vorhaben; allein, der Böswicht wuste mehr als wir; er hatte seine Spionen in Monaco, und lies alle Briefe von dem Herrn von Riesenburg, die an mich gestellet waren, auffangen, dadurch ihm also unser ganzes Geheimnüs offenbahr wurde. Er war von Natur eines rauhen und wilden Ansehens; er durfte sich also nicht verstellen, wenn er etwas Böses im Sinn hatte.

Den andern Abend, als er bey uns angekommen war, nöthigte er mich, mit ihm ein seiner Gutschen nach der Kirche, und von da ein wenig spatzieren zu fahren. Ich lies mir solches gefallen. Wir waren kaum eine halbe Stunde von der Stadt, so wurden durch seinen Vor-Reuter, der unserer wartete, noch vier Pferde vorgespannt.

So bald ich seine Absicht merkte, verlohr ich alle Empfindung: ich hatte weder mein Cammer-Mägdgen, noch einen Diener mitgenommen: ich schien von GOtt und Menschen verlassen. Mein Bruder war ein Barbar, er wuste nichts von Mitleiden und Güte.

Der Zustand, worinn ich war, hätte auch den wildesten Menschen gerühret, er aber blieb unbeweglich. Ich kam wieder zu mir selbst. Wo wolt ihr mit mir hin, grausamer Bruder! fragte ich ihn. Er sagte mir, er wolte mich mit auf seine Herrschaft nehmen, weil er erfahren hätte, daß meine Mutter an statt des mit ihm[373] geschlossenen Vergleichs, mich mit einem Ketzer verheyrathen wolte. Ich mogte bitten, flehen, weinen, wehklagen und die Hände ringen: es half alles nichts, ich muste mit ihm fort.

Wir kamen mit anbrechendem Tag auf ein altes Berg-Schloß, welches ihm zugehörte: hier nahm er mich aus der Gutsche: Schwester! sagte er zu mir, ich geb euch hier vierzehen Tage Zeit, euch zu besinnen, ob ihr euer Leben in diesen verfallenen Gemäuern oder in einem Closter, welches ich euch selbst zu wehlen die Freyheit lasse, hinbringen wollet. Er übergab mich darauf seinem Verwalter, und sagte, daß sein Leben darauf stünde, mich wohl zu verwahren. Mit diesen Worten verlies er mich, und reiste weiter nach seinem Wohn-Sitz, welcher nur eine Stunde Wegs von dannen lag.

Ich konte vor abscheulicher Bestürzung kein Wort reden: ich sah mich unter den Händen eines Mannes und einer Frauen, welche alle Merkmahle zeigten, daß sie der böse Feind zusammen gebracht hätte, um durch sie, mit vereinigtem Nachdruck, desto mehr übels zu thun. Sie brachten mich unten zur Erden in ein Zimmer, welches mehr einem dunkelen Gefängnüs, als einem Schlaf-Gemach ähnlich sah. Es hatte nur ein kleines Fenster, welches von aussen mit einem eisernen Gegitter, inwendig aber mit gelb verrauchten Papier, an statt der Glas-Scheiben verwahret war. Ein Bett, mit einer alten Matrazze, solte mir darinn zum Lager[374] dienen. Ich fand hier weder Leinwand noch Nacht-Kleider. Alles war unrein und modericht. Man brachte mir zum Früh-Stück eine Suppe von warmer Milch, mit dicken Brod-Brocken: ich ase davon, aus Furcht, ich möchte das Ansehen haben, als wolte ich an der göttlichen Hülfe verzweiflen, und mich selbst ums Leben bringen.

Wie dachte ich hier bey mir selbst, ist Liebe Sünde? so hab ich noch mehr verdienet; dann ich habe Riesenburg allzulieb, ich lieb ihn, aber tugendhaft, und so, wie man mir gesagt, daß es in der Ordnung GOttes wär, einen Menschen zu lieben. Wie soll ich mich in diesen Umständen trösten? ich bin jung, unschuldig, einfältig und ohne Erfahrung; und GOtt setzet mich auf eine so grausame Probe? doch, kommt mir solche von ihm, so muß ich seinen Willen anbeten und leiden. Es wird ihme ein leichtes seyn, mich zu retten. Ich fand mich durch diese Vorstellung ziemlich beruhiget.

Ich hatte die vorige Nacht nicht geschlafen: ich war vom Schrecken dermassen gerühret worden, daß ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konte: ich sank vor Mattigkeit auf das Bette nieder, meine Lebens-Geister schienen sich zu trennen: ich wolte schlafen; allein, da ich das Bett betrachtete, sties mich ein unüberwindlicher Eckel an: ich machte mich so stark ich konte, und rief der Verwalterin, ich bat sie, für mich die Barmherzigkeit zu haben, und mir ein[375] sauberes Bett-Tuch zu geben: sie brachte mir eines, das aber sehr grob war. Diese erste Hülfe tröstete mich ein wenig: ich hatte unter weges meine Jubelen aus den Ohren, und von meinem Halse abgethan, und hatte auch zu gutem Glück etwas weniges von Gelde bey mir. Gehet doch, meine liebe Frau, sagte ich zu dem abscheulichen Gesicht, und lasset mir auch in dem nahgelegenen Markflecken, eine neue Kolder kauffen, um mich damit zu decken: hier habt ihr Geld: dieser Dienst soll euch von meiner Mutter wohl belohnet werden. Behaltet nur euer Geld; fuhr das verwildete Weib heraus, ich darf euch nichts holen; es sey dann, daß solches der gnädige Herr erlaubt. Nun, gute Mutter, sagt ich mit einer schier heiligen Gelassenheit, so gehet dann, und bittet ihn deßwegen für mich. Sie gieng hin, und kam nach ein paar Stunden wieder, und brachte mir eine saubere Decke; damit war ich zufrieden: Ich legte meinen Kopf-Putz ab, umschlung meine Haare mit meinem Schnupftuch, zog meinen Reif-Rock aus, und wickelte mich mit samt meinen übrigen Kleidern in das leinen Tuch; die Decke aber, weil es noch des Tages über ziemlich warm war, legte ich über meine Füsse.

Es moderte alles: ich fühlte solche Unkräften, daß ich mir einbildete, ich legte mich hier lebendig ins Grab; ich glaubte nicht anders, als GOtt würde mich hier auflösen, oder mich durch ein Wunder retten; ich suchte mich deswegen[376] nur recht in eine solche Verfassung des Gemüths zu bringen, damit ich seinem Willen beydes heimstellen mögte. Ich nahm im Geist von meinem geliebten Riesenburg und von meiner Mutter Abschied. Die Augen fielen mir darüber zu: Ich that nichts als beten, und also war ich eingeschlafen.

Wer solte denken, daß mein Geist bey solchen Leidenschafften einiger Ruhe wäre fähig gewesen? Ich hatte nicht nur einen sanften Schlaf, sondern erwachte auch nicht eher als den andern Tag. Mein Bruder erschien mir gegen Morgen im Traum: Er bedrohete mich, mir einen Dolch, den er in der Hand hielt, ins Herz zu stossen; indem aber sah ich ihn mit einem erblaßten Angesicht und mit halb geschloßnen Augen, ganz im Blute vor mir liegen. Ich fuhr über dieses schreckhafte Traum-Bild dermassen auf, daß ich erwachte. Als ich die Augen öfnete, stund ein Bedienter von meinem Bruder mit einem Mägdgen vor mir.

Gnädige Fräulein, redete mich der Diener an: Ich habe hier ein kleines Fuhrwerk mit einem Pferd gemiethet: Ihr Herr Bruder ist verreiset: Ich habe dem Verwalter und seiner Frauen gesagt, ich hätte Befehl, sie nach den Minoriten zu bringen. Sie machen sich deshalben hurtig auf, ich wag es dieselbe in Freyheit zu setzen. Als die Verwalterin hierauf in das Zimmer kam, redete dieser Mensch[377] hart und etwas unehrerbietig mit mir, damit sie keinen Verdacht auf ihn werfen mögte.

Ich hatte ganz keinen Anstand, diesem Menschen mich anzuvertrauen; Er war mit in Monaco gewesen, und schien mit Verdruß einem so wilden Herrn, wie mein Bruder war, zu dienen. Ich glaubte, GOtt hätte ihn mir zu meiner Rettung zugesandt. Ich kleidete mich also an, und setzte mich zu dem Weibs-Bild auf die Schäse. Wir fuhren in möglichster Geschwindigkeit bis auf die nechste Post: Der Diener hatte die Vorsichtigkeit gehabt, und solche voraus bestellen lassen. Wir fanden also die Pferde schon auf uns warten.

Der Diener und das Mägden erzehlten mir unterwegs das ärgerliche und gottlose Leben meines Bruders: Sie sagten, daß er mit drey von seinen Leuten diesen Morgen nach den Gränzen von Austrasien verreiset wär, und vor drey Tagen schwerlich wiederkommen dürfte: Sie hätten sich deswegen seine Abwesenheit zu Nutz machen wollen, um sich aus den Händen eines solchen Unmenschen zu retten. Sie fragten mich darauf, wo ich wolte, daß sie mich hinbringen solten? Ich meynte nach Monaco zu meiner Frau Mutter; Der Diener aber widerrieth solches; weil ich daselbst meinem Bruder am ersten wieder in die Hände gerathen würde. Sie müssen sich gnädige Fräulein, sprach derselbe, an einen ganz fremden und unbekanten[378] Ort begeben; massen ihr Herr Bruder alles in der Welt thun wird, sie auszuforschen und wieder in seine Gewalt zu bekommen. Das Mägdgen gab mir darauf folgenden Anschlag.

Ich habe, fieng sie an, ehedessen bey einer Herrschaft gedienet, wo eine Magd aus Vandalien war: diese erzehlte mir vieles von einem neu angelegten Ort, nechst an dem Hercynischen Wald, wo viele ihrer Befreundten sich hätten niedergelassen, die des Glaubens halber aus ihrem Land wären vertrieben worden. Dieser Ort hieß Christianopel, und seye eine Zuflucht für alle Fremde, die sich eines ehrbaren, frommen Lebens beflissen. Ihr sey unterdessen der Dienst bey dem Freyherrn von Thurris als sehr einträglich angetragen worden, sie wär aber noch keinen Monath als Beschlieserin in diesem gottlosen Hause gewesen, so hätte sie um alles Gut und Geld darinn nicht länger verbleiben mögen. Der gegenwärtige Bediente hätte sich dabey an sie gemacht, um mit ihr in verbottener Liebe zuzuhalten: sie hätte ihm aber ins Gewissen geredt, und durch die Vorstellung des ganz abscheulichen Lebens, das sowohl der Herr als das Gesind in der grösten Sicherheit führten, ihn so weit gebracht, daß er sie nach Christianopel zu bringen versprochen hatte, wo sie sich einander heyrathen wolten. Weil sie nun bey diesem Vorfall zugleich mir einen wichtigen Dienst zu leisten hoften, so hätten[379] sie keinen Anstand gehabt, solches in GOttes Namen zu wagen.

Ich konte mich auf diese Reden so gleich nicht entschliessen, was ich thun solte. Die Vorstellung, meine liebe Mutter, in der sie meinetwegen betroffenen grosen Bekümmernüs, zu verlassen, schien mir ganz nicht mit meiner Schuldigkeit überein zu stimmen; wenn ich aber darbey die grose Gefahr mir vor Augen stellte, worinn ich sie und mich von neuem stürzen würde, wenn ich wieder nach Monaco zurück kehren solte; so fand ich für rathsamer, mich zuvor in Sicherheit zu bringen, und hernach an dieselbige zu schreiben.

Ich entschloß mich also meinen Führern zu folgen: sie brachten mich an diesen mir so sehr gepriesenen Ort: ich fand hieselbst, was ich suchte, und mehr als ich jemahls hoffen konte. Ihre Durchleucht, der Fürst und die Fürstin, empfiengen mich, nachdem ich ihnen meine Begebenheiten erzehlet, mit solcher Leutseligkeit und Liebe, daß ich solches in meinem ganzen Leben mit zulänglicher Dankbarkeit nicht zu erkennen weiß. Ich hatte darauf das unverdiente Glück, daß mir meine gnädigste Prinzeßin ihre besondere Gewogenheit schenkte, dadurch sie mein ganzes Herz mit solchen zärtlichen Banden an sich verknüpfet hat, daß ich nunmehr bey aller meiner zu hoffenden Glückseligkeit doch niemahl recht ruhig seyn werde, wenn ich von ihr entfernet leben muß.[380]

Die Prinzeßin küßte hier die schöne Mariane, zum Zeichen ihrer herzlichen Liebe; welche ihrer Erzehlung noch dieses hinzu fügte, daß sie sich bishero vergeblich nach dem Herrn von Riesenburg hätte erkundigen lassen; weil vermuthlich dessen Herr Vater, der ihrer beyder Heyrath nicht gern sähe, die Briefe müste unterschlagen haben. Sie wär auch so bald nicht hier angekommen, so hätte sie ihrer Frau Mutter, wie auch der Gräfin von Iserlo, ihrer Base, von allem, was ihr begegnet wär, ausführliche Nachricht gegeben; und dargegen von ihrer Frau Mutter den traurigen Tod ihres Bruders vernommen: sie hätte die arme Seel dieses unglücklichen Menschen beweinet, zugleich aber auch die Gerechtigkeit GOttes bey diesem Zufall bewundert: Ihr Schwager sey darauf mit ihrer Schwester der Mutter ins Haus gefallen, und habe alles darinn unter Siegel legen lassen; dabey sie ihr dermassen übel begegnet wären, daß diese vor Gram und Prast kurz darauf den Geist aufgegeben hätte. Ihre Schwester habe sich sogleich in den Besitz aller Güter gesetzt, und sowohl den Hof als die Geistlichkeit auf ihre Seiten gebracht: weil sie vorgeben, sie sey von ihrer Religion abgefallen. Wo sich also Ihro Hoch-Fürstlichen Durchleucht, der Prinzeßin Herr Vater, nicht eher annehme, so würde sie wenig von der reichen Hinterlassenschaft der Ihrigen zu hoffen haben.

Nach dieser Erzehlung stund die Prinzeßin[381] auf, und indem sie dem Grafen die Hand bot, um nach der Burg sich zurück zu begeben, fragte sie ihn unterwegs, wie es doch komme, daß man den Herrn von Riesenburg nicht auf der Verzeichnüs des Aquitanischen Hofs fänd? Es ist noch nicht lang, antwortete der Graf, daß dieser Herr sich bey Hofe aufhält, an welchem er nicht anders als unter dem Namen eines Marggrafen von Luccaille bekant ist. Ich habe, versetzte die Fräulein von Thurris, ihm auch unter diesem Namen zugeschrieben, und dem ungeacht, nie keine Antwort erlangen können. Ich kan meine schöne Fräulein versichern, daß er nicht die geringste Nachricht von ihnen hat erhalten; und stehet deswegen ganz sicher zu vermuthen, daß sowohl ihre Briefe an ihn, als seine an sie, von dessen Herrn Vater seyen aufgefangen worden: welches er, als Befehlshaber von Austrasien, durch welche Provinz alle Briefe von hier nach Panopolis lauffen müssen, um so viel leichter hat thun können.

Unter diesen Gesprächen kam die Prinzeßin bis an ihr Zimmer, wo sich der Graf von ihr beurlaubte, und sich nach den Seinigen verfügte. Er fand unter andern vornehmen Herren, die dahin gekommen waren, ihm die Aufwartung zu machen, auch den Herrn von Güldenblech. Dieser hatte unterdessen, daß sein vermeynter Arzt sich in einen Grafen verwandelt, zu Argilia die angenehme Nachricht bekommen, daß nach gemachter. Inventur[382] seiner Habseligkeiten und Abzuge seiner Schulden, ihm noch wohl dreysig tausend Thaler heraus kommen dürften; womit er und die Seinigen einen stattlichen Grund zu einer neuern und bessern Haushaltung zu legen Hofnung hätte: Der Graf wünschte ihm darzu von Herzen Glück: und empfieng dargegen von demselben die lebhafteste Danksagung für die an ihm erwiesene glückliche Chur.

Es war denselben Tag ein groses Fest bey Hofe: alles erschien daran im besten Aufputz. Die Fürstliche Tafel war mit vier und zwanzig, und die Marschals-Tafel mit mehr als dreyßig Personen besetzt: Man hörte dabey die schönste Music: Die Speisen, die Geschirre, die Bedienung, alles war prächtig, schön und wohl ausgesonnen: Man hatte die niedlichste Speisen und die herrlichste Getränke; allein, man nöthigte niemand, davon mehr zu geniesen, als er selbsten wolte. Der Graf, welcher die unmäßige Art, Tafel zu halten, schon ehedessen auf seinen Reisen an verschiedenen Höfen beobachtet hatte, vergaß nicht, in dieser Sache die vernünftige Aufführung des Argilischen Hofes zu preisen. Der Fürst antwortete ihm darauf, daß ihm jederzeit nichts unsinniger wär vorgekommen, als wenn er hätte sehen mussen, daß die Menschen in solchen Dingen eine Lust suchten, wo doch die Empfindung der Lust aufhörte; und im Gegentheil die Empfindung der Schmertzen anfieng: Er hielt solches für einen ganz unerforschlichen[383] Grund des menschlichen Verderbens, daß sie lieber die abscheulichste Laster begiengen und dadurch ihr Leben elendig machten, als durch die Beobachtung der einfältigsten Tugend ihre Glückseligkeit beförderten.

Was ihn und seine Leute beträffe, fügte er hinzu, so wären sie allesamt darauf beflissen, als vernünftige Menschen und als Christen zu leben, denen alle und jede Gattungen von Unmäßigkeit verbotten wären; und stünden sie dißfalls sowohl, als die geringste Einwohner dieses Orts, unter ihrer allgemeinen Kirchen-Zucht; welche nicht allein die grobe Verbrechen, sondern auch die Sitten, so der Ehrbarkeit und dem Christenthum zuwider wären, zu ahnden pflegte. Dieses gab dem Grafen Anlaß, den Fürsten zu fragen, wie es dann in dieser neuen Gemeine, in Ansehung des Ehestands, gehalten würde.

Es darf bey uns, berichtete hierauf der Fürst, nicht ein jedes nach eignem Gutdünken heyrathen: Wir betrachten den Ehestand, als eine Sache, daran dem gemeinen Besten am meisten gelegen ist: Wir wissen, daß daraus viel Böses entstehen kan, wenn er nicht nach den Absichten der Göttlichen Einsetzung geführet wird. Wir halten die damit verknüpfte Haushaltung und Kinder-Zucht für die sicherste Mittel, vernünftige Menschen, redliche Bürger und gute Christen zu ziehen. Wer sich also bey uns in den Ehstand begeben[384] will, der wird angesehen als ein Mensch, der ein Ehren-Ammt verlanget: Man untersucht, ob er auch die darzu erforderliche Tugenden und Eigenschafften habe: Diese bestehen in einem gesunden Leib, in einem ehrbaren Christlichen Wandel, in einem zulänglichen Verstand, ein Hauswesen mit Weib, Kindern und Gesind wohl zu regieren, und in einer gewissen Handthierung, sie ehrlich zu ernähren.

Wenn demnach ein Freyer seine Neigung auf eine Person geworfen hat, und sie beyde des Handels einig sind; so müssen sie zuvor, ehe sie mit einander öffentlich getrauet werden, bey den vier zu den Eh-Sachen besonders verordneten Aeltesten der Gemeine sich melden. Dieses sind weise, und sowohl in Gottes Wort als gemeinen Rechten, wohl erfahrne Männer, welche diejenige Personen, die gesonnen sind, sich in den Stand der Eh zu begeben, nach allen Umständen des Leibes und des Gemüths, als auch ihrer zeitlichen Nahrungs-Geschäften, genau untersuchen, ob sie auch also für einander sich schicken, daß von ihnen eine gute, friedliche und erbauliche Ehe zu hoffen sey? Wo nicht, so werden sie mit ihrem Vorhaben entweder ganz, oder bis auf eine gewisse Zeit, darinn sie die an ihnen gefundene Mängel verbessern können, abgewiesen.

Wie Wir nun besorget sind, allen bösen[385] Ehen, so viel als wir können, durch obgemeldte Anstalten, vorzubauen; so sehr sind wir auch darauf bedacht, die zwischen Eh-Leuten aus Mißverstand, oder Gebrechen, eingerissene Zwietracht und Uneinigkeit zu heben. Hier gibt es nun leider auch unter uns, wegen der allen Menschen anklebenden Schwachheiten und Mängeln, noch viel zu thun. Allein, die glückliche Einrichtung und allgemeine nachbarliche Verträglichkeit unserer Einwohner schlichtet dergleichen Mißhellichkeiten, ohne daß man es viel gewahr wird. Kommt es damit zu öffentlichen Ausbrüchen und Aergernissen, so werden sie vor das Eh-Gericht, welches aus den vier obigen Aeltesten bestehet, gefordert, und gestalten Umständen nach, wenn sie nicht in der Güte sich, vergleichen wollen, zu Tisch und Bett geschieden; In welchem Fall ihnen eine besondere Ordnung wegen der Theilung ihrer Güter, wegen der Auferziehung ihrer Kinder, und wegen ihrer ganzen Lebens-Art, zu beobachten vorgeschrieben wird.

Es ereignen sich auch wohl gewisse Fälle und Umstände, da zwey beeinträchtigte Eh-Gatten gänzlich, als wären sie nie getraut gewesen, von einander geschieden werden; Diese Ursachen aber müssen überaus erheblich und wichtig seyn; Wie wir dann von einer solchen Eh-Scheidung ungefähr vor einem Jahr das erste Exempel hie erlebet haben.[386]

Wir halten im übrigen scharf auf Zucht und Ordnung; und weil wir grobe Verbrechen hier gar nicht dulden, so suchen wir solchen durch eine gute Auferziehung der Jugend, und durch ein vernünftiges friedliches Betragen der Ehleuten, so viel als möglich ist, vorzubauen. Wir halten dafür, daß es nicht nur für Ehleute selbst ein groses Unglück sey, wenn sie übel miteinander leben; sondern daß der Wohlstand des gemeinen Wesens gleichfalls mit darunter leide; weil derselbe sich auf eine gute Haushaltung der Verehlichten gründet.

Der Graf bewunderte diese kluge Anstalten, welche der Fürst, wie er sagte, nur zur Probe einer Möglichkeit entworfen hätte, um damit ein Exempel zu geben, wie noch viele Sachen in dem gemeinen Wesen, zur Befolgung der Göttlichen Absichten, und zur Glückseligkeit der Menschen in diesem Leben könten verbessert werden; wo anders unsere Vorurtheile nicht zu stark wären, und sich bey den Menschen mehr aufrichtiger Eifer zum Guten fände.

Der Graf antwortete hierauf, daß zur Verbesserung der Zeiten und der Menschen zuforderst ein allgemeiner Friede in der Christenheit zum Grund müste geleget werden; in Ansehung, daß es mit der innern Verfassung eines Staats zu keinem ruhigen Bestand kommen könte, so lange man noch immer die Waffen in Händen haben müste, um sich gegen[387] auswärtiger Gewalt zu schützen! Nach der Tafel unterhielt sich der Fürst ins geheime mit dem Grafen, und verlangte von ihm zu wissen, wie und auf was Weise er dafür hielt, daß ein allgemeiner Friede in Europa aufzurichten wär. Der Graf erklärte sich hierauf, daß dieses unter andern ein Geschäfte sey, welches ihn, nebst der Begierde, einem so grosen und weisen Fürsten persönlich aufzuwarten, an seinen Hof gezogen hätte. Er für sich hielt die Sache nicht für ganz unmöglich; wenn nur einige der mächtigsten Fürsten und Staaten zusammen tretten, und die Sache in reiffe Uberlegung ziehen wolten; Dann, es wäre gewiß, daß der Krieg den wenigsten noch sey vortheilhaft gewesen, und stünd daher zu vermuthen, daß ihnen allen der Friede lieber seyn würde.

Der Graf überreichte hierauf dem Fürsten seinen hierüber gemachten Plan, davon der Haupt-Inhalt am Ende dieses Werks wird zu finden seyn.

Der Graf meynte, die Teutonische Fürsten solten unter sich den Anfang von einem solchen Bündnüs machen, weil sie bey ereignenden Fällen, wenn ihre benachbarte Könige zu mächtig werden solten, am ersten dürften mit untergesteckt werden. Er rieth ihnen deshalben, sich auf das genaueste mit den Licatischen, Virinischen, Cimbrinischen und Scandinavischen Höfen zu verbinden; in welchem Fall er[388] gleichfalls die Sachen an dem Aquitanischen Hof dahin zu bringen hofte, daß sein König, als einer der Mächtigsten, diese Bündnüs mit eingehen und solche aufs beste unterstüzen solte; da sie sodann ganz Europa das Gewichte geben und andere Völker in solche Umstände setzen könten, daß sie froh seyn müsten, wenn man auch sie in dieses Bündnüs mit einschliesen wolte.

Der Fürst, als er diesen Plan des Grafens mit vielem Nachsinnen durchgangen hatte, sagte er zu demselben, seine Vorschläge wären gut; allein, es stünden solchen gantz unüberwindliche Hindernisse im Weg, die er schwerlich würde heben können: Ich meyne, erklärte sich der Fürst, die Menschen selbst. Diese widerstreben, aus einer unerforschlichen Quelle des Verderbens, ihrem eignen Wohlseyn, und stürzen sich gleichsam vorsetzlich ins Verderben.

Ich will ihnen aber, Herr Graf, fuhr der Fürst fort, unterdessen zeigen, daß ich sie liebe und ihre Rathschläge hoch schätze: Der Fürst von Calesia, als das Haupt unsers Hauses, ist einer der mächtigsten Fürsten des Teutonischen Reiches: Er kan, im Fall der Noth, über sechszehen tausend Mann ins Feld stellen: Er hegt viele Freundschaft für mich, und läßt sich öfters auch meine gutmeynende Rathschlage gefallen. Ich will ihn, und unsere andere durchs Blut oder Erb-Verbrüderung[389] verwandte Fürsten-Häuser, zu einem solchen Bündnüs, als sie vorschlagen, zu bereden suchen; und dann wird es auf den Herrn Grafen ankommen, uns den Schutz und die Verbindung ihres Hofes zu wegen zu bringen.

