2.

[342] Eine Frau in Indien brachte statt eines Menschen ein häßliches Wunderding zur Welt, einen Maßang. Es war ein Mensch mit Hörnern eines Ochsen und einem langen Kuhschwanz. Der Vater ward unmuthig und sagte: »Der stößigen Menschen sind schon so viel, ich will ihn tödten, aber der Maßang sprach: ›Tödte mich nicht, Vater, du sollst auch belohnt werden.‹« »So bleib denn am Leben, sprach der Vater, aber geh fort.«[342]

Der Maßang ging fort und kam ins Innere eines Haines, deßen Bäume waren dunkel. Im Haine aber stand ein schwarzfarbiger Mensch, den fragte der Maßang: »Wer bist du?« – »Ich bin, war die Antwort, ein schwarzfarbiger Mensch, denn ich bin vom Haine geboren und heiße Iddär. Ich folge dir nach, wohin du auch gehest.«

Beide gingen weiter und kamen zu einem dichten Grasplatze. Da fanden sie einen grünen Menschen, den fragten sie: »Wer bist du?« – »Ich bin, versetzte dieser, ein grüner Mensch, denn ich bin vom Grase geboren und heiße Gägär. Ich will Euch begleiten.«

Die Drei kamen an einen Schilfplatz, wo sie einen weißen Menschen fanden, den fragten sie: »Wer bist du?« – »Ich bin, antwortete der, ein weißer Mensch und bin vom Schilfe geboren. Ich heiße Addär und will Euch begleiten.«

Darauf zogen alle Vier weiter und gelangten zu einem Berge, und in der Vertiefung des Berges fanden sie eine große Hütte, in welcher vollauf war zu eßen und zu trinken. Sie fragten nicht, wem das gehöre, sondern sie aßen und tranken und blieben in der Hütte.

Jedes Tags sollten drei von ihnen auf die Jagd ziehen und der vierte die Hütte hüten und Alles besorgen.

Den ersten Tag blieb der Waldsohn Iddär in der Hütte, und kochte Fleisch für die Andern, als eine Alte die Leiter anlegte und zur Thüre hineinkam. »Wer da?« rief er, und als er nun hinsahe, war es eine kaum spannenlange Alte, die einen Tragsack auf dem Rücken hatte, nicht größer als ein kleiner Apfel.

»Oh! sprach die Alte, so Einer sitzt jetzt da. Du kochst Fleisch und hast auch Milch. Laß mich doch ein wenig davon kosten. Ich bin klein und brauche nicht viel. Als sie aber von Fleisch und Milch[343] ein klein wenig gekostet hatte, verschwand Beides und die Alte entfernte sich.«

Der Waldsohn schämte sich, daß die Speisen weg waren und fürchtete sich vor den Andern, nicht wißend, wie er sich sollte entschuldigen. Da er nun aus der Hütte blickte, fand er zwei Pferdehufen. Diese nahm er und machte eine Menge Pferdetritte damit um die Hütte und schoß einen Pfeil in den Hof.

Die Jäger kamen nach Haus und fragten: »Wo ist Fleisch; wo ist Milch?« Der Waldsohn antwortete: »Es kamen hundert Leute zu Pferde, drangen ins Haus, nahmen Fleisch und Milch und schlugen mich halb todt. Geht selbst hinaus und schauet es. Da schaueten sie hinaus, fanden die Pferdetritte und den Pfeil und sprachen: ›deine Worte sind wahr.‹«

Am andern Tage blieb der Grüne in der Hütte zurück, dem ging es gleich also. Weil er aber zwei Rinderfüße fand, machte er eine Menge Tritte damit um die Wohnung und sagte: »Es kamen hundert Leute mit beladenen Kühen und raubten die Speisen.«

Am dritten blieb der Weiße in der Hütte, dem ging es nicht beßer. Er machte mit zwei Maulthierfüßen viel Maulthiertritte und sagte, hundert Leute, auf Maulthieren ankommend, hätten die Speisen genommen.

Am vierten Tage blieb der Maßang daheim und bereitete die Speisen. Da kam die Alte und sagte: »Ha, so Einer sitzt dießmal da! – Laß mich doch von Milch und Speise ein wenig kosten?« Aber Maßang dachte, diese Alte ist gewiß die drei vorigen male dagewesen. Thu ich, was sie verlangt, so weiß ich nicht, was daraus kommt. Darum sagte er: »Alte! ehe du kosten darfst, mußt du zuvor erst mir Waßer schaffen. Er reichte ihr aber einen durchlöcherten Eimer, den nahm sie. Als er ihr aber nachsahe, wurde sie[344] höher und immer höher und endlich so hoch, daß sie an den Himmel hinanreichte.«

Während sie Waßer schöpfte und wieder schöpfte und doch nichts bekam, durchsuchte der Maßang den Tragsack der Alten. Er nahm ein Darmseil, einen eisernen Hammer und eine eiserne Zange heraus, und legte ihr einen verrotteten Hanfstrick und hölzernen Hammer und Zange hinein.

Als die Alte zurückkam, sprach sie: »Ich kann mit deinem Eimer nicht schöpfen. Willst du mir aber nichts zu eßen geben, so laß uns sehen, wer der Stärkste ist?« Damit band die Alte den Maßang mit dem verrotteten Strick, den er zerriß. Aber das Darmseil, womit der Maßang die Alte band, konnte sie nicht zerreißen.

»Hierin hast du gesiegt, sagte sie, nun aber wollen wir mit der Zange uns zwicken.« Sie zwickte ihn, aber das half nichts; er aber zwickte ihr ein großes Stück Fleisch aus der Brust, daß sie schreiend ausrief: »O Jüngling! du hast eine unbarmherzige Faust.«

Als nun die Alte mit dem Hammer auf den Maßang schlug, flog der Hammer von dem Stiel und Maßang blieb unverletzt. Darauf nahm der Maßang seinen Hammer, den er im Feuer erst glühend gemacht hatte, und schlug damit Schlag auf Schlag auf die Alte, daß sie, mit Blut und Brandblasen bedeckt, lautheulend entfloh.

Als die drei Gefährten rückkehrten, sagten sie: »Maßang, du hast gewiß zu dulden gehabt.« Er aber antwortete: »Ihr seid feig und habt gelogen, ich aber habe die Alte bezahlt. Auf! wir wollen ihr nachgehen.«

Sie folgten der Blutspur, welche sie zu einer furchtbaren Felsenhöhle führte, von großer Tiefe. Auf dem Boden derselben lag[345] die blutige Leiche der Alten, unter Haufen von Gold und Erz, unter Panzern und Schwerdtern.

»Seht! sagte der Maßang, wie das Finstere in Finsternißen wohnt! Aber die Frage ist, wer will hinabsteigen und die kostbaren Sachen mir zureichen?« Die Gefährten entschuldigten sich und sagten: »Wir gehen nicht, denn gewiß ist die Alte eine Schumnu (Hexe.)«

Da ließ sich Maßang in die Tiefe hinab und reichte den Gefährten die Sachen. Die aber wurden geblendet von dem reichen Gute und sprachen untereinander: »Ziehen wir den Maßang hinauf, dann behält er Alles für sich; wir gehen lieber mit den Sachen davon, dann muß der Maßang sterben.«

»Treuloser Verrath!« jammerte Maßang; »soll ich hier sterben?« Er suchte nach Speise umher, aber in der Höhle war nur Rinde zu finden. Maßang pflanzte darauf die Rinde in die feuchte Erde und sagte: »Bin ich ein wahrhafter Maßang, so müßen drei große Bäume aus diesen Rinden erwachsen.«

Nach diesen Worten legte sich Maßang zur Leiche der Alten, aber wegen der unreinen Berührung der Leiche schlief er mehrere Jahre.

Als er erwachte, ragten drei große Bäume bis über den Eingang der Höhle hervor, an welchen er freudig heraufkletterte.

Er begab sich alsbald nach der Hütte, wo er zuvor hatte gewohnt; die Hütte war aber verlaßen. Da nahm er feinen eisernen Bogen und seine Pfeile, und machte sich auf, die Gefährten zu suchen. Diese hatten Häuser gebaut und Weiber genommen.

»Wo sind Eure Männer?« fragte Maßang die Weiber. – »Unsere Männer sind auf der Jagd,« versetzten die Weiber. Da ging Maßang hinaus dieselben zu suchen.[346]

Sie kamen eben zurück und erzitterten heftig, als sie ihn erblickten und sprachen: »O! daß wir so übel gethan haben! Der Maßang wird uns tödten!« Sie gingen zu ihm hin und sagten kniend: »du bist der Gerechte, wir aber haben gesündigt. O tödte uns nicht! Nimm unsere Häuser und Kinder und Weiber und all unser Gut, aber tödte uns nicht!«

Hierauf sprach Maßang: »Fürwahr Ihr waret nicht redlich! Aber behaltet, was Ihr habt, und lebt wie zuvor. Ich gehe den Vater zu lohnen.« Und er zog weiter.

Die Gefährten sahen ihm traurig nach und sprachen: »Wie ist er so großmüthig. Wie ist der Geist in dem häßlichen Körper so hoch und so mild. Laßet uns werden, wie er ist!«

Maßang kam in ein unbekanntes Land. Da fand er einen Brunnen am Wege und aus dem Brunnen schöpfte ein herrliches Mädchen. Das Mädchen ging und wo es hintrat, sproßten wunderliebliche Blumen unter seinen Tritten hervor. Maßang folgte dem Mädchen nach, denn es war ihm, als zög es ihn nach.

Da kam er mit dem Mädchen in den Himmel und Churmusta, der Beschützer der Erde, kam ihm entgegen und sagte: »Tängäri (Himmelssohn), ich habe dich lange erwartet; es ist gut, daß du herkommst. Wir haben täglich mit dem Heere der Schumnus zu streiten, welche die Erde verderben wollen. Morgen sieh unserem Kampfe zu, übermorgen sei unser Gefährte. Die weißen Schaaren sind die Tängäris, die schwarzen aber die Schumnus.«

Als am dritten Tage die weiße Schaar von der schwarzen bedrängt ward, spannte der Maßang seinen Bogen, zielte nach dem Auge des Führers der Schwarzen und traf ihn, daß er heulend entfloh und seine Gefährten mit ihm.[347]

Churmusta sprach: »deine That ist belohnenswerth, aber geh und verrichte noch Eins. Durch einen kleinen Umweg gelangst du zur Höhle der Schumnus; geh ohne zu zagen und sprich: ›Ich bin ein Menschenarzt.‹ Führt man dich zu dem Schumnuchan, den Pfeil aus dem Kopfe zu ziehen, dann bewege den Pfeil, streue sieben Getreidearten gen Himmel und stoße den Pfeil tief in den Kopf.«

Maßang umherirrend gelangte an die Höhle und klopfte an die Thüre. Da trat ein altes Schumnuweib hervor mit feuerspeiendem Munde und fragte: »Was hast du gelernt?« »Ich bin ein Menschenarzt,« antwortete Maßang. Da wurde er in die Wohnung geführt, und betrachtete die Wunde des Chans und rüttelte an dem Pfeil. »Schon, sprach der Chan, ist mir viel leichter geworden.« Da stieß Maßang plötzlich den Pfeil in die Wunde bis zu der Mitte hinein und streuete das Getreide gen Himmel, und klirrend fielen Ketten von Himmel. Während Maßang die Ketten ergriff, schlug ihm das feuerspeiende Schumnuweib mit einem eisernen Hammer auf die Brust, daß von dem Schlage sieben Sterne entstanden, und Maßang wurde an den Ketten gen Himmel gezogen. »O, sagte der Maßang, nun bin ich gestorben und kann dem Vater nicht lohnen!«

»Weil du den Schumnuchan getödtet hast und ein dankbarer Sohn bist, sollst du den Vater dennoch belohnen. Nimm die Tängäritochter und gehe mit ihr zur Erde zurück zum Vater, und lebe so lange mit ihr auf der Erde, bis hundert Jahr um sind.«

Das Mädchen nahm Maßang bei der Hand und sprach: »Ich will dich zur Erde hinführen.«

Als sie waren zum Vater gekommen, sagte die Tängäritochter: »Gib acht, was ich thue!« Da schüttelte sie die rechte Hand und[348] Haufen von Gold und Erz fielen herab, dann schüttelte sie die linke Hand und es kamen Speisen und Getränke hervor. Hierauf ging sie in weiten Kreisen um die Hütte des Vaters, und es entstanden Lusthaine mit Fruchtbäumen, Wiesen und Blumen und Quellen! Darauf sagte sie: »Nun will ich deine Gemahlin werden,« und berührte die Hörner und den Kuhschwanz, daß sie abfielen. »Siehe, sagte Sie, nun hast du genug den Vater zu lohnen!«

Als nun die Drei noch hundert Jahre in Frieden und Glück gelebt hatten; gingen sie zu Churmusta in den Himmel.

Quelle:
Johann Andreas Christian Löhr: Das Buch der Maehrchen für Kindheit und Jugend, nebst etzlichen Schnaken und Schnurren, anmuthig und lehrhaftig [1–]2. Band 2, Leipzig [ca. 1819/20], S. 342-349.
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