Zweiter Abschnitt.

[71] Peregrin.


Ich sollte nun in meiner Apologie, wenn ich es so nennen kann, auf den Tod meines Vaters und meine Gemeinschaft mit den Christianern kommen. Aber es verflossen einige Jahre zwischen diesen Begebenheiten und meinem Aufenthalt zu Athen. Willst du daß ich diese überspringen soll? oder hast du Geduld genug die Erzählung etlicher Geschichten anzuhören, die diese Zwischenzeit ausfüllten, und in der That zu besserer Uebersicht des Ganzen meines Lebens nicht gleichgültig sind, wiewohl dein Unbekannter nichts davon wußte?


Lucian.


Du bist mir, ohne dir eine Schmeichelei sagen zu wollen, aus dem was du mir bereits vertraut hast, interessant genug geworden, daß mir kein Umstand gleichgültig seyn kann, der deinen Charakter stärker oder von einer neuen Seite beleuchtet, und mir begreiflicher machen hilft, was ich in deinem Leben zweideutig, räthselhaft und übel zusammenhängend fand.


[72] Peregrin.


So mache dich immer auf eine sehr seltsame Geschichte gefaßt! Aber ehe ich dahin komme, wird es nöthig seyn noch ein paar Worte von der innern Verfassung zu sagen, worin ich mich befand, als ich den Entschluß nahm nach Asien überzugehen.

Seitdem mich der Dämon der Liebe, den die Wahrsagerin Diotima dem Sokrates offenbarte, auf die Entdeckung gebracht hatte, daß ich selbst ein eingekörperter Dämon dieser Art sey, schien mir nichts natürlicher, als das Verlangen, mich selbst und die Wesen meiner Gattung sowohl, als die höhern, mit denen meine Natur verwandt war, besser kennen zu lernen. Diese Kenntniß war die einzige die ich meiner würdig hielt, da sie mich geraden Weges zur Eudämonie führte, jener erhabenen Geisterwonne, die mir nichts Irdisches weder geben noch rauben konnte, und nach welcher zu streben mein angebornes Vorrecht war. Und was konnte diese Eudämonie anders seyn, als das Leben eines Dämons zu leben, mit Dämonen und Göttern umzugehen, und von einer Stufe des Schönen zur andern bis zum Anschauen und Genuß jener höchsten Urschönheit46, jener himmlischen Venus zu gelangen, welche die Quelle und der Inbegriff alles Schönen und Vollkommnen ist?

Die große Frage blieb indessen immer: wie, auf welchem Wege, und durch was für Mittel dieß geschehen könne? und, wofern es mehrere Wege gäbe, welches der nächste und kürzeste wäre? Da es mir nun ausgemacht schien, daß unter den Alten Pythagoras und unter den Neuern Apollonius zu dieser[73] hohen Eudämonie, und vielleicht zur höchsten Stufe derselben, gekommen seyen: so war meine erste Sorge, mich mit diesen so bekannt zu machen, als es durch eignes Forschen in allem was sie hinterlassen, und durch vertrauten Umgang mit Personen, die in den Mysterien ihrer Weisheit wirklich eingeweiht wären, geschehen könnte. Die Hoffnung, Einen wenigstens von dieser Classe zu Athen zu finden, war mir fehl geschlagen: die wenigen Pythagoräer, die ich dort sah und hörte, schienen Leute zu seyn, die sich an den äußerlichen Formen ihres Ordens und an Ansprüchen begnügten, welche sie zu realisiren weder wußten noch begehrten. Ich sah mich also genöthigt die einsame Lebensart zu erwählen, die den Zerstreuung liebenden Athenern so lächerlich vorkam, und mich auf mein eigenes Forschen, und auf die Reinigungen und Uebungen der Seele einzuschränken, welche die natürliche Vorbereitung zu den höhern Stufen waren, die ich so sehnlich zu ersteigen wünschte.


Lucian.


Und fandest du denn, guter Peregrin, in ganz Athen keine ehrliche Glycerion, die dir die Wohlthat erweisen konnte, dich von allem diesem Unsinn auf einmal und von Grund aus zu entledigen? Denn, so viel ich merken kann, fehlte dir doch nichts als diese Cur.


Peregrin.


Um einen Arzt zu suchen oder zuzulassen, Lucian, muß man sich für krank halten, und davon war ich himmelweit entfernt. Auf dem Wege der Enthaltung, den ich ging, begegnet man keiner Glycerion, und wäre es geschehen, ich würde sie wie eine Empuse47 geflohen haben.


[74] Lucian.


Sage mir nur noch dieß Einzige: da du doch deine ganze Existenz an eine Eudämonie setztest, die dich mit Dämonen und Göttern in Gemeinschaft bringen sollte, stieg dir nie ein Zweifel über das Daseyn dieser wunderbaren Wesen auf? Fragtest du dich nie selbst: woher weiß ich daß es Dämonen und Götter gibt?


Peregrin.


Nie in meinem ganzen Leben! so wenig als es mir je einfiel mich zu fragen, ob es eine Sonne in der Welt gebe?


Lucian.


Aber daß die Sonne da sey, sahest du –


Peregrin.


Mit dem körperlichen Auge, aber nicht gewisser, als den Gott der Sonne mit dem geistigen.


Lucian (den Kopf ein wenig schüttelnd).


Also weiter, Freund Peregrin!


Peregrin.


Es scheint, lieber Lucian, man müsse aus eigener Erfahrung wissen, was es ist, seine Seele mit lauter Idealen von Schönheit und Vollkommenheit angefüllt zu haben; welche innere Ruhe, welche Freiheit und Größe es gibt, auf alle Gegenstände der Wünsche und Leidenschaften der Menschen mit Verachtung herabzusehen, – im Getümmel aller dieser nach der Erde hin gebückten Geschöpfe seine eigene höhere Natur zu fühlen – und, während sie einen nie gesättigten Hunger mit thierischen oder wesenlosen Befriedigungen zu stillen suchen, sich am reinen Ambrosia der Götter, an Schönheit, Harmonie[75] und Vollkommenheit zu weiden – kurz, mitten in der Hülle der groben Sinnenwelt, in einer lichtvollen und gränzenlosen Welt von Geistern und Ideen zu leben: man muß, sage ich, vermuthlich aus Erfahrung wissen was für eine Existenz dieß ist, oder du würdest mich in diesem Zustande nicht so bedauernswürdig finden, als du zu thun scheinst. Aber solltest du nicht wenigstens dieß erfahren haben: daß es Träume gibt, die uns glücklicher machen, als wir wachend je gewesen sind, und deren wir uns, selbst nach dem Erwachen, noch immer mit Vergnügen erinnern?


Lucian.


Träume? – Allerdings! – Aber wie ging es dir denn auf der Fahrt nach Smyrna? Ihr hattet doch günstigen Wind und gutes Wetter?


Peregrin (lächelnd).


Sehr gutes. Wir kamen glücklich zu Smyrna an, und mein Genius wollte mir so wohl, daß ich gleich in den ersten Tagen die Bekanntschaft eines eisgrauen alten Mannes, Namens Menippus, machte, der keiner von den Unangesehensten in der Stadt war, und in seiner Jugend mit dem Weisen, den ich genauer zu kennen so begierig war, mit dem großen Apollonius, vielen Umgang gepflogen hatte.


Lucian.


Wie? doch nicht des Menippus, von dem uns der aberwitzige Damis in seine Reisen des Apollonius das abgeschmackteste aller Ammenmährchen erzählt, die Geschichte von der Empuse oder Lamie, die, um diesen Menippus in sich verliebt zu machen, die Gestalt einer schönen Frau aus Phönicien angenommen,[76] ein prächtiges Haus gemacht, und die Sache zwischen ihr und ihrem verblendeten Liebhaber bis zur Hochzeit getrieben habe; da denn der theure Wundermann Apollonius ganz unerwartet zum Hochzeitschmause gekommen, das ganze Zaubergastmahl sammt allem Gold- und Silbergeschirr und allen Bedienten verschwinden gemacht, und die arme in Thränen zerfließende Braut genöthigt habe, zitternd und zähnklappend zu gestehen, daß sie eines von den Gespenstern sey, womit die Ammen den unartigen Kindern zu drohen pflegen, und daß sie den holden Menippus bloß darum an sich gezogen, um ihn erst recht fett zu machen und dann lebendig aufzuessen, indem sie und die übrigen Lamien, ihre Schwestern, gar große Liebhaberinnen von jungen wohl genährten Mannspersonen seyen, weil sie so reines Blut hätten? War's etwa der?


Peregrin.


Eben der, Lucian, wiewohl er die Geschichte mit der Lamie, wie du leicht erachten kannst, etwas anders erzählte. Das angebliche Gespenst war weder mehr noch weniger als eine ausländische Hetäre, die schon seit mehrern Jahren zu Korinth unter dem Namen einer Phönizischen Dame junge Leute an sich gezogen, und auf die eine oder andere, oder auch auf beiderlei Art zugleich, so gut ausgezogen hatte, als es eine leibhafte Empuse nur immer hätte thun können. Menippus, der sich damals zu Korinth aufhielt und ein wohlgemachter athletenmäßiger junger Mensch war, hatte sich ebenfalls in den Netzen dieser schönen Menschenfresserin gefangen; und Apollonius, der ihn wenige Wochen zuvor in voller Blüthe und Jugendkraft gesehen hatte, brauchte weder ein Prophet noch[77] ein Halbgott zu seyn, um ihm die Verheerung, welche die Phönicierin an den Rosen seiner Wangen angerichtet hatte, auf den ersten Blick anzusehen. Er brachte den jungen Menschen, der ihm sehr ergeben war, ohne Mühe zum Geständniß, und Menippus mußte ihm versprechen, einem so gefährlichen Umgang zu entsagen. Aber die Phönicierin hatte keine Lust, sich einen Liebhaber rauben zu lassen, von dessen Wichtigkeit niemand besser urtheilen konnte als sie. Sie hatte wirklich eine heftige Leidenschaft für ihn gefaßt, und da sie schon ziemlich weit über ihre Rosenzeit hinaus war, und bereits einen großen Theil ihrer Reizungen von der Kunst borgen mußte, beschloß sie, weil ihr kein anderes Mittel übrig blieb, den Menippus durch den Antrag ihrer Hand und der Reichthümer, die sie auf Unkosten ihrer Liebhaber erworben hatte, an sich zu fesseln. Dieser ließ sich in einem Augenblick von Schwäche überwältigen. Die Phönicierin veranstaltete eine prächtige Hochzeit, und legte bei dieser Gelegenheit alles ihr Silber und alle ihre goldnen und mit Edelsteinen besetzten Becher und Trinkschalen aus, um ihren Geliebten durch die Größe seines Glücks zu desto lebhafterer Dankbarkeit aufzufordern. Alles ging so gut wie sie es nur wünschen konnte: als auf einmal der von allem unterrichtete Apollonius erschien, und der Hochzeitfreude ein Ende machte. Das, wodurch dieser außerordentliche Mann den größten Theil seiner Wunder wirkte (sagte Menippus) war die majestätische Länge und Schönheit seiner Gestalt, und die Magie seiner Beredsamkeit, die durch sein Ansehen und den Ton seiner Stimme eine hinreißende Gewalt bekam – kurz, ein Aeußerliches, wodurch er Königen und dem Kaiser[78] Domitian selbst eine Art von Ehrfurcht zu gebieten gewußt hatte. Was Wunder, daß eine so mancher Schuld sich bewußte Dirne, wie diese, von der unerwarteten Gegenwart und der donnernden Anrede eines solchen Mannes , der sie eine Lamie schalt und seinen Freund aus ihren Klauen, wie er sagte, zu retten gekommen war, zu Boden geworfen wurde? Das Gastmahl, das Gold und Silber und die Bedienten verschwanden freilich, aber auf ihren eigenen Wink. Die bestürzte Phönicierin fiel dem Apollonius zu Füßen: allein, was hätten ihre Bitten und Thränen über diesen Mann vermögen sollen? Er führte die angefangene Vergleichung ihres Charakters und ihrer bisherigen Lebensart mit dem, was von den Lamien oder Empusen gefabelt wird, ohne alle Schonung und mit Worten von solchem Nachdruck aus, daß das arme Weib beinahe selbst zweifelte ob sie nicht wirklich eine Lamie sey – und endigte damit, daß er den erschrocknen und beschämten Menipp, mit der Autorität, die er sich über seine jungen Freunde zu geben wußte, beim Arm ergriff und mit sich davon führte, indem er zugleich der verblüfften Lamie befahl, unverzüglich aus Korinth zu verschwinden, und sehr nachdrückliche Drohungen hinzu fügte, wofern sie sich unterstände jemals wieder einem seiner Freunde nachzustellen.


Lucian.


So habe ich mir diese Geschichte immer gedacht, und es ist bei diesem, wie bei allen andern Mährchen des Babyloniers Damis, ziemlich leicht, das Natürliche und Wahre von dem Wunderbaren, wodurch er es, dem Genie seines Landes gemäß, aufzustutzen sucht, zu unterscheiden.


[79] Peregrin.


Der alte Menippus erzählte mir eine Menge dergleichen Anekdoten, worauf der Schildknapp Damis und andere seines gleichen ihren Glauben gründeten, daß Apollonius wenigstens ein Halbgott, wo nicht gar ein ganzer Mensch gewordner Gott gewesen sey; welche aber, seiner Meinung nach, weiter nichts bewiesen, als daß er ein Mann von ungewöhnlich großem Genie und Charakter war – und damit sehr viel bewiesen. Es ist natürlich, sagte er, daß derjenige von gemeinen Menschen für mehr als ein Mensch gehalten wird, der das Größte was ein Mensch seyn kann, und also so weit über sie erhaben ist, daß ihnen schwindelt wenn sie an ihm hinauf sehen. Wir stritten uns öfters über diesen Punkt; denn ich konnte dem angenehmen Wahne, den Apollonius für eines der glänzendsten Beispiele eines vermenschten Dämons zu halten, ohne eine allgemeine Umkehrung meiner ganzen Vorstellungsart unmöglich entsagen; und Menippus, entweder weil er diese Bemerkung gemacht hatte, oder weil er nicht stark an seinen Meinungen hing, begnügte sich bei unsern Disputen über diese Dinge gemeiniglich, sich mit einem ungläubigen Vielleicht in die Sokratische Unwissenheit zurückzuziehen.

Ich fragte ihn einst, wie es käme, daß ein Weiser von so außerordentlicher Art, wie Apollonius, keine Schüler, die seiner würdig wären, hinterlassen, und daß dieser zweite, oder vielleicht zum zweitenmal in die Welt gekommene Pythagoras auf die Pythagoräer unsrer Zeit so wenig gewirkt habe? Menippus schien dieß für eine Bestätigung und natürliche Folge seiner Meinung von der Person des Apollonius anzusehen.[80] Ein ungewöhnlich großer Mann, sagte er, hat eben deßwegen wohl dumpfe Anstauner, abergläubische Verehrer, kindische Nachahmer und mechanische Widerhaller seiner Worte, aber keine Söhne und Erben seines Geistes, seiner Naturgaben und seines Charakters. Indessen, wenn man einer Sage, die seit einiger Zeit sich verbreitet, glauben dürfte, so befände sich in der Gegend von Halikarnassus eine Art von Prophetin oder Magierin, die eine Ausnahme hiervon machte. Man spricht sehr verschieden von dem was sie seyn soll. Einige geben sie für eine Aegyptische oder Syrische Priesterin aus; nach andern ist sie nichts Geringer's als die Erythräische Sibylle48, die nach einer Verschwindung von tausend Jahren sich wieder sehen läßt; die meisten aber halten sie für eine Tochter des Apollonius, dem sie ungemein ähnlich seyn soll, und geben ihr, um ihren Ursprung noch mehr zu verherrlichen, ich weiß nicht welche Göttin oder Nymphe zur Mutter, mit welcher er sie, nach seiner Verschwindung aus den Augen der Menschen, in einer der glücklichen Inseln49, wohin er sich ohne zu sterben zurückgezogen, erzeugt haben soll. Kurz, diese Dioklea, wie sie sich nennt, ist eine sehr geheimnißvolle Person: aber darin stimmen alle Gerüchte von ihr überein, daß ihr nichts Vergangenes noch Künftiges unbekannt sey, daß sie mit den Göttern umgehe, viele Wunderkuren verrichtet habe, und überhaupt ganz unbegreifliche Dinge zu thun im Stande sey. Wenn mich, setzte er hinzu, mein hohes Alter nicht an Smryna fesselte, so hätte ich selbst die Reise nach Halikarnaß gemacht, um diese wundervolle Person kennen zu lernen, und zu sehen, ob sie dem Apollonius,[81] dessen Bild keine Zeit aus meinem Gedächtniß auslöschen kann, wirklich so ähnlich ist als man sagt. – Besitzest du, fragte ich ihn, keine Bildsäule oder Büste von ihm? – Mehr als Eine, erwiederte er, und führte mich sogleich in ein Museum, wo er mir unter andern Brustbildern großer Männer verschiedene zeigte, die den Apollonius vorstellen sollten, aber an deren jedem er vieles auszusetzen hatte. Ich drückte diejenige, die er für die ähnlichste erklärte, tief in meine Seele, und beschloß bei mir selbst (wiewohl ich ihm nichts davon merken ließ), daß sich der Mond nicht zweimal ändern sollte, ehe ich mich durch meine eigenen Augen überzeugt hätte was an der Sache wäre.

Ich machte die Reise von Smyrna nach Halikarnaß zu Lande, und mit solcher Eilfertigkeit, daß ich zu Ephesus nicht einmal so lange verweilte, um den Dianentempel zu sehen, dem ich zu einer andern Zeit eine große Reise zu Liebe gethan hätte. Je näher ich dem Ziel meiner Reise kam, je öfter hörte ich von der weisen Dioklea, oder Apollonia, wie sie von vielen genannt wurde, sprechen. Man erzählte seltsame und (wie es zu gehen pflegt) übertriebene Dinge von ihren Orakeln und Wundern, von ihrem einsamen Aufenthalt in einem heiligen Walde der Venus Urania, von ihrer Felsenwohnung, in welche keinem Menschen den Fuß zu setzen erlaubt sey, und wo sie von unsichtbaren Nymphen bedient werde, und wie übel es gewissen Verwegenen bekommen sey, die sich aus Vorwitz oder einer andern sträflichen Absicht hätten erfrechen wollen, ohne ihre Erlaubniß in ihre geheimnißvolle Wohnung einzudringen. Alles was ich hörte, vermehrte[82] mein Verlangen, mit dieser Tochter des Apollonius (wofür ich sie, ungesehen und ununtersucht, zu erkennen geneigt war) so bald als möglich genauer bekannt zu werden. Besonders war ich über den heiligen Hain der Venus Urania, worin sie sich aufhielt, erfreut: denn ich schloß daraus, daß sie mit dieser Gottheit, zu deren Anschauen zu gelangen schon lange das Ziel aller meiner Bestrebungen war, in unmittelbarer Verbindung stehen müßte. Die Schwierigkeit war nur, wie ich Zutritt bei ihr erhalten könnte, da meine Fremdheit, mein Geschlecht und meine Jugend meinen Wünschen nicht geringe Hindernisse entgegen setzten. Nach vielem Hin- und Hersinnen schien mir das schicklichste zu seyn, ihr mein Anliegen schriftlich vorzutragen. Ich machte ihr, mit Verschweigung meines Namens, in wenigen aber starken Zügen eine Abschilderung von mir selbst; entdeckte ihr das mich unumschränkt beherrschende Verlangen, in den Mysterien der höchsten und heiligsten Magie iniziiert zu werden, und wie weit ich es in der Vorbereitung dazu gebracht zu haben glaubte; und, um ihre Zuneigung desto eher zu gewinnen, setzte ich hinzu (wie es denn auch die reine Wahrheit war), daß ich der himmlischen Venus, als der ewigen Quelle und Fülle des höchsten und unvergänglichen Schönen, schon seit mehreren Jahren ein heiliges Gelübde gethan hätte, mich von aller irdischen Liebe und allem sinnlichen Liebesgenuß rein zu erhalten, und meine Seele sowohl als meinen Leib in unbefleckter Unschuld für ihren Dienst, dem ich mich gänzlich gewidmet hätte, aufzubewahren. Alles dieses vorausgeschickt, legte ich ihr diese zwei Fragen vor: ob mein Verlangen der[83] Göttin angenehm sey? und, was ich in diesem Falle weiter zu thun hätte?

In einer Entfernung von vierzig bis funfzig Schritten von dem Felsen, worin Dioklea sich aufhielt, lief eine hohe und dichte Hecke von wilden Myrten um denselben, deren Pforte immer verschlossen blieb. Vor dieser Pforte lag ein großer Sphinx von weißem Marmor, in dessen offnen Mund alle, welche die Prophetin um etwas befragen oder ersuchen wollten, ein Papier steckten, worauf ihr Anliegen kurz und deutlich ausgedrückt war. Aber so wie man ihre Antworten oder ihre Hülfe unentgeltlich erhielt, so war auch die Erlaubniß, sich durch dieses Mittel an sie zu wenden, auf eine einzige Stunde eines gewissen Tages in jeder Woche eingeschränkt, und die Erhörung hing gänzlich von der Willkühr der Göttin oder ihrer Priesterin ab. Auch durfte niemand, der sich einer Uebelthat oder Verunreinigung, wodurch er der Göttin mißfällig seyn könnte, bewußt war, den Graben überschreiten, der den heiligen Bezirk von dem übrigen Walde absonderte; und man pflegte sich daher gewöhnlich eines Knaben unter zwölf Jahren zu bedienen, um die Briefe oder die Zettel dem Sphinx in den Mund zu stecken.