Es ereignet sich hierzu, atwortete der Graf, eine ganz erwünschte Gelegenheit. So lange mein König nicht vermahlet und das Königliche Haus nicht mit rechtmäßigen Cron-Erben besetzet ist; lasset sich mit uns kein festes Bündnüs schliesen: denn wir haben in unserm Reich, wo der König, ohne Leibes-Erben zu hinterlassen, mit Tod abgehen solte, nichts als Verwirrung und innerliche Kriege zu gewarten. Meine Absichten gehen also vornehmlich da hinaus, um meinem König eine würdige Gemahlin, aus einem alten Fürsten-Haus zu suchen: Man hat mir vieles von Dero Durchleuchtigsten ältesten Prinzeßin-Tochter gesagt; Ich habe aber noch mehr fürtrefliche Eigenschaften an derselben entdecket, als der Ruhm von ihr ausgebreitet hatte. Mich dünket, sie solte sich nicht übel für unsere Königin schicken. Durch dieses Mittel könten Ew. Durchl. nicht nur Dero Hohes Haus zusamt den Höfen Dero Durchleuchtigsten Anverwandten mit dem Unsrigen verbinden; sondern auch dadurch zur Beförderung der allgemeinen Ruh in Europa nicht wenig mit beytragen.[390]

Ihr Vortrag, Herr Graf, erklärte sich darauf der Fürst, betrift ein sehr wichtiges Geschäft: es kommen dabey viele Umstände zu betrachten vor: ich muß ihnen frey bekennen, ich liebe meine älteste Tochter sehr; ich mögte sie nicht gern zu einem gewöhnlichen Staats-Opfer machen: Ich würde sie für glücklicher halten, sie an einen vermögenden Fürsten oder Reichs-Grafen, als an einen so mächtigen König vermählt zu sehen.

Ich will aber diese Zärtlichkeit bey Seite setzen, wenn sich eine besondere Absicht der göttlichen Vorsehung hierinnen äussern solte; man hat mir sonsten gesagt, der König liebte eine gewisse Gräfin, die eine nahe Verwandtin des Obristen Staats-Ministers wär, und daß der König sie zu heyrathen gedächte: es dürfte also mein Kind schwerlich so viele Annehmlichkeiten besitzen, demselben eine galante Aquitanerin aus dem Sinn zu bringen.

Es ist wahr, sagte hierauf der Graf, daß der König diese Dame geliebet. Man hat ihm aber die Vermählung mit derselben wiederrathen; sie selbst liebet mehr die Einsamkeit, als den Hof; sie lebet auf einem ihrer Meyerhöfen ganz still und eingezogen bey ihrer Frau Mutter.

Sie soll sehr schön seyn, sagte hierauf der Fürst, und dürfte also der zukünftigen Königin ohnfehlbar Eintrag thun, wenn sie wieder nach[391] Hof kommen solte. So schön sie auch immer ist, antwortete der Graf, so wird sie doch den Vorzug Ew. Durchl. Prinzeßin-Tochter auf keine Weise strittig machen. Sie kennen, Herr Graf, warf der Fürst lächeld ein, diese Dame sehr genau. Der Graf erröthete über diese Anmerkung des Fürstens, mein König, sagte er, hat sich seit einem Jahr her sehr geändert; er ist der gütigste und leutseligste Monarch; er lebt nun als ein weiser Fürst; er hat die besten Absichten von der Welt. Nur fehlet es ihm noch an einer tugendhaften Gemahlin, welche dessen gute Neigungen unterhalten, und sein Herz allein mit ihren Tugenden und Annehmlichkeiten ausfüllen könte. Ich suche, gnädigster Fürst, eine solche Gemahlin für meinen König: ich habe kein grösseres Anliegen in der Welt, als dieses: ich finde darzu die würdigste Schönheit in der Person Ew. Durchl. ältesten Prinzeßin. Ich hoffe dieses hohe Bündnüs unter göttlichem Beystand möglich zu machen, wo anders Ew. Durchl. darein willigen, und die Veranstaltungen, die ich zu machen vorhabens bin, gnädigst gutheisen wollen.

Meine Tochter, erwehnte der Fürst, ist in einer andern Religion erzogen, und wird sich nimmermehr entschliessen, die bisher erkannte Einfalt des Christlichen Glaubens, gegen einen fremden Gottesdienst zu verwechseln. Dieses wird auch nicht nöthig seyn, antwortete der Graf, denn wir sind an unserm Hof weder zum[392] Aberglauben, noch zur Religions-Verfolgung geneigt; Viele Grossen bey uns sind Glaubens-Genossen von Ew. Hochfürstl. Durchl. und geniessen einer vollkommenen Gewissens-Freyheit.

Es ist Ew. Hochfürstl. Durchl. nicht unmöglich gewesen, fuhr der Graf fort, einen solchen Ort aufzurichten, wo die Unschuld, die Tugend und die Frömmigkeit herrschet: es ist leichter, etwas nachzumachen, als anzugeben. Wir werden uns also in Aquitanien die Ehre der Nachahmung vorbehalten. Wenn wir nur in einer jeden Provinz eine solche Gemeine, nach so weisen und vernünftigen Gesetzen aufrichten könten; so wär kein Zweifel, das ganze Königreich würde dadurch, als von so viel neuen Lichtern durchstrahlet werden.

Ihre Gedanken, Herr Graf sind gut, sie reden, wie sie es gerne hätten. Wir müssen das unsrige thun und unsern Posten wahrnehmen: die Welt mag davon urtheilen, wie sie will; sie ist durchgehends böse, und kan das Gute nicht vertragen: wir können nicht mehr thun, als GOTT uns Kräfte gibt. Wir sind wie die Taglöhner, die auf den Befehl des Herrn bald niederreissen, bald bauen, bald pflanzen, bald ausrotten; ja öfters so leicht etwas verderben, als gut machen.

Die folgende Tage brachte der Graf mit dem Fürsten in allerhand Berathschlagungen[393] zu, welche die Vermählung des Königs von Aquitanien mit der Princeßin von Argilia betraffen. Des Grafens Meynung gieng dahin; die Fürstin solte mit der Prinzeßin sich nach den Aquitanischen Bädern verfügen; er wolte so dann auch seinen König zu bereden suchen, um dieselbe Zeit sich gleichfals da einzufinden; da sich dann das übrige schon zeigen würde. Der Fürst lies sich diesen Vorschlag gefallen, doch bat er den Grafen, der Prinzeßin von diesem Vorhaben noch nichts zu sagen.

Der Graf gieng einige Tage darauf wieder in den Garten spatzieren; er hatte vernommen, daß die Prinzeßin mit der Fräulein von Thurris sich dahin verfüget hatten. Er suchte sie in der Einöde; als er sie aber daselbst nicht fand, setzte er seinen Fuß weiter fort, und kam in eine lange Allee, deren Wände von geschnittenen Buchen nicht anders als ein glatter grüner Stoff anzusehen war; einige Bedienten von der Prinzeßin, die er hier antraf, wiesen ihm dem Ort, wo sich solche aufhielt: sie war in einem kleinen Portal, welches auf einen breiten Teich sties, und von hinten mit einem Gebüsch bedecket war. Ein kurz geschorener Wasen leitete bis dahin, und lief um den ganzen Teich mit zierlichen Abschnitten und Erhöhungen herum. Man konte einen auf diesem Gras-Weg im Portal nicht eher sehen, als bis man wircklich davor stund.

Der Graf, als er noch ungefehr vier Schritt[394] davon entfernet war, hörte die Prinzeßin diese Worte sagen: Aber, liebste Mariane: er ist kein Reichs-Graf, und darzu eines andern Glaubens. Die Fräulein von Thurris wolte eben darauf antworten, weil es aber der Graf für etwas unanständiges hielt, sie zu belauren, so gieng er ohn verweilen auf sie zu. Die Prinzeßin, die ihn nicht so nah vermuthet hatte, konte ihre Bestürzung über seine Ankunft nicht bergen; sie wuste nicht gleich, was sie auf seine Höflichkeiten ihm antworten solte; sie giengen darauf mit einander spatzieren.

Ihr Gespräch war von Seiten der Prinzessin ganz furchtsam, sie redete nur von gleichgültigen Dingen: ihre Augen sahen ihn dabey mit einer gewissen Schamhaftigkeit an, die ihm so viel zu verstehen gab, als ob sie glaubte, daß er etwas von ihren Reden im Portal vernommen hätte.

Die Fräulein von Thurris, als sie von dem Grafen Abschied nahm, sagte ihm heimlich ins Ohr: er möchte morgen vor der Tafel sie besuchen kommen; der Graf stellte sich um die bestimte Zeit bey ihr ein. Es ist billig, Herr Graf, sprach sie zu ihm, daß ich auch etwas von ihren Geheimnüssen wisse, nachdem sie alle die meinigen erfahren haben. Die genaue Freundschaft zwischen ihnen und meinem geliebten Riesenburg giebt mir einen Antheil an Dero Vergnügen, und ein Recht, mich nach Dero Zustand ein wenig zu erkundigen. Die[395] Fräulein fragte ihn hierauf wegen seines Herkommen, und ob er an dem Aquitanischen Hofe zu bleiben gedächte. Der Graf unterrichtete sie wegen des ersten; wegen des andern aber, sagte er, daß es nicht bey ihm stünde, einen König zu verlassen, der ihm die gröste Gnade und ein ganz besonderes Vertrauen bezeigte.

Die Fräulein forschte darauf weiter, ob er nie geliebet hätte? Der Graf lächelte über diese Frage, und wolte mit der Sprache nicht heraus. Sie werden wohl, fuhr die Fräulein fort, ein Herze haben wie andere Menschen auch, und wo ich mich nicht irre, so lieben sie, und machen aus dieser Neigung ein Geheimnüs: es möchte wohl seyn, erklärte sich der Graf halb im Scherz: wie gefället ihnen denn unsere älteste Prinzeßin, fragte jene weiter: könten sie solche nicht lieben? Es müssen sich, für dieselbe, erklärte sich der Graf, alle meine Neigungen in der tiefsten Ehrerbietung versenken. Sie sind, Herr Graf, nicht offenherzig mit mir, lies sich hierauf die Fräulein vernehmen. Riesenburg muß ihnen von mir nicht so viel. Gutes gesagt haben, als es nöthig ist, ihnen zu mir ein Vertrauen zu geben. Ich weiß, daß sie meine Prinzessin lieben, und solches mir verhehlen; aber ihre Augen und diejenige der Prinzessin haben mir solches verrathen. Meine Prinzeßin kan für sie wenigstens ihre Hochachtung nicht bergen: ihre oftmahlige Erröthungen, wenn sie solche scharf ansehen,[396] die Vergnügung, welche sie hat, mit ihnen umzugehen, und ihr ganzes Wesen gibt mir eine besondere Gewogenheit für den Herrn Grafen zu erkennen.

Der Graf war über diese Reden so bestürzt, daß er nicht wuste, was er der Fräulein von Thurris darauf antworten solte: Ich sehewohl, Herr Graf, fuhr deswegen die Fräulein fort, was ihnen im Wege stehet:


Was Ido macht zu gros / das macht

mich all zu klein.


