Dritte Szene

[521] Auvergne. Schloßhof. Die Gräfin und ihr Torwärter treten auf.


GRÄFIN.

Torwärter, merkt Euch, was ich aufgetragen,

Und wenn Ihr es getan, bringt mir die Schlüssel.

TORWÄRTER.

Das will ich, gnäd'ge Frau.


Ab.


GRÄFIN.

Der Anschlag ist gemacht: geht alles gut,

So macht dies Abenteu'r mich so berühmt,

Als Cyrus' Tod die Scythin Tomyris.

Groß ist der Ruf von diesem furchtbar'n Ritter

Und seine Taten von nicht minderm Wert.

Gern wär' mein Auge Zeuge mit dem Ohr,

Zum Ausspruch über diese Wunderdinge.


Der Bote kommt mit Talbot.


BOTE.

Gräfin! Wie Eure Gnaden es begehrt,

Auf meine Botschaft kommt Lord Talbot hier.

GRÄFIN.

Er ist willkommen. Wie? Ist dies der Mann?

BOTE.

Ja, gnäd'ge Frau.

GRÄFIN.

Ist dies die Geißel Frankreichs?

Ist dies der Talbot, auswärts so gefürchtet,

Daß man die Kinder stillt mit seinem Namen?

Ich seh', der Ruf ist fabelhaft und falsch.

Ich dacht', es würd' ein Herkules erscheinen,

Ein zweiter Hektor, nach dem grimmen Ansehn

Und der gedrungnen Glieder großem Maß.

Ach, dies ist ja ein Kind, ein blöder Zwerg;

Es kann der schwache eingezog'ne Knirps

Unmöglich so die Feind' in Schrecken jagen.

TALBOT.

Ich war so dreist, zur Last zu fallen, Gräfin;

Doch da Eu'r Gnaden nicht bei Muße sind,

So find' ich andre Zeit wohl zum Besuch.

GRÄFIN.

Was hat er vor? Geh, frag', wohin er geht.

BOTE.

Lord Talbot, haltet: meine gnäd'ge Frau

Wünscht Eures raschen Abschieds Grund zu wissen.

TALBOT.

Ei nun, weil sie in falschem Glauben ist,

Geh' ich, ihr zu beweisen, Talbot sei's.

Der Torwärter kommt zurück mit Schlüsseln.[521]


GRÄFIN.

Wenn du es bist, so bist du ein Gefangner.

TALBOT.

Gefangner? Wes?

GRÄFIN.

Blutdürst'ger Lord, der meine,

Und aus dem Grund zog ich dich in mein Haus.

Dein Schatte war schon längst in meinen Banden;

Dein Bildnis hängt in meiner Galerie.

Doch nun soll auch dein Wesen Gleiches dulden,

Und diese Arm' und Beine feßl' ich dir,

Der du mit Tyrannei seit so viel Jahren

Das Land verheertest, unsre Bürger schlugst

Und Söhn' und Gatten zu Gefangnen machtest.

TALBOT.

Ha ha ha!

GRÄFIN.

Du lachst, Elender? Jammern wirst du bald.

TALBOT.

Ich lache über Euer Gnaden Einbildung,

Als hättet Ihr was mehr als Talbots Schatten,

Woran Ihr Eure Strenge üben mögt.

GRÄFIN.

Wie, bist du es nicht selbst?

TALBOT.

Ich bin es wirklich.

GRÄFIN.

So hab' ich auch sein Wesen.

TALBOT.

Nein, nein, ich bin mein eigner Schatte nur,

Ihr seid getäuscht, mein Wesen ist nicht hier;

Denn, was Ihr seht, ist der geringste Teil

Von meiner Menschheit und das kleinste Maß.

Ich sag' Euch, wär' mein ganz Gebilde hier,

Es ist von so gewalt'gem hohen Wuchs,

Eu'r Dach genügte nicht, es zu umfassen.

GRÄFIN.

Das ist ein Rätselkrämer, wie sich's ziemt:

Hier will er sein, und ist denn doch nicht hier;

Wie können diese Widersprüche passen?

TALBOT.

Sogleich will ich's Euch zeigen.


Er stößt in ein Hifthorn. Man hört Trommeln, hierauf eine Salve von grobem Geschütz. Die Tore werden gesprengt, und Soldaten kommen.


Was sagt Ihr, Gräfin, seid Ihr überzeugt,

Daß Talbot nur sein eigner Schatten ist?

Die sind sein Wesen, Sehnen, Arm' und Stärke,

Womit er Euch empörte Nacken beugt,[522]

Die Städte schleift und Eure Festen stürzt

Und wüst in einem Augenblick sie macht.

GRÄFIN.

Verzeih', siegreicher Talbot, mein Vergehn!

Ich seh', du bist nicht kleiner als dein Ruf,

Und mehr, als die Gestalt erraten läßt.

Laß meine Kühnheit deinen Zorn nicht reizen,

Es ist mir leid, daß ich mit Ehrerbietung

Dich nicht so aufgenommen, wie du bist.

TALBOT.

Nicht bange, schöne Frau! Mißdeutet nicht

Den Sinn des Talbot, wie Ihr Euch geirrt

In seines Körpers äußerlichem Bau.

Was Ihr getan, das hat mich nicht beleidigt,

Auch fodr' ich zur Genugtuung nichts weiter,

Als daß, mit Eurer Gunst, wir kosten dürfen

Von Eurem Wein und sehn, wie man hier kocht;

Denn immer rüstig sind Soldatenmagen.

GRÄFIN.

Von ganzem Herzen; und es ehrt mich sehr,

Bei mir solch großen Krieger zu bewirten.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 521-523.
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