39. Trinklied

[83] Frischen Saft der Reben,

Brüder, gießet ein!

Jünger, als nun eben,

Werden wir im Leben

Nicht beisammen sein.


Mag die Zeit mit Flügeln

Eilen, wie sie will;

Heut' die Lust zu zügeln

Gilt mehr uns, als Klügeln;

Bacchus steht hier still.


Was hilft alles Sorgen

Für der Zukunft Glück?

Mir liegt nichts am Morgen,

Bin ich nur geborgen

Für den Augenblick!


Thöricht ist's zu grämen

Sich um Geld und Pracht;

Wenn wir's mit uns nähmen,[83]

Wenn wir wiederkämen,

Aus des Hades Nacht!


Dieser will noch scharren

Heut nach Gut und Geld;

Wird die Parze harren,

Bis endlich es dem Narren

Mitzugehn gefällt?


Der von Orden blinket,

Wie sein Roß, beschwert.

Seht, das Schicksal winket,

Und – der Prahlhanns sinket

Nackt und bloß zur Erd'.


Stieg' zum Sternenheere

Jener siegend hin,

Wenn's noch höher wäre –

Lauert mit der Scheere

Atropos auf ihn.


Alles, Sorgen, Schwitzen,

Titel, Schmuck und Band,

Kronen, die hier blitzen,

Sterne, Bischofsmützen

Sind im Orkusland.


Nur in frohen Stunden

Was uns glücklich macht,

Wenn, des Zwangs entbunden,

Wir die Lust gefunden –

Das sinkt nicht in Nacht!
[84]

Darum gießt der Reben

Frischen Saft mir ein!

Jünger, als nun eben

Werden wir im Leben

Nicht beisammen sein!

Quelle:
Friedrich Müller (Maler Müller): Gedichte. Jena 1873, S. 83-85.
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