Billigkeit

[33] Nein, sie taugt nicht, unsere Jugend!

Nein, ihr fehlt die beste Tugend,

ihr gebricht die Billigkeit.

Herzlich lieben, herzlich hassen,

ja, in Bücher mag es passen;

doch als Mensch muß man sich fassen,

und die Wahrheit kommt nicht weit:

Seid doch billig!

Seid doch willig!

Jedes Ding hat seine Zeit.


Allzu scharf, wißt ihr, macht schartig.

Tadeln dürft ihr aber artig!

Räsonieren, aber sacht!

Flüstern müßt ihr, niemals sprechen,

immer biegen, niemals brechen;

jeder Mensch hat seine Schwächen,

jeder Tag hat seine Nacht:

Seid doch billig!

Seid doch willig!

Nehmt die Billigkeit in acht!


Schwarz und Weiß, das sind Extreme:

Grau, das ist das Angenehme,

das so Schwarz wie Weiß enthält.

Jede Sache hat zwei Seiten,

über jede läßt sich streiten;

anders denken andre Zeiten,

und das Neueste gefällt:

Seid doch billig!

Seid doch willig!

Billigkeit regiert die Welt.
[34]

Seht, ihr selber werdet älter,

eure Herzen werden kälter,

und das Lebensöl verbrennt.

Eure Worte werden feiner,

eure Wünsche werden kleiner;

werdet noch wie unsereiner –

Ordensband und Ratspatent!

Drum hübsch billig!

Drum hübsch willig!

Oder sonst – potz Sapperment ...


1842


Quelle:
Robert Eduard Prutz: Prosa und Lyrik, Leipzig 1961, S. 33-35.
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