Der Doktor Allwissend, oder der Doktor Kikeriki.

[392] Es war einmal, ich denke im Schlaraffenlande, wohin es offenbar gehört, ein armer Bauer, der lebte in einem armen Dorfe, und hieß Krebs, er war aber kein Krebs, sondern er hieß nur so.

Die Leute im Dorfe sagten, er sei ein dummer Teufel, wovon Er aber kein einziges Wort glaubte. Denn, dachte er bei sich selbst, »Du hast doch große Gedanken im Kopfe, nur daß du sie nicht von dir geben kannst.«

So mocht es denn auch wohl sein. Im Kopfe lagen die großen Gedanken gewiß, aber eben so gewiß kam kein einziger heraus, sondern er behielt sie allesammt bei sich. Daß es aber recht große Gedanken waren, nahm er daraus ab, daß er immerdar wünschte, ein recht großer und vornehmer und reicher Mann zu werden, vor dem die Leute den Hut abnehmen müßten, und der sich alle Tage gütlich thun könnte ohne zu arbeiten. Er blieb aber derweil wer er war; nämlich ein kleiner Bauer, aber mit großen Gedanken.[393]

Eines Tages hatte er mit seinen zwei magern Ochsen ein Fuderchen Holz in die Stadt gefahren, und es bei einem vornehmen Arzenei-Doktor für zwei Thaler verkauft. Als ihm nun die zwei Thaler ausgezahlt wurden, saß der Doktor gerade zu Tisch und aß und trank das Schönste und Beste, und die Stube, worin er saß, war so prächtig und herrlich.

Da kroch der erste große Gedanke aus dem Kopfe des Krebses heraus und er dachte, wenn ich so ein Doktor könnte werden, da hätt' ich es gut! Daß ers aber werden konnte, wußte er wohl, aber nur das wußte er nicht, wie er es anfangen sollte.

Also blieb er noch ein Weilchen stehen, faßte sich ein Herz, und fragte endlich den Doktor, ob er nicht auch ein Doktor werden könnte? – er möchte es gar zu gern werden!

»Ja! sagte der Doktor, wenn du das Geheimniß weißt, so ist es leicht geschehen. – Dir aber will ichs vertrauen.«

»Du mußt deine zwei Ochsen und den Wagen verkaufen. Dafür kaufst du dir ein Abecebuch, es muß aber in Goldpapier gebunden sein, und hinten auf der letzten Seite inwendig muß der rothe Göckel- oder Kikelhahn stehn, der das Wickelkind im Schnabel hat, und es zur Schule hinträgt. Ein solches muß es sein, sonst hilfts dir zu nichts. Es kostet aber viel Geld, nämlich achtzehn Pfennig.«

»Alsdann laß dir ein Schild mahlen, und darauf schreiben: ›Hier wohnt der Doktor Allwissend.‹ Das Schild kostet noch mehr als das Buch, und wohl noch mehr als acht oder zwölf Groschen. Aber haben mußt du es doch!«

»Hierauf schaff dir ordentliche Kleider an, nämlich einen rhabarberfarbnen Rock und eine geblümte Weste, bis über die Knie reichend, damit du recht vornehm und weise aussiehst, denn du bist freilich wohl schon weise, aber du siehst doch nicht so recht darnach aus, worauf doch eigentlich Alles ankommt. Der Rock aber wird das denn schon machen.«[394]

Diese drei Dinge sind die Hauptstücke. – Willst du, so magst du in die Apotheke gehn, und dir die und die Arzneien kaufen. Die kannst du mengen und mischen unter einander, wie dirs gefällt, denn es kommt nichts darauf an, obwohl es zur Doktorei auch ein klein Bißchen gehört. Und wenn du nicht weißt, wo aus noch ein, so nimm ein ganz klein Gläschen frisch Wasser und laß etwas drunter thun, daß es gefärbt aussieht, und ein wenig gut riecht. – Merk's dir. Davon werden 20 bis 30 Tropfen verordnet, aber beileibe nicht mehr, denn sonst könnt es gefährlich werden und der Kranke darüber kaput gehen. Hilfts denn der Krankhei nicht ab, hilfts doch der Dokterei zu.

Der Bauer that denn, wie ihm geheißen war worden, gar gewissenhaft.

Als er nun ein wenig gedoktert hatte, aber noch nicht viel, da wurden einem reichen Grafen viele Säcke mit Gold gestohlen, und es wurde nicht herausgebracht, wo die Dukaten möchten hingekommen sein, obwohl man viel nachfragte und große Belohnung darauf setzte, denn die, welche es wußten und sie hatten, sagten kein einziges Wörtchen.

Nun hieß es: der Doktor in dem und dem Dorfe, der müsse es wissen wer das Geld habe, denn er heiße: der Doktor Allwissend, und also müsse er Alles wissen.

Der Graf dachte: »Das ist wahr!« und ließ den Wagen anspannen und fuhr ins Dorf und fragte, ob Er der Doktor Allwissend sei?

»Ja freilich; Der bin ich, antwortet der Doktor. Wer sollte es denn sonst sein als Ich?«

Da erzählt ihm der Graf, er sei bestohlen um großes Geld, aber die Diebe könne er nicht herausbringen, denn die sagten kein Wort. Der Doktor möge doch mitkommen und es untersuchen, denn Hausdiebe würdens wohl sein. Das wurde denn auch verheißen, aber[395] seine Frau, die Grete, müßte auch mit, sagte der Doktor Allwissend. – Denn die Grete war gar schlau und gab ihm immer den besten Rath.

Grete durfte denn mit, und hatte ihre beste Mütze aufgethan und ihre beste Schürze angethan, indem sie doch nun eine Doktorfrau geworden und sogar zu einem Grafen mitfuhr.

Als sie ins Grafenschloß kamen, war die Tafel gedeckt, und der Doktor mußte zuvor erst mitessen, und die Grete, seine Frau, mußte auch mitessen. – So setzten sie sich denn zu Tische.

Als sie nun aßen, kommt der erste Bediente mit einem herrlichen Gericht, welches dem Bauer gar lieblich in die Nase roch. Der stößt der Grete in die Ribben und spricht: »Kuck einmal, Grete! es ist das Erste.« Er meinte nämlich, es sei das erste Gericht, der Bediente aber, der mit den andern Bedienten das Geld gestohlen hatte, und schon vorher in Furcht war, meinte, der Doktor habe gesprochen: Er sei der erste Dieb. Das sagt er den andern Bedienten, die darauf allzumal in große Furcht mit geriethen.

Als der zweite Bediente das zweite Gericht brachte, stieß der Doktor die Grete wieder an und sagte: »Du, Grete! das ist das zweite!« Da machte der Bediente, daß er wieder hinauskam.

Dem dritten Bedienten war es nicht besser gegangen.

Der vierte Bediente brachte jetzt eine verdeckte Schüssel, und der Bauer sollte nun sagen, was in derselben wäre, da er einmal der Doktor Allwissend sei. Aber er konnt es nicht wissen und sprach in der Angst: »Du armer Krebs, was fängst du nun an?«

Richtig! Er hatte es getroffen, denn Krebse waren in der Schüssel, und der Graf war vor Erstaunen außer sich und rief: »Nun wenn er das weiß, so weiß er gewiß auch, wer das Geld hat.«

Aber der Bediente zupfte den Doktor heimlich an dem Rock, und gab ihm heimliche Winke, daß derselbe zu den Bedienten hinausging. Da gestanden die vier Bedienten, sie hätten das Gold gestohlen[396] und wollten es gern heraus geben, nur möchte er sie, um Gott, nicht verrathen, sonst kämen sie alle an den Galgen. Dabei versprachen sie ihm großes Geld, nämlich so viel sie nur hätten, und führten ihn an die Stelle, wo das Geld lag, womit denn der Doktor zufrieden war, und wieder hinein ging.

Als nun abgegessen war, sagte er: »Nun will ich in meinem Buche suchen, wo das Geld ist?« Damit suchte er in seinem Abecebuche nach dem Kikelhahn.

Es war aber noch ein fünfter Bedienter im Hause, der hatte sich den Doktor recht angesehen und hatte bei sich bedacht: »Der Kerl sieht dumm wie ein Ochse und ist tölpisch wie ein Bauernflegel, was will der eben wissen?« Er trauete jedoch nicht ganz recht, weil er ein böses Gewissen hatte, und kroch in den großen Ofen, um zu hören, was der Doktor wisse und herausbringen würde?

Da nun dieser nach dem rothen Kikelhahn suchte, und konnt ihn nicht finden und wendete ein Blatt nach dem andern um, indem er bei jedem Blatte die Finger an den Lippen naß machte, sagte er: »Ich weiß doch daß er drinnen steckt, und heraus will ich ihn auch schon bringen!«

Der Bediente im Ofen meinte, das gehe auf ihn, und sprang mit Angst zum Ofenloche hinaus und sagte zu den Andern: »der verwünschte Kerl weiß wahrhaftig Alles!«

Nun zeigte der Doktor dem Grafen wo das Geld lag, aber wer es gestohlen habe, das wollte er nicht ansagen.

Der Graf gab ihm viel Geld, die Bedienten gaben ihm auch was sie nur hatten und er wurde nun weit und breit berühmt, und durch seine Kuren immer reicher, wenn sie auch niemals halfen, denn wenn der liebe Gott nur half, so kam es auf seine Rechnung, als ob Er es gethan hätte.[397]

Genug, er wurde berühmt und reich, und also auch vornehm und groß und war und blieb der Doktor Allwissend.

Aber es hatten Einige gemerkt, daß er seine großen Gedanken blos aus dem Kikelhahn hervorbrachte, und sie nannten ihn nur den Doktor Kikerikiki. Er aber machte sich gar nichts daraus und nannte sie nur »dumme Peter« und blieb doch immer was er war, nämlich der Doktor Allwissend.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 1, Leipzig [ca. 1819/20], S. 392-398.
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