An Marienwerder bei Hannover

[160] In Stunden heiliger Erinnerung,

Wo der verschwundnen Tage heitres Bild

Zu süsser Nachempfindung uns umschwebt,

Wo auch die längst verblühte Blume noch

Mit ihrem Duft die Seele sanft umwallt,

Da weil' ich noch bei jenem Wonnetag,

Wo ich, Marienwerder! dich erblickt,

Wo ich in deinem Zauberscheine mich

Hinüber träumte in's Elysium;

Wo ich, im Taumel meiner Wonne, rief:

Hier wohnt ein Gott in diesem Feeenthal,

Hier weht sein Athem überall um mich;

Hier, wo im reinsten Einklang sich vereint

Natur und Kunst, verwebt mit Schönheits – Sinn,

Hier ruht der Himmel, hier ist meine Welt!

Wie Traumgestalten flohen sie dahin

Die Schattenfreuden, die die Erde giebt

Dem Armen, der kein höh'res Leben kennt,

Als rauschende nur immer neue Lust,

So selig werd' ich nimmer wieder seyn,

Als ich in dir, Marienwerder! war –

Ein heil'ges Säuseln wallt in deinem Hain,

In deinen stillen Schatten wohnt die Ruh,[161]

Die stille Lust, wie sie der bessre Mensch,

Dem Himmel gleich, in seinem Busen trägt.

Hier winket dichter Lauben Rosenduft,

Des Geisblatts Schattendach zum Rasensitz;

Dort führt ein Pfad durch bunte Blumen-Au'n

Dem Bach entlang, der über Goldsand rinnt;

Da strömt in klaren Wellen schäumend hin

Der blauen Leine stiller Silberstrom,

Am nahen Ufer malerisch umkränzt;

Des grauen Klosters Zinnen schimmern dort

Im Abendgold durch zitterndes Gebüsch;

Hier führt ein Pfad durch den Platanen-Gang

Zum stillen Hain, wo ew'ge Ruhe wohnt;

Zerstreute Gräber liegen rings umher,

Bedeckt mit grauem Moos und Trauerlaub,

Und Flittergold, das um die Kreutze rauscht;

In diesen Räumen, wo der Zephyr sanft

Um der Zypressen dunkle Zweige spielt,

Liegt eines Klausners Wohnung, alt und grau,

Von Eichenrinden und von grauem Stein;

Die Armuth, die dort allenthalben herrscht,

Die Andacht, die aus offner Bibel spricht,

Und jener Todten-Mäler ernster Wink –

Sie heben uns in sanfter Schwärmerei

Empor in's schön're, bessre Vaterland!

In sanfter Wehmuth wogt das weiche Herz!

Ach, süssre Thränen gab die Welt mir nicht,

Als hier mein Auge sie gerührt vergoss,[162]

So überirrdisch, nahe jenem All,

Wie in Marienwerders Zauberhain,

Hat niemals, niemals wieder die Natur

In süsse Träumereien mich gewiegt:

Gedanken, würdig der Unsterblichkeit,

Erhoben mich, durchbebten meine Brust,

Zu meinen Füssen lag die arme Welt!

Quelle:
Elise Sommer: Gedichte, Frankfurt a.M. 1813, S. 160-163.
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