Das vierte Capitel.

Alle Bussen, seynd gegen der Sünd gerechnet, gar zu klein.

[882] Philipp, Graf zu Namur.


In Jahr-Brieffen unserer Gesellschaft in Bœtica, 1652. wird von einem Sünder gelesen, welcher beichten und nicht beichten wolte. Der Geist GOttes trieb an innerlich, äusserlich aber der Ruf der Prediger: doch umsonsten. Die Beicht der Sünden wurd gehemmet, von der Schamhaftigkeit und die Buß, von der Beschwernuß. Dahero schub er auf seine Beicht von einer Zeit zur anderen, bis ihme GOtt bey nächtlicher Weil angezeiget, wie gefähr- und erschröcklich die Sünd, wie entgegen nutz- und verdienstlich die Beicht und Buß.

Er sahe einen grossen hohlen Felsen, welcher in zweyen Orten eröfnet war, daraus waltzet sich ein vergifte gewaltige Schlangen, auf einer, auf der anderen Seiten aber flog hervor ein Hönig-machender Bienschwarm. Die Schlang ergiftet, diesen mit sich in ihr Gruben und Höhl zu bringen; er förchtet seinen Leib, mehr aber seiner Seelen. In diesem Schröcken erwachend, eylet er aus dem Beth und Haus, sucht und findt einen Beicht-Vatter, deme er die Gefahr seiner Verdammnuß, so er nicht beichtet; wie auch die Süßigkeit der göttlichen Gnad, so er beichtet, ausführlich erzählet.

Dieses seye zum Vorspiel dieser Freuden-Geschicht.

Philipp Graf zu Namur, ein von Königlichem Geblüt herstammender gewaltig mächtiger Herr, ein Sohn des Grafen in Flandern, und Bruder des Königs in Griechenland, wie auch Schwager Königs in Franckreich, mit Sanft- und Demuth begabter [882] Catholischer Herr, welcher sein Glück in die Freyheit, sein Muth in die Lustbarkeit, und seine Wollust in manche Sünd geführt, findet endlich in Ablauf seines Lebens, wie alles Eytelkeit über Eytelkeit ausser Buß thun, und GOtt lieben.

Der Wurm des Gewissens bisse ihn mehr als ein Schlangen, demnach er viel gesündiget, trohet auch ihm den ewigen Tod der Höllen, hingegen machten ihm viel Büsser ein gutes Hertz und Hofnung.

Mit zunehmender Kranckheit nimmt auch zu die Angst des Gewissens, er wolte beyzeiten vorkommen, damit er nicht etwann übereylet wurde. Schicket in ein gewisses Cistercer Closter um den Abbt, willens deme zu beichten, der Abbt verweilet nicht, kommet und höret seine offenhertzige Beicht, welche der Graf mit vielem Seuftzen und Weinen gantz reumüthig verrichtet. Zur Genugthuung hat ihme der Abbt eine gewisse, nicht beschwehrliche Buß auferlegt, und folgends von allen Sünden aufgelöset. Meine Sünd ist zu groß, meine Buß ist zu klein, gedacht der Graf, beruffet dahero einen andern Abbten, eben auch Cistercer-Ordens, eine schärffere Buß zu erhalten, aber eben mit gleicher Bescheidenheit entbindet ihne dieser, gleichwie der vorige. Annoch nicht vergnüget, schicket er um den dritten und vierten Abbten, beichtet einem um den andern, erfordert eine scharffe heylsame Buß, aber erhaltet eine geringe. Bedaueret derowegen bey seinen Bedienten offentlich, ich hab gesündiget über die Zahl der Sand-Körnlein des Meers, entgegen ist meine mir auferlegte Buß klein, gleich einem Senft-Körnlein, welches das kleineste ist unter dem Saamen. Doch wiederhohlte er mehrmahlen bey diesen Abbten diese Bekanntnus seiner Missethaten, und nahm einen Strang um seinen Halß, diese ersuchend gut zu heissen, daß man ihn durch die Gassen der Stadt vor allem Volck herum schleiffen sollte. Unverschamt gleich den Hunden hab ich gelebet, gleich den Hunden soll ich sterben, sprach er.

Wider diesen Grafen war die Aussag des Volcks, er habe seines Herrn Bruders Fräulen Tochter dem König in Fanckreich verkauft. Dieser üble Nachklang war Balduwino seinem Brudern und allen Frommen ein Greuel, Philippo aber dem Grafen ein kümmerliche Noth. Hab dann ich diese Kinder den edlesten Schatz unseres Geschlechts, minder dann Geld und Gold geschätzet? klaget er wehemüthig, indem sie zu Christlichen Tugend-Fräulen hätten sollen auferzogen werden, seynd sie den eytlen Meer-Fräulen zu Theil, und zu Gespilin worden: wer? dann ich selbsten hab diese unverantwortliche Untreu verwürcket. Tag und Nacht halleten, und widerhalleten dergleichen Klagen. Ursach dessen wolte er nicht mehr in seiner beharrlichen Behausung verbleiben, läßt sich in das armseeligste Häußlein seiner Stadt tragen, bey dem Gnad zu finden, welcher sich gewürdiget im Stall gebohren, am [883] Creutz gemartert zu werden, da endet er sein bußfertiges Leben; in jenen Zeiten ein unvergleichliches Exempel der Bußfertigkeit. GOtt, welcher den Büsser crönet in der Barmhertzigkeit und Erbarmnuß, hat diesen Grafen bald nach dem Tod, demnach er in St. Albani Kirch begraben worden, mit Wunder-Zeichen gecrönet, indem sehr viel bey seinem Grab Heyl und Kraft gefunden.

Die alte Schlang hat diesen mit vielen Sünden verwickleten Grafen in die Höll der ewigen Pein bringen wollen, da entgegen der Geist der Bußfertigkeit ihne heraus gewicklet, daß er durch seine Bußwerck viel Verdienst, gleich den Hönig machenden Bienlein gesammlet.

Dieser vier Beichtvätter lobwürdige Bescheidenheit, ist allen Beicht-Vättern zur Nachricht, mit denen, welche sich gutwillig zu strengen Bussen antrangen nicht allezeit gar zu streng zu verfahren.


Ein jeder Beichtvatter habe ein starcke, aber kein weiche Lieb: er habe den Eifer, doch ohne Wütten: er sey gütig, übersehe doch nichts; nach Lehr S. Gregorii in pastor. P. 2. c. 6. sit amor, sed non emolliens: sit rigor, sed non exasperet: sit zelus, sed non immoderatè sæviens: sit pietas, sed non plus, quàm expediat, parcat.

Hiebey ist zu mercken, wasmassen alle Buß-Werck, gegen einer Tod-Sünd unvergleichlich kleiner: was in thebanischen, und palästinischen Wüsten von so vielen Büssern Gutes geschehen, von allen Mönch und Nonnen jemahlen tugendliches zur Straf der Boßheit geübet worden, mit allen heiligen Wercken, und Strengheiten der Auserwählten: hat in der Wag-Schüssel mit einer Todsünd weniger Gewicht, als ein Feuer-Funck gegen allem Bley und Stein; ein Stäublein gegen der Welt-Kugel: ein Tröpflein gegen allem Gewässer, ein Pünctlein gegen allen Himmels-Circklen. Niemand erkühne zu sagen mit dem Hußländer Job. cap. 6. Wolte GOtt, daß meine Sünden, damit ich den Zorn verwürcket habe, und das Elend, das ich leide, auf die Waag geleget wurden. So wurde das Elend schwärer anzusehen seyn etc. Dann die Todsünd hat ein unendliche Boßheit in sich, weilen GOtt einer unendlichen Würdigkeit beleydiget worden. Nichts destoweniger hat die auferlegte Buß im Werck selbsten, ein mehrere Würckung, in Kraft des Sacrament der Buß, dero sie zugeeignet wird.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 882-884.
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