Der erste Schnee

[400] Da tanzten sie, die weißen krausen Flöckchen

Vom Wolkenzeit herab;

Und sanft und warm, wie Lämmerwolle,

Decken sie dich, du Mutter Natur!


So weiß ist nicht der Nonne Silberschleier,

Schlehblüthe nicht so weiß:

Wie junger Schnee im Sonnenglanze,

Thäler und Berge blitzen von ihm.


Schon schüttelt sich der Gaul am leichten Schlitten,

Sein Schütteln ist Musik.

Und unterm Lied der Silberschellen

Gleitet der Schlitten fliegend hinweg.


Ich aber sitze am beschneiten Fenster;

Ein blaues Knasterwölkchen steigt

Mit tausend luftgebauten Schlössern,

Dünnere Lüfte zirkelnd, empor.[400]


Und Röschens Hand schlüpft unter meinem Schlafrock,

Husch! schnattert sie, mich friert's!

Sanft lehnt sie sich an meine Schultern,

Leben und Wärme duftet sie aus.


Durch's Winterfenster schlüpft ein weißes Flöckchen,

Und fällt auf ihre Brust,

Bläht sich und schmilzt mit einem Seufzer:

Röschen, dein Busen ist weißer, als ich!


Du, kalter Nord, behalte deine Zobel!

Kaninchen, deinen Pelz

Behalte du! Von Röschens Busen

Wallet ein ewiger Sommer mir zu.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 400-401.
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