Zweite Scene.

[66] Die Mündung eines großen Flusses an der Insel Atlantis. – Okeanos lehnt am Ufer. Apollo steht neben ihm.


OKEANOS.

Er fiel, so sagst du, schon vom Blick des Siegers

Getroffen hin?

APOLLO.

Ja, als der Kampf zu Ende,

Der selbst das Glanzgestirn, das ich regiere,

Getrübt und schütterte die festen Sterne,

Durchbrach der Schreckblick seines Auges noch,

Den weiten Himmel blutigroth erhellend,

Den Saum der Finsterniß, die ihn verschlang.

So schießt der letzte rothe Strahl des Tags,

Der stirbt, aus feueriger Wolken Riß

Und loht empor aus sturmdurchwühlter Tiefe.

OKEANOS.

Der Schlund verschlang ihn? – Leere Finsterniß?

APOLLO.

So sieht ein Aar sich plötzlich in der Wolke,

Die berstend losbricht über'n Kaukasus:

Im Wirbelwind das Flügelpaar verfangen,

Das donnernde vom Donner übertäubt,

Das Aug', das kühn dem Sonnenblink getrotzt,

Geblendet von des Blitzes weißem Licht,

Dieweil des Hagels Wucht schlägt an den Leib[66]

Des Riesenvogels, der vergeblich kämpft

Und endlich stürzt, vom Schlossenhauf bedeckt!

OKEANOS.

So wird mein himmelspiegelnd Fluthenreich

Nun fortan wogen, unbefleckt von Blut,

Vom Wind geschwellt, gleich grünen Saatgefilden,

Vom linden Hauch der Sommerluft bewegt.

Und fluthen werden meine Ströme nun

Um manchen völkerreichen Continent

Und rund um Inseln der Glückseligen.

Hoch ober den krystall'nen Thronen werden

Der blaue Proteus und die feuchten Nymphen

Den Schatten schöner Schiffe gleiten sehn,

Wie Sterbliche die lichtbelad'ne Barke

Des Mondes sehn mit jenem Silberstern

Zu Häupten seines unsichtbaren Lootsen,

Getragen von der ebbend raschen See

Des Sonnenuntergangs. Und ihre Spur

Wird nicht bezeichnet mehr von Blut und Seufzern,

Nicht von Verzweiflung und verworr'nen Stimmen

Der Sklavendemuth und des Herrschbefehls –

Nein! Nur vom Farbenglanz der Blumen mehr,

Die, Düfte spendend, sich in Wellen spiegeln,

Von sanften Melodie'n, von milden, freien

Und holden Stimmen, jener süßesten

Musik, wie sie die ew'gen Geister lieben.

APOLLO.

Und ich soll fortan nicht mehr Thaten schauen,

Die das Gemüth mit Sorge mir verdüstern,

Sowie die Sonnenfinsterniß verdunkelt

Die lichte Sphäre, die ich lenke hier!

Doch horch! die kleine, klare Silberlaute

Des jungen Geistes hör' ich klingen, der

Im Morgensterne wohnt.

OKEANOS.

Du mußt hinweg!

Am Abend werden deine Renner ruh'n[67]

Und bis dahin leb' wohl! – Die laute Tiefe

Sie ruft mich eben heim, daß ich sie stille

Mit der erhab'nen Ruhe des Azurs

Aus den smaragd'nen Urnen, die gefüllt

Für immer stehn zu Seiten meines Throns.

Sieh' in der grünen See die Nereïden:

Die schlanken Glieder schwankend in der Strömung,

Die weißen Arme über's Haar gebogen,

Das niederströmt, geschmückt mit grünen Ranken

Und stern'gen Kronen aus des Meeres Blumen!

Die mächt'ge Schwester eilen sie zu grüßen,

Den heißen Glückwunsch ihrer Freude bringend.


Man hört die Wogen brausen.


Es ist die See, die unbehütete,

Die nun gestillt sein will. – Still, Ungeheuer!

Ich komme nun! – So leb' denn wohl!

APOLLO.

Leb' wohl!


Quelle:
Shelley, Percy Bysshe: Der entfesselte Prometheus. Wien 1876, S. 66-68.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der entfesselte Prometheus
Der entfesselte Prometheus. Lyrisches Drama in vier Akten [and in verse] ... Deutsch von A. Graf Wickenburg

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