Zweite Szene

[341] Ein andrer Teil des Waldes.


OBERON tritt auf.

Mich wundert's, ob Titania erwachte,

Und welch Geschöpf ihr gleich ins Auge fiel,

Worein sie sterblich sich verlieben muß.


Droll kommt.


Da kommt mein Bote ja. – Nun, toller Geist,

Was spuken hier im Wald für Abenteuer?

DROLL.

Herr, meine Fürstin liebt ein Ungeheuer.

Sie lag in Schlaf versunken auf dem Moos,

In ihrer heil'gen Laube dunklem Schoß,

Als eine Schar von lump'gen Handwerksleuten,

Die mühsam kaum ihr täglich Brot erbeuten,

Zusammenkömmt und hier ein Stück probiert,

So sie auf Theseus' Hochzeittag studiert.

Der ungesalzenste von den Gesellen,

Den Pyramus berufen vorzustellen,

Tritt von der Bühn' und wartet im Gesträuch;

Ich nutze diesen Augenblick sogleich,

Mit einem Eselskopf ihn zu begaben.

Nicht lange drauf muß Thisbe Antwort haben;

Mein Affe tritt heraus; kaum sehen ihn

Die Freund', als sie wie wilde Gänse fliehn,

Wenn sie des Jägers leisen Tritt erlauschen;[341]

Wie graue Krähen, deren Schwarm mit Rauschen

Und Krächzen auffliegt, wenn ein Schuß geschieht,

Und wild am Himmel da- und dorthin zieht.

Vor meinem Spuk rollt der sich auf der Erde,

Der schreiet »Mord!« mit kläglicher Gebärde;

Das Schrecken, das sie sinnlos machte, lieh

Sinnlosen Dingen Waffen gegen sie.

An Dorn und Busch bleibt Hut und Ärmel stecken;

Sie fliehn hindurch, berupft an allen Ecken.

In solcher Angst trieb ich sie weiter fort,

Nur Schätzchen Pyramus verharret dort.

Gleich mußte nun Titania erwachen

Und aus dem Langohr ihren Liebling machen.

OBERON.

Das geht ja über mein Erwarten schön.

Doch hast du auch den Jüngling von Athen,

Wie ich dir auftrug, mit dem Saft bestrichen?

DROLL.

O ja, ich habe schlafend ihn beschlichen.

Das Mädchen ruhte neben ihm ganz dicht:

Erwacht er, so entgeht sein Aug' ihr nicht.


Demetrius und Hermia treten auf.


OBERON.

Tritt her; da kommt ja der Athener an.

DROLL.

Das Mädchen ist es, aber nicht der Mann.

DEMETRIUS.

Oh, könnt Ihr so, weil ich Euch liebe, schmählen?

Den Todfeind solltet Ihr so tödlich quälen!

HERMIA.

Noch mehr verdient, was ich von dir erfuhr;

Denn fluchen sollt' ich dir und schalt dich nur.

Erschlugst du mir Lysandern, weil er ruhte,

So bad', einmal befleckt, dich ganz im Blute,

Und töt' auch mich!

Die Sonne liebt den Tag nicht treuer, steter,

Als wie er mich: nun wär' er als Verräter

Entflohn, indes ich schlief? Nein, nimmermehr!

Eh' wollt' ich glauben, daß es möglich wär',

Ganz zu durchbohren dieser Erde Boden

Und durch die Öffnung zu den Antipoden

Zu senden des verwegnen Mondes Gruß,

Der hellen Mittagssonne zum Verdruß.[342]

Es kann nicht anders sein, du mordetest ihn mir:

So sieht ein Mörder aus, so graß, so stier.

DEMETRIUS.

So siehet ein Erschlagner aus; so ich:

Denn Eure Grausamkeit durchbohrte mich,

Doch Ihr, die Mörd'rin, glänzet wie Cythere

Am Himmel dort in ihrer lichten Sphäre.

HERMIA.

Was soll mir dies? Wo ist Lysander? Sprich! –

Gib ihn mir wieder, Freund, ich bitte dich!

DEMETRIUS.

Den Hunden gäb' ich lieber seine Leiche.

HERMIA.

Hinweg, du Hund! Du treibst durch deine Streiche

Mich armes Weib zur Wut. Hast du ihn umgebracht:

Nie werde mehr für einen Mann geacht't!

Sprich einmal wahr, sprich mir zu Liebe wahr!

Hätt'st du, wenn er gewacht, ihm wohl ein Haar

Gekrümmt? und hast ihn, weil er schlief, erschlagen?

O Kühnheit! eine Natter konnt' es wagen.

Ja, eine Natter tat's; die ärgste sticht

Zweizüngiger als du, o Schlange, nicht.

DEMETRIUS.

An einen Wahn verschwend'st du deine Wut.

Ich bin nicht schuldig an Lysanders Blut;

Auch mag er wohl, so viel ich weiß, noch leben.

HERMIA.

Und geht's ihm wohl? Kannst du mir Nachricht geben?

DEMETRIUS.

Und könnt' ich nun, was würde mir dafür?

HERMIA.

Mich nie zu sehn, dies Vorrecht schenk' ich dir.

Und so verlass' ich deine schnöde Nähe:

Tot sei er, oder nicht, wenn ich nur dich nicht sehe.


Ab.


DEMETRIUS.

Ihr folgen ist vergebliches Bemühn

In diesem Sturm; so will ich hier verziehn.

Noch höher wird des Grames Not gesteigert,

Seit sich sein Schuldner Schlaf zu zahlen weigert.

Vielleicht empfang' ich einen Teil der Schuld,

Erwart' ich hier den Abtrag in Geduld.


Er legt sich nieder.


OBERON.

Was tatest du? Du hast dich ganz betrogen.

Ein treues Auge hat den Liebessaft gesogen;

Dein Fehlgriff hat den treuen Bund gestört

Und nicht den Unbestand zur Treu' bekehrt.

DROLL.

So siegt das Schicksal denn, daß gegen einen Treuen

Millionen falsch auf Schwüre Schwür' entweihen.[343]

OBERON.

Streif' durch den Wald behender als der Wind

Und suche Helena, das schöne Kind:

Sie ist ganz liebekrank und blaß von Wangen,

Von Seufzern, die ihr sehr ans Leben drangen.

Geh, locke sie durch Täuschung her zu mir;

Derweil sie kömmt, bezaubr' ich diesen hier.

DROLL.

Ich eil', ich eil', sieh, wie ich eil':

So fliegt vom Bogen des Tataren Pfeil.


Ab.


OBERON.

Blume mit dem Purpurschein,

Die Cupidos Pfeile weihn,

Senk' dich in sein Aug' hinein!

Wenn er sieht sein Liebchen fein,

Daß sie glorreich ihm erschein',

Wie Cyther' im Sternenreih'n. –

Wachst du auf, wenn sie dabei;

Bitte, daß sie hülfreich sei.


Droll kommt zurück.


DROLL.

Hauptmann unsrer Elfenschar,

Hier stellt Helena sich dar.

Der von mir gesalbte Mann

Fleht um Liebeslohn sie an.

Wollen wir ihr Wesen sehn?

Oh, die tollen Sterblichen!

OBERON.

Tritt beiseit'! Erwachen muß

Von dem Lärm Demetrius.

DROLL.

Wenn dann zwei um eine frein:

Das wird erst ein Hauptspaß sein.

Gehn die Sachen kraus und bunt,

Freu' ich mich von Herzensgrund.


Lysander und Helena treten auf.


LYSANDER.

Pflegt Spott und Hohn in Tränen sich zu kleiden?

Wie glaubst du denn, ich huld'ge dir zum Hohn?

Sieh, wenn ich schwöre, wein' ich: solchen Eiden

Dient zur Beglaubigung ihr Ursprung schon.

Kannst du des Spottes Reden wohl verklagen,

Die an der Stirn des Ernstes Siegel tragen?[344]

HELENA.

Stets mehr und mehr wird deine Schalkheit kund.

Wie teuflisch fromm, mit Schwur den Schwur erlegen!

Beschwurst du nicht mit Hermia so den Bund?

Wäg' Eid an Eid, so wirst du gar nichts wägen.

Die Eid' an sie und mich, wie Märchen leicht,

Leg' in zwei Schalen sie, und keine steigt.

LYSANDER.

Verblendung war's, mein Herz ihr zu versprechen.

HELENA.

Verblendung nenn' ich's, jetzt den Schwur zu brechen.

LYSANDER.

Demetrius liebt sie; dich liebt er nicht.

DEMETRIUS erwachend.

O Huldin! Schönste! Göttin meiner Wahl!

Womit vergleich' ich deiner Augen Strahl?

Kristall ist trübe. Oh, wie reifend schwellen

Die Lippen dir, zwei küssende Morellen!

Und jenes dichte Weiß, des Taurus Schnee,

Vom Ostwind rein gefächelt, wird zur Kräh',

Wenn du die Hand erhebst. Laß mich dies Siegel

Der Wonne küssen, aller Reinheit Spiegel!

HELENA.

O Schmach! O Höll'! Ich seh', ihr alle seid

Zu eurer Lust zu plagen mich bereit.

Wär' Sitt' und Edelmut in euch Verwegnen,

Ihr würdet mir so schmählich nicht begegnen.

Könnt ihr mich denn nicht hassen, wie ihr tut,

Wenn ihr mich nicht verhöhnt in frechem Mut?

Wär't ihr in Wahrheit Männer, wie im Schein,

So flößt' ein armes Weib euch Mitleid ein.

Ihr würdet nicht mit Lob und Schwüren scherzen,

Da ich doch weiß, ihr hasset mich von Herzen;

Als Nebenbuhler liebt ihr Hermia,

Wetteifernd nun verhöhnt ihr Helena.

Ein tapfres Stück, ein männlich Unternehmen,

Durch Spott ein armes Mädchen zu beschämen,

Ihr Tränen abzulocken! Quält ein Weib

Ein edler Mann wohl, bloß zum Zeitvertreib?

LYSANDER.

Demetrius, du bist nicht bieder: sei's!

Du liebst ja Hermia; weißt, daß ich es weiß.

Hier sei von Herzensgrund, in Güt' und Frieden,

An Hermias Huld mein Anteil dir beschieden.[345]

Tritt deinen nun an Helena mir ab;

Ich lieb' und will sie lieben bis ins Grab.

HELENA.

Ihr losen Schwätzer, wie es keine gab!

DEMETRIUS.

Nein, Hermia mag ich nicht: behalt' sie, Lieber!

Liebt' ich sie je, die Lieb' ist längst vorüber.

Mein Herz war dort nur wie in fremdem Land;

Nun hat's zu Helena sich heim gewandt,

Um da zu bleiben.

LYSANDER.

Glaubt's nicht, Helena!

DEMETRIUS.

Tritt nicht der Treu', die du nicht kennst, zu nah;

Du möchtest sonst vielleicht es teuer büßen.

Da kommt dein Liebchen; geh sie zu begrüßen!


Hermia tritt auf.


HERMIA.

Die Nacht, die uns der Augen Dienst entzieht,

Macht, daß dem Ohr kein leiser Laut entflieht.

Was dem Gesicht an Schärfe wird benommen,

Muß doppelt dem Gehör zu Gute kommen.

Mein Aug' war's nicht, das dich, Lysander, fand;

Mein Ohr, ich dank' ihm, hat die Stimm' erkannt.

Doch warum mußtest du so von mir eilen?

LYSANDER.

Den Liebe fortriß, warum sollt' er weilen?

HERMIA.

Und welche Liebe war's, die fort von mir dich trieb?

LYSANDER.

Lysanders Liebe litt nicht, daß er blieb';

Die schöne Helena, die so die Nacht durchfunkelt,

Daß sie die lichten O's, die Augen dort, verdunkelt.

Was suchst du mich? Tat dies dir noch nicht kund,

Mein Haß zu dir sei meines Fliehens Grund?

HERMIA.

Ihr sprecht nicht, wie Ihr denkt. Es kann nicht sein.

HELENA.

Ha! sie stimmt auch in die Verschwörung ein.

Nun merk' ich's, alle drei verbanden sich

Zu dieser falschen Posse gegen mich.

Feindsel'ge Hermia! undankbares Mädchen!

Verstandest du, verschworst mit diesen dich,

Um mich zu necken mit so schnödem Spott?

Sind alle Heimlichkeiten, die wir teilten,

Der Schwestertreu' Gelübde, jene Stunden,

Wo wir den raschen Tritt der Zeit verwünscht,[346]

Weil sie uns schied: oh, alles nun vergessen?

Die Schulgenossenschaft, die Kinderunschuld?

Wie kunstbegabte Götter schufen wir

Mit unsern Nadeln eine Blume beide:

Nach einem Muster und auf einem Sitz,

Ein Liedchen wirbelnd, beid' in einem Ton,

Als wären unsre Hände, Stimmen, Herzen

Einander einverleibt. So wuchsen wir

Zusammen, einer Doppelkirsche gleich,

Zum Schein getrennt, doch in der Trennung eins;

Zwei holde Beeren, einem Stiel entwachsen,

Dem Scheine nach zwei Körper, doch ein Herz;

Zwei Schildern eines Wappens glichen wir,

Die friedlich stehn, gekrönt von einem Helm.

Und nun zerreißt Ihr so die alte Liebe?

Gesellt im Hohne Eurer armen Freundin

Zu Männern Euch? Das ist nicht freundschaftlich,

Das ist nicht jungfräulich; und mein Geschlecht,

So wohl wie ich, darf Euch darüber schelten,

Obschon die Kränkung mich allein betrifft.

HERMIA.

Ich hör' erstaunt die ungestümen Reden;

Ich höhn' Euch nicht; es scheint, Ihr höhnet mich.

HELENA.

Habt Ihr Lysandern nicht bestellt, zum Hohn

Mir nachzugehn, zu preisen mein Gesicht?

Und Euren andern Buhlen, den Demetrius,

Der eben jetzt mich noch mit Füßen stieß,

Mich Göttin, Nymphe, wunderschön zu nennen,

Und köstlich, himmlisch? Warum sagt er das

Der, die er haßt? Und warum schwört Lysander

Die Liebe ab, die ganz die Seel' ihm füllt,

Und bietet mir (man denke nur!) sein Herz,

Als weil Ihr ihn gereizt, weil Ihr's gewollt?

Bin ich schon nicht so in der Gunst wie Ihr,

Mit Liebe so umkettet, so beglückt,

Ja, elend g'nug, um ungeliebt zu lieben:

Ihr solltet mich bedauern, nicht verachten.

HERMIA.

Ich kann mir nicht erklären, was Ihr meint.

HELENA.

Schon recht! Beharrt nur! Heuchelt ernste Blicke,[347]

Und zieht Gesichter hinterm Rücken mir!

Blinzt Euch nur zu! Verfolgt den feinen Scherz!

Wohl ausgeführt, wird er euch nachgerühmt.

Wär' Mitleid, Huld und Sitte noch in euch,

Ihr machtet so mich nicht zu eurem Ziel.

Doch lebet wohl! Zum Teil ist's meine Schuld:

Bald wird Entfernung oder Tod sie büßen.

LYSANDER.

Bleib', holde Helena, und hör' mich an!

Mein Herz! mein Leben! meine Helena!

HELENA.

O herrlich!

HERMIA.

Lieber, höhne sie nicht so!

DEMETRIUS.

Und gilt ihr Bitten nichts, so kann ich zwingen.

LYSANDER.

Nichts mehr erzwingen, als was sie erbittet;

Dein Drohn ist kraftlos wie ihr schwaches Flehn.

Dich lieb' ich, Helena! Bei meinem Leben,

Ich liebe dich, und will dies Leben wagen,

Der Lüge den zu zeihn, der widerspricht.

DEMETRIUS.

Ich sag', ich liebe dich weit mehr als er.

LYSANDER.

Ha! sagst du das, so komm, beweis' es auch!

DEMETRIUS.

Auf, komm!

HERMIA.

Lysander, wohin zielt dies alles?

LYSANDER.

Fort, Mohrenmädchen!

DEMETRIUS.

Nein, o nein! er tut,

Als bräch' er los; er tobt, als wollt' er folgen,

Kommt aber nicht. O geht mir, zahmer Mensch!

LYSANDER.

Fort, Katze, Klette! Mißgeschöpf, laß los!

Sonst schleudr' ich dich wie eine Natter weg.

HERMIA.

Wie wurdet Ihr so wild? wie so verwandelt,

Mein süßes Herz?

LYSANDER.

Dein Herz? Fort, fort! Hinweg!

Zigeunerin! Fort, widerwärt'ger Trank!

HERMIA.

Ihr scherzet nicht?

HELENA.

Ja wahrlich, und Ihr auch!

LYSANDER.

Demetrius, ich halte dir mein Wort.

DEMETRIUS.

Ich hätt' es schriftlich gern von deiner Hand;

Dich hält' ne schwache Hand, ich trau' dir nicht.

LYSANDER.

Wie? sollt' ich sie verwunden, schlagen, töten?

Hass' ich sie schon, ich will kein Leid ihr tun.[348]

HERMIA.

Wie? könnt Ihr mehr mir Leid tun, als mich hassen?

Warum mich hassen? Was geschah, Geliebter?

Bin ich nicht Hermia? Seid Ihr nicht Lysander?

Ich bin so schön noch, wie ich eben war.

Ihr liebtet über Nacht mich; doch verließt Ihr

Mich über Nacht. Und muß ich also sagen

(Verhüten es die Götter!), Ihr verließt

Im Ernste mich?

LYSANDER.

Im Ernst, so wahr ich lebe!

Und nie begehr' ich, wieder dich zu sehn.

Drum gib nur Hoffnung, Frage, Zweifel auf;

Sei sicher, nichts ist wahrer, 's ist kein Scherz:

Ich hasse dich, und liebe Helena.

HERMIA.

Weh mir! – Du Gauklerin! Du Blütenwurm!

Du Liebesdiebin! Was? du kamst bei Nacht,

Stahlst meines Liebsten Herz?

HELENA.

Schön, meiner Treu!

Hast du denn keine Scheu, noch Mädchensitte,

Nicht eine Spur von Scham? Und zwingst du so

Zu harten Reden meine sanften Lippen?

Du Marionette, pfui! du Puppe, du!

HERMIA.

Wie? Puppe? Ha, nun wird ihr Spiel mir klar.

Sie hat ihn unsern Wuchs vergleichen lassen –

Ich merke schon –, auf ihre Höh' getrotzt.

Mit ihrer Figur, mit ihrer langen Figur

Hat sie sich seiner, seht mir doch! bemeistert.

Und stehst du nun so groß bei ihm in Gunst,

Weil ich so klein, weil ich so zwerghaft bin?

Wie klein bin ich, du bunte Bohnenstange?

Wie klein bin ich? Nicht gar so klein, daß nicht

Dir meine Nägel an die Augen reichten.

HELENA.

Ihr Herrn, ich bitt' euch, wenn ihr schon mich höhnt,

Beschirmt mich doch vor ihr! Nie war ich böse,

Bin keineswegs geschickt zur Zänkerin;

Ich bin so feig, wie irgend nur ein Mädchen.

Verwehrt ihr, mich zu schlagen; denket nicht,

Weil sie ein wenig kleiner ist als ich,

Ich nähm' es mit ihr auf.[349]

HERMIA.

Schon wieder kleiner?

HELENA.

Seid, gute Hermia, nicht so bös auf mich,

Ich liebt' Euch immer, hab' Euch nie gekränkt,

(Und stets bewahrt, was Ihr mir anvertraut;)

Nur daß ich, dem Demetrius zu Liebe,

Ihm Eure Flucht in diesen Wald verriet.

Er folgte Euch; aus Liebe folgt' ich ihm;

Er aber schalt mich weg und drohte, mich

Zu schlagen, stoßen, ja zu töten gar;

Und nun, wo Ihr mich ruhig gehen laßt,

So trag' ich meine Torheit heim zur Stadt,

Und folg' Euch ferner nicht. O laßt mich gehn!

Ihr seht, wie kindisch und wie blöd' ich bin.

HERMIA.

Gut! Zieht nur hin! Wer hindert Euch daran?

HELENA.

Ein töricht Herz, das ich zurück hier lasse.

HERMIA.

Wie? Bei Lysander?

HELENA.

Bei Demetrius.

LYSANDER.

Sei ruhig, Helena! Sie soll kein Leid dir tun.

DEMETRIUS.

Sie soll nicht, Herr, wenn Ihr sie schon beschützt

HELENA.

Oh, sie hat arge Tück' in ihrem Zorn.

Sie war 'ne böse Sieben in der Schule,

Und ist entsetzlich wild, obschon so klein.

HERMIA.

Schon wieder klein, und anders nicht wie klein?

Wie duldet Ihr's, daß sie mich so verspottet?

Weg! Laß mich zu ihr!

LYSANDER.

Packe dich, du Zwergin!

Du Ecker du, du Paternosterkralle!

DEMETRIUS.

Ihr seid zu dienstgeschäftig, guter Freund,

Zu Gunsten der, die Euren Dienst verschmäht.

Laß mir sie gehn! Sprich nicht von Helena!

Nimm nicht Partei für sie! Vermissest du

Dich im geringsten, Lieb' ihr zu bezeugen,

So sollst du's büßen.

LYSANDER.

Jetzo bin ich frei:

Nun komm, wofern du's wagst; laß sehn, wes Recht

An Helena, ob deins, ob meines gilt.

DEMETRIUS.

Dir folgen? Nein, ich halte Schritt mit dir.


Lysander und Demetrius ab.[350]


HERMIA.

Nun, Fräulein! Ihr seid schuld an all dem Lärm.

Ei, bleibt doch stehn!

HELENA.

Nein, nein! ich will nicht traun,

Noch länger Eu'r verhaßtes Antlitz schaun.

Sind Eure Hände hurtiger zum Raufen,

So hab' ich längre Beine doch zum Laufen.


Ab.


HERMIA.

Ich staun', und weiß nicht, was ich sagen soll.


Sie läuft der Helena nach.


OBERON.

Das ist dein Unbedacht! Stets irrst du dich,

Wenn's nicht geflißne Schelmenstreiche sind.

DROLL.

Ich irrte diesmal, glaubt mir, Fürst der Schatten.

Gabt Ihr denn nicht von dem bestimmten Mann

Mir die Athenertracht als Merkmal an?

Und so weit bin ich ohne Schuld, daß jener,

Den ich gesalbt, doch wirklich ein Athener;

Und so weit bin ich froh, daß so sich's fügt,

Weil diese Balgerei mich sehr vergnügt.

OBERON.

Du siehst zum Kampf bereit die hitz'gen Freier:

Drum eile, Droll, wirf einen nächt'gen Schleier,

Bedecke die gestirnte Feste schnell

Mit Nebeln, düster wie Cozytus' Quell,

Und locke sie auf falsche Weg' und Stege,

Damit sie nicht sich kommen ins Gehege.

Bald borg' die Stimme vom Demetrius,

Und reize keck Lysandern zum Verdruß;

Bald schimpf' und höhne wieder wie Lysander,

Und bringe so sie weiter auseinander,

Bis ihre Stirnen Schlaf, der sich dem Tod vergleicht,

Mit dichter Schwing' und blei'rnem Tritt beschleicht.

Zerdrück' dies Kraut dann auf Lysanders Augen:

Die Zauberkräfte seines Saftes taugen,

Von allem Wahn sie wieder zu befrein

Und den gewohnten Blick ihm zu verleihn.

Wenn sie erwachen, ist, was sie betrogen,

Wie Träum' und eitle Nachtgebild' entflogen;

Dann kehren wieder nach Athen zurück

Die Liebenden, vereint zu stetem Glück.[351]

Derweil dies alles deine Sorgen sind

Bitt' ich Titanien um ihr indisch Kind;

Ich bann' ihr vom betörten Augenlide

Des Unholds Bild, und alles werde Friede.

DROLL.

Mein Elfenfürst, wir müssen eilig machen.

Die Nacht teilt das Gewölk mit schnellen Drachen;

Auch schimmert schon Auroras Herold dort,

Und seine Näh' scheucht irre Geister fort

Zum Totenacker: banger Seelen Heere,

Am Scheideweg begraben und im Meere;

Man sieht ins wurmbenagte Bett sie gehn.

Aus Angst, der Tag möcht' ihre Schande sehn,

Verbannt vom Lichte sie ihr eigner Wille,

Und ihnen dient die Nacht zur ew'gen Hülle.

OBERON.

Doch wir sind Geister andrer Region.

Oft jagt' ich mit Aurorens Liebling schon,

Darf, wie ein Weidmann, noch den Wald betreten,

Wenn flammend sich des Ostens Pforten röten

Und, aufgetan, der Meeresfluten Grün

Mit schönem Strahle golden überglühn.

Doch zaudre nicht! Sei schnell vor allen Dingen!

Wir können dies vor Tage noch vollbringen.


Oberon ab.


DROLL.

Hin und her, hin und her,

Alle führ' ich hin und her.

Land und Städte scheun mich sehr.

Kobold, führ' sie hin und her!

Hier kommt der eine.


Lysander tritt auf.


LYSANDER.

Demetrius! Wo bist du, Stolzer, du?

DROLL.

Hier, Schurk', mit bloßem Degen; mach' nur zu!

LYSANDER.

Ich komme schon.

DROLL.

So laß uns mit einander

Auf ebnen Boden gehn.


Lysander ab, als ginge er der Stimme nach.


DEMETRIUS tritt auf.

Antworte doch, Lysander!

Ausreißer! Memme! Liefst du so mir fort?

In welchem Busche steckst du? Sprich ein Wort![352]

DROLL.

Du Memme, foderst hier heraus die Sterne,

Erzählst dem Busch, du föchtest gar zu gerne,

Und kömmst doch nicht? Komm, Bübchen! komm doch her!

Ich geb' die Rute dir. Beschimpft ist der,

Der gegen dich nur zieht.

DEMETRIUS.

He, bist du dort?

DROLL.

Folg' meinem Ruf: zum Kampf ist dies kein Ort.


Droll und Demetrius ab. Lysander kommt zurück.


LYSANDER.

Stets zieht er vor mir her mit lautem Drohen,

Komm' ich, wohin er ruft, ist er entflohen.

Behender ist der Schurk' im Lauf als ich:

Ich folgt' ihm schnell, doch schneller mied er mich,

So daß ich fiel auf dunkler rauher Bahn,

Und hier nun ruhn will. –


Legt sich nieder.


Holder Tag, brich an!

Sobald mir nur dein graues Licht erscheint,

Räch' ich den Hohn und strafe meinen Feind.

Entschläft.


Droll und Demetrius kommen zurück.


DROLL.

Ho, ho! du Memme, warum kommst du nicht?

DEMETRIUS.

Steh, wenn du darfst, und sieh mir ins Gesicht!

Ich merke wohl, von einem Platz zum andern

Entgehst du mir und läßt umher mich wandern.

Wo bist du nun?

DROLL.

Hieher komm! Ich bin hier.

DEMETRIUS.

Du neckst mich nur, doch zahlst du's teuer mir,

Wenn je der Tag dich mir vors Auge bringt.

Jetzt zieh' nur hin, weil Müdigkeit mich zwingt,

Mich hinzustrecken auf dies kalte Kissen;

Früh morgens werd' ich dich zu finden wissen.


Legt sich nieder und entschläft. Helena tritt auf.


HELENA.

O träge, lange Nacht, verkürze dich!

Und Tageslicht, laß mich nicht länger schmachten!

Zur Heimat führe weg von diesen mich,

Die meine arme Gegenwart verachten.[353]

Du, Schlaf, der oft dem Grame Lind'rung leiht,

Entziehe mich mir selbst auf kurze Zeit!

Schläft ein.


DROLL.

Dreie nur! – Fehlt eins noch hier:

Zwei von jeder Art macht vier.

Seht, sie kommt ja, wie sie soll:

Auf der Stirn Verdruß und Groll.

Amor steckt von Schalkheit voll,

Macht die armen Weiblein toll.


Hermia tritt auf.


HERMIA.

Wie matt! wie krank! Zerzaust von Dornensträuchen,

Vom Tau beschmutzt und tausendfach in Not;

Ich kann nicht weiter gehn, nicht weiter schleichen,

Mein Fuß vernimmt nicht der Begier Gebot.

Hier will ich ruhn; und soll's ein Treffen geben,

O Himmel, schütze nur Lysanders Leben!


Schläft ein.


DROLL.

Auf dem Grund

Schlaf' gesund!

Gießen will

Ich dir still

Auf die Augen Arzenei.


Träufelt den Saft auf Lysanders Augen.


Wirst du wach,

O so lach'

Freundlich der,

Die vorher

Du geliebt, und bleib' ihr treu!

Dann geht es, wie das Sprüchlein rühmt:

Gebt jedem das, was ihm geziemt.

Hans nimmt sein Gretchen.

Jeder sein Mädchen;

Find't seinen Deckel jeder Topf,

Und allen geht's nach ihrem Kopf.


Ab.[354]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 1, Berlin: Aufbau, 1975, S. 341-355.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ein Sommernachtstraum
A Midsummer Night's Dream / Ein Sommernachtstraum
Ein Sommernachtstraum: Zweisprachige Ausgabe
Ein Sommernachtstraum
Der Kaufmann von Venedig / Ein Sommernachtstraum: Dramen (Fischer Klassik)
Ein Sommernachtstraum / Zwölfte Nacht oder Was ihr wollt

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon