Die Feien des Ursulenberges

[302] Wenn die Nebel Schleier weben

Um Gebirg und Flur,

Regt in der Natur

Sich ein andres Leben.


Aus den Blumen, die sich neigen

In der Erde Kluft

Vor des Winters Luft,

Ihre Seelen steigen.
[302]

Anzuschaun wie zarte Weiber

Schweben sie heraus

Aus des Berges Haus,

Jungfräuliche Leiber.


Mit dem Blau der Genziane,

Mit der Lilie Glanz,

Mit des Rosenbrands

Gluten angethane;


Flattern, wenn sie Lichter sehen,

In die Hütten, wo

Spinnerinnen froh

Seidne Fäden drehen.


Setzen an der Mägde Kunkel,

Luft'ge Gäste, sich,

Spinnen emsiglich

Durch der Nächte Dunkel.


Und von ihren Lippen wallen

Worte leicht und leis,

Goldner Sagen Preis,

Die behagen Allen:


Von des Berges tiefen Spalten,

Wo in ew'ger Nacht

In dem kühlen Schacht

Blumen Hochzeit halten;


Von der Erdengeister Treiben,

Fürstlichem Geschlecht,

Und von Gnom und Knecht,

Und von Wasserweiben.


Und die Spindel rollet Allen

Lustig durch die Hand,

Bis daß an der Wand

Morgenlichter wallen.


Da entschlüpfen schnell die Frauen:

An des Bergs Gestein

Sind die sel'gen Fei'n

Nebeln gleich zu schauen.
[303]

Doch der Flachs ist abgesponnen,

Und die Spindel ruht,

Und ein zehnfach Gut

Jede hat gewonnen.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 302-304.
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