Über Leons Tonsur

[42] Wien im Weinmond 1778.


Aequam memento rebus in arduis

Seruare mentem.

Horat.


Ey, Meister Gottlieb! fangt doch an,

Mal freundlich drein zu gucken!

Ihr seht ja aus, als zwänge man

Euch Heerlinge zu schlucken.


Wer kann, wenn Ihr es für und für

So treibt, in Euch sich finden?

Ihr schleicht herum, als solltet Ihr

Erlahmen und erblinden.
[43]

Pfui doch, Gevatter, pfui! entsagt

Dem stäten Spintisiren!

Was nützt's, dass Ihr Euch selber plagt?

'S hilft doch kein Protestiren,


Müsst Eure Scheitel schmücken sehn

Mit einem Zopfperückchen;

Denn denkt, so kahl herumzugehn,

Das wär' ein feines Stückchen.


Zwar säh' ich diess mein schwarzes Haar

So jämmerlich verschnitzeln,

Ein solcher Streich würd' unfehlbar

Auch mich gar höchlich kitzeln.


Allein mit Gunst! den weisen Mann

Macht kein Geschick verlegen:

Er stellt, wenn er's nicht ändern kann,

Dem Unglück Trost entgegen.
[44]

Seht! geht's Euch mal wie Absalon,

(Habt Euch's doch wohl notiret,

Was man in Parua schon davon

Uns zu Gemüth geführet,


Als wir als Diktatoren dicht

An dem Katheder sassen,

Und, um den Judenstaat uns nicht

Viel kümmernd, Kirschen assen?)


Ihr könnet dann gar säuberlich

Dem Lanzenstoss entrinnen:

Ihr lasset die Perück' im Stich,

Und tummelt Euch von hinnen.


Drum, wie gesagt, ermannet Euch,

Und hängt nicht stäts die Ohren!

Ihr habt ja doch kein Königreich

Durch Euern Zopf verloren.
[45]

Seyd froh, dass Ihr der Todsgefahr

So leichten Kaufs entkommen,

Und diessmal mit dem Büschlein Haar

Der Tod fürlieb genommen.

Quelle:
Joseph Franz Ratschky: Gedichte, Wien 1791, S. 42-46.
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