Der Goldfasan

[181] Es war einst eine Hungersnoth

Im Thierreich, alles schrie nach Brod,

Die Vögel fielen aus der Luft,

Wie Mücken in die weite Gruft.


Ein Goldfasan schlich matt und schwer

Und ächzend durch den Hain umher;

Ihm sah ein Specht von ferne zu

Und sagte: Freund, was ächzest du?


An deiner Stelle hätt ich bald

Den fettsten Tisch im ganzen Wald;

Verkaufe nur dein reiches Kleid,

So hast du Brod auf lange Zeit.


Dem Goldfasan gefiel der Rath,

Er setzte seinen ganzen Staat

Bey einem alten Hamster ab,

Der ihm zwo Metzen Korn drum gab.


Nun pflegt er sich bey Fürstenkost;

Doch plötzlich fiel ein Winterfrost,

Und plötzlich war der arme Narr

Am nakten Leibe blau und starr.
[182]

O weh mir! sprach er nun zum Specht,

Mein guter Freund, dein Rath war schlecht;

Ich weiß, man stirbt aus Hungersnoth,

Doch wer erfriert, ist gleichfalls todt.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 2, Tübingen 1802, S. 181-183.
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