Der Hexenbrenner

[256] Pater Christoph liegt im Sterben,

Und weil immer er getan,

Was die heilige Kirche vorschreibt,

Sieht den Tod er ruhig an;

Beichtet, was nicht wert der Beichte,

Nimmt das letzte Sakrament

Und empfiehlt die reine Seele

In des lieben Herrgotts Händ'.


Als die Seele schwach und elend

Nun im dunklen Jenseits stand,

Sie zu ihrem größten Schrecken

Gar nicht sich zurechte fand;

Sehr vermißte sie den Engel,

Der den wahren Weg ihr wies,

Und es schien ihr nicht sehr freundlich,

Daß man sie alleine ließ.


Und sie schwirrte hin und wieder,

Und sie schwirrte hin und her,

Und sie murrte und sie knurrte

Und sie fluchte schließlich sehr:

»Dazu hat man nun auf Erden

Sich nicht Kuß noch Kind gegönnt,

Daß man hier nun wie ein Schwanzstern

Köpflings in die Runde rennt.


Über fünfzig Hexen hat man

Zu der Hölle hinspediert,

Alles Weinen, alles Winseln

Hat mir nicht den Sinn gerührt;

Und besonders bei der einen

Kam es gar nicht leicht mich an.

Denn man war doch jung und kräftig

Und war schließlich auch ein Mann.


Himmelblau war'n ihre Augen

Und wie Sonnenschein ihr Haar,

Und ihr Leib war schön, wie schöner

Nicht der von Frau Venus war;[257]

Selbst als er zerfetzt und blutig

Wimmernd in den Ketten hing,

Sündlich Fühlen mir wie Feuer

Über Leib und Lenden ging.


Doch ich rang die Sünde nieder

Und ich trat den Teufel tot,

Und ich lag in meiner Zelle

Nackt bei Wasser und bei Brot;

Und ich betete und büßte,

Und ich rief den Himmel an,

Und in Hunger, Frost und Elend

Ich den sauren Sieg gewann.


Doch, wenn ich es recht bedenke,

Finde ich, ich war sehr dumm,

Daß ich selber mir die Pforte

Schloß zu dem Elysium;

Beten, fasten und kasteien

Tat ich all mein Leben lang,

Und nun wird man so behandelt,

Und das ist dafür der Dank!«


Und er quält sich und er härmt sich

Drei Millionen Jahre hin,

Hat den Himmel längst vergessen,

Hat das Hexlein nur im Sinn;

Hexlein mit den blauen Augen,

Hexlein mit dem blonden Haar,

Mit dem blütenweißen Leibe,

Der so jung gestorben war.


Und die arme Seele flattert

Wimmernd vor das Höllentor;

»Laura,« ruft sie, und ein Teufel

Nied'ren Grades tritt hervor:

»Ihre Laura, werte Seele,

Ist hier gänzlich unbekannt.«

Ganz verdonnert Pater Christophs

Seele auf der Treppe stand.
[258]

Und sie flattert wieder weiter

Und zum Fegefeuer hin,

Doch die Auskunft, die ihr wurde,

Ward ihr auch nicht zum Gewinn;

»In der Hölle keine Laura?

Und im Fegefeuer nicht?

Sollte sie im Himmel weilen?«

Seufzt der ganz verdutzte Wicht.


Zaghaft naht er sich der Pforte,

Und er pochet scheu und bang,

Und das Tor des Himmels öffnet

Weit sich ihm mit hellem Klang;

Und am Tor steht seine Laura,

Schön wie sie auf Erden war,

Mit den himmelblauen Augen,

Mit dem sonnenblonden Haar.


Und er zögert, und er dienert,

Und er fragt: »Ist es erlaubt?

Habe dir dein junges Leben

Einst in blödem Wahn geraubt;

Ich, der Pater Hexenbrenner

Stürzte dich in Not und Qual,

Und nun willst du meine Seele

Führen in den goldnen Saal?«


Doch das Hexlein lacht und alle

Engel lachen mit im Chor,

Und aus seiner Demantlaube

Tritt der liebe Gott hervor;

Und er füget ihre Hände,

Und die Seelen küssen sich;

Gottes Sohn, der lächelt freundlich,

Doch der Geist spricht feierlich:


»Glaubst du denn, wir hier im Himmel

Haben irdisches Gemäß,

Messen eure armen Sünden

Mit dem amtlichen Gefäß?[259]

Nein, wir werten nur die Liebe,

Gab sie sich auch plump und dumm:

Wer geliebt hat, der hat Zutritt

Einstmals zum Elysium.«


Und er schämt sich ganz gehörig,

Und dann spricht er seinen Dank,

Und dann küßt er seine Laura

Zehn Millionen Jahre lang;

Und die Engel stehen alle

Dicht geschart und ihr Gesang

Lehret ihn des Himmels Satzung,

Die verfehlt er allzulang:


Von dem Mond bis zu der Sonne,

Das ist wohl ein weiter Weg,

Von der Erde bis zum Himmel

Führt ein ewiglanger Steg;

Alle Reue, alle Buße

Kürzt dir nicht des Weges Pein,

Nur die Liebe kann dir helfen,

Daß du gehst zum Himmel ein.

Quelle:
Hermann Löns: Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924, S. 256-260.
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