Des Thirsis weissagender Segen über Hilas

[29] Heil mit dir, du theurer Knabe,

Anmuthsvolles holdes Kind,

Hoffnungsreicher Hilas, wachse!

Sprossend blühend edler Zweig,

Eines Gottgeweihten Stammes,

Unter dessen süssen Schatten

Thirsis, der getreue, sang:

Steige glücklich in die Lüfte.


Du befeuchtend heilger Segen

Thaue auf sein grünend Haupt,

Aus dem schattenleeren Himmel.

Und du Sonne ewger Huld,

Breite die geweihten Strahlen

Ueber seine junge Blätter.

Ja die Vorsicht wache selbst

Für dein Wachstum, dein Gedeyen.


Freude deines edlen Vaters,

Eintzger Trost der treuen Brust,

Ja du wächsest, ja du blühest,

Mein Gelübde wird erhört.

Freude, Lachen, Schertzen, flattern

Rund um dich auf allen Seiten.

Und wer führt dich an der Hand,

Ists Aglaja, oder Doris?


Ja sie ists, sie führt ihn lächelnd,

Und ihr Hertz hüpft, wie ihr Söhnchen.

Aber alle Gratien

Tantzen um sie her im Kreise,

Und bestreuen sie mit Blumen,

Doris lächelt, spielt und singt.

Ihr vergnügensvoller Blick[30]

Macht die trüben Lüfte heiter,

Machet lauter Rosen wachsen,

Und der Lentz herrscht überall.


Unterdessen sitzet Damon

Freudig, doch in ernster Stille,

Und sein Ernst ist Hilas Spiel.

Alles Lachen, Springen, Schertzen,

Die Lebhaftigkeit der Freude,

Die Entzückung in der Lust,

Munterkeit in den Geberden,

Saltz in ungesuchten Worten,

Seines Geistes Schildereyen,

Prüft dein philosophscher Blick,

Untersucht, mit frohen Schlüssen,

Dein wahrsagendes Gemüthe.


Ja von deiner muntern Jugend

Siehest du das Lustspiel hier,

Von der Unschuld aufgeführet.

Und die frohe Weisheit selber

Mischt sich unter das Geleite

Der vergnügen Kindheit ein.

Ja sie führt ihr lachend Chor

Selbst zum Tantze, an den Reihen.

Hilas hüpft in ihrem Circkel,

Dessen junges Haar ein Kräntzgen

Von den Gratien durchbalsamt,

Und die Mutter singt zum Tantze.


Aber, welch ein neuer Aufzug!

Welch ein Glantz zertheilt die Wolcken!

Sieh hinauf, des Himmels Thor

Oeffnet seine goldne Flügel,

Und die Kinder jenes Lichtes

Steigen mit begläntzten Schwingen

In den nahen Hain herab.
[31]

Sie umringen meinen Hilas,

Und die heilig holden Hüter

Wachen über jeden Schritt.

Unbesorgt spielt er mit ihnen,

Einem kleinen Engel gleich.

Himmlisch reine Harmonien

Schallen durch die nahen Büsche,

Und gewöhnen schon sein Ohr

Zu unsterblichen Gedichten.


Aus der unsichtbaren Schule

Kömmt er einst in deine Hand;

Dann wird sich von deinem Geiste

Ein gelehrter Einfluß stets

In des jungen Dichters Brust,

Der dir nachgeflogen, giessen.

Ja mich dünckt, wir sehen ihn

Schon mit deinen Flöten spielen.


Strenges Schicksal, könnt ich doch

Dann um meinen Hilas seyn,

Wann sein Mund den nahen Wald,

Seine zitternd erste Töne

Wiederschallen lehren wird.

Damon, Doris, Hilas, ach!

Sollt ich doch an eurer Seite

Einst mein Schwanen-Lied noch singen!

Und du, o mein liebster Freund,

Thränend einst mein Grabmal krönen!

Hier sprach mein Hertz; hier schwieg die Kunst.

Quelle:
Freundschaftliche Lieder von I. J. Pyra und S. G. Lange, Heilbronn 1885, S. 29-32.
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