Der Graf erschrack hierüber noch mehr; er erkannte, daß die Fräulein von Thurris seine Schreibtafel müste durchblättert, und obige Reimen darinn gelesen haben: die Fräulein aber ließ ihm nicht Zeit, sich darüber mit ihr zu erklären, sondern fuhr fort: es ist wahr, meine Prinzeßin ist aus einem der grösten Fürsten-Häuser, das macht sie dem Ansehen nach für sie zu gros; allein es ist bey uns etwas gewöhnliches, daß unsere Fürstinnen an Grafen sich vermählen, wenn sie aus altem Gräflichem Stamm herkommen.

Wie nun der Herr Graf von Rivera das Glück einer solchen Geburt haben; so dürfen sie auch um so viel weniger hierbey den Muth verliehren; weil diese Standes-Ungleichheit mit so vielen andern grosen Eigenschaften von ihnen ersetzet wird. Ja, sie dürfen nur ihrem König[397] ein Wort davon sagen, so wird er sie zu einem Fürsten und Herzogen machen.

Des Grafens Verwunderung über diesen unvermutheten Vortrag der Fräulein von Thurris vermehrte sich noch mehr, als er hörte, wie sie alle diese Sachen in ihren Gedanken schon so leicht und möglich gemacht hatte. Er heegte für die Prinzessin die vollkommenste Hochachtung; Er fand sie würdig, den Königlichen Thron zu besteigen, und gantz Aquitanien zu beherrschen. Zu dieser Erhöhung wolte er das Werkzeug abgeben; sein ganzes Herz war mit einem so grossen und wichtigen Geschäffte eingenommen. Er suchte den König durch die Prinzessin, und diese wiederum durch jenen glücklich zu machen; in diese Glückseligkeit aber seine geliebte Gräfin von Monteras mit einzuflechten.

Bey diesen Absichten sah sich endlich der Graf verbunden, der Fräulein von Thurris sich zu erkennen zu geben: er sagte ihr, daß sie sich irrte, wenn sie die in seiner Schreibtafel gefundene Reimen auf ihre Prinzessin deuten wolte; daß er die Prinzessin zwar unendlich verehrte; aber sich dabey auch wohl zu bescheiden wüste, daß sie sich besser für seinen Herrn und König, als für einen gebornen Unterthanen schickte. Er entdeckte hierauf der Fräulein von Thurris seine Anschläge, und bat sich zugleich darinn ihren Beystand aus; er sagte ihr, daß er dem Fürsten bereits davon Eröfnung gethan hätte; daß derselbe[398] aber für gut fände, solches vor der Prinzessin noch geheim zu halten.

Die Fräulein von Thurris war mit den Absichten des Grafens nur halb zufrieden. Ach! sprach sie, worzu sollen die Cronen; sie sind schwer zu tragen. Könige haben keine wahre Freunde, man fürchtet sich vor ihnen, und sie fürchten sich wieder vor andern: Ihre Hoheit verblendet sie, man schmeichelt ihnen; sie haben die stärkste Leidenschaften, und indem sie allen genug thun wollen, vergnügen sie keinen.

Ich halt dafür, versetzte der Graf, eine Crone hat auch ihre Annehmlichkeit. Es ist für ein grosmüthiges Herz kein geringes Vergnügen, in einer solchen Erhöhung zu leben, darinn man so viel andere Menschen kan glücklich machen. Es scheinet, die Vorsehung habe unsere vortrefliche Prinzeßin zu einer Königin lassen geboren werden: Es leuchtet aus ihren Augen etwas so Majestätisches und Groses, haß man darinn eine geheime Ubereinstimmung der Natur entworfen siehet.

Die Fräulein von Thurris hatte bey diesem Tausch nichts zu verliehren: Es schmeichelte nicht wenig ihrer Eitelkeit, ihre Prinzeßin Königin von Aquitanien zu sehen: Sie fand sich dadurch selbst mit erhöhet: Ihre Demuth konte sie nicht hindern, sich daraus eine Vergnügung zu machen. Sie hielt das ihr anvertraute Geheimnüs nicht lang verborgen:[399] Wem bin ich näher, dachte sie, in der Welt verbunden, als meiner Prinzeßin? Sie gieng zu ihr und offenbarte ihr alles. Die Prinzeßin wurde darüber bestürzt. Ach! seufzete sie, der Himmel macht es nicht, wie wir wollen: Doch, ich kenne meine Pflicht, und weis, was ich GOtt und meinem Vater schuldig bin.

Der Graf von Rivera verreiste darauf nach einigen Tagen von Christianopolis: Der Fürst versicherte ihn seiner äussersten Hochachtung und Freundschafft: Er schloß ihn mit vieler Zärtlichkeit in seine Arme. Lebet wohl, mein liebster Graf, sprach er zu demselben, und erinnert euch oft der guten Nachschlägen, die wir mit einander gepflogen haben.

Gegen die Prinzeßin lies sich der Graf verlauten, daß er würde den Freyherrn von Riesenburg bis nach Aquana begleiten, woselbst er hofte die Gnad zu haben, ihr wieder aufzuwarten. Sie gab dargegen dem Grafen zu verstehen, daß sie seine Absichten mit ihr wüste, und daß sie deswegen diese Reise nicht ohne besondere Furcht antretten würde.

Quelle:
Johann Michael von Loën: Der redliche Mann am Hofe. Frankfurt am Main 1742., S. 359-400.
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