An eine Kirchhofslinde

[99] Wenn dereinst im lauen Abendwinde

Unter deinem Schatten, hohe Linde!

Matt ein Lebensmüder sinkt,

Und aus deinen Silberblüthen

Süsse Düfte trinkt;


O dann lisple sanft dem armen Müden:

»Hier wohnt Ruhe, hier wohnt stiller Frieden,

Trockne deine Thränen ab;

Unter diesem Blumenhügel

Ist Elisens Grab!«


»Sie auch sehnte sich aus banger Schwule

Nach des stillen Grabes milder Kühle,

Lange ahnend frühen Tod,

Nun verkläret ihre Thränen

Ew'ges Morgenroth!«


»Athme leichter unter dieser Linde!

Wie die Blüthe sinkt im Abendwinde,

Schwindet jedes Leiden hin,

Wenn auf unserm Schlummerhügel

Rosen einst erblüh'n!«

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 99-100.
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