Der verschloßen seßel

[316] Im abgeschidnen ton Nachtigals.


9. juli 1554.


1.

Als Vulcanus der gotte,

welcher schmiedet den donnerstral,

wart schwarz und rußig überal,

drum in zu schmach und spotte

Juno vom himel warfe,

Da er sich hinkent fiele,

in die insel Lemnos genant,

darin er mit kunstreicher hant

machet schön und subtile

über die maßen scharfe

Ein seßel, gulden wase,

mit klammern und haken heimlich geschicket,

wer in den seßel saße,

der wart darin verschloßen und verstricket;

den er frau Juno schicken tet,

die in vom himel gstoßen het,

zu rechen sich aus haße.


2.

Als Juno darein saße,

kunt sie vom seßel nit aufstan,

so kund in auch niemand auftan;

balt sie auf der ert straße

Mercurium hinsendet,

Der Vulcanum anrete

mit worten süß, das er doch holt

Junonem ledig machen wolt,

das doch abschlagen tete

Vulcanus und nicht endet.

Da schickt Juno hinabe

den weingot Bacchum, der vil weins zu trinken[317]

dem got Vulcano gabe,

das im sein haupt wart tol und tet hinsinken;

fürt den trunknen gen himel nauf,

der löset ir den seßel auf,

ließ Junonem herabe.


3.

Johann Herolt beschreibet

dise fabel und ander mer,

aus der uns gar ein schöne ler

zu warnung hie beleibet;

das wir uns fleißig hüten

Vor schnöder trunkenheite;

dan wo sie nimet überhant,

da löst sie auf der zungen bant,

öfnet die heimlichkeite,

durch des weins heimlich wüten

Das sunst lang blieb verborgen,

mit der vernunft gar stark und fest verschloßen,

öfnet der mensch on sorgen,

wan im wein überflüßig ein wirt goßen,

das nüchterweis gar nit gescheh;

darum ein weis man sich fürseh

vor füll abend und morgen.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 316-318.
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