Fünfte Szene

[379] Ein öffentlicher Platz bei der Westminsterabtei.


Zwei Kammerdiener, die Binsen streuen.


ERSTER KAMMERDIENER. Mehr Binsen! Mehr Binsen!

ZWEITER KAMMERDIENER. Die Trompeten haben schon zweimal geblasen.

ERSTER KAMMERDIENER. Es wird zwei Uhr, ehe sie von der Krönung kommen. Mach' zu! Mach' zu!


Beide ab.


Falstaff, Schaal, Pistol, Bardolph und der Page kommen.


FALSTAFF. Steht hier neben mir, Herr Robert Schaal, ich will machen, daß Euch der König Gnade erzeigt. Ich will ihn anblinzeln, wie er vorbeigeht, und merkt nur auf die Mienen, die er mir machen wird!

PISTOL. Gott segne deine Lunge, guter Ritter!

FALSTAFF. Komm her, Pistol, stell' dich hinter mich! Zu, Schaal. O hätte ich nur die Zeit gehabt, neue Livreien machen zu lassen, ich hätte die von Euch geliehnen tausend Pfund daran gewandt. Aber es tut nichts: dieser armselige Aufzug ist besser: es beweist den Eifer, den ich hatte, ihn zu sehn.

SCHAAL. Das tut's.

FALSTAFF. Es zeigt die Herzlichkeit meiner Zuneigung.

SCHAAL. Das tut's.

FALSTAFF. Meine Ergebenheit.

SCHAAL. Das tut's, das tut's, das tut's.

FALSTAFF. So Tag und Nacht zu reiten, nicht zu überlegen, nicht zu denken, nicht die Geduld zu haben, mich anders anzuziehn.

SCHAAL. Das ist sehr gewiß.

FALSTAFF. Schmutzig von der Reise dazustehn, schwitzend vor Begierde, ihn zu sehen, an nichts anders gedacht, alles andre der Vergessenheit übergeben, als ob gar nichts anders zu tun wäre als ihn sehen.

PISTOL.

's ist semper idem, denn absque hoc nihil est:

's ist alles überall.[379]

SCHAAL.

Es ist so, in der Tat.

PISTOL.

Ich will dein' edle Brust entflammen, Ritter,

Dich wüten machen.

Dein Dortchen, deines edlen Sinnes Helena,

Ist in Verhaftung schnöd' und gift'gem Kerker,

Hiehergeschleppt

Von allerniedrigster und schmutz'ger Hand.

Weck' auf die Rach' aus schwarzer Kluft mit Schlang' Alektos Grimm,

Denn Dortchen sitzt: Pistol spricht Wahrheit nur.

FALSTAFF.

Ich will sie befreien.


Trompeten.


PISTOL.

Da brüllt' die See und scholl Trompetenklang.


Der König kommt mit seinem Zuge, darunter der Oberrichter.


FALSTAFF.

Heil, König Heinz! Mein königlicher Heinz!

PISTOL.

Der Himmel hüte dich, erhabner Ruhmessproß!

FALSTAFF.

Gott schütz' dich, Herzensjunge!

KÖNIG.

Sprecht mit dem eitlen Mann, Herr Oberrichter!

OBERRICHTER.

Seid Ihr bei Sinnen? Wißt Ihr, was Ihr sagt?

FALSTAFF.

Mein Fürst! Mein Zeus! Dich red'ich an, mein Herz!

KÖNIG.

Ich kenn' dich, Alter, nicht; an dein Gebet!

Wie schlecht steht einem Schalksnarrn weißes Haar!

Ich träumte lang' von einem solchen Mann,

So aufgeschwellt vom Schlemmen, alt und ruchlos:

Doch, nun erwacht, veracht' ich meinen Traum.

Den Leib vermindre, mehre deine Gnade,

Laß ab vom Schwelgen: wisse, daß das Grab

Dir dreimal weiter gähnt als andern Menschen!

Erwidre nicht mit einem Narrenspaß,

Denk' nicht, ich sei das Ding noch, das ich war:

Der Himmel weiß, und merken soll's die Welt,

Daß ich mein vor'ges Selbst hinweggetan,

Wie nun auch die, so mir Gesellschaft hielten.

Vernimmst du, daß ich sei, wie ich gewesen,

Dann komm, und du sollst sein, was du mir warst,

Der Lehrer und der Pfleger meiner Lüste.

Bis dahin bann' ich dich bei Todesstrafe,[380]

Und all die andern auch, die mich mißleitet,

Zehn Meilen weit von unserer Person.

Was Unterhalt betrifft, den sollt ihr haben,

Daß Dürftigkeit euch nicht zum Bösen zwinge,

Und wie wir hören, daß ihr euch bekehrt,

So wollen wir, nach eurer Kraft und Fähigkeit,

Beförd'rung euch erteilen. Sorgt, Mylord,

Daß unsers Wortes Inhalt werd' erfüllt!

(Zieht weiter!)


Der König und sein Zug ab.


FALSTAFF. Herr Schaal, ich bin Euch tausend Pfund schuldig.

SCHAAL. Ja wahrhaftig, Sir John, und ich bitte Euch, sie mir mit nach Hause zu geben.

FALSTAFF. Das kann schwerlich geschehen, Herr Schaal. Bekümmert Euch hierüber nicht, man wird mich insgeheim zu ihm rufen: seht, er muß sich vor der Welt dies Ansehn geben. Fürchtet nichts wegen Eurer Beförderung, ich bin immer noch der Mann, der Euch groß machen kann.

SCHAAL. Ich kann nicht begreifen, wie; Ihr müßtet mir denn Euer Wams geben und mich mit Stroh ausstopfen. Ich bitte Euch, guter Sir John, gebt mir nur fünfhundert von meinen tausend!

FALSTAFF. Herr, ich will Euch mein Wort noch halten: was Ihr eben gehört habt, war nur eine angenommene Maske.

SCHAAL. Aber eine Maske, fürchte ich, worin Ihr bis an Euren Tod stecken werdet, Sir John.

FALSTAFF. Macht Euch nichts aus so einer Maske, kommt mit mir zum Essen! Komm, Lieutenant Pistol! Komm, Bardolph! Ich werde heute abend bald gerufen werden.


Prinz Johann, der Oberrichter, Offiziere usw. kommen zurück.


OBERRICHTER.

Geht, bringt den Sir John Falstaff ins Gefängnis,

Nehmt seine ganze Brüderschaft mit fort!

FALSTAFF.

Mylord, Mylord, –

OBERRICHTER.

Ich kann nicht jetzo, bald will ich Euch hören.

Nehmt sie mit weg!

PISTOL.

Si fortuna me tormenta, spero me contenta.


Falstaff, Schaal, Pistol, Bardolph, Page und Offiziere ab.[381]


PRINZ JOHANN.

Mir steht dies edle Tun des Königs an:

Er will, daß seine vorigen Begleiter

Versorgt zum besten alle sollen sein;

Doch alle sind verbannt, bis sich ihr Umgang

Bescheidner zeigt und weiser vor der Welt.

OBERRICHTER.

Das sind sie auch.

PRINZ JOHANN.

Der König hat sein Parlament berufen.

OBERRICHTER.

Das hat er.

PRINZ JOHANN.

Was wettet Ihr? Wir tragen nun noch heuer

Das Bürgerschwert und angeborne Feuer

Bis Frankreich hin: es sang ein Vogel so,

Des Ton, so schien's, den König machte froh.

Kommt, wollt Ihr mit?


Beide ab.[382]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 379-383.
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