Dritte Szene

[949] Zimmer in Sempronius' Hause. Sempronius tritt auf mit einem Diener Timons.


SEMPRONIUS.

Bestürmen muß er mich vor allen andern?

Den Lucius und Lucullus könnt' er angehn;

Und auch Ventidius ist nun reich geworden,

Den er vom Kerker losgekauft! Sie alle

Verdanken ihren Wohlstand ihm.

DIENER.

Mylord,

Greprüft sind sie und falsches Gold gefunden;

Sie weigerten ihm alle.

SEMPRONIUS.

Weigern ihm?

Ventidius und Lucullus weigern ihm?

Nun schickt er her zu mir? Und sie? Hm, hm!

Das zeigt in ihm nur wenig Lieb' und Urteil.

Ich, letzter Trost? Die Freunde sind wie Ärzte

Geschenkt, und lassen ihn: Ich soll ihn heilen?

Sehr hat er mich gekränkt; ich bin ihm böse,

Daß er mich so verkennt: Kein Grund und Sinn,

Weshalb er mich zuerst nicht angesprochen,

Denn ich, auf mein Gewissen, war der erste,

Der Gaben je von ihm empfangen hat:

Und stellt er mich nun in den Hintergrund,

Daß er zuletzt mir traute? Nein, dies würde

Nur Gegenstand des Spotts für all die andern,

Ein Tor nur ständ' ich da vor all den Lords.

Dreimal die ganze Summe gäb' ich lieber,

War ich der erst', nur um mein Zartgefühl:

So schwoll mein Herz, ihm Gutes zu erweisen!

Zum Nein der andern sei das Wort gesellt:

Wer meine Ehre kränkt, sieht nie mein Geld.


Geht ab.[949]


DIENER. Ganz unvergleichlich! Euer Gnaden ist ein recht frommer Schurke. Der Teufel wußte nicht, was er tat, als er den Menschen politisch machte; er stand sich selbst im Lichte: und ich kann nichts anders glauben, als daß durch so nichtswürdige Klugheit der Sünder sich noch zum Heiligen disputiert. Wie tugendhaft strebte der Lord, um niederträchtig zu erscheinen? Frommen Vorwand nimmt er, um gottlos zu sein; denen gleich, die mit inbrünstigem Religionseifer ganze Königreiche in Brand stecken möchten.

Der Art ist seine überkluge Liebe.

Er Timons beste Hoffnung; all' entweichen,

Nur die Götter nicht: Die Freunde all' sind Leichen.

Die Tür, die niemals ihren Riegel kannte,

Durch manch gastfreies Jahr, muß jetzt sich schließen,

Um sichern Wahrsam ihrem Herrn zu leihn.

So end't der Lauf von all zu freien Jahren;

Das Haus bewahrt, wer nicht sein Geld kann wahren.


Geht ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 4, Berlin: Aufbau, 1975, S. 949-950.
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