Der Freundschaft Sieg über Gram und Neid

[34] Pyra und Lange


Als noch dein freyer Geist sein Wachen

Nicht völlig deinem Fleisch und Blute schuldig war,

Da aß ich froh, getrost und ohne Sorgen,

Von deinen mir mit Lust gereichten Bissen,

Da stillt ein Becher unsern Durst,

Da tauchten wir zugleich in eine blancke Schaale,

Dein Arm trug meines Kummers Last,

Und mein versiegelt Hertz dein Sorgen.


Da lebten wir mit Lust beysammen,

Und spotteten sowohl des Glückes, als des Grams.

Ich sang, du sangst; du sangst und Doris horchte,

Und nahm dich küssend in die Arme.

Der Stimme spielend Ebenbild,

Das in durchschallten Wald aus holen Felsen rufet,

Die Echo trug der Doris Lob

Und Namen tausendfältig weiter.


Von pöbelhaftigen Begierden

Würd ich und du befreyt, mit uns allein vergnügt,

Du mit der scharffen Flöt, ich mit der Leyer,

Die letzten Wildnisse besuchet haben,

Wo die unfruchtbare Natur

Kein grüner Busch erfreut, kein frischer Schatten kühlet,

Wo über unser Haupt das Rad

Des Sonnenwagens tiefer schwebte.


Ich würd in einem Schäferkleide,

Dort um des reissenden und breiten Tygris Strand

Von eurem Ruhm mit Lust gespielet haben.

Es hätten mich der holden Namen wegen

Die Löwen gantz entzückt gescheut.

Ja, ja, es hätten selbst die rauhen regen Felsen

Bewegt von eurem Ruhm erklungen.
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Da hätten uns die falschen Freunde,

Durch Phöbus Pfeil verjagt, im Singen nie gestöhrt;

Du hättest selbst der Barbarn Hertz erweichet;

Und ihre Grausamkeit uns nie getrennet.

Und wie! du längst verlachter Neid,

Du denckst das heilge Band der Freundschaft aufzulösen?

Hast du in deiner Bosheit Frist,

Nicht Damon, Thirsis, kennen lernen?

Quelle:
Freundschaftliche Lieder von I. J. Pyra und S. G. Lange, Heilbronn 1885, S. 34-36.
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