Ich hatte mir jenseits des Grabens ein Zelt aufschlagen lassen, wohin ein einziger alter Diener, der bei mir war, meine unentbehrlichsten Bedürfnisse bringen mußte. Aber von dem Augenblick an, da ich meinen Brief an Dioklea abgelegt hatte, brachte ich den ganzen Tag in dem Innern des Hains zu, dessen heilige Dunkelheit und Stille das schicklichste Mittel war, die Abgeschiedenheit oder den Pythagorischen Tod50, wodurch[84] ich in das dämonische Leben übergehen mußte, zu befördern, und mein Inneres dem himmlischen Lichte aufzuschließen, worin ich zum unmittelbaren Anschauen der göttlichen Dinge zu gelangen versichert war. Eine unzählige Menge schneeweißer Tauben schienen die einzigen Bewohner dieses Hains zu seyn, deren Farbe das Symbol der Reinheit, so wie ihr sanftes Girren (der einzige Laut der die tiefe Stille belebte) mir ein Bild des sehnenden Verlangens der Seele war, sich mit der höchsten Schönheit zu vereinigen. Die damalige Jahrszeit (es war im Anfang des Sommers), der reine Himmel dieses schönen Landes, dem wenige in der Welt zu vergleichen sind, die durch die lieblichste Kühlung gemilderte Wärme, alles trug das Seinige bei, einen Jüngling von zwanzig Jahren, der so sonderbar gestimmt war, in diese Art von wachenden Träumen zu versetzen, wo, unter einem Schlummer der Sinne den das Flattern eines Schmetterlings erwecken kann, das Zauberspiel der begeisterten Einbildung zum Anschauen und die leiseste Ahndung der Seele zur Empfindung wird, – wo wir in vorbei blitzenden Augenblicken sehen und hören, was keine Zunge beschreiben, kein Apelles malen, kein Günstling der Musen in Töne setzen kann, – und das, was wir in diesen unbegreiflichen Augenblicken erfahren, es uns vielleicht durch unser ganzes Leben unmöglich macht, dem Gedanken Raum zu geben, daß es Täuschung gewesen seyn könnte.


Lucian.


Eine glücklichere Stimmung hätte in der That die göttliche[85] Dioklea oder Apollonia ihrem künftigen Schüler nicht wünschen können!


Peregrin.


Nachdem ich den größten Theil des Tages und der Nacht auf diese Weise vorbei geträumt hatte, war ich endlich in einer süßen Ermattung unter einigen Lorberbäumen mitten im Hain eingeschlafen. Beim Erwachen fand ich die Antwort der Tochter des Apollonius auf meinem Schooße liegen. Wie groß war mein Erstaunen, als ich, der in meinem Briefe nicht genannt war und schwerlich in ganz Karien von jemand gekannt seyn konnte, die Aufschrift erblickte: An Peregrinus Proteus von Parium. Es konnte nur durch die Entzückung, in welche mich der Inhalt setzte, übertroffen werden. »Mein Verlangen war der Göttin angenehm, und noch heute sollte ich mich in der ersten Stunde nach Mitternacht vor der Pforte einfinden, die in den innersten Bezirk des heiligen Haines führte.«

Ich erlasse dir, lieber Lucian, die Beschreibung alles dessen, was bis zu dieser feierlichen ersten Stunde nach Mitternacht in mir vorging. Du kennst nun bereits deinen Mann so gut, als ein Geist aus deiner Classe ihn zu kennen fähig ist; und überdieß habe ich dir noch so viele sonderbare Dinge bis zu dem Augenblick meiner Verlüftung (wie es dein Unbekannter zu nennen beliebt hat) zu erzählen, daß ich mich, wo es nur immer ohne Nachtheil der Sache geschehen kann, der möglichsten Kürze werde befleißigen müssen.


Lucian.


Du kannst wenigstens auf einen willigen und dankbaren[86] Hörer rechnen, Peregrin. So lange du meine Aufmerksamkeit unvermerkt immer höher spannst, werde ich deine Erzählung nie zu umständlich finden.


Peregrin.


Nachdem ich mich in der heiligen Quelle, die aus einem Felsen des Hains hervor sprudelte, dreimal gewaschen, und ein schneeweißes Kleid angezogen hatte, begab ich mich an den bestimmten Ort, und wartete mit klopfendem Herzen bis die Pforte sich öffnen würde. Sie öffnete sich endlich, und schloß sich sogleich wieder hinter mir zu. Ich befand mich zwischen zweien mehr als mannshohen Myrtenwänden, in einem sehr langen Gange, der mich zu einem Rosenhain führte, wo die schönsten Rosen, die ich jemals sah, in unendlicher Menge und Mannichfaltigkeit der Formen an hoch aufgeschoss'nen und zierlich durch einander geschlungenen Büschen in voller Blüthe standen, und, im Glanze des beinahe vollen Mondes, durch die anmuthigste Vermischung von Licht und Dämmerung, und den Abstich starker Schlaglichter mit schwarzen Schatten, eine beinahe magische Wirkung auf mich thaten. Ich schien mir in die Sphäre verzückt zu seyn, die der eigene Wohnsitz der Göttin der Schönheit und Liebe ist; der Glanz, der mich umfloß, war der Wiederschein ihres Lächelns, und die Luft, die ich einsog, der Rosenathem ihres himmlischen Mundes. Das Wonnegefühl, wovon mein ganzes Wesen durchdrungen war, befreite mich von aller Bangigkeit; mir war als ob ich keinen Körper mehr hätte, ich fühlte mich lauter Seele, und noch nie war ich mir so lebhaft und innig meiner dämonischen Natur bewußt gewesen.[87]

In diesem Zustande irrte oder schwebte ich vielmehr unter den zauberischen Rosengebüschen umher, als eine ehrwürdige Gestalt langsam auf mich zu kam, in welcher ich, so wie sie sich näherte (es sey nun daß es Täuschung oder Wahrheit war), immer mehr und mehr die auffallendste Aehnlichkeit mit dem Bilde des Apollonius, und der Abschilderung, die mir der alte Menipp von ihm gemacht hatte, entdeckte. Es war eine Frau von hohem schlankem Wuchs und feiner Gestalt, dem Ansehen nach zwischen dreißig und vierzig, von einer schönen Gesichtsbildung, worin gerade so viel Weiblichkeit war, als erfordert wurde, den Ernst ihrer edeln, beinahe männlichen Züge angenehm zu machen. Sie war, über eine lange weiße schmal gefaltete Tunica, die ein breiter funkelnder Gürtel unter dem Busen zusammenhielt, in ein himmelblaues, mit silbernen Sternen durchwirktes Gewand gekleidet, dessen weite Aermel bis auf die halbe Hand herabhingen. Ihre schwarzen Haare, um die Stirn mit einer weißen priesterlichen Binde umschlungen, wallten in langen dichten Locken um ihre Schultern den Rücken hinab. Ich blieb stehen, indem sie mit Grazie und Würde langsam auf mich zu ging, und da sie in einer Entfernung von drei oder vier Schritten still hielt, näherte ich mich ihr ehrerbietig und sagte: ich glaubte mich nicht irren zu können, wenn ich die Tochter des großen Apollonius und die Erbin seiner erhabenen Weisheit in ihr verehrte; wer ich selbst wäre, hätte ich nicht nöthig derjenigen zu sagen, die mich in diesem Lande Unbekannten sogar ungesehen schon gekannt hätte. Sie erwiederte: »Ich würde mich nicht mehr hierüber wundern, wenn sie mir sagte, daß[88] ihr in der ersten Nacht meiner Ankunft zu Halikarnaß Apollonius im Traum erschienen sey, und sie angewiesen habe, mir zur Befriedigung meiner Wünsche behülflich zu seyn.« – Ich gestehe, daß sich meine Eigenliebe durch diese Eröffnung nicht wenig geschmeichelt fand; denn sie versicherte mich der Wahrheit meiner Meinung von mir selbst und aller meiner Lieblingsideen, und ich schien mir nun mit meinen stolzesten Ansprüchen nach nichts zu streben, als wozu ich gleichsam durch meine Geburt berechtigt war.

Dioklea führte mich hierauf aus dem Rosenwäldchen in einen Gang, der mit einer doppelten Reihe hoher Pomeranzenbäume besetzt war, und auf einer sanft emporsteigenden Anhöhe zu einem marmornen Tempel führte. Wir setzten uns unter dem vordern Säulengang auf eine Bank, und sie wußte mich, wiewohl sie wenig sprach, unvermerkt dahin zu bringen, daß ich ihr eine umständliche Erzählung der Geschichte meines Lebens machte. Bald darauf, als ich mit meiner Erzählung fertig war, stand sie auf, nahm mich bei der Hand, führte mich an der linken Seite der Anhöhe auf einem durch Gebüsche sich windenden Pfade herab, und, indem sie mich mit einem leisen Druck der Hand versicherte, daß ich bald wieder von ihr hören würde, sah ich mich unversehens wieder vor der Pforte, durch die ich herein gekommen war. Sie öffnete und schloß sich, wie das erstemal, von selbst, Dioklea war verschwunden, und ich befand mich in der Verfassung eines aus dem schönsten Traum erwachenden Menschen in dem äußern Bezirke des Hains allein.


[89] Lucian.


Deine Dioklea legitimirt sich als eine ächte Tochter des großen Apollonius; denn sie konnte ein wenig hexen, wie es scheint. Ich gestehe daß du meine Neugier gewaltig aufgeregt hast.


Peregrin.


Du wirst dich nicht betrogen finden, wenn du von einem solchen Anfange nichts Alltägliches erwartest.

Die Sonne hatte die Hälfte ihres Laufs zurückgelegt, als ich, nach einem leichten Mahle, unter dem angenehmen Gewirre von Gedanken, Ahndungen und Träumereien, die das Abenteuer der vergangenen Nacht in meiner Seele theils zurückgelassen theils erweckt hatte, einschlummerte, und nicht eher wieder erwachte, als nachdem sie bereits untergegangen war. Wie ich die Augen aufschlug, sah ich einen nackten Knaben von neun bis zehn Jahren vor mir stehen, dessen Schönheit mir mehr als menschlich schien. Mit Rosen bekränzt, in der Hand einen Lilienstängel, der mich an Anakreons Amor erinnerte, winkte er mir mit einem lieblich unschuldigen Lächeln, ihm zu folgen. Er ging immer schweigend vor mir her, und führte mich durch ein Gewinde unbekannter Büsche, auf einem durch Kunst geebneten schneckenförmig steigenden Pfad an einem Felsen hinauf. Auf einmal standen wir am Eingang einer hohen gewölbten Grotte, die von einer einzigen Lampe erleuchtet war, und in ihrer Vertiefung mit jedem Schritte niedriger und enger wurde. Mein kleiner Führer öffnete eine Thür, und ich befand mich in einem mit Marmor zierlich ausgelegten Vorsaale, durch dessen[90] innere Oeffnung ich in einem größern schön erleuchteten Gemach eine kleine Tafel gedeckt sah.

Indem ich mich nach meinem verschwundnen Führer umsah, kam mir die Tochter des Apollonius entgegen. Du bist mir zu gut empfohlen worden, Proteus – sagte sie mit einem leisen Lächeln, das den Ernst ihrer Züge sehr angenehm erheiterte und ihrer Miene etwas Einladendes gab – als daß es mir erlaubt wäre, dich nicht als einen Gast zu betrachten, den mir Apollonius zugeschickt hat. Und hiermit nahm sie mich bei der Hand und führte mich zu einem vergoldeten Stuhl, wo ich mich an der kleinen Tafel ihr gegenüber setzen mußte. Sie war leichter und einfacher als gestern, aber äußerst edel angezogen, und hatte mit ihrer priesterlichen Binde um die Stirn das Ansehen einer Vestalin in ihrer Hauskleidung. Die kleine Tafel war niedlich besetzt, und eine einzige junge Nymphe, lieblich und unentfaltet wie eine Rosenknospe, verrichtete den Dienst, der dabei nöthig war.

Während ich mit aller Eßlust eines Menschen von meinem damaligen Alter, der seit etlichen Tagen nur sehr leichte Mahlzeiten gethan hatte, dem Gastmahl meiner freundlichen Wirthin Ehre machte, sprach sie mit mir von meiner Reise, von den Schönheiten der Stadt Smyrna, und von dem Dianentempel zu Ephesus; und es schien ihren Beifall zu haben, daß ich, vor lauter Verlangen bald zu Halikarnaß zu seyn, keine Zeit gehabt hatte, dieses Wunder der Welt in Augenschein zu nehmen. Als die Tafel abgetragen war, goß sie etwas Wein in eine goldene Schale, machte der Göttin[91] eine Libation damit, und, nachdem sie die Schale wieder gefüllt hatte, brachte sie mir den gewöhnlichen Gast- und Freundschaftstrunk in einem Weine zu, der nur dem Nektar der Götter weichen konnte. Wir standen endlich auf; und während uns die junge Nymphe Wasser zum Waschen in einem vergoldeten Becken reichte, verschwand die Tafel, ohne daß ich sah wohin sie gekommen war.

Eine Anmerkung, die ich erst lange hernach machte, war, daß Dioklea bei allem Wunderwürdigen, das ihren Aufenthalt von der Wohnung gewöhnlicher Sterblichen unterschied, gerade so aussah als ob nichts Alltäglicher's seyn könnte als diese Dinge, und daß sie meine wenige Befremdung darüber eben so wenig zu bemerken schien. Bald nachdem wir von Tische aufgestanden waren, öffnete sie eine Thür, die auf eine kleine Terrasse führte, von welcher man über einen Theil dieser anmuthigen Wildniß, und weiter hin durch eine Oeffnung des Waldes in die See, wie ins Unendliche, hinaus sah. Hier setzten wir uns wieder, und die junge Nymphe brachte ihr eine Laute. Dioklea spielte einige sanfte melodische Stücke, und endigte mit einem Hymnus an Venus Urania, der meine Seele mit heiligen Gefühlen durchdrang; ich glaubte, die hohe Theano oder ihre Tochter Myja51 dem still horchenden Pythagoras und seinen Freunden himmlische Ruhe zusingen zu hören. Nach dieser Pythagorischen Vorbereitung zum Schlafengehen gab sie die Laute zurück, führte mich in ein kleines, nur vom Mondschein schwach erhelltes Schlafgemach, das für mich zubereitet war, wünschte mir mit feierlicher Miene einen gesunden und heiligen Schlummer, und entfernte sich.[92]

Was dir vielleicht sonderbarer als alle diese Feerei vorkommen wird, ist dieß: daß ich das alles, wie gesagt, ohne Erstaunen oder Verwunderung, als etwas das meine Erwartung nicht übertraf, kurz als die natürlichste und schicklichste Sache von der Welt aufnahm. Die ganze Wirkung, die es auf mich that, war, mich gleichsam unter Gewährleistung aller meiner Sinne gewiß zu machen, daß ich wirklich bei der Tochter des Apollonius, der Erbin seiner Weisheit und erhabenen Geheimnisse, sey. Dieß vorausgesetzt, hätte alles noch weit außerordentlicher bei ihr seyn können, ohne daß ich einen Augenblick stutzig dar über geworden wäre. Meine Einbildung war von früher Jugend an mit allen Arten des Wunderbaren vertraut, und was im gemeinen Laufe der Dinge wunderbar heißt, war, nach meiner Vorstellungsart, in dem höhern Kreise, zu welchem Dioklea gehörte, natürlich. Ich überließ mich also mit dem ruhigsten Zutrauen der Freude über eine Aufnahme, die alles was ich erwarten konnte übertraf, und schlief in Hoffnungen ein, die der Traumgott selbst mit aller seiner gränzenlosen Macht nicht hätte übertreffen können.

Als ich mit dem Tag erwachte, war das erste was mir in die Augen fiel, ein wunderschönes Gemälde, welches in einem prächtigen Rahmen von vergoldetem Schnitzwerk eine ganze Wand meines Schlafgemachs einnahm. Es stellte Venus und Adonis vor: jene, in dem Augenblicke, wie sie, von einer rosenfarbnen Wolke umgeben, auf einer Anhöhe des Idalischen Hains aus ihrem Schwanenwagen steigt, indem eine von ihren Grazien die Zügel hält, und die beiden andern, mit der Göttin die schönste Gruppe machend, ihr im Aussteigen[93] behülflich sind; diesen, wie er, zu ihren Füßen liegend, mit dem wärmsten Ausdruck der anbetenden Liebe zu ihr emporschaut, in einer Stellung als ob er die Arme gegen sie ausbreiten wollte, aber plötzlich von einem heiligen Schauer zurückgehalten würde.

Es wäre schwer die Bewegungen zu beschreiben, die dieser unerwartete und meinen eigenen innern Zustand mir so lebhaft vorspiegelnde Anblick in meinem ganzen Wesen hervorbrachte. Genug, dieses Gemälde beschäftigte mich einige Stunden lang um so angenehmer, da ich es als ein Unterpfand betrachtete, daß ich dem Ziele meiner Wünsche nahe sey. Indessen, wie groß und blendend mir auch die Schönheit der Göttin anfangs vorkam, so verlor sie doch bei so oft wiederholtem Anschauen und Betrachten unvermerkt, und schien mir zuletzt weit unter dem Ideale zu bleiben, das ich in meiner Seele trug. Nicht als ob ich mir wirklich schönere Formen, oder im Ganzen ein vollkommneres Bild von ihr hätte einbilden können: sondern weil ihm die Glorie, worin ich sie mir dachte, alles das Unaussprechliche, Himmlische und Göttliche, das sich nicht malen läßt, fehlte, – oder vielmehr, weil das gemalte Bild die ganze Wirkung nicht auf mich that, die ich von einer Erscheinung der Göttin selbst erwartete. Indessen kam ich doch von Zeit zu Zeit zu ihm zurück, um den Gedanken an ihm zu nähren, was Adonis beim Anschauen der gegenwärtigen Göttin empfunden haben müsse, da der bloße gefärbte Schatten des Bildes, das ein Maler sich von ihr vorstellen konnte, schon so viel Anziehendes und Liebeathmendes hatte.


[94] Lucian.


Wie sehr, guter Peregrin, bestätigt dein Beispiel die große Wahrheit, daß es nicht die Dinge selbst, sondern unsre durch die Individualität bestimmten Vorstellungen von ihnen sind, was die Wirkung auf uns macht, die wir den Dingen selbst zuschreiben, weil wir sie unaufhörlich mit unsern Vorstellungen verwechseln!


Peregrin.


Ich sollte an diesem Morgen auf mehr als Eine Art überrascht werden. Indem ich verschiedene schöne Stücke, womit dieses Gemach ausgeziert war, durchging, ward ich auf einem kleinen Ecktische von Ebenholz eines elfenbeinernen Kästchens gewahr, worin ein goldner Schlüssel steckte. Da ich dieß für eine Erlaubniß ansah es zu öffnen, so schloß ich es auf, und fand – eine mit goldnen Buchstaben beschriebene Rolle von purpurfarbnem Pergament darin, welche die Ueberschrift hatte: Apollonius von Theophanien.52 Du kannst dir vorstellen, mit welchem Entzücken, und zugleich mit wie viel Ehrerbietung und Glauben ich diesen kostbaren Schatz in die Hand nahm, und wie begierig ich zu lesen anfing. Ich war noch nicht weit gekommen, als mir Dioklea durch die junge Nymphe wissen ließ, sie wäre verhindert mich diesen Morgen zu sehen; ich würde aber etwas gefunden haben, das meine Muße hinlänglich beschäftigen könnte, und ich möchte es übrigens in allen Stücken so halten, als ob ich in meinem eigenen Hause wäre. Ich steckte also die Rolle in meinen Busen, und begab mich in eine Laube des Rosenhains, der nahe an Diokleens Felsenwohnung lag. Bald darauf erschien[95] der Knabe, der gestern mein Führer gewesen war, wieder, setzte ein aus Golddrath geflochtenes Körbchen, worin mein Frühstück war, auf einen kleinen Marmortisch, und schwand wieder aus meinen Augen, ohne ein Wort zu sagen. Ich brachte den ganzen Morgen mit Lesen und Wiederlesen der gefundnen Handschrift zu, die mir zwar in ihrer bildervollen mystischen Sprache nicht viel Deutliches offenbarte, aber eben darum mein Gemüth nur desto lebhafter in Bewegung setzte. Unvermerkt überschlich mich die Mittagshitze bei dieser süßen Beschäftigung, und ich schlummerte unter den seltsamsten Träumereien ein.

Als die schwülsten Stunden des Tages vorüber waren, ließ sich mein stummer Aufwärter wieder sehen, um mich in ein zierliches marmornes Bad zu führen, wo er mich stillschweigend mit allem bediente was man in einem Bade verlangen kann; denn bei Diokleen zeichnete sich alles durch Vollkommenheit aus. Wie endlich der Tag sich zu neigen anfing, ließ sie mir sagen, sie erwarte mich in der Grotte, wo sie in der heißen Jahrszeit den Abend zuzubringen pflegte. Sie empfing mich mit einem Ausdruck von Wohlwollen, der den Ernst ihrer Miene unvermerkt erheiterte. Das Buch des Apollonius von Theophanien wurde bald der Gegenstand unsers Gespräches; und da ich ihr auf die Frage, »ob ich alles darin verstanden hätte?« mit einem zögernden Nein antwortete, nahm sie davon Gelegenheit, mir über das, was mir nothwendig darin dunkel seyn müßte, so viel Licht zu geben, als ich dermalen ertragen könnte. Sie unterschied zweierlei Arten von Theophanien. Die Götter, sagte sie, sind von jeher[96] einigen besonders von ihnen geliebten Menschen sichtbar geworden: zuweilen ohne Zuthun der letztern, aus bloßem Antrieb ihres eignen freien Wohlwollens; zuweilen auf Veranlassung der Menschen, und durch die Mittel dazu bewogen, welche die theurgische Magie in ihrer Gewalt hat. Nicht als ob es nicht immer von den Göttern abhinge, sich mehr oder weniger, oder gar nicht mitzutheilen; sondern weil es möglich ist auf die Neigung ihres Willens selbst zu wirken, und sie durch die Allgewalt der Liebe zur Gegenliebe zu nöthigen. In jedem Fall aber ist es unmöglich anders zu dieser Mittheilung zu gelangen, als stufenweise, und durch Mittel, wodurch sie selbst, in eben dem Maße, wie wir uns zu ihnen erheben, sich zu uns herablassen. Die höchsten und wohlthätigsten Götter haben sich daher immer in menschlicher Gestalt gezeigt; und bloß hierauf gründet sich die Verehrung, die wir ihren Bildern, als Denkmälern ehemaliger Theophanien, und weil sie diese Gestalt gewissermaßen zu ihrer eigenen gemacht haben, schuldig sind. Nicht selten sind diese Bilder – nach Maßgabe der Stärke, womit die Seele durch ihr unverwandtes Anschauen sich von allen andern Bildern abzuscheiden, und in einem einzigen reinen Gedanken des Herzens sich die unsichtbare Gottheit selbst anschaulich zu machen fähig ist – Canäle außerordentlicher Gnaden der Götter gewesen; und es ist daher immer wohl gethan, sich dieses Mittels zu bedienen, was auch der Erfolg seyn mag; der zwar immer von der Willkür der Gottheit, aber gewiß sehr viel von der Beschaffenheit des Subjects und der Energie[97] der Gefühle abhängt, wodurch wir uns zu ihnen aufschwingen und sie zu uns herunter ziehen.

Diese Theorie – von welcher ich dir hier bloß einen leichten Umriß mache – hatte desto mehr Einleuchtendes für mich, da sie mit meinen eigenen Vorstellungen sehr gut zusammenstimmte, und mir zu einer vollgültigen Bestätigung derselben diente. Dioklea setzte noch verschiedenes hinzu, das mir einen hohen Begriff von ihren Einsichten in die göttliche Magie gab, und sprach unter andern mit Verachtung von gewissen Mitteln, wodurch manche angebliche Theurgen die Götter zum Erscheinen nöthigen zu können vorgäben. Es sey zwar nicht zu läugnen, sagte sie, daß es, zum Beispiel, gewisse auserlesene Wohlgerüche gebe, die ihnen angenehm seyen; denn sie liebten das Reinste und Vollkommenste in jeder Art: aber sie durch Räucherungen oder Zauberlieder anziehen zu wollen, sey ein kindischer Gedanke, und es werde nie ein anderes Mittel, sie zu uns zu ziehen, geben, als eben das, wodurch wir uns zu ihnen aufschwängen, nämlich das heißeste Verlangen einer von jeder andern Begierde und Leidenschaft gereinigten Seele. Vielleicht hätten jene vermeinten Theurgen gehört, die Götter pflegten ihre Gegenwart zuweilen durch himmlische Wohlgerüche oder Harmonien oder ein überirdisches Licht anzukündigen, und hätten hieraus, ohne Grund, den Schluß gezogen, daß man sie durch Fumigationen und Epoden53 herbeilocken könne: immer sey es gewiß, daß die unächte Magie sich solcher Behelfe zu Bewirkung betrüglicher Theophanien und Geistererscheinungen bediene, aber eben darum[98] enthielten sich die wahren Theurgen dieser zweideutigen Mittel gänzlich.

Als sie zu reden aufgehört hatte, bat ich sie sehr inständig, mir, wofern sie mich dessen nicht unwürdig hielte, das Heiligthum der Göttin nicht länger zu verschließen, an dessen Schwelle sie mich vermuthlich bei unsrer ersten Zusammenkunft geführt hätte. Sie antwortete: dieser Tempel sey allen Profanen unzugangbar; aber mir sollte er, wie billig, noch in dieser Nacht geöffnet werden.

Bald darauf befahl sie unsre Abendmahlzeit zu bringen, welche, ganz nach Pythagorischer Weise, bloß aus einigen leichten Speisen und auserlesenen Früchten bestand; auch wurde bloßes Wasser aus krystallenen Bechern dazu getrunken, aber das reinste, leichteste und frischeste, das ich je getrunken hatte. Nach der Mahlzeit hörten wir in einiger Entfernung eine äußerst sanfte und herzerhöhende Musik von Instrumenten und Stimmen, ohne zu sehen wo sie herkam. Wir setzten uns auf eine Bank im Rosenhain, und hörten ihr eine Weile zu. Endlich wurde sie immer schwächer und schwächer, bis sie ganz in die Lüfte zu zerfließen schien. Wie wir nichts mehr hörten, stand Dioklea auf. Es ist Zeit, sagte sie, dein Verlangen zu befriedigen! – Du wirst das heilige Bild der Göttin sehen, und auf sie allein wird es ankommen, wie viel oder wenig sie dir durch dieses Mittel von sich selbst erblicken lassen will. Von nun an bis zum Aufgang der Sonne versiegelt das heilige Schweigen unsre Lippen!

Ich bückte ihr meinen Dank und meinen Gehorsam zu, und wir gingen mit langsamen Schritten den Pomeranzengang[99] zum Tempel hinauf. Als wir ankamen, fanden wir unter den Säulen rechter Hand drei junge Nymphen in langem weißem Gewande, und auf der Linken drei zwölfjährige Knaben, ebenfalls weiß gekleidet, auf uns warten. Dioklea schloß die äußere Pforte auf, und wir traten in eine Halle, in deren Mitte eine vergoldete Thür unmittelbar in den Tempel führte. Zu beiden Seiten war ein Gemach, zum Ankleiden der Personen, die in den Tempel eingehen durften, bestimmt. Dioklea begab sich mit den drei Nymphen in das eine, und winkte mir, den Knaben in das andere zu folgen. Alles was hier zu thun war, wurde stillschweigend verrichtet. Ich wusch vor allem mein Gesicht und meine Hände. Hierauf zogen sie mir mein Oberkleid ab, bekleideten mich mit einem langen Rock von weißer glänzender Seide, und gürteten mich mit einem breiten Gürtel von glattem Goldstoff mit den feinsten Perlen gestickt. Als ich angekleidet war, führten sie mich heraus, bückten sich, die Arme über die Brust gefaltet, vor mir und verschwanden.

Bald darauf trat auch die Priesterin wieder heraus. Sie war, über ein rosenfarbnes Gewand das nur bis an die Knöchel reichte, in ein violett purpurnes Oberkleid mit langen weiten Aermeln gehüllt; ihre dichten Haare flossen losgebunden um ihre Schultern, und mitten auf der priesterlichen Binde um ihre Stirn funkelte ein Stern von citronfarbnen Diamanten. Sie hatte in diesem Aufzuge beinahe selbst das Ansehen einer Göttin, und noch nie war sie mir so schön und blendend vorgekommen. Die drei Nymphen erschienen in einer Art enge gefalteter Leibröcke von weißer Seide, mit[100] breiten rosenfarbnen Gürteln, und ihre Haare waren mit einem goldnen Bande aufgebunden, dessen Enden an beiden Seiten bis an die Knie herabhingen. Alle vier gingen mit zur Erde gesenktem Blicke vor mir vorbei; Dioklea öffnete mit einem goldnen Schlüssel die innere Pforte des Tempels, trat mit ihren Dienerinnen hinein, und schloß die Pforte wieder hinter sich zu. Nach einer kleinen Weile that sich diese wieder auf, sie kamen heraus und langsam auf mich zu, jede etwas in der Hand haltend, das sie aus dem Tempel mitgebracht hatte. Dioklea band mir eine der ihrigen ähnliche Binde um die Stirn; eine der Nymphen setzte mir einen Myrtenkranz auf, die zweite gab mir einen Lilienstängel in die rechte Hand, und die dritte einen Rosenzweig in die linke. Hierauf berührte die Priesterin jedes meiner Augen mit den drei Mittelfingern ihrer rechten Hand, winkte mir in den Tempel hineinzugehen, und schloß die Pforte hinter mir zu.


Lucian.


Wahrlich, viel Ceremonien, und mehr als zu viel um diese Mysterien verdächtig zu machen! Ich bin ungeduldig zu hören, wie sich das alles enden wird.


Peregrin.


Was auch der Zweck dieser Feierlichkeiten war, so viel ist gewiß, daß mir das Herz beim Eintritt in den Tempel merklich höher schlug. Ich blieb nahe an der Pforte stehen, und faßte mich zusammen so gut mir möglich war, indem ich mich umsah und den edeln Geschmack der innern Baukunst und Verzierung bewunderte, so viel ich davon bei dem Lichtstrom sehen konnte, der aus einer halbrunden Vertiefung hervorbrach,[101] wo die Göttin in einer hohen vergoldeten Blende stand. Vor ihr, etwas seitwärts nach der rechten Hand, kniete ein marmorner Amor mit einer goldnen Pfanne, an Form dem Horn der Amalthea ähnlich, aus welcher mit dem lieblichsten Wohlgeruch eine ungemein helle Flamme in der Dicke einer Zirbelnuß emporloderte, und dem geglätteten Marmorbilde der Göttin eine zum Verblenden täuschende Beleuchtung gab. Dieses Bild war merklich größer als alle Venusbilder die ich noch gesehen hatte, und verband in meinen Augen die Majestät einer Göttin mit einer Schönheit, welche gleich beim ersten Anblick alles, womit man sie hätte vergleichen können, auslöschte, und nichts Vollkommneres wünschen ließ. Eine unfreiwillige Gewalt warf mich vor ihm auf die Erde nieder, ich betete in ihm den sichtbaren Abglanz der höchsten geistigen Schönheit an, und fühlte in seinem Anschauen mein ganzes Wesen in die reinste Liebe aufgelöst. Doch ich will nicht versuchen, unbeschreibliche Empfindungen oder Täuschungen, wenn du willst, beschreiben zu wollen; denn in der That war es doch wohl Täuschung, daß ich zuletzt, ob schon nur einen Augenblick, die Göttin selbst in ihrer ganzen überirdischen Glorie vor mir zu sehen glaubte.


Lucian (lächelnd).


Das sollt' ich beinahe auch vermuthen. Aber was wurde zuletzt aus dem allen?


Peregrin.


Ich ward endlich gewahr, daß die Fackel Amors, die zu diesen Mysterien unentbehrlich war, in wenig Augenblicken erlöschen würde, und zog mich, noch früh genug um die Thür[102] des Tempels ohne Tappen zu finden, zurück, nachdem ich meinen Myrtenkranz nebst dem Rosenzweig und Lilienstängel zu den Füßen der Göttin niedergelegt hatte. Ich fand vor der Thür einen von den Knaben, der mir das feierliche Gewand wieder abnahm, und ich kehrte mit einem neuen Bilde in meiner Seele zurück, das, so zu sagen, ihre ganze Weite ausfüllte, aber, anstatt kalter Marmor zu seyn, von aller der Liebe belebt war, die –


Lucian.


– der kalte Marmor in dir angezündet hatte!


Peregrin (nach einer kleinen Pause).


Mein Zustand in dieser Nacht war wachend und schlafend ein immer währender Traum von meiner angebeteten Göttin. Bald lag ich wieder im Tempel zu ihren Füßen, bald wandelte ich an ihrer Seite im Hain von Amathunt, bald fand ich mich mit ihr in die himmlische Sphäre der Schönheit und Liebe verzückt, und sah und fühlte unaussprechliche Dinge. Diese Gemüthsverfassung wäre vielleicht bei jedem andern völlig erklärter Wahnsinn geworden: aber bei mir war sie durch alles Vorhergehende so gut vorbereitet, hing mit meinen herrschenden Ideen so schön zusammen, und war meiner ganzen Art zu seyn so angemessen, daß ich mich in meinem Leben nie so heiter, so gut und so glücklich gefühlt hatte. Kurz, mein Zustand war – bei aller Ueberspannung meiner Phantasie – der Begeisterung, worin sich jeder gefühlvolle und noch ungeschwächte Jüngling in den goldnen Tagen der ersten Liebe befindet, ähnlich genug, um im Grunde die natürlichste Sache von der Welt zu seyn.[103]

Ich brachte einen Theil des folgenden Morgens mit Diokleen in den Rosengebüschen zu. Sie sagte mir: daß ich von nun an den Tempel so oft besuchen könnte als ich wollte, ohne daß es dazu ihrer Gegenwart oder besonderer Feierlichkeiten vonnöthen hätte; sie würde mir zu diesem Ende einen eigenen Schlüssel zustellen, um davon freien Gebrauch zu machen; nur mit dem einzigen Vorbehalt, daß der Tempel nie vor Untergang der Sonne aufgeschlossen werden dürfte, und bei ihrem Aufgang wieder zugeschlossen seyn müßte. Die Göttin, setzte sie hinzu, hat Wohlgefallen an der hohen Reinheit deiner Empfindungen, die unter den Sterblichen einem Wunder ähnlich ist; und ich müßte mich sehr irren, oder dir ist ein Loos beschieden, das selbst unter den Söhnen der Weisen nur selten einem Glücklichen zu Theil wird, wiewohl mir nicht erlaubt ist dir mehr davon zu sagen.


Lucian.


Aha! Ich sehe sie kommen! – Dachte ich's doch gleich vom Anfange an!


Peregrin.


Ich errathe deinen Gedanken; aber nicht zu voreilig, Lucian! du könntest dich betrogen finden. Man ist mit den Leuten, in deren Gesellschaft ich dich gebracht habe, nicht so leicht im Klaren. Gedulde dich! das Drama nähert sich seiner Peripetie54.

Mein gestriger erster Besuch des Tempels, und was dabei in mir vorgegangen, war natürlicher Weise der vornehmste Gegenstand, worüber sich Dioklea mit mir unterhielt. Sie fragte mich, ob ich jemals zu Knidos gewesen sey? und[104] da ich mit Nein antwortete, fuhr sie fort: du kennst also die berühmte Venus des Praxiteles nur dem Namen nach; aber vermuthlich hast du die Venus des Alkamenes zu Athen gesehen? – Oefters, war meine Antwort: allein, o wie wenig ist sie mit dieser zu vergleichen! oder vielmehr, wie unendlich ist der Unterschied zwischen dem was ich beim Anschauen der einen und der andern erfahren habe! – Jene, sagte Dioklea, flößte dir wohl nur kalte ruhige Bewunderung ein; aber diese? – »Ein Gefühl, das meine Brust zu zersprengen schien, das meine ganze Seele kaum zu ertragen vermochte. In jener sah ich nur das Symbol der höchsten Schönheit; in dieser erkannte und fühlte ich die gegenwärtige Göttin selbst.« – Bei allem dem, versetzte sie, muß ich dich erinnern gegen deine Phantasie auf der Hut zu seyn; sie arbeitet oft zur Unzeit der höhern Einwirkung entgegen, und weidet uns mit Schatten, da wir ohne ihre zu große Dienstfertigkeit das Wesen selbst haben könnten. Du glaubtest die Gegenwart der Göttin zu fühlen, und es war vielleicht bloße Täuschung. Das sicherste Mittel dich vor den Blendwerken der Einbildung zu verwahren, ist ihrer Geschäftigkeit Einhalt zu thun, und dich gänzlich den Gefühlen deines Herzens zu überlassen. Durch diese allein kannst du hoffen, die Göttin dir günstig zu machen. Das Herz, nicht die Einbildungskraft, ist das Organ, das ihrer Mittheilungen empfänglich ist. – Nach diesen Worten verließ sie mich, damit ich mir diese Lehren durch eigenes Nachdenken wahr machen könnte.

Um deine Geduld durch Erzählung des stufenweisen Wachsthums meiner vermuthlich beispiellosen Leidenschaft nicht auf[105] eine allzu große Probe zu stellen, will ich von dem Besuche, den ich in der folgenden Nacht im Tempel machte, nichts weiter sagen, als daß dießmal die Art, wie das Anschauen der Göttin auf meine Sinne wirkte, indem ich mich (nach dem Rathe der Tochter des Apollonius) den Empfindungen, die sie mir einflößte, gänzlich überlassen wollte – zuletzt so lebhaft wurde, daß sie mich erschreckte und gegen mich selbst mißtrauisch machte. Ich eilte in großer Unruhe aus dem Tempel hinweg, und beschloß mich der Göttin nicht wieder zu nähern, bis ich durch die sorgfältigste Reinigung meiner Seele alles Sinnliche von meiner Liebe abgewaschen hätte, welche, meiner Meinung nach, ganz rein und geistig seyn müßte, um mich der wirklichen Theophanie als des einzigen Zieles meiner Wünsche fähig zu machen. Ich konnte nicht von mir erhalten, mit einer so heiligen Jungfrau, als Dioklea in meinen Augen war, von dieser Entschließung zu sprechen, weil ich mir keine Worte zu finden getraute, das, was sie veranlaßt hatte, zart genug auszudrücken, um keine unziemlichen Vorstellungen in ihr zu veranlassen. Sie konnte indessen leicht bemerken, daß es nicht ganz richtig mit mir stehen müsse: ich war unruhig, tiefsinnig, zerstreut, und suchte die Einsamkeit um meine Gemüthsverfassung vor ihr zu verbergen, ohne zu bedenken, daß ich sie eben dadurch verrieth. Indessen that sie doch, als ob sie nichts davon gewahr würde, und vermied, nach dem Beispiel das ich ihr gab, alles was mich zu einer Erklärung hätte nöthigen können. So ging der Tag vorüber, und in der nächsten Nacht hatte ich wirklich so viel Gewalt über mich selbst, mir das Anschauen meiner geliebten[106] Göttin zu versagen, wiewohl ich mich mehr als zehnmal auf den Weg machte, und einmal schon bis an die äußere Pforte gekommen war.

Diese grausame Selbstpeinigung kostete mir eine schlaflose Nacht. Meine Unruhe wurde dadurch mehr vergrößert als vermindert, und ich sah am folgenden Tage so blaß und hohläugig aus, daß Dioklea sich nicht länger überheben konnte, Kenntniß davon zu nehmen. Was ist mit dir vorgegangen, Proteus? fragte sie mich: wo ist deine vorige Heiterkeit und Ruhe? Woher diese Blässe deines Gesichts? dieses trübe Feuer in deinen Augen? Und warum besuchtest du gestern den Tempel nicht, sondern schweiftest die ganze Nacht durch im Hain und in den Gärten umher? – Ich fand lange keine Antwort auf diese Frage. Endlich bemühte ich mich, nicht ohne große Verlegenheit und vieles Stocken, in so behutsamen Ausdrücken als ich (mit Gefahr ein wenig unverständlich zu seyn) nur immer finden konnte, ihr die Bedenklichkeiten zu er öffnen, die mir die Pflicht auferlegt hätten, mich freiwillig aus den Augen Göttin zu verbannen. Sie schien mir mit Erstaunen in die Augen zu sehen, wiewohl sie mich mehr als zu wohl verstanden hatte. Sie schwieg eine gute Weile. Endlich nahm sie mich lächelnd bei der Hand und sagte: du bist ein wenig wunderlich, Proteus, und die Göttin ist nur zu gütig gegen dich. Steht es etwa nicht in ihrer Willkür, durch welche Art von Einwirkung sie ihre Macht über dich beweisen will? Und wie sollten deine Sinne allein bei den entzückenden Einströmungen ihrer Gegenwart unempfindlich bleiben, da sie sogar die leblose Natur mit Wonnegefühlen durchschüttert?[107] Wie kannst du glauben, daß die Göttin etwas Unmögliches und Unnatürliches von dir fordern werde? – Ist die Liebe, die sie dir eingeflößt hat, nicht ihr eigenes Werk? Kann Liebe ohne Verlangen, Verlangen ohne Ausdruck seyn? Die reinste Liebe – Venus Urania kann keine andere erwecken! – veredelt und verfeinert die Sinne, erhöht und begeistert sie, aber vernichtet sie nicht.

Dioklea war, indem sie dieß sagte, lebhafter geworden als ich sie noch nie gesehen hatte: sie bemerkte dieß vielleicht in meinen Augen, und hielt auf einmal ein. – Soll ich dir sagen (fuhr sie nach einer ziemlich langen Pause in einem ruhigern Tone und mit einem kaum merklichen ironischen Lächeln fort), soll ich dir sagen, was ich von deiner Liebe denke? Sie täuscht dich! oder vielmehr, du täuschest dich selbst mit einer Art von phantasierter Liebe, die du gleichsam durch Kunst und durch theurgische Mittel in dir erzwingen willst, weil du dich durch sie zu einer Stufe von Vollkommenheit empor zu schwingen hoffest, die deiner stolzen Eigenliebe schmeichelt. Wahre Liebe ist zu stark an ihren Gegenstand geheftet, zu tief in ihn versenkt, um so viel auf sich selbst Acht zu geben, und so behutsam und ängstlich über unbedeutende Dinge zu seyn. Du bist vielleicht einer sich so rein und ganz hingebenden Liebe nicht fähig: aber, glaube mir, die Götter lassen sich mit weniger nicht abfinden; und wiewohl es möglich ist, durch ihre besondere Gunst zu jener Theilnehmung an ihrer Macht zu gelangen, die das einzige Ziel deiner Wünsche scheint, so gibt es doch kein Mittel ihnen diese Gunst wider ihren Willen abzunöthigen.[108]

Dioklea berührte mich durch diese Rede an einem sehr empfindlichen Theile; denn in der That war ich mir sehr wohl bewußt, mit den Absichten, die sie mir zuschrieb, zu ihr gekommen zu seyn: aber auf der andern Seite fühlte ich noch lebhafter, daß mir das Bild der Göttin eine Liebe eingehaucht hatte, die meine ganze Seele beschäftigte, und wovon das, was ich ehemals für Kallippen fühlte, kaum eine leise Ahndung genannt werden konnte. Da mich nun ihr Vorwurf von dieser Seite nicht traf, so antwortete ich mit einer Zuversicht, die ihr vermuthlich nicht unangenehm war: dießmal wäre wohl, wenn ich es sagen dürfte, sie selbst diejenige die sich irrte, wenn sie mich beschuldigte, daß meine Liebe bloßer Selbstbetrug, oder gar eine heuchlerische Maske eigennütziger Absichten sey. Ich erklärte mich so warm und lebhaft über diesen Punkt, daß sie genöthigt war, ihren Worten einen mildern Sinn zu geben, oder vielmehr zu behaupten, ich hätte den ihrigen nicht recht gefaßt. Dieser kleine Streit, der erste und letzte den wir mit einander hatten, endigte sich in einer Aussöhnung, wodurch wir bessere Freunde wurden als jemals, und brachte eine Lebhaftigkeit in die Unterhaltungen dieses Tages, die der Einförmigkeit unsrer Lebensart sehr zu Statten kam.

Meine Ungeduld die Göttin wieder zu sehen gab den Vorstellungen, welche Dioklea meinen vielleicht allzu zärtlichen Bedenklichkeiten entgegengesetzt hatte, so viel Gewicht, daß ich das Ende eines Spaziergangs, wozu sie mich nach der Abendmahlzeit einlud, kaum erwarten konnte, wiewohl sie sich's so angelegen seyn ließ mich angenehm zu unterhalten, daß sie[109] nicht wohl befürchten konnte mir lange Weile zu machen. Es war schon ziemlich spät, als sie sich von mir beurlaubte, und ich eilte nun mit geflügelten Schritten dem Tempel zu. Nie hatten die Nachtigallen, die in großer Menge ein dichtes Gehölze zur Linken des Tempels bewohnten, sich so sehr beeifert meine Aufmerksamkeit auf ihre lieblichen Wettgesänge zu ziehen; aber nie war es ihnen weniger gelungen. Meine ganze Seele war bereits in meinen Augen. Ich verdoppelte meine Schritte, schloß die Pforten des Tempels hastig auf, und – stand auf einmal wie versteinert, da ich Amors Fackel ohne Feuer und den Tempel so dunkel fand, daß die geöffnete Thür nicht Licht genug einließ, um das Bild der Göttin unterscheiden zu können.

Unter tausend Zweifeln und Besorgnissen, die sich über diese unerwartete Begebenheit in meinem Gemüthe drängten, behielt endlich der Gedanke die Oberhand, daß die Göttin mich vielleicht auf die Probe stellen wolle, ob ich fähig sey, sie auch ohne Beihülfe einer meine Sinne rührenden Gestalt eben so gegenwärtig zu denken, als ob sie in diesem Marmor vor meinen Augen stände. Aber wenn dieß ihre Absicht war, so ließ sie mir wenigstens nicht Zeit genug die Probe zu machen. Denn unversehens erfüllte den Tempel eine hell leuchtende Klarheit und ein leises Wehen der lieblichsten Rosendüfte; und statt der Bildsäule erblickte ich in einer helldunkeln Wolke, welche die ganze Vertiefung erfüllte, die Göttin selbst in lebendiger unaussprechlicher Schönheit und Glorie, zwischen ihren ewig jugendlichen Grazien, welche Hand in Hand wie in einem leicht schwebenden Tanze sich um sie her bewegend,[110] von Augenblick zu Augenblick ihre himmlischen Reize bald umschleierten bald wieder sichtbar machten. Ich stand in Entzückung und Anbetung verloren, als die Göttin, mit einem Lächeln das den ganzen Tempel zu erheitern schien, einen Blick voll Huld und Majestät auf mich warf und plötzlich wieder aus meinen Augen verschwand.


Lucian.


Freund Peregrin! – was willst du daß ich glauben soll?


Peregrin.


Daß ich dir nichts sage als was ich gesehen habe.


Lucian.


Gesehen nennst du es? Geträumt willst du sagen –


Peregrin.


Ich versichere dich, daß ich in diesem Augenblicke nicht mehr träume als damals.


Lucian.


So war es doch wenigstens einer von den wachenden Träumen, wovon du vorhin sprachest, wo man in vorbei blitzenden Augenblicken sieht, was kein besonnener Mensch, dessen Vernunft und Einbildung im gehörigen Gleichgewichte stehen, je mit gesunden Augen gesehen hat.


Peregrin.


Denke davon was du kannst, Lucian.


Lucian.


Bei allem dem müßten die geschworensten Gegner aller Täuschungen, Demokrit und Epikur selbst, gestehen, daß du in deinem Erdenleben mit einer beneidenswürdigen Imagination[111] ausgesteuert warst! – Aber wie lange dauerte diese himmlische Erscheinung?


Peregrin.


Diese Frage, lieber Lucian, ist schwerer zu beantworten als du glaubst. Erscheinungen dieser Art lassen sich mit keinem gewöhnlichen Zeitmaße messen; und wer, der mit einem solchen Gesichte beseligt wird, könnte daran denken dessen Dauer messen zu wollen, wenn es auch möglich wäre? Alles was ich dir davon sagen kann, ist, daß sie mir, als alles wieder verschwunden war, nur wenige Augenblicke gedauert zu haben schien, aber daß, meinem Gefühle nach, diese Augenblicke gegen die zwanzig Jahre, die ich bisher gelebt hatte, eine Ewigkeit gegen einen Augenblick waren.


Lucian.


Ich merke aus allen Umständen, daß du noch etwas im Rückhalt hast, das mir auf die eine oder andere Art aus dem Wunder helfen wird: denn alles, was dir in dem Zauberhaine der wundervollen Tochter des Apollonius begegnet ist, kannst du doch nicht wohl geträumt haben.


Peregrin.


Wenigstens würde ich nicht so unbescheiden gewesen seyn, dich mit einem so langen Traume aufzuhalten. Aber ich fühle selbst, daß es Zeit ist, dir aus dem Wunder zu helfen, wie du es nennst, und wenn es auch nicht anders geschehen könnte, als indem ich dich in ein neues noch weit größeres werfe.


Lucian.


Du wirst mich sehr verbinden: denn ich muß gestehen,[112] daß ich den Gemüthszustand, in welchen du mich hinein gezaubert hast, nicht lang' ertragen kann.


Peregrin.


Du glaubst mir wohl ohne Schwüre, daß Venus Urania nach dieser Erscheinung keinen inbrünstigern Anbeter in der weiten Welt hatte als mich. Das ganze System meiner theurgischen Schwärmerei hatte durch diese offenbare Theophanie eine neue Stütze erhalten, und war in diesen wenigen Augenblicken so verdichtet und über allen Zweifel hinausgesetzt worden, daß ich nun das Wunderbarste und Unglaublichste zu ertragen fähig seyn mußte. So wie die wonnevolle Erscheinung verschwunden war, wurde mir auch der wieder verfinsterte Tempel zu enge. Ich eilte ins Freie, um meiner von Entzücken fast erstickten Brust Luft zu machen. Diese Nacht kam natürlicherweise eben so wenig Schlaf in meine Augen als in der vorigen; aber die aufgehende Sonne überraschte mich, da ich sie noch weit entfernt glaubte.

Dioklea erblickte mich als ich vor ihrer Wohnung vorbei ging. Sie war schon völlig angekleidet, kam zu mir herab, und sagte: sie wäre so früh aufgestanden, weil sie nothwendiger Geschäfte wegen in die Stadt reisen müßte: aber, setzte sie mit Verwunderung hinzu, wie kommt es, daß ich dich zu einer solchen Tageszeit schon so munter finde? Ich erzählte ihr, mit aller Redseligkeit eines Menschen, der kein dringenderes Bedürfniß hatte als seinem zu vollen Herzen einige Erleichterung zu verschaffen, was mir diese Nacht im Tempel begegnet war. Ich mußte es ihr mehr als Einmal mit allen Umständen erzählen, bis ich sie von allen Zweifeln geheilt sah, daß meine[113] Phantasie die Schöpferin dieses schönen Gesichtes gewesen seyn könnte. Die Stärke meiner eigenen Ueberzeugung nöthigte ihr endlich auch die ihrige ab; sie freute sich meines Glückes, und trennte sich nun, wie sie sagte, mit desto leichterem Herzen auf einige Tage von mir, da sie so gewiß seyn könne, daß ich ihre Abwesenheit kaum gewahr werden würde. Ich sollte mich inzwischen als denjenigen ansehen, der in dem ganzen Bezirke des heiligen Hains unumschränkt zu gebieten habe; alle, die von ihr abhingen, wären angewiesen, meine Winke eben so gehorsam wie die ihrigen zu befolgen: auch hätte sie dafür gesorgt, daß es mir an nichts fehlen würde, was ich nöthig haben oder wünschen könnte, ohne daß ich mich selbst deßwegen zu bekümmern brauchte. Nach diesen Worten umarmte sie mich mit der Vertraulichkeit einer alten Freundin, bestieg mit einer ihrer Nymphen und einem Diener einen mit zwei schneeweißen Pferden bespannten Wagen, und verschwand in kurzem aus meinen ihr nachfolgenden Blicken.

Die Entfernung der Tochter des Apollonius hätte mir nie weniger unangenehm seyn können, als in meiner damaligen Verfassung. Der ekstatische, oder, wenn du willst, nympholeptische Zustand55, worein mich die Erscheinung der vergangenen Nacht versetzt hatte, machte mir's zum Bedürfniß, mir selbst und meinen Empfindungen überlassen zu werden. Doch, was sage ich mir selbst? da mein ganzes Selbst in jenes himmlische Gesicht, das noch immer in ätherischer Klarheit vor mir schwebte, übergegangen war. – Nichts Aeußeres um mich her, nichts – als Diokleens Gegenwart, hätte mich in dieser süßen Entzückung stören können; denn sie würde mich freilich[114] unvermerkt verleitet haben, von dem Unaussprechlichen, das mein ganzes Wesen ausfüllte, zu sprechen; und wie wenig wäre das, was ich ihr von meiner Wonne hätte mittheilen können, gegen das gewesen, was mir selbst dadurch entgangen wäre!

Ich begab mich nun in den dunkelsten und stillsten Theil des Hains, und es gingen einige Stunden hin, ehe die in meiner Einbildung noch immer fortdauernde Vision durch ein fast unmerkliches Ermatten des Lichts und der Farben so viel von ihrer ersten Lebhaftigkeit verlor, daß ich wieder zu mir selbst kam, mich wieder da sah wo ich war, mich mit einer Art von süßem Erstaunen fragte, ob ich es sey, dessen Augen mit dem unmittelbaren Anschauen der Göttin beseligt worden? und mir selbst diese Frage mit der Gewißheit des innigsten Gefühls beantwortete. Die Gedanken, die jetzt mit außerordentlicher Klarheit und Leichtigkeit in mir aufstiegen, waren nicht mehr Gedanken eines Sterblichen; mit meiner Liebe zu Venus Urania hatte sich bereits meine Dämonisierung angefangen. Konnt' ich noch zweifeln ob diese Liebe der Göttin angenehm sey? Sie hatte mir ja den stärksten Beweis davon gegeben; hatte sich herabgelassen, mir in der einzigen Art von Erscheinung, die meine Sinne ertragen konnten; in der Gestalt der höchsten weiblichen Schönheit, sichtbar zu werden. – Sollte sie bei dieser ersten Gunst stehen bleiben wollen? Unfehlbar war dieses Gesicht nur ein Pfand noch vollkommnerer Mittheilungen; mit jedem höhern Grade derselben, hoffte ich, würde sich meine eigene dämonische Natur mehr enthüllen, bis ich endlich, von einer Stufe zur andern, zum reinen unmittelbaren[115] Anschauen ihres Wesens, und zum vollen Genuß aller Vorrechte des meinigen gelangen würde. – Welche Hoffnungen! Welche Aussichten! Wie ganz anders versprach ich mir selbst mir die Liebe der Göttin zu Nutze zu machen, als die Adonis und Endymionen der poetischen Fabel! Schon durchflog ich mit ihr in Gedanken das unermeßliche Weltall, durchschaute alle Geheimnisse der Pythagorischen Zahlen, hörte die Harmonie der Sphären, und begriff den tiefsten Sinn aller Hieroglyphen der Natur. Nichts was ein Dämon wissen kann, war mir verborgen, nichts was er wirken kann, unmöglich. – Welche Wonne, welch ein Vorgefühl neuer Kräfte, neuer weit ausgebreiteter Thätigkeit, lag in diesem vergötternden Gedanken! Und nun ergoß sich auf einmal die ganze Gutmüthigkeit meines Herzens in ihn. Ein neuer Prometheus, bildete ich schon in meiner allvermögenden Phantasie das Menschengeschlecht zu gutartigen und glücklichen Geschöpfen um; alles Elend verschwand von der Erde; ich rief Asträen wieder vom Himmel herab, stellte die Unschuld und Gleichheit des goldnen Alters wieder her, und beseligte es mit allem, was Künste, Musen und Grazien zur Ausschmückung und Veredlung des menschlichen Lebens beitragen können.


Lucian.


Armer Ikarus! wie hoch schwangst du dich auf deinen Wachsflügeln empor, und wie schmerzlich muß der Fall aus einer solchen Höhe gewesen seyn!


Peregrin.


Ahndest du schon meinen Fall, Lucian? – Ganz andre Ahndungen schwellten damals meinen Busen! Auch nicht der[116] kleinste Zweifel, nicht der leiseste Laut einer unglückweissagenden Vorempfindung, störte die Wonne meiner bezauberten Seele; und, wenn es wahr ist, daß kein wirklicher Genuß an das reicht was uns die Einbildung davon verspricht, so war dieser einsame Tag unstreitig der glücklichste meines Lebens.

Ich hatte inzwischen, ohne darauf Acht zu geben, den Ort mehr als Einmal verändert, und befand mich in einer Laube des Rosenwäldchens, wo ich endlich in der heißesten Stunde des Tages unvermerkt eingeschlummert war, als ich beim Erwachen einen Tisch mit verschiedenen Speisen und einem in Eis stehenden krystallnen Krug Wein vor mir sah, ohne gewahr worden zu seyn wie er hierher gebracht worden. Solltest du es glauben? aller seiner hohen dämonischen Schwärmerei zu Trotz, fiel der bezauberte Liebhaber der himmlischen Venus mit der Eßlust eines gemeinen Erdensohns über die anziehend duftenden Schüsseln her, und ließ, wiewohl sie für zwei mäßige Esser zureichend gewesen wären, nicht so viel übrig, daß ein Schooßhündchen davon hätte satt werden können.


Lucian.


Dieß ist gerade was mich von allen Symptomen deines damaligen Fiebers am wenigsten befremdet. Wiewohl man zu glauben pflegt, bezauberte Personen bedürften weder Speise noch Trank, so bin ich doch überzeugt, daß bei der verliebten Art von Bezauberung gerade das Gegentheil stattfindet, und daß von allen Arten der Liebe keine mehr Aufwand von Lebensgeistern verursacht, und also ihre öftere Ersetzung nothwendiger macht, als die Platonische. Vielleicht, da doch die Quelle[117] der Ahndungen an diesem Tage so reichlich bei dir floß, war diese außerordentliche Eßlust auch eine geheime Ahndung, daß du zu den neuen, vermuthlich nahe bevorstehenden Mittheilungen der Göttin einer solchen Vorbereitung nöthig haben könntest.


Peregrin.


Wie dem auch gewesen seyn mag, so zweifle ich nicht, daß Hippokrates oder Galenus diese Begebenheit sehr natürlich gefunden haben würden. Was ich dir übrigens für gewiß sagen kann, ist, daß die Schüsseln leer waren, bevor ich ein Wort davon wußte, und daß die erhabenen Träume meiner Phantasie sehr wenig durch dieses animalische Geschäft unterbrochen wurden. Wirklich habe ich in spätern Zeiten oft die Bemerkung gemacht, daß Seele und Leib bei der Art von Menschen, unter denen ich damals keiner der geringsten war, eine ganz eigene Wirthschaft zusammenführen. Bald treibt jedes seine Geschäfte für sich, ohne von dem andern die mindeste Kenntniß zu nehmen; bald vertauschen sie unvermerkt ihre Rollen mit einander; bald leben sie in offenbarer Fehde; aber ehe man sich's versieht, sind sie wieder so warme Freunde, daß nichts in der Welt ist, was sie nicht für einander zu thun oder zu leiden bereit wären. – Doch vergib, daß ich dich mit unnöthigen Bemerkungen aufhalte, da ich dir bloß meine Geschichte versprochen habe, und in der That einer seltsamen Auflösung der Räthsel nahe bin, womit ich dir eine Weile her den Kopf warm zu machen genöthigt war.

Ob es bloß eine Folge der natürlichen Veränderlichkeit[118] der menschlichen Seele war, die sich nicht lange in einer und eben derselben Stimmung erhalten kann, oder ob die beträchtliche Verstärkung, die der Strom meiner Lebensgeister so eben erhalten hatte, das Ihrige dazu beitrug, gewiß ist, daß die halcyonische Stille56, welche in der erste Hälfte des Tages mein Gemüth, wie ein heitrer wolkenloser Himmel die Erde unter ihm, umgeben hatte, sich in der andern Hälfte unvermerkt verlor. Ein geheimer Drang, ein unruhiges Sehnen, das mit jeder Stunde des sich neigenden Tages zunahm, trieb mich hin und her, und ließ mich nirgends lange verweilen. Das Bild der Erscheinung, die ich in der letzten Nacht gehabt hatte, stand wieder mit neuer Lebhaftigkeit und mit neuen unbeschreiblichen Reizen vor meiner Stirne. Aber das ätherische Licht, worin es mir diesen Morgen vorschwebte, war nicht mehr. Ich sah die Göttin in einer Beleuchtung, die ihre Schönheit mehr zu verkörpern, ihren Reizungen einen Zauber zu geben schien, dessen Gewalt ich noch nie so lebhaft gefühlt hatte. Das Verlangen sie wieder zu sehen wurde immer feuriger, immer ungeduldiger. Oft breiteten sich meine Arme unfreiwillig aus sie zu umfangen. Ich sprach mit ihr, sagte ihr alles was die höchste Schwärmerei der ersten Liebe dem Liebhaber einer Göttin eingeben kann, schweifte im ganzen Hain umher, und befand mich immer unvorsetzlich vor der Thür des Tempels. Je näher die Sonne ihrem Niedergang kam, desto länger wurde mir jede Minute, welche sie noch über dem Horizont verweilte. Eine geheime Ahndung – die im Grunde wohl nichts andres war als das instinctmäßige Harren[119] dessen was wir sehnlich wünschen – hieß mich von dem Besuche, den ich diese Nacht wieder in dem Tempel machen wollte, irgend eine neue noch größere Gunst der Göttin hoffen. In jener ersten Erscheinung hatte sie bloß den Versuch gemacht, wie viel meine Sinne von ihrer Gegenwart ertragen könnten. Vielleicht, dachte ich, läßt sie sich dießmal länger, vielleicht in einem noch mildern Glanze sehen; vielleicht nähert sie sich mir, würdigt mich einer Anrede, läßt mich aus ihren eigenen göttlichen Lippen hören, was ich thun muß, um unmittelbarerer, vollkommnerer Mittheilungen würdig zu werden. Wahr ist's, daß ich mir von diesen Mittheilungen nur sehr dunkle, oder, besser zu reden, gar keine Vorstellungen machen konnte: aber die Wirkung dieses dunkeln Vorgefühls auf mein Gemüth war nur desto gewaltiger, und mein Wesen erlag beinahe unter der unnennbaren Wonne des Gedankens, von Venus Urania geliebt zu seyn – – so wie mir in der That die Sprache zu gebrechen anfängt, da ich dir mit einiger Wahrheit schildern möchte, was in diesem seltsamen Zustande mit mir vorging.


Lucian.


Es ist freilich schwer von unnennbaren Dingen zu sprechen, und von außerordentlichen Gefühlen einem andern, der in seinem Leben nichts Außerordentliches gefühlt hat, einen Begriff zu geben. Ich entbinde dich also eines vergeblichen Versuchs um so lieber, da du mir bereits genug gesagt hast, um sehr deutlich einzusehen, daß du, mit aller möglichen Bestrebung, dem Blinden, den du vor dir hast, keinen anschaulichern Begriff[120] von den Farben der unsichtbaren Gegenstände, die du ihm schilderst, mittheilen könntest.


Peregrin.


Ich verstehe den Wink, und werde in meiner nächsten Beschreibung, wo nicht so deutlich, doch wenigstens so kurz als möglich seyn.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 16, Leipzig 1839, S. 71-121.
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