Elise von Mannsfeld

1775.


Eine Ballade aus dem zehnten Jahrhundert.


»Wie viele sehnten sich nach dir,

Du kühle, stille Nacht!

Nun hast du ihnen Labung, Ruh

Und sanften Schlaf gebracht.


Auch mir kommst du erwünscht; jetzt kann

Ich frei und einsam seyn;

Durch manchen tiefen Seufzer nun

Mir lindern meine Pein.


Ach Gott! was hab ich denn gethan,

Daß sie so grausam sind?

Mein Vater nannte mich ja stets

Sein liebes, gutes Kind;
[62]

Und ihren besten Segen gab

Die Mutter sterbend mir.

Der wird im Himmel einst erfüllt;

Doch wahrlich! nicht auch hier.


Daß dieser Segen sich nur nicht

In Fluch verkehr' für die,

Die so mich kränken! Gott verzeih

Es ihnen! beß're sie!


Ach, alles trüg' ich mit Geduld,

Wenn, Liebe, du nicht wärst,

Die du durch hoffnungslose Quaal

Mein krankes Herz verzehrst!


Kann ich's nicht dulden, nun wohlan

So hab' ich Einen Trost:

Dann brichst du, armes Herz! Drum sei,

Bis daß du brichst, getrost!« –


So eben kehrt' ein Rittersmann

Von seinem Ritt zurück,

Und kommt, geführt von seinem Pfad,

Hart an des Schlosses Brück'.
[63]

Da dringt des Fräuleins Klageton

Ihm tief in's Herz hinein;

Er wähnt', um Hülfe fleh' sie ihn,

Und will ihr Retter seyn.


Voll Ungeduld und voll Begier

Umher sein Auge glüht,

Bis endlich hoch am Fenster er

Das Fräulein stehen sieht.


»Ach Fräulein! sprich, was jammerst du?

Vertraue mir dein Leid!

Dies Schwert, der Arm, dies Leben sei

Zu deinem Dienst geweiht.« –


»Ach, edler Ritter, Schwert und Arm

Ist nicht, was mir gebricht;

Nur Trost für mein beklomm'nes Herz:

Und ach, den hast du nicht!« –


»Entdecke mir dein kränkend Weh,

Das wird dir Lind'rung seyn,

Und meine Mitleidsthräne wird

Dir einen Trost verleih'n.« –
[64]

»Du guter Jüngling! höre denn,

Ich eine Waise bin,

Und mit den lieben Eltern starb

Mir Ruh' und Freude hin;


Ein Ohm und eine Muhme jetzt

An Eltern Statt mir sind,

Die quälen mich, daß Gott erbarm'!

Und tödten schier ihr Kind.


Mein Vater war ein reicher Graf,

Nun ist das Erbe mein.

O, wär' ich arm! dies schnöde Gut

Ist Ursach meiner Pein.


Mein Oheim dürstet Tag und Nacht

Nach meinem Hab' und Gut,

Drum sperrt in diesen Thurm mich ein

Des harten Mannes Wuth.


Hier bleib' ich, droh't er, wo ich nicht

Erwähl' am dritten Tag,

Ob ich den Sohn zum Ehemann,

Ob ich in's Kloster mag.
[65]

Wie eilig wär' die Wahl gescheh'n,

Ich thät' den Schleier an,

Ach, liebte nicht mein junges Herz

Den besten, schönsten Mann,


Jüngst bei'm Turniere sah ich ihn,

Ich sah' und liebt' ihn gleich,

Wie frei, wie edel und wie kühn!

Nicht Einer war ihm gleich.« –


»Sei, edles Fräulein! gutes Muth's,

In's Kloster sollst du nicht,

Noch minder sollst du seyn die Schnur

Vom alten Bösewicht.


Ich kann's, ich will's, ich rette dich,

Das ist mein fester Sinn,

Bring' dich in deines Jünglings Arm,

So wahr ich Stolberg bin.«


»Du? Stolberg? o mein Leid ist hin!

Mein Engel führte dich;

Du bist mein trauter Jüngling, du!

Nach dem ich sehnte mich.
[66]

Jetzt sag' ich frei und offen dir,

Was schon mein Blick gestand,

Als ich um deine Lanze jüngst

Den Eichenkranz dir wand.« –


»O Gott! du? mein geliebtes Kind,

Elise Mannsfeld? O!

Dich liebt' auch ich bei'm ersten Blick;

Noch keiner liebte so!


An meiner Lanze sieh den Kranz,

Den sie nun ewig trägt.

Ach, könntest du dein Bild auch sehn,

So tief hier eingeprägt!


Jedoch was säumen wir? ich bring

Dich heim vor Sonnenschein,

Und uns'rer keuschen Liebe soll

Nichts mehr im Wege seyn.« –


»Von ganzer Seele lieb' ich dich

O Jüngling! aber doch

Sträubt sich mein jungfräulich Gefühl

Bei'm raschen Vorsatz noch.
[67]

Du kennst die arge Welt; du weißt

Wie im Triumphe sie

Mir Stand und Ehr', und Tugend nimmt,

Wenn ich mit dir entflieh.« –


»O Mädchen, was ist uns die Welt?

Laß immerhin sie schrei'n;

Dein Beifall nur, mein Beifall nur

Soll unser Richter seyn.


Und keiner deines Stammes soll

Vernehmen deine That,

Bis uns des Priesters Segenshand

Zur Eh' geweihet hat.


Auch führ' als Gattin ich dich erst

In meine Burg hinein;

Nun geht's zu meiner Schwester hin;

Da soll die Trauung seyn.


Wie wird mein liebes Gustchen sich

Der lieben Schwester freu'n,

Wie wird des lieben Bruders Glück

Ihr eig'ne Wonne seyn!
[68]

Elise, laß uns eilen! komm,

Gleich ist es Mitternacht!

Der Mond, der jetzt so hell uns scheint,

Hat bald den Lauf vollbracht.« –


Nun schlich das Fräulein leisen Tritts

Hinab den Windelsteig,

Bis unten sie zum Fenster kam,

Da ward sie todtenbleich;


Doch schnell ergreift sie wieder Herz

Und öffnet es behend,

Und wagt's und springt dem Ritter zu,

Der ihr entgegen rennt.


Sein Mädchen drückt' er sprachlos jetzt

Fest an sein klopfend Herz,

Für ungefühlter reiner Lust

Vergaß sie allen Schmerz.


Dann hob er freudig sie auf's Roß,

Und vor ihr setzt' er sich,

Sie schlang die weißen Arm' um ihn;

Fort ging's nun ritterlich.
[69]

Vom Roß und freudigem Gebell

Des treuen Greifs erweckt,

Lief schnell die Zof' an's Fenster hin,

Ihr Fräulein sie erblickt.


Sie tobt mit wildem Angstgeschrei,

Klagt allen ihre Noth;

Der Alte schäumt, und flucht und schwört

Der Nichte Schmach und Tod.


Er fodert seine Sassen auf,

Und eh' der Tag begann,

Verließen rüstig sie das Schloß;

Er führte selbst sie an.


Indessen war das Ritterpaar

Durch Anger, Wiese, Feld,

Weit über Berg und Thal und Forst;

Vom günst'gen Mond erhellt.


Mit lautem Schaumgetöse stürzt

Die Bude vor sie hin:

»Es geht, mein Kind erzitt're nicht!

Des Stroms ich kundig bin.« –
[70]

Der Rappe stutzt und hebt den Fuß

Und prüft den Fluß gemach,

Drauf strebt' er wiehernd durch, als wär's

Nur ein Forellenbach.


Nun kommen sie zum Schloß gesprengt,

In Himmelswonn' entzückt;

Beschreib's, wer eine Freude je,

Wie diese war, erblickt'.


Nun saßen sie bei'm frohen Mahl,

Der Becher ging umher;

Ein Knappe kam: »Auf, edler Graf!

Der Mannsfeld rücket her!«


Und Braut und Schwester jammerten,

Zerrauften sich das Haar;

Indeß der Graf zu Pferde schon

Im vollen Harnisch war.


Dem Zug' er schnell entgegen kam,

Und rief dem Mannsfeld laut:

»Umsonst ist deine Müh'; sie ist

Als Weib mir angetraut!
[71]

Und bin ich nicht aus edlem Stamm,

Deß Ruhm erschallet weit,

Der Fürsten unserm Volke gab

Schon zu der Heiden Zeit?«1


Mit eingelegter Lanze sprengt

Der Alte gegen ihn;

Sein Haufe folgt; erwartend bleibt

Der Ritter kalt und kühn,


Und zieht sein Schwert. Als Mannsfeld naht,

Verhaut er ihm den Stoß

Und haut, und haut den Schedel durch,

Daß er zur Erden schoß.


Die Reisigen zerstreuen sich,

Und Stolberg eilt nach Haus,

Und ruht die lange, süße Nacht

In Lieschen Armen aus.

Fußnoten

1 Das Geschlecht der Stolberge gehörte unter die zwölf Edlen Häuser der Vierfürsten des sächsischen Reichs, aus welchen zu Kriegszeiten Herzoge und Könige erwählt wurden, ehe Karl der Große Sachsen eroberte.


Quelle:
Gesammelte Werke der Brüder Christian und Friedrich Leopold Grafen zu Stolberg, Band 1, Hamburg 1820, S. 39-40,62-72.
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