An Herrn Biedermann aus Winterthur

[71] Ein Impromptu.


Dich segne, Christ und Biedermann,

Dich segne meine Hand,

Zieh' hin im Gurte deiner Kraft

Ins edle Schweizerland.


Zieh' hin im Arme deines Weibs,

Die Lieb' und Unschuld blickt;

Die, fern vom Gallischen Gezier,

Nur Schweizeranmuth schmückt.[71]


Ins Land, an dessen Brust du lagst,

Und sogest Löwenmilch,

Wo man dem seidnen Schurken flucht

Und Einfalt ehrt in Zwilch.


Ins Land, wo Biedermuth noch haust,

Und wo der Rache Schwert

Dem Freiheitshasser blank und heiß

In stolzen Schädel fährt.


Wo Geisteskraft noch Körper find't,

Durch die sie wirken kann;

Wo der gestählte Arm noch schwingt

Die blut'ge Freiheitsfahn'.


Wo man der alten Sitte werth

Noch alte Tugend kennt,

Und Vaterland! und Vaterland!

Mit Flamm' im Auge nennt.


Zieh' hin, du edler Biedermann,

Dich segne meine Hand;

Zieh' hin im Gurte deiner Kraft,

Ins edle Schweizerland!


Grüß' alle deine Lieben mir,

Ach, weinend denk' ich dran!

Wie ihr so manchen Christen habt,

So manchen großen Mann.


Lavater, Heß – dies Brüderpaar!

Wie Boas und Jachin,

Zwo Säulen, die von lautrem Gold

In Christus' Tempel stehn;


Und Bodmer, der ein Patriarch

Den Menschenvater sang,

Daß mir die Zähr' oft süß entstürzt,

Und mir die Seele klang;[72]


Und Bossart, der die Herrlichkeit

Von Jesus Christus kennt;

Ach, sag' es allen, daß mein Herz

Sie lange Brüder nennt.


Und nun zieh' hin, du Schweizerblut,

Wie härmt mein Busen sich!

Gefangner Mann, ein armer Mann;

Doch segnen kann er dich.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 71-73.
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