Erste Szene

[516] Ebendaselbst.


Ein französischer Sergeant und zwei Schildwachen kommen durch das Tor.


SERGEANT.

Nehmt eure Plätze und seid wachsam, Leute;

Bemerkt ihr Lärm, und daß Soldaten nah

Den Mauern sind, an irgendeinem Zeichen,

So gebt im Wachthaus Nachricht uns davon.

ERSTE SCHILDWACHE.

Schon gut, Sergeant.


Sergeant ab.


So müssen arme Diener,

Wenn andre schlafen auf bequemem Bett,

In Finsternis, in Kält' und Regen wachen.


Talbot, Bedford, Burgund und ihre Truppen mit Sturmleitern, die Trommeln schlagen einen Totenmarsch.


TALBOT.

Mein Herr Regent, und mächtiger Burgund,

Durch deren Ankunft das Gebiet von Artois,

Wallon und Pikardie uns sind befreundet:

In dieser Glücksnacht sind die Franken sorglos,

Da sie den ganzen Tag geschmaust, gezecht.

Ergreifen wir denn die Gelegenheit,

Sie schickt sich zur Vergeltung ihres Trugs,

Den Kunst ersann und arge Zauberei.

BEDFORD.

Memme von Frankreich! Wie er sich entehrt,

An seines Armes Tapferkeit verzweifelnd,

Mit Hexen und der Höll' in Bund zu treten!

BURGUND.

Verräter sind in der Gesellschaft stets.

Doch die Pucelle, für so rein gepriesen,

Wer ist sie?[516]

TALBOT.

Ein Mädchen, sagt man.

BEDFORD.

Ein Mädchen, und so kriegerisch!

BURGUND.

Geb' Gott, daß sie nicht männlich bald erscheint.

Wenn unter dem Panier der Franken sie

Die Rüstung führt, wie sie begonnen hat.

TALBOT.

Wohl, laßt sie klügeln und mit Geistern handeln.

Gott unsre Burg! In seinem Siegernamen

Laßt uns ihr Felsen-Bollwerk kühn erklimmen.

BEDFORD.

Stürm', braver Talbot, und wir folgen dir.

TALBOT.

Nicht alle hier mit eins: weit besser dünkt mir's,

Hineinzudringen auf verschiednen Wegen,

Daß, wenn es einem unter uns mißlingt,

Der andre wider ihre Macht kann stehn.

BEDFORD.

So sei's; ich will zu jener Ecke hin.

BURGUND.

Und ich zu dieser.

TALBOT.

Und hier stürmt Talbot oder schafft sein Grab.

Nun, Salisbury, für dich und für das Recht

Heinrichs von England soll die Nacht sich zeigen,

Wie meine Pflicht euch beiden ist geweiht.


Die Englischen ersteigen die Mauern mit Sturmleitern, indem sie: »Sankt Georg!« und: »Talbot hoch!« rufen, und dringen alle in die Stadt.


SCHILDWACHE drinnen.

Auf, zu den Waffen, auf! Die Feinde stürmen!


Die Franzosen springen im Hemde über die Mauern. Hierauf kommen von verschiednen Seiten der Bastard, Alençon, Reignier, halb angekleidet, halb nicht.

ALENÇON.

Wie nun, ihr Herrn? Was? So unangekleidet?

BASTARD.

Unangekleidet? Ja und froh dazu,

Daß wir so gut davongekommen sind.

REIGNIER.

Traun, es war Zeit, sich aus dem Bett zu machen,

Der Lärm war schon an unsrer Kammertür.

ALENÇON.

Seit ich die Waffen übte, hört' ich nie

Von einem kriegerischen Unternehmen,

Das tollkühn und verzweifelt war wie dies.

BASTARD.

Der Talbot, denk' ich, ist ein Geist der Hölle.

REIGNIER.

Wo nicht die Höll', ist ihm der Himmel günstig.[517]

ALENÇON.

Da kommt der Prinz, mich wundert, wie's ihm ging.


Karl und die Pucelle treten auf.


BASTARD.

Pah! War Sankt Jeanne doch sein Schirm und Schutz.

KARL.

Ist dieses deine List, du falsche Schöne?

Du ließest uns zuerst, um uns zu schmeicheln,

Teilnehmer sein an wenigem Gewinn,

Daß der Verlust nun zehnmal größer wär'?

PUCELLE.

Warum schilt Karl die Freundin ungeduldig?

Muß allzeit meine Macht die gleiche sein?

Schlafend und wachend, muß ich stets gewinnen,

Wenn ihr nicht schmähn und Schuld mir geben sollt?

Bei guter Wache, unvorsicht'ge Krieger,

Wär' dieser schnelle Unfall nie begegnet.

KARL.

Herzog von Alençon. Eu'r Fehler war's,

Daß, als der Wache Hauptmann, diese Nacht

Ihr besser nicht den wicht'gen Dienst versehn.

ALENÇON.

War jegliches Quartier so wohl bewahrt

Als das, worin ich den Befehl gehabt,

Wir wären nicht so schmählich überfallen.

BASTARD.

Meins war in Sicherheit.

REIGNIER.

Auch meines, Herr.

KARL.

Was mich betrifft, den größten Teil der Nacht

Hab' ich zum Auf- und Abgehn angewandt

In ihrem Viertel und durch mein Revier,

Um immerfort die Wachen abzulösen.

Wie oder wo sind sie denn eingebrochen?

PUCELLE.

Fragt, Herrn, nicht weiter über diesen Fall,

Wie oder wo; genug, sie fanden Stellen,

Nur schwach besetzt, wo sie den Einbruch taten,

Und übrig bleibt uns nun kein andrer Rat,

Als die umher versprengten Leute sammeln

Und neue Schanzen bau'n zu ihrem Schaden.


Getümmel. Ein englischer Soldat kommt und ruft: »Talbot hoch! Talbot hoch!« Sie fliehen, indem sie ihre Kleider zurücklassen.


SOLDAT.

Ich will nur dreist, was sie verlassen, nehmen.

Der Ausruf Talbot dient mir statt des Degens,

Denn ich belud mit vieler Beute mich

Und braucht' als Waffe seinen Namen bloß.


Ab.[518]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 516-519.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon