Sechste Szene

[444] Vor Bellarius' Höhle.


Imogen tritt auf in Mannskleidern.


IMOGEN.

Ich seh', als Mann zu leben ist beschwerlich:

Ich bin ermattet. Schon zwei Nächte war

Mein Bett die Erde, und ich würd' erkranken,

Hielt' mein Entschluß mich aufrecht nicht. – Milford,

Als dich Pisanio mir vom Berge zeigte,

Schienst du nicht fern. O Jupiter! Ich glaube,

Gebäude fliehn den Unglücksel'gen, solche,

Wo er Erquickung sucht. Zwei Bettler sagten,

Ich könne fehl nicht gehn: – lügt armes Volk,

Das Leiden trägt, und selber weiß, wie schwer

Als Züchtigung sie oder Prüfung lasten?

Kein Wunder, da kaum wahr der Reiche spricht.

Im Überfluß zu sündigen ist schlimmer,

Als Lüg' aus Not; und Falschheit zeigt sich böser

Im Kön'ge als im Bettler. – Teurer Gatte!

Du bist der Falschen einer: dein gedenkend,[444]

Vergeht der Hunger; eben wollt' ich noch

Verschmachtend niedersinken. – Was ist das?

Es führt ein Pfad hinein: welch Haus der Wildnis?

Am besten wohl, nicht rufen; nein, ich wag's nicht;

Doch macht Verhungern tapfer die Natur,

Eh' es sie aufreibt ganz. Der Überfluß

Und Friede zeugen Memmen, Drangsal ist

Der Keckheit Mutter. – Heda! Wer ist hier?

Bist ein gesittet Wesen, sprich; bist wild,

Nimm oder gib! – Ganz still? So tret' ich ein.

Doch zieh' ich erst mein Schwert, und wenn mein Feind

Das Schwert nur fürchtet so wie ich, dann wagt er's

Kaum anzusehn. Oh, solchen Feind, ihr Götter!


Sie geht in die Höhle.


Bellarius, Guiderius und Arviragus treten auf.


BELLARIUS.

Du warst der beste Weidmann, Polydor,

Und bist des Festes König; ich und Cadwal

Sind Koch und Diener: so ist unsre Ordnung;

Verderben würd' und sterben Fleiß und Kunst,

Errängen sie nicht Vorzug. Kommt, der Hunger

Würzt die geringe Mahlzeit. Müdigkeit

Schnarcht auf dem Stein, und Trägheit findet hart

Das Daunenbett. – Heil dir, du armes Haus,

Das selbst sich hütet!

GUIDERIUS.

Ich bin tüchtig müde.

ARVIRAGUS.

Ich schwach an Kräften, doch im Hunger stark.

GUIDERIUS.

Im Fels ist kalte Kost; wir nagen dran,

Bis unser Wildbret gar.

BELLARIUS in die Höhle schauend.

Halt, nicht hinein!

Äß' es von unsern Speisen nicht, so dächt' ich,

Eine Elfe wär's.

GUIDERIUS.

Was gibt es, teurer Vater?

BELLARIUS.

Bei Jupiter, ein Engel! Wenn nicht das,

Ein irdisch Wunderbild! Seht, Gottheit selbst

In eines Knaben Alter!


Imogen kommt aus der Höhle.[445]


IMOGEN.

Ihr guten Herrn, o tut mir nichts zu leide!

Eh' ich hinein ging, rief ich, und ich dachte

Zu betteln oder kaufen, was ich nahm.

Weiß Gott, ich habe nichts gestohlen; tat's nicht,

Fand ich den Boden auch mit Gold bestreut.

Dies Geld hier für mein Essen, legen wollt' ich's

Da auf den Tisch, so wie ich nur gesättigt,

Im Scheiden betend für den Wirt.

GUIDERIUS.

Geld, Kind?

ARVIRAGUS.

Eh' werde alles Gold und Silber Kot,

Wie's denn auch ist, und dem nur kostbar scheint,

Der Kot als Gott verehrt.

IMOGEN.

Ich seh', ihr zürnt:

Wißt, wenn ihr mich um mein Vergehen tötet,

Ich wär' gestorben, wenn ich's nicht beging.

BELLARIUS.

Wo willst du hin?

IMOGEN.

Nach Milford.

BELLARIUS.

Wie dein Name?

IMOGEN.

Fidelio. Einen Anverwandten hab' ich,

Der sich in Milford einschifft nach Italien;

Ich reise zu ihm; fast vor Hunger tot,

Fiel ich in diese Sünde.

BELLARIUS.

Schöner Jüngling,

Halt' uns für Wilde nicht; miß unsern Sinn

Nicht nach dem rauhen Wohnort! Sei willkommen!

Fast ist es Nacht; du sollst ein beßres Mahl

Erhalten, eh' du gehst; und Dank, wenn du

Verweilst und speisest! – Grüßt ihn herzlich, Jungen!

GUIDERIUS.

Wärst du ein Mädchen, würb' ich stark um dich,

Doch ehrlich, dir zu dienen. – So viel biet' ich,

Als wollt' ich dich erkaufen.

ARVIRAGUS.

Mir sei's Freude,

Daß er Mann ist; so lieb' ich ihn als Bruder: –

Und wie nach langer Trennung man den Bruder

Begrüßt, so grüß' ich dich – herzlich willkommen!

Sei froh, du kamst zu Freunden.

IMOGEN.

Ja, zu Freunden!


Für sich.


Warum nicht Brüder? – Wär's doch so, dann hießen[446]

Sie meines Vaters Söhn', ich sänk' im Preis,

Und wöge gleich mit dir, mein Posthumus!

BELLARIUS.

Ihn drückt ein Kummer.

GUIDERIUS.

Könnt' ich ihm doch helfen!

ARVIRAGUS.

Und ich; was es auch sei, und was es koste,

Gefahr und Müh', ihr Götter!

BELLARIUS.

Hört, ihr Kinder!


Sie sprechen heimlich.


IMOGEN.

Die höchsten Herrn,

Von einem Hof umgeben, räum'ger nicht

Als diese Höhle, die sich selbst bedienten,

Von solcher Tugend, die versiegelt würde

Durch eigenes Gewissen, ganz vergessend

Den nicht'gen Prunk der urteilsleeren Menge –

Sie überstrahlten nicht die zwei. Ihr Götter!

Vertauschen möcht' ich mein Geschlecht, als ihr

Genoß, da Leonatus falsch.

BELLARIUS.

So sei's!

Laßt uns das Wild bereiten! – Komm, mein Knabe,

Es spricht sich hungrig schwer; wenn wir gespeist,

Befragen wir dich höflich um dein Leben,

So viel du sagen magst.

GUIDERIUS.

Oh, komm herein!

ARVIRAGUS.

Die Nacht ist nicht der Eul', und nicht der Morgen

Der Lerche so willkommen.

IMOGEN.

Dank!

ARVIRAGUS.

Tritt ein!


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 444-447.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Cymbeline
Cymbeline by Shakespeare, William ( Author ) ON Mar-10-2005, Paperback
CYMBELINE
Cymbeline. Das Wintermärchen. Der Sturm.
Shakespeares dramatische Werke: Elfter Band: König Lear, Troilus und Cressida, Ende gut, alles gut, Zwölfter Band: Othello, Cymbeline, Macbeth

Buchempfehlung

Holz, Arno

Papa Hamlet

Papa Hamlet

1889 erscheint unter dem Pseudonym Bjarne F. Holmsen diese erste gemeinsame Arbeit der beiden Freunde Arno Holz und Johannes Schlaf, die 1888 gemeinsame Wohnung bezogen hatten. Der Titelerzählung sind die kürzeren Texte »Der erste Schultag«, der den Schrecken eines Schulanfängers vor seinem gewalttätigen Lehrer beschreibt, und »Ein Tod«, der die letze Nacht eines Duellanten schildert, vorangestellt. »Papa Hamlet«, die mit Abstand wirkungsmächtigste Erzählung, beschreibt das Schiksal eines tobsüchtigen Schmierenschauspielers, der sein Kind tötet während er volltrunken in Hamletzitaten seine Jämmerlichkeit beklagt. Die Erzählung gilt als bahnbrechendes Paradebeispiel naturalistischer Dichtung.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon