Vierte Szene

[32] Daselbst.


Es treten auf Aaron, Quintus und Marcius.


AARON.

Kommt, wackre Herrn, folgt mir in schnellster Eil',

Ich bring' euch zu der finstern Grube gleich,

Wo ich den Panther fest im Schlafe sah.

QUINTUS.

Was es auch deute, trübe ward mein Blick.[32]

MARCIUS.

Und meiner wahrlich auch: schämt' ich mich nicht,

Ich ließe gern die Jagd und schliefe hier.


Marcius fällt in die Grube.


QUINTUS.

Was, fielst du? Welche tück'sche Gruft ist dies,

Der wild Gesträuch die Mündung ganz bedeckt,

Auf dessen Blättern jüngst vergoßnes Blut

So frisch wie Morgentau im Blütenkelch?

Mir scheint, voll böser Ahnung ist der Ort! –

Sag, Bruder, fühlst du Schmerz nach deinem Fall?

MARCIUS.

O Bruder, durch das schrecklichste Gesicht,

Des Anblick je ein Herz zum Jammer zwang.

AARON beiseit.

Den Kaiser hol' ich jetzt, sie hier zu finden.

Daß er nach äußerm Schein vermuten muß,

Sie seien's, die den Bruder ihm erschlagen.


Ab.


MARCIUS.

Was tröstest du mich nicht, und hilfst mir fort

Aus dieser schnöden, blutbefleckten Gruft?

QUINTUS.

Ohnmächtig bin ich durch seltsame Furcht,

Die Glieder zittern kalt im Todesschweiß,

Mein Herz argwohnt mehr, als mein Aug' erspäht.

MARCIUS.

Damit du siehst, du hab'st ein ahnend Herz,

Aaron und du, seht in die Höhl' herab,

Und schaut ein gräßlich Bild von Blut und Tod!

QUINTUS.

Aaron ist fort, und mein beängstigt Herz

Gestattet meinem Auge nicht zu sehn,

Was in der Ahnung ihm entsetzlich dünkt.

O sag mir, was es sei, denn nie zuvor

War ich ein Kind, zu scheun ich weiß nicht was.

MARCIUS.

Prinz Bassianus liegt in Blut getaucht

Am Boden da, wie ein geschlachtet Lamm,

In der verfluchten dunkeln Gruft des Mords! –

QUINTUS.

Wenn's drin so dunkel, wie erkennst du ihn?

MARCIUS.

Am blut'gen Finger trägt er einen Ring

Von seltnem Preis, der rings die Höhl' erhellt,

Wie eine Kerz' in dunkler Totengruft

Auf seiner Leiche fahles Antlitz scheint,

Und zeigt der Grube scheußlich Eingeweide.

So bleich auch schien der Mond auf Pyramus,[33]

Als er gebadet lag in Mädchenblut!

O Bruder, hilf mir mit kraftloser Hand –

(Wenn Furcht dich kraftlos machte, so wie mich, –),

Der bösen Mörderhöhle zu entfliehn,

So gräßlich, wie Cocytus' trüber Schlund!

QUINTUS.

Gib mir die Hand, daß ich dir helf empor;

Und reicht die Kraft nicht aus, dir beizustehn,

Fall' ich wohl selbst in dieses tiefen Pfuhls

Verhaßten Schoß, der Bassian verschlang. –

– Ich bin zu schwach, zum Rand dich aufzuziehn! –

MARCIUS.

Und ich erklimm' ihn ohne Beistand nie!

QUINTUS.

Nochmals die Hand: ich lass' dich nicht mehr los,

Bis du hinaufsteigst, oder ich hinab:

Du kommst zu mir nicht, so komm' ich zu dir! –


Er fällt in die Grube.


Saturninus und Aaron kommen.


SATURNINUS.

Heran, mir nach: ich will die Höhle sehn,

Und wer es war, der eben sprang hinab: –

Sag an, wer bist du, der sich hier verbarg

In diesen gähnend offnen Rachen: sprich? –

MARCIUS.

Des alten Titus jammervoller Sohn,

Zu höchst unsel'ger Stund' hieher geführt,

Bassianus, deinen Bruder, tot zu sehn.

SATURNINUS.

Mein Bruder tot? Ich weiß, es ist nur Scherz:

Er und Lavinia sind im Jagdgezelt,

Im Norden dieses heitern Waldreviers;

Noch keine Stund' ist's, seit ich dort sie ließ.

MARCIUS.

Wir wissen nicht, wo Ihr ihn lebend saht,

Doch weh! wir fanden ihn ermordet hier! –


Tamora mit Gefolge, Andronicus und Lucius treten auf.


TAMORA.

Wo ist mein Herr, der Kaiser?

SATURNINUS.

Hier, Tamora, von Todesgram betrübt.

TAMORA.

Wo ist dein Bruder Bassian?

SATURNINUS.

Nun trafst du meiner Wunde tiefsten Grund;

Der arme Bassian liegt hier ermordet.

TAMORA.

Dann allzu spät erhältst du dieses Blatt,

Den Plan des übereilten Trauerspiels.[34]

Ich staune, wie ein menschlich Antlitz barg

In sanftem Lächeln so tyrann'schen Mord.


Sie gibt dem Saturninus einen Brief.


SATURNINUS liest:

»Verfehlten wir, nach Wunsch ihm zu begegnen

(Bassianus meinen wir), dann säume nicht,

Sein Grab zu graben, wackrer Jägersmann;

Du weißt, wie wir's gemeint. – Du find'st den Sold

Unter den Nesseln am Holunderbaum,

Der jener Grube Mündung überwölbt,

Wo ich Bassianus dich begraben hieß.

Dies tu' und kauf' dir unsern ew'gen Dank!«

O Tamora! Vernahmst du Gleiches je?

Dies ist die Gruft, dies der Holunderbaum;

Seht, Herrn, ob ihr den Jäger finden mögt,

Der hier Bassianus frech ermordete!

AARON bringt den Beutel.

Mein gnäd'ger Fürst, hier ist der Beutel Gold!

SATURNINUS zu Titus.

Zwei Hunde deines tück'schen blut'gen Stamms,

Sie gaben meinem Bruder hier den Tod.

Fort, zieht sie aus der Gruft mir in den Kerker,

Und laßt sie schmachten, bis ich Strafen fand

Von unerhörter, neuer Folterqual.

TAMORA.

Was? sind sie in der Gruft? O wundervoll!

Wie leicht wird jeder Mord doch offenbar!

TITUS.

Erhabner Fürst, auf meinem schwachen Knie,

Mit Tränen, schwer vergossen, fleh' ich dich,

Daß meiner frevelhaften Söhne Tat –

Frevelnd, wenn diese Tat erwiesen ward –

SATURNINUS.

Erwiesen ward? Ihr seht, sie ist gewiß!

Wer fand den Brief! Warst du es, Tamora?

TAMORA.

Andronicus hob selbst den Zettel auf.

TITUS.

Das tat ich, Herr; doch laßt mich Bürge sein:

Ich schwör's bei meiner Väter heil'gem Grab,

Auf deiner Hoheit Wink sind sie bereit,

Mit ihrem Blut zu zahlen den Verdacht.

SATURNINUS.

Du sollst nicht Bürge sein: gleich folge mir![35]

Ihr nehmt den Toten, ihr die Mörder mit:

Laßt sie nicht reden, ihre Schuld ist klar;

Denn wahrlich, gäb' es härtre Straf als Tod,

Die Strafe ließ' ich alsobald vollziehn.

TAMORA.

Andronicus, ich will um Gnade flehn:

Nicht fürcht' um deine Söhn', es wird noch gut.

TITUS.

Komm, Lucius, weile nicht, sie anzusprechen! –


Sie gehn von verschiedenen Seiten ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 32-36.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Titus Andronicus
TheComplete Arkangel Shakespeare: Titus Andronicus by Shakespeare, William ( Author ) ON Jan-01-1900, Audio cassette
Titus Andronicus [Zweisprachig]
Titus Andronicus: Zweisprachige Ausgabe
Titus Andronicus / Julius Caesar

Buchempfehlung

Müllner, Adolph

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Die Schuld. Trauerspiel in vier Akten

Ein lange zurückliegender Jagdunfall, zwei Brüder und eine verheiratete Frau irgendwo an der skandinavischen Nordseeküste. Aus diesen Zutaten entwirft Adolf Müllner einen Enthüllungsprozess, der ein Verbrechen aufklärt und am selben Tag sühnt. "Die Schuld", 1813 am Wiener Burgtheater uraufgeführt, war der große Durchbruch des Autors und verhalf schließlich dem ganzen Genre der Schicksalstragödie zu ungeheurer Popularität.

98 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon