Ankunft im Haag.

[13] Ein Traum, ein so himmlischer Traum mitten in Böotien! Träume, was sind Träume? haben sie Flügel, sind sie Engel, fliegen sie mitunter vom Himmel auf die platte Erde? – Ach nein! Träume sind keine Engel, Träume kommen nicht aus den Wolken, sie kommen aus dem Magen. Den schönsten Traum meiner Nächte verdankte ich dem fetten Stolker, den du gestern Abend verzehrtest. – Aber die Gestalt, die mich so himmlisch anlächelte, die mich, die ich – die Gestalt, die dich so himmlisch anlächelte, die dich, die du – genug diese Gestalt war eine seraphinische Blähung.

Blasphemie! rief ich aus, und sprang aus dem Bett, sehr aufgebracht über den platten Einfall, welchen ich im Zorn eine Einblasung des Eidammer Apoll nannte. So wandelt denn, murmelte ich, kein Mensch ungestraft weder unter Palmen, noch unter Butterfässern.[14]

Uebrigens war es hohe Zeit aufzustehn. Die Uhr der St. Jakobskirche stand auf zehn, mein Nachbar zur Rechten, meine Nachbarin zur Linken, klapperten bereits seit einer Stunde mit den Theetassen, und meine Nachbarin zur Linken war gewiß schon bei der zwanzigsten.

Die St. Jakobskirche hat einen langen vierschrötigen Thurm, darüber einen geschnörkelten Aufsatz, worin eine Versammlung großer und kleiner Glocken, die gerade im Augenblicke, als ich aus dem Fenster sah, den alten Wilhelmus van Nassouwen herabspielten, und was der Zufall bedeutend genug fügte, auf den Kopf eines Nassauers, der vor meinem Fenster vorüberritt. Es war der Prinz Wilhelm von Oranien, ich hatte ihn schon gesehen bei Quatrebras, kampfschwitzend und in bloßen Hemdärmeln an der Spitze seiner Reiter, nämlich im Kupferstich an der Wand einer Dorfschenke. Er saß leicht und schlank zu Pferde, blickte heiter und sorgenlos in die Welt, wie Göthe's Egmont auf dem Markt zu Brüssel, vielleicht war der Engländer, den er ritt, dasselbe edle Thier, das mit ihm über die Barricaden der wüthenden Brüsseler glücklich hinweggesprengt war. Nun ritt der Prinz wieder über einen Markt, aber die Sache war nicht so gefährlich, Schildwachen präsentirten, ehrsame Bürgersleute nahmen ihren Hut ab und[15] ließen ihn mit Ehren ruhig durch, es war der Markt im Haag, denn der Prinz, der Engländer, die St. Jakobskirche und ich, wir befanden uns sämmtlich in der Residenz des Königs von Holland, im grünen Haag. Ich sage im grünen, denn Haag oder s'Gravenshage ist eine Stadt, wie andere holländische Städte, und wie London schwarz aussieht, Paris weiß, Berlin roth, so hat der Haag wegen seiner Canäle, Bäume und Häuser einen grünlichen Anstrich, und als ich bei meiner An kunft über eine Brücke fuhr, begegneten mir Arm in Arm zwei Damen mit grünen Brillen, grünen Kleidern und grünen Regenschirmen, welche sie gegen den Nebel aufgespannt hatten.

Auf dem Sopha ausgestreckt, dachte ich an meinen Traum und legte in Gedanken meine schnelle Reise noch einmal wieder zurück. Wie glänzt man, wie leuchtet man, wie dichtet man, wenn man dahinläuft, sagt irgendwo Jean Paul. Göthe würde gesagt haben, wenn man dahinfährt in bequemer Berline mit vier Rappen bespannt; Byron, wenn man dahintrottirt auf einem langen Engländer. Jeder nach seiner Art. Göthe ist die Poesie in der Hofkutsche, Byron die Poesie zu Roß, Jean Paul die himmlische Fußboten-Poesie, die Poesie per pedes Apostolorum.

Die holländischen Dichter mögen die Poesie[16] in der Treckschuite vorstellen. – In Holland sieht man selten einen Reiter, nicht einmal einen Probenreiter, noch seltener einen Fußgänger. Alles fährt und schifft. Die holländischen Landstraßen sind aber auch vortrefflich. Selbst über die Haiden von Overyssel und Geldern läuft ein bequemer, gemüthsruhiger Weg; nirgends eine hohe obrigkeitliche Erlaubniß, sich den Hals zu brechen, wie auf der Haide von Westphalen. Hinter Amersfort wird der Weg dielenplatt. Man denke sich, die holländischen Landstraßen sind belegt mit jenen allerliebsten gelben Klinkern, womit man bei uns zu Lande hübsche Häuser aufführt und Keller und Höfe aussetzt. Darüber rollt der Wagen so leicht und stoßsicher hinweg, wie nur über die Basaltstraßen am Rhein, oder die Lavastraßen von Italien. Diese zierlichen, unter den Rädern des Wagens klingenden Wege sind freilich nicht so stark und dauerhaft, wie die steingroben Chausseen in Norddeutschland. So einer von den himmelhohen Frachtwagen, die caravanenartig die Lüneburger Haide durchziehen, würde in Holland seine Spur durch eine lange Verwüstung kenntlich machen. Allein solche Unbill haben die holländischen Wege nicht zu befahren. Alles, was Fracht und Last heißt, wird in Holland zu Schiff gepackt und auf Canälen weiter befördert. Die Canäle sind die eigentlichen Landstraßen in Holland.[17] Man hört weder das Knallen der Fuhrmannspeitsche noch das Hoho der Kärrner; nur leichtbeladene Fuhrwerke rollen hin und her und selbst die Heu- und Mistwagen der Landleute sind leicht, schmal und zierlich gebaut. Diligencen gibt es in diesem kleinen Lande nach allen Richtungen; außer ihnen Treckscheuten für Personen, welche als regelmäßige Wasserposten täglich, stündlich ab- und zugehen. Geht es mit den Treckscheuten auch nicht auf Flügeln des Windes, so kommt der reisende Holländer doch immer um den stolpernden Schritt eines büschelbeinigen Gauls weiter in der Welt; dabei kann er sein Pfeifchen rauchen und mit seinem Nachbarm im Ruf ein kleines gepraatje über Wind und Wetter, Krieg und Frieden anbinden. Vielleicht ist China das einzige Land auf der Welt, das einen ähnlichen Anblick von Brücken, Canälen, Junken, Schiffern und Reisenden gewährt.

Mir machte die Reise nach dem Haag ein kindisches Ergötzen. O Butterland! o Käseland! rief ich, gelobtes Land meiner Kinderjahre, sei mir gegrüßt. Und auch du, o Jan Koxin, alter Feldwebel, mit dem ich so oft an der Elbe spatzieren ging, als die Franzosen bei uns waren und ich noch die ersten Hosen trug, sei mir gegrüßt, alter Jan Koxin, der mir so oft erzählt – was mich in die tiefste Rührung versetzte – daß die artigen[18] Kinder in Holland zum Frühstück fingerdicke Butter und ein daumdickes Stück Käse auf ihre Bemme bekämen. Ach Koxin, schrie ich damals, wie wollte ich artig sein, wäre ich ein kleiner Holländer; ist Holland weit von hier? Holland ist sehr weit von hier, sagtest du langsam; ma–a–r die Welt ist rund und du kannst einmal dahinkommen.

Jetzt war ich da und glaubte den Geist des alten Feldwebels neben mir in der Kutsche sitzen zu sehen, wie er sein spanisches Rohr ausstreckte und mich auf alle Gegenstände aufmerksam machte, von denen er mir früher erzählt. Es war Alles ebenso, wie ich mir gedacht. Diese Städte mit ihren stumpfen Thürmen und Glockenspielen, ihren Grachten – man sieht in eine Gracht hinein, wie in einen Guckkasten, in der Mitte einen dunkelgrünen Canal mit Torf- und Kartoffelschiffen, eine perspectivische Reihe von Brücken, Bäumen, Krahnen, Häusern, schlafenden verschlossenen Häusern mit hohen verhängten Fenstern, Winkelspiegeln, Klingelzügen, hohen Schornsteinen, den einen noch wunderlicher gebaut, wie den andern, so daß man sagen kann, die Phantasie der Holländer hat sich an ihren Schornsteinen erschöpft.

Diese Dörfer mit ihren schmalen Gassen, ihren kleinen bunten Häusern, diese Bauer- und Milchwirthschaften[19] mit ihren blanken Kesseln und Heuschobern, diese Landschaften, verhaßt der Diana, der Göttin des Wildes und Waldes, weil sie weder Wild noch Wald enthalten, verhaßt dem Apoll, weil sie sein poetisches Gefühl durch Schnupftabacksmühlen beleidigen, verhaßt selbst dem Pan und den Feldgöttern, sonst Liebhabern von Vieh, weil ihnen keine Hirtenflöte oder auch nur ein Kuhhorn entgegenschallt, aus gänzlichem Mangel an Hirten; diese Landschaften, die immer und ewig dasselbe Gesicht behalten, und unveränderlich mit Gras, Kühen, Canälen und Windmühlen abwechseln, vielleicht von allen Göttern und Göttinnen nur geliebt von der Himmelskönigin Juno, welche die Welt aus einem ökonomischen Gesichtspunkt betrachten muß, da sie nach Homer Kuhaugen hat.

Alles fand ich, wie ich's mir gedacht. Nur die Menschen nicht. Der Krieg mit Belgien hatte sie völlig aus den Angeln ihrer Gemüthsart gehoben, das bedächtige Volk war durch ein neues Gefühl, Ritterthum, Ehre, in ein fremdes Element hineingeplumpt, die Jungen erhitzten die Alten, die Zeitungsschreiber Alle. Sie machten aus einer Angelegenheit der Familie Nassau eine Volkssache, gebärdeten sich so isegrimmig, als ob sie allen Belgiern nur einen Hals wünschten, um ihn mit einem Streich abzuschlagen. Einem[20] ward unwohl in ihrer Gesellschaft. So traf ich im Wirthshaus zu Amersfort einen Kreis junger Officiere von der Schütterei, oder holländischen Landwehr, die häßlich renommirten und ihren Wein unter Kraftflüchen hinabtranken. Zuletzt brachte der Jüngste von ihnen eine Gesundheit aus: auf Kaiser Nicolaus und daß er bald mit den Polen fertig wird. Alle Gläser klangen – unter ihren Oranjeschärpen schlug kein Herz für die edelste Sache, für welche je Blut geflossen, sie hatten Schwerter angeschnallt, aber sie waren darum keine Ritter geworden, sie fühlten keine Bewunderung, nicht einmal Mitleid für die ritterlichen Polen, welche ihrem Opfertod entgegenjauchzten. Und doch war die Sache der Polen einst die Sache ihrer Väter.

Die Scene machte mich beklommen. Gottlob, rief ich, als ich wieder Gottes freie Luft schöpfte, Gottlob, daß ich nicht im Butter- und Käselande geboren bin, Gottlob, daß ich ein Deutscher bin. Nein, diese Holländer sind keine Deutsche mehr, sie haben aufgehört es zu sein, seit sie, aus unsern Urwäldern vertrieben, in diesem nassen Jammerthal sich niederließen. Feuer, Wasser, Luft und Erde haben sie zu Holländern verarbeitet, ihre Sprache ist versumpft und in Gurgellaute ausgeartet, ihr Geist ist nur der feuchte Niederschlag des[21] deutschen mehr, beraubt des himmlischen Funkens der Begeisterung, baar und ledig der Phantasie und des Gemüths. Begeisterung – wer wollte das trübe und neidische Feuer, was ihnen jetzt aus den Augen sieht, Begeisterung nennen.

Mit diesen Worten machte ich mir Luft; aber ich muß gestehen, daß die Schütter von Amersfort mich eine geraume Zeit unterwegs verstimmten, bis ich im nächsten Wirthshause mit einem alten vernünftigen Holländer bekannt wurde, an dessen gepudertem Kopf der Wirbelwind der Zeit vorbeigefahren war, ohne ihn über die wahren Interessen seines Landes zu verdrehen. – In Utrecht schlief ich die Nacht, in Leiden verweilte ich so lange, als man braucht, um über den blauen Stein am Rathhaus vorüber von einem Thor zum andern zu fahren und jetzt war ich im Haag.

Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 13-22.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Holland in den Jahren 1831 und 1832
Holland in den Jahren 1831 und 1832: Ein Reisebericht
Holland in den Jahren 1831 und 1832.

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon