Zweite Szene

[20] Dr. Hofmiller. Die Vorigen.


DR. HOFMILLER. Guten Abend, Frau Eberhardt. Ich habe den ganzen Nachmittag auf dem Schlosse verbracht. Es war herrlich.

MUTTER. Ich bin seit zehn Jahren nicht mehr oben gewesen. Hat sich der neue Schloßherr sehen lassen?.[20]

DR. HOFMILLER. Er ließ mich den Rittersaal sehen. Ein liebenswürdiger Herr. Ihr Herr Gemahl kam ja wohl auch aus Amerika hierher?

MUTTER. Allerdings.

FRANZISKA. Gute Nacht, Mutter.

MUTTER. Lassen Sie sich bald wieder sehen, Herr – Ihr Name ist mir entfallen. Ab.

DR. HOFMILLER. Franziska – was antwortest du mir?

FRANZISKA. Ich fand keine andere Antwort.

DR. HOFMILLER. Du hast mir deinen Körper gegeben. Bleib mein Weib. Sei fürs Leben mein Weib!

FRANZISKA. Ich lasse mich nicht mit achtzehn Jahren gleich wieder einzwängen.

DR. HOFMILLER. Einzwängen? Gerade das Gegenteil mute ich dir zu. Du bist so überreich an Anlagen. Du sollst dich entwickeln, du sollst glücklich werden.[21]

FRANZISKA. Kann dann nicht alles bleiben, wie es ist?

DR. HOFMILLER. Unmöglich, Franziska! Ich habe meinen Beruf, der meine ganze geistige Arbeit in Anspruch nimmt. Mir bleibt für meinen Beruf nichts übrig, wenn ich Tag und Nacht nur an dich denken muß. Ich brauche gesicherte Zustände. Du bindest dich dadurch nicht im geringsten mehr, als ich mich dir gegenüber binde. Ich bin der Mensch, der seinen Vorsätzen treu bleibt.

FRANZISKA. Es gibt doch aber wirklich genug achtzehnjährige hübsche Mädchen, die nichts Besseres mit sich anzufangen wissen, als sich zu verheiraten. Ich werde mich ja sicherlich auch einmal verheiraten. – Aber jetzt möchte ich doch erst meines eigenen Daseins ein wenig froh werden. Begreifst du das denn nicht?

DR. HOFMILLER. Nein, Franziska. Gerade an dir ist mir das unverständlich. Ich glaube auch nicht, daß du dich bei diesen Äußerungen selber richtig beurteilst.

FRANZISKA. Was weiß ich auch über mich! Vielleicht hast du recht. Aber ich möchte doch gerne erfahren, wer ich denn eigentlich bin. Wenn wir uns heute heiraten,[22] dann erfahre ich in den nächsten zehn Jahren nur, wer du bist.

DR. HOFMILLER. Und wer unsere Kinder sind.

FRANZISKA. Und ich selber bleibe mir ewig fremd.

DR. HOFMILLER. Wenn du wirklich nicht mehr für mich empfindest, dann war es einfach unsittlich von dir, dich mir hinzugeben.

FRANZISKA. Du scheinst dich ja recht gut bei mir unterhalten zu haben.

DR. HOFMILLER verblüfft. Franziska! – Ruhiger. Halte mich deshalb meinetwegen für anmaßend, für selbstgefällig, aber ich bildete mir ein, dir nicht gleichgültig zu sein. Vom ersten Tage unserer Bekanntschaft an hatte ich das Gefühl, ein ernstes, wichtiges Erlebnis für dich zu bedeuten. Mißverstehe mich nicht. Ich habe mir nicht einen Augenblick eingebildet, dir überlegen zu sein. Immer aber hatte ich den bestimmten Eindruck, daß du an meine Überlegenheit glaubst.

FRANZISKA. Bist du mir denn nicht auch überlegen?[23]

DR. HOFMILLER. Aber wieso denn, Franziska?

FRANZISKA. Dadurch, daß du das Leben besser kennst als ich.

DR. HOFMILLER. Allerdings ein Vorzug, auf den ich unmöglich stolz sein kann. – Nein, Franziska, wenn ich nicht die unerschütterliche Überzeugung gehabt hätte, daß du mich vor allen anderen Menschen hochschätzest, dann hätte ich es nie so weit zwischen uns kommen lassen.

FRANZISKA. Warum denn nicht? – Hast du die Mädchen so außerordentlich hochgeschätzt, bei denen du zu Gast warst?

DR. HOFMILLER empört. Franziska! – Wenn ich hätte ahnen können, daß du mich in dieser Weise beschimpfen werdest.

FRANZISKA. Dein Zorn macht dich so begehrenswert. Wenn ich jetzt nur wüßte, was dich zu Tätlichkeiten bringt.

DR. HOFMILLER sich beherrschend. Dabei habe ich nie ein Mädchen gekannt, daß sich, wenn es ihm nötig erscheint, so ahnungslos unschuldig stellen kann wie du.[24]

FRANZISKA. Mich juckt mein Fell.

DR. HOFMILLER. Wäre es dir wirklich eine Freude, wenn ich dich mißhandelte?

FRANZISKA. Du hättest jedenfalls nicht den leisesten Schrei zu fürchten.

DR. HOFMILLER. Das ist widernatürlich.

FRANZISKA. Dann sind Pferde auch widernatürlich.

DR. HOFMILLER. Pferde sind widernatürlich, wenn sie Gedichte schreiben. Menschen sind widernatürlich, wenn sie sich erst beißen müssen, um sich liebhaben zu können.

FRANZISKA. Ich wußte bis jetzt nicht, daß du Gedichte schreibst.

DR. HOFMILLER. Ich schreibe auch keine.

FRANZISKA. Ich dafür um so mehr. Aber das hat uns ja miteinander bekannt gemacht.

DR. HOFMILLER. Deine Gedichte? Wieso?

FRANZISKA. Meine Angst, widernatürlich zu sein.[25]

DR. HOFMILLER. Ich verstehe nicht, wie du das meinst.

FRANZISKA. Als Kind litt ich Jahre hindurch an Angstzuständen. Ich fürchtete immer wieder, meine Mutter könnte sich das Leben nehmen. Im strahlenden Sonnenschein verfiel ich plötzlich in Weinkrämpfe. Auf der großen Treppe, die durch die Matte zum Schlosse hinaufführt, habe ich einmal so geschrien, daß mich die Mäher mit Wasser begossen.

DR. HOFMILLER. Das ist ein unbezahlbarer Witz! Ich kann mir gar kein Weib denken, das im Verkehr mit dem Manne natürlicher und gewaltiger empfindet als du.

FRANZISKA. Das konnte ich doch aber nicht im voraus wissen.

DR. HOFMILLER nachdenklich. Deshalb also?

FRANZISKA. Ja, deshalb.

DR. HOFMILLER. Jetzt kennst du dich aber. Siehst du denn nun nicht ein, Franziska, daß du dadurch in meine Gewalt geraten bist?

FRANZISKA. Das sehe ich durchaus nicht ein.[26]

DR. HOFMILLER. Der Mann, der dich nach mir bekommt, kann dich unmöglich so hochschätzen, wie ich dich schätze. Ich heirate auch keine Frau, die schon ein anderer gehabt hat.

FRANZISKA. Ich stelle aber jetzt, wo ich mich kennen gelernt habe, ganz andere Ansprüche an einen Mann als vorher.

DR. HOFMILLER. Und ich Esel machte mir meiner leichfertigen Handlungsweise wegen die furchtbarsten Gewissensbisse!

FRANZISKA. Du darfst mich deshalb nicht etwa für ein undankbares Geschöpf halten.

DR. HOFMILLER. Ich ertrage deinen Anblick nicht länger. Wendet sich zur Tür.

FRANZISKA. Was hast du vor?

DR. HOFMILLER. Du hast ruchlos mit mir gespielt. Hätte ich mir doch nur diese unsinnige Reise erspart! Mit dem ersten Zuge fahre ich morgen nach München zurück. Ab.[27]


Quelle:
Wedekind, Frank: Franziska. Ein modernes Mysterium in fünf Akten, München 1912, S. 20-28.
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