37.
Amelia kumpt zů der Lucien; sie wirt schon von ir empfangen, die junckfraw legt grosse bit an sie, ires sůns halben ir zů verzeihen. Des Lucia seer wol zůfriden ist und Amelia zů gast ladet.

[216] Amelia, die gůt angsthafft junckfraw, nam urlop von irer můter, sagt, sie wolt nůr etwas bey der Lucien außrichten und eylends wider zů haus kummen, des dann Cassandra wol zůfriden was. Also fügt sich die junckfraw eylends hinumb in das haus Lucie, die fand sie gantz einig in irem saal ir arbeit mit der nadel volbringen. Sobald sie nůn der junckfrawen gewar worden, hatt sie die mit fleiß under irem angesicht beschaut, ob sich das nit entstellen noch entferben wolt, ob ir das näßlin nit spitzig und weis werden und die augen in dem haupt hin und wider wancken wolten. Amelia aber mer erschrocken dann zornmütig erscheinen thet, das dann Lucia wol verston kundt. Darumb fing sie an mit[216] gütiger geberd gegen Amelien auffzůston und ir entgegenging.

Die junckfraw aber gantz zaghafft ir augen gegen der erden kerend von einem winckel in den andren sehen [thet], den jungen kindern geleich, so geboßt und nit gern für ire älteren kumen. Lucia hat sie gantz früntlich empfangen und gesagt: ›Mein liebste junckfraw, was ist die ursach deiner zůkunfft? Hast du etwas befelchs von deiner můter an mich, oder kumpst du ander sachen halben zů mir?‹

Von disen freundtlichen worten die junckfraw gůt hoffnung gewann, ir für fürgenumene bit an Lucia zů werben. ›Mein allerliebste můter und fründin‹, saget sie, ›wiewol ich euch heut morgen mit gar ungezempter red empfangen hab, seit ihr dannocht so gütig, mich freůndtlicher, dann ich euch empfangen habe, empfahend. Darumb, o liebste Lucia, nit wöllend mir solchen ungeschickten zorn zů argem ermessen! Dann mich das freundtlich schreiben ewers sůns gar eines anderen sins gemacht hat, dieweil ich darinn sein freundtlichs und erbars entschuldigen gnůgsamlich verstanden hab. Nůn zůmal waiss ich nichts mer, so mich angsthafft machen thůt allein zwey ding. Zům ersten, das ich nit wissen mag, wie es meinem liebsten Lasaro uff dem meer in den sorglichen wällen ergon mag. Zům andern trenget mich ein andere sorg, das ich förcht, wann im gott wider haim zů land helffen werde, das im mein unbillich zürnen zů wissen werde. Was wirt dann anderst draus erfolgen, dann das er würd sprechen: O Amelia, hab ich umb mein grosse liebe, trew und gunst ein solchen zorn und ungunst bey dir erworben, wolan so wil ich dich auch mit gleicher müntz bezalen.‹

Uff dise wort antwurtet Lucia und saget: ›Für den ersten unmůt, o junckfraw, solt du dir semlichen trost fassen, das im got der allmechtig sein stund und zeit gesetzt hat zů sterben; wann die hie ist, so gilt es gleich auff dem meer oder auff der erden. Ich aber hab in gott dem allmechtigen, der mir in geben und wider alles übel wol bewaren kan, in seinen schutz und schirm bevolhen, das er mir in behüten und vor üblem bewaren wölle, damit er frisch und gesund wider zů uns kumen, uns auch dergestalt finden möge. Die ander sorg und kümmernus, mein Amelia, deren bedarffst du gar[217] nicht, du habst dann solchen andren dann mir allein geoffenbaret. Mich solt du nit gedencken also gesinnet zů sein, das ich das, so ich von dir gehört hab, meinem sůn offenbaren wölle; dann mir sicher leid were, solt semlichs im von andern gesagt werden. Nůn waist du, mein junckfraw, sunder zweifel wol, was für ein abred ewer beider halben von uns, den ältern, beschehen ist. Was wolt mich dann frewen, so ich etwas böses samens zwischen euch baiden seen solte! Vil mer, so es darzů kumpt, will ich alles gůts anrichten, damit wir alsamen durcheinander, jung und alte, frewd und kurtzweil bey und umb einander haben mügen. Darumb sorg gar nicht meinenthalben, liebe Amelia! Dann ich dir alles gůtes beweisen will, so lang ich und du in leben sind. Mein tochter solt du von disem tag an sein, mir auch als ein kindt seiner muter vertrawen solt; des hab dir mein seel zů pfand.‹

Amelia von solchen worten hertzlichen trost empfieng. Sie dancket irer schwiger des gůten trosts, so sie ir mitgetheilt. Darneben saget sie auch, das ir nichts gefelligers wer dann sie für ein můter und schwiger zů haben. Lucia, als sie lang genůg mit der junckfrawen gespracht, batt sie die, bey ir zů beleiben und das nachtmal mit ir zů essen; doch solt sie zůvor ir můter Cassandram auch verkündigen, das sie auch zů in kumen solt.

Des Amelia gar willig was, ging zů irer můter; und wiewol sie hart an sie satzt, mocht sie sie doch lang nit bereden. Dann sie sagt: ›O mein tochter, wie übel es stath einem weib, in abwesen ires mans gastung zů halten, so wenig ziert ein weib, in irs mans abwesen zů gast aus dem haus zů gon, zůvorab so ihr gemahel inn sorgen wandren thůt. Du waist, meine liebe tochter, das dein vatter yetzund auf dem wallenden meer in und uff glücks wag und rhat schwebet, allen augenblick der fortunen und sturmwinden warten můs. Darumb will mir, o liebe tochter, baß gezimmen dahaim zů bleiben und meines haus zů warten.‹

Darauff sagt Amelia: ›O můter, ich můs dir deiner wort gewunnen geben. Dann es ist ein gross laster an etlichen weiben, ich schetz auch gar leichtfertig; sobald die mann über land raysen oder an andere ort schiffen, lauffend[218] sie bald aus dem haus, ein gevatter zů der andren, richten gůt malzeiten zů, leben mit einander in saus. Und ob schon etwan eine under in ist, so nit recht frölich sein kan, sagen die andren: »Hey, was trawrt ir umb eweren man so sehr! Er ist jetzund auch, da im wol ist, bei gůten freunden, herren und gesellen. Laßt uns nůn mit einander auch gůten můt haben und gleich unsern männern leichtsinnig und gůter ding sein!« Sie aber betrachten wenig, in was gefar ire männer zů zeiten leibs und gůts halb ston müssen. Es aber, liebe můter, hat ein andre gestalt umb dich unnd dein liebe und getrewe Lucia, dieweil ir so liebe nachbeurin und von wegen ewer grossen liebe und trew wol schwestern genant mügen werden. So ist mein lieber vatter und Lasarus der jüngling, ir allerliebster sůn, yetzund, ob gott will, auff einer glückseligen und gůten schiffart bei einander. Zůdem ist der alt Lasarus auff den heutigen tag auch verritten, einem des künigs obersten etliche kleinat bringend, und ist Lucia sein in dreyen tagen nit warten. So wais ich auch an inen beiden, das sie nit liebers erfaren werden in irer widerkunfft, dann so sie hören werden, das ir beid so vilmal umbeinander gewesen sind. Es würd auch on zweifel grossen missfallen bringen, so sie das widerspiel erfaren solten. Nůn hatt doch mein liebster vatter vor langem fürkumen, das ewer keine auff die gassen gon darff, so sie zů der andren will; dann ir ein gemeine thür zůsammen haben, damit ir einander ware und freundtliche nachbaurschafft mügt beweisen. Das mich dann nit kleine und schlechte gab von got sein beduncket, wo er solche freundtliche nachbaurschafft zůsamen verfügt. Du aber, hertzliebe můter, solt nit thůn nach meinem begeren, sunder allein solt du thůn, was dir gefalt; dasselbig mir auch gefallen solle.‹

Cassandra, demnach sie ein hochverstendige fraw was, wol abnemen kund, das die früntschafft irer tochter schon anhůb gegen der Lucia zů grůnen; sie gedacht auch bey ir selb, das ir tochter an dem ort war gesagt hett. Darumb sagt sie: ›Liebe tochter, dieweil es dir dann also gefallen will, das wir gehn mit Lucien zů essen, so wöllend wir unser speys, so ich für uns hab bereiten lassen, mit uns tragen, unsere mägt[219] mit uns füren, damit sie nit hiezwischen etwan ein rumor anfangen in unserem abwesen. Dann du sichst und hörst auch von andren unsern gůten freunden, wes das gesind yetzund genaigt ist. Sobald herren und frawen aus dem haus kumen, so fahend sie gleich an zů rosen: keins will dem andren nichts zů gůt auffnemen, ein yedes wil sich der maisterschafft underziehen, schelten und rupffend einander auff. Alles das einem yeden zů wissen ist. Beyweilen treit sich zů, das sie einander ins har fallen, einander rauffen und schlagen. Ist dann sach, das sie gar zůfriden mit einander, můss herr und fraw aber iren schaden leiden. Dann sobald das gsind sich sicher vor inen weißt, tragen sie auff nach der schwere; alsdann můß Lorentz keller sein, da halten sie Gallen- unnd Martinsnacht. Darumb, liebe tochter, las dirs yetzund auch gsagt sein; wann du über nacht haußhalten wirst, thů es selb erfaren! Yetzund gang, befilhe den mägten, die kost hienumb zů tragen! So wend wir gleich gohn, damit Lucia unser nit warten dürff.‹

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 2, Tübingen 1903, S. 216-220.
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