Uber das Evangelium am Fünften Sontage nach Ostern, Vocem Iukunditatis genant

[256] 1.

Auf, Meine Seel', und rüste Dich,

Für Deinen Gott zu tretten.

Mein Heiland Jesuß lehret Mich

Im Glauben anzubehten

Den Vatter, der Unß geben wil,

Waß Wir von Ihm begehren.

Mein Seelichen, beht' in der still':

Er wird, waß Wir entbehren,

Unß hertzlich gern gewehren.


2.

Ist Gott Mein Vatter, ei wollan,

So heiss' Ich nach behagen

Sein Kind, daß Ihm vertrauen kan

Und nimmer darf verzagen.

Auf solcheß tret' Ich, Herr, zu Dir

Ohn' Eitelkeit und prangen;

Ich alß Dein Kind wil nach Gebühr

Itz Mein Gebeht anfangen,

Laß Mich nur Gnad' erlangen,


3.

Wie dörft' Ich bitten, wen Mein Sinn

Mit Hoffahrt wer' erfüllet?

Ich weiß ja selber, waß ich bin,

Wen Mich die Grufft verhüllet.

Ein aufgeblaßner wird von Gott

Mit Eifer angesehen;

Ein stoltzer Behter wird zu Spott'.

Er kan ja nicht bestehen,

Sein' Hoffnung muß vergehen.


4.

Gott ist Mein Vatter, Ich sein Kind,

Ihm bleib Ich stets ergeben:

Waß Er gebeüt, dem sol geschwind

Auch Meine Seel nachstreben.

Gehorsahm fodert Er von Mir,

Gehorsahm pflegt für allen

Im Himmel Gott, den Eltern hier

Erfreülich zu gefallen,

Dem wil auch Ich nachwallen.


5.

Gehorsahm sol in aller Noht

Mein' arme Seele stillen,

Gehorsamst leid' Ich gahr den Tod

Nach Meines Vatters willen.

Ihm' bleib' es alles heimgestelt,

Er fodert Meine Sachen;

Ja waß Mir nütz' und Ihm gefält

Daß wird Er endlich machen

So, daß Ich noch kan lachen.
[256]

6.

Ich schwaches Kind leb' in der Schuld,

Dem Vatter hoch verpflichtet.

Drum trag' Ich billich auch Gedult,

Wen Er durchs Kreütz Mich richtet;

Und läst Er schon nicht also fohrt

Mir Hülff und Trost erscheinen,

So hört Er doch nach seinem Wohrt'

Alhier Mein kläglichs Weinen:

Daß wird Er nicht verneinen.


7.

Je länger Gott zu rükke bleibt,

Wen man in Trübsahl zaget,

Je mehr Er auch zu rükke treibt

Daß, waß Unß hat geplaget.

Er weiß allein die rechte Stund',

In welcher Er wil kommen;

Sein Gnadenbrunn' ist ohne Grund,

Kraft welcheß Er der Frommen

Sich stets hat angenommen.


8.

Mein Gott, wie lieblich ist es doch,

Daß Wir Dich Vatter nennen,

Die Wir in disem Sündenloch'

Oft halb verzweifelt rennen.

Doch geh' und fall es, wie es wol':

Ich kan es tröstlich fassen,

Daß Du, der Vatterliebe vol,

Mich nimmermehr wirst hassen

Noch in der Noht verlassen.


9.

Ein Vatter gibt mit milder Hand,

Waß seine Kinder bitten:

Wie solt, O Gott, Dein Liebesband

Den Segen nicht außschütten?

Du gibst Gesundheit, Reichthum, Ehr'

Und waß zu disem Leben

Ja sonst die Noht erfodert mehr,

Daß kanst Du leicht daneben

Auch Deinen Kindern geben.


10.

Wen Sünde, Teüfel, Tod' und Hell'

Unß grausahmlich betrüben,

So spühren Wir, O Gott, ja schnell

Dein Väterliches lieben!

Du tröstest kräfftig Unser Hertz',

Im Fall' Unß daß Gewissen

Verklaget und desselben Schmertz

Die Glieder schier zerrissen,

Ja Seel und Geist gebissen.


11.

Ich komm', O Vatter, alß Dein Kind,

Mit Sünden schwehr beladen:

Sei Mir doch freündlich und gelind',

Empfange Mich mit Gnaden.

Ich bins nicht wehrt und weiß dennoch,

Du wirst Dein' Hand' außstrekken,

Damit daß schwehre SündenJoch

Mich könne nicht bedekken

Noch alzu grausahm schrekken.


12.

In meiner allerhöchsten Noht

Wil Ich Dich Vatter heissen:

Du bist Mein Vatter, wen der Tod

Mich wil von hinnen reissen.

O Vatter, laß durchs ChristusBluht

Den Himmel Mich ererben,

Den Christus Bluht, daß höchste Guht,

Läst Mich dein Reich erwerben:

Drauf wil Ich frölich sterben.

Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 256-257.
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