8. Verliebt/ Sinnen-krank

[33] 1.

Dorinde hat mich erst gelehrt

der edlen Freyheit abzusagen.[33]

Mir war kein Amor je geehrt/

ein Spott der Venus göldner Wagen.

Ich hielte vor ein Kinder-spiel

der Liebenden verbuhltes Küssen/

die Tugend/ ein gelehrtes wissen

war meines Lebens einigs Ziel.


2.

Nachdehm der schwarzen Augen Straal/

die Tracht und Anmuht der Dorinden

mir meiner Sinnen Ruder stahl/

weiß ich mich nicht in mir zu finden.

Die Kunst-Lust/ ein gesunder Raht

ist in mir Blinden gantz verschwunden.

O der unseelig-bösen Stunden/

die mich durch Sie verführet hat.


3.

Ich spüre/ daß die Götter mich

um dessentwegen fliehn und hassen:

das weiß ich zwar/ iedoch kan ich

diß schlimme Thun nicht unterlassen.

Was mir der Wolstand predigt ein/

das hör' ich an mit tauben Ohren/

die Weißheit hat an mir verlohren.

Ich muß/ ich muß verdorben sein.


4.

Was mir an Jungfern meist beliebt

haß' ich und straff' es an der Meinen.

Das gröste/ das mich iezt betrübt/

das mir das Herze machet weinen/

ist ihrer Keuschheit reine Zucht/

von der sie nicht wil abewanken/

diß macht mir sorgliche Gedanken.

Seht was die tolle Liebe sucht!
[34]

5.

Der Tag wird mir zur finstern Nacht/

die Nacht zur Marter/ Furcht und Zagen/

ia zu der Helle selbst gemacht/

so plagen mich die Liebes-Plagen.

Die Nacht verschwindt/ ich habe nicht

ein einigs Blikkchen recht geschlaffen/

des Tages kan ich auch nichts schaffen/

so bin ich auff die Lieb' erpicht.


6.

Ach helfft mir/ helfft/ wer helffen kan?

Ich muß sonst heute noch erkalten/

Tragt mir Gefängnüß/ Marter an/

ich wil es auß- ganz willig -halten.

Kein Kreuz ist in der Welt so schweer/

als sonder Gegen-Liebe lieben.

Solt' ich mich länger so betrüben/

so wolt' ich eh nicht leben mehr.


Quelle:
Kaspar Stieler: Die geharnschte Venus, Stuttgart 1970, S. 33-35.